- oder -
"Warum es mir vollkommen wurst ist, dass ich die 10km-Marke verpasst habe."
Minute -60. Im Laden. Gucken. "Kann ich Ihnen behilflich sein?" säuselt der Verkäufer. Ich erzähle ihm, was ich an Laufklamotten mittelfristig so alles brauche. "Fehler!" denke ich noch, da sehe ich in seinen Augen auch schon die Euro-Zeichen: er zeigt mir Unmengen toller, unverzichtbarer Dinge aus wirbelsturmgeeigneten, lavaresistenten und leider auch wie wild am Haben-will-Reflex zerrenden Materialien. Und hier! Und das da! Und ganz toll ist... usw. Ich probiere alles brav an, früher oder später muss zumindest das eine oder andere davon ja doch sein und so weiß ich schon mal, welche Größe ich brauche. Ätsch! Wie's aussieht, kann man Bei diesem enggeschnittenen und dehnbaren Funktionswäschekram die Größenangaben getrost ignorieren, wenn man nicht bei den Produkten eines Anbieters bleibt. Da! Eine knapp knielange Tight der Marke <zensiert> lacht mich an. In anthrazit und gelb. Geniales Ding. Und passen tut wie auch. Wie eine zweite Haut. Ohnehin habe ich es sowas von satt, in meinen überhaupt nicht für Sport gedachten Normalverbraucher-Bermudas zu laufen.
M. -30. Gekauft. Bin ich wenigstens nicht völlig umsonst da gewesen.
M. -5. Wieder zu Hause. Hm. Diese Tight sieht wirklich gut aus. Das Wetter auch. Grübeln. Abwägen. Okay: Zeitplan umstoßen, das Ding anziehen und ab! Nicht heute abend, sondern jetzt, auf der Stelle, sofort! So eine kleine 5km-Runde für mich Anfänger. Dachte ich jedenfalls.
Minute 0:00. Die Haustür fällt hinter mir ins Schloss. Go!
M. 4. Wegabzweigung zum Park. Endlich keine lästigen Autos mehr sehen, hören und riechen müssen. Die nächsten 100 Meter geht es leicht bergab.
M. 15. Aus irgendeinem Grund läuft es heute besser als sonst. Ich schwitze noch gar nicht. Oder kaum. Hm. Ach, was solls: ich verlasse meine übliche Standard-5km-Runde und steuere eine andere, etwas interessantere an.
M. 20. Ein Jogger kommt mir entgegen. Seine Schrittfrequenz scheint doppelt so hoch zu sein wie meine. Neid.
M. 26. Noch so einer. Diesmal wirkt es ansteckend. Ich beschleunige.
M. 26:25. "Nicht übel" will ich sagen. Leider bleibt es bei einem Japsen. Auch piepst irgendwas wie wild an meinem linken Handgelenk. Ja, is' ja gut. Dann eben nicht. Ich lasse mich in meinen üblichen Trott zurückfallen.
M. 29. Mittlerweile schwitze ich wie ein Tier. Ich stelle fest, dass ich mich unüberlegterweise auf eine Runde begeben hab, auf der es keine Abkürzungsmöglichkeiten gibt. Es sei denn ich schwimme ein Stückchen. Wankelmütig überlege ich, ob ich jetzt noch umkehren soll. Andererseits fühle ich mich noch gut. Also weiter.
M. 32. Point-of-no-Return, schätze ich. Zurücklaufen würde jetzt keine Wegersparnis mehr gegenüber der vollendeten Runde bringen.
M. 38. Es beginnt zu nieseln. "Mist" denke ich noch, aber es klingt nicht sehr glaubwürdig. Mich kann jetzt einfach nichts mehr aus der Ruhe bringen oder gar ärgern.
M. 40. Irgendwas in mir macht "Klick". Ich bin im Endorphin-Zauberwald, merke jetzt gar nix mehr, außer dass der Fluß schön glitzert und die Blätter der Bäume im Wind rauschen. Die Füße setzen sich ganz automatisch voreinander...
M. 61. Von Autolärm schrecke ich auf. Anscheinend bin ich wieder raus aus dem Park. Wie bin ich nur hierher gekommen? Meine Knie räuspern sich vorwurfsvoll. Was ist denn los? Achso, der 100 Meter lange (bzw. kurze) sogenannte Hügel. Er kommt meinen Beinen jetzt ein wenig alpin vor. Ich ignoriere das wütende Piepsen von links. Wenigstens da will ich noch hoch. Könnte ja sonst jeder kommen. Einfach lächerlich.
M. 63. Ein Hund sieht mich - und dreht sich gelangweilt um. So langsam bin ich mittlerweile.
Minute 63:37. Stop. Die letzten paar hundert Meter gehe ich wie üblich, zwecks Normalisierung von Puls und Schweißbildung. Haustür. Ich versuche, meine Schlüssel aus der lustigerweise "Tasche" titulierten Stofffalte am Hinterteil zu fummeln. Die Treppen hoch zur Wohnung kommen mir heute etwas steiler vor. Das war deutlich mehr als sonst. Recht ordentlich, zumindest für mich. Aber wieviel nur?
2 Minuten später: Noch nie war das aus der Dusche prasselnde warmne Wasser sooo schön. Ahhhh!
Ein paar Dehnübungen, zwei Teller Nudeln, eine Flasche Wasser und ein Malzbier später: Ich fühle mich sauwohl.
5 Stunden später: War da nicht noch was? Ach ja! Ab aufs Rad, die gelaufene Strecke abmessen. Ergebnis: 9,3km.
"Ha-Ha!" spottet ein fieses Etwas leise in mir. "Klappe!" entgegne ich ihm, mehr als nur glücklich.
slowman.
PS: Ist das eigentlich normal, dass meine Beine schon wieder "Los, geh noch ein bisschen mit uns laufen" rufen?
Die motivationsfördernden Nebenwirkungen meiner ersten Tight
1Mi"LangsamerMensch"chael
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Throw away your television
Take the noose off your ambition
Reinvent your intuition now
(Red Hot Chili Peppers)
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