Opus 2 - Vom Winde verweht - oder wozu braucht man Öffentliche Verkehrsmittel auf der Insel
Den Syltlauf erlaube ich mir nach meinem ersten und bisher einzigen Marathon als mein Opus 2 zu bezeichnen.
Am Start: Frierend stehe ich das so rum. Es ist finster und sehr windig. Ich spreche Thorsten an, wir quatschen kurz, wünschen uns gegenseitig das Beste. Na wahrscheinlich hab ich ihm was vorgejammert. Falls ja, Thorsten, sieh es mir bitte nach.
Ein Krack - ein Schrei … die Pfeiler der Startbanner geben dem Wind nach und krachen lautstark in die Menge. Gottseidank genau zwischen die ganzen Leute. Es wird niemand dabei verletzt. Uiui … ganz schöner Schreck an so frühem Morgen.
Wir werden über teilnehmende Berühmtheiten wie Letztjahressieger und Syltpstkartenmotivfotografen, das Wetter (welches als vorhanden gekennzeichnet wurde) und Querelen mit der Website informiert. Die Sonne kommt raus, der Wind pustet kräftig. Plötzlich ein Schuß und alle laufen los. Ich auch. Die Zehen fühlen sich seltsam an. Ganz eingefroren und knubbelig. Die laufen sich schon warm denke ich und trotte mit dem Gefühl auf Eierkartons zu laufen frohgemut Richtung List. Ist ja nicht so weit. Braucht man nicht den Bus zu nehmen.
1/100.
Na toll. Gerade im windwackeligen Klohäuschen fast seekrank geworden und nun muß ich schon wieder.
1/10.
Komme ganz gut voran, wenn bloß die Blase nicht so drücken würde. Also schlag ich mich in die Büsche - nein - in die Heide. Weiter geht’s. Ich grüße freundlich Nordic und andere Walkerinnen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die ungläubig diesen Läuferwurm betrachten.
Immermal wieder:
Fühl mich an „Hase und Igel“ erinnert. Ab und an steht der Listenknecht vom Orgateam am Rand und notiert - wie ich inzwischen glaub - die zurückgebliebenen. Streicht sie wahrscheinlich aus der Liste. Wie man unnütze Einträge aus dem Telefonbuch streicht. Wie auch immer. Mal unterhalten wir uns über den Wind, mal mache ich eine flapsige Bemerkung, dass er so schnell ist. Mit anderen Worten ich bin gut gelaunt. Die Sonne und die Insel tun ihr bestes um mich bei guter Laune zu halten. Wenn da nur der Wind nicht wäre. Aber man kann ja nicht alles haben.
1/4 so um und bei.
Man quert einen Parkplatz der einen von der Strasse zum Promenadenweg führt. Wind hier von direkt, unmittelbar und vorallem unerbittlich von vorn. Ich stemme mich dagegen und wäre wahrscheinlich auf die Nase gefallen, wenn der Wind mal kurz luftholen hätte müssen. Wenn der Parkplatz 200m hatte (Anne und Schätzen…) … ich habe jedenfalls 2 Minuten für seine Querung gebraucht.
Nicht ganz ½
Westerland Kurpromenade. Hier erwischt mich der Hagelschauer. Die wenigen Zuschauer drängen sich unter den Arkaden. Hier könnte ich jemanden kennen und prompt flackerte ein Blitzlicht auf, ich grüße freudlich und froh gelaunt. Kurze Rast am Verpflegungsstand. Beim ersten Mal hatte ich nur Wasser, das war etwas zu kalt. Hab ich mal das Spülwasser-Gatorade probiert, welches leicht angewärmt zwar keinesfalls besser schmeckt, sich aber wohliger an die Magenwand schmiegt und so nicht unmittelbare Verkrampfungen im Magen verursacht. Die Tätigkeit der Geschmacksnerven kann man scheints mit Willenskraft unterdrücken. Hab mir den Becher dann noch mit Wasser aufgefüllt. Und im schnellen Schritt zu Ende gesüffelt. Einem unermütlichen Bechereinsammler hab ich dann mit einem Dankeschön dem Becher überreicht. Kurz vor Westerland schloß ein Zwei-Mensch-Gruppe auf mich auf. Rudi (Mit Sicherheit unendlich erfahrener Jedenochsolangedistanzläufer und mit Altersweisheit gesegnet) und Anne (wie der Sprecher in der Kurmuschel wußte.) Anne lief dann an der Verpflegung durch oder war schneller fertig. Rudi hielt sich ein wenig auf. Dann schlappte etwas hinter mir mit flinken frohen kleinen Schritten … „Komm die Anne holen wir wieder ein.“ rief mir Rudi zu und schlappte froh und flink davon. Ich ließ die beiden. Derweilen flog mir die Gischt um die Ohren und der Sand in die Augen. Das war den Rest der Strecke ein wenig ein Problem, weil ich nicht richtig sehen konnte. Aber irgendwas ist ja immer.
Etwas mehr als 2/3
Einsamkeit. Aber frohen Mutes lauf ich so durch die Gegend. Das Ziel ist klar. Die Sonne scheint, ich freu mich so viel wie bisher noch nie von der Insel zu sehen. Da dreh ich mich mal kurz um. Huch, das sind ja gar keine Menschen, da ist ja ein Auto. Bin ich etwa doch Letzte. Aber vorhin waren doch da noch so viele. Mindestens 5. Freundlich lächeln die Sanitäter mich an. An der Verpflegung kurz vorher verkündete ich dem Feuerwehrmann noch mit leichter Entrüstung, dass ich nicht die Letzte sei. Das war dann wohl versehentlich gelogen. Komm ich hoffentlich mit durch beim Jüngsten Gericht. Hier bot mir aber eine der vielen netten Damen und Herren Helferlein Kaffee an. Hmmm … da kann ich ja nicht vorbei. Ich also nen Becher Kaffee und nen Becher verdünntes Spülwasser-Gättedingsda und weiter geht’s. War aber auch nicht so die tolle Idee. Der Kaffee war sehr lecker, aber verband sich im Magen mit dem Spülwasser zu einer seltsamen Brühe, die gleich und scheinbar ohne den Darm zu passieren in der Blase angekommen war. Nochmal Gebüsch/Heide? Nö.
1/10 vor dem Ziel
Der Kampf um den letzten und vorletzten Platz entbrennt. Ich hole eine Dame ein, die wegen Schmerzen im Knie schon eine ganze Weile ging. Ich überhole sie und informiere sie äußerst schuldbewußt, dass ich das Auto hinter mir hätte. Ich überlege kurz ob ich mit ihr zusammen gehen sollte. Aber ab hier war meistens Rückenwind und ich konnte einigermaßen laufen. Die Frau versuchte es auch noch ab und zu mal. Ging dann aber doch den Rest. Die Phase der leichten Oberschenkelverkrampfungen hatte ich schon überstanden. Das kannte ich ja schon vom Marathon. Schmerz- und körperphänomenmäßig war alles wie damals. Nur die Strecke war (geografisch) kürzer.
Ach ja. Beim Verpflegungsstand an km28 wurde ich mit Namen begrüßt und freundlich auf die nun wirklich nicht mehr wegzudiskutierende Tatsache aufmerksam gemacht, dass ich die Letzte bin. Nun gut. Aber solange keiner sagt „Schluß jetzt!“ zieh ich das jetzt durch. Freundlich verabschiedete ich mich vom Verpflegungsstandpersonal. Machte gedanklich eine „Los mir nach“-Bewegung mit dem Arm zum Saniwagen und holperte davon. Der Saniwagen wartete noch eine Weile. Ich hörte noch wie der eine nette Herr von der Verpflegung ihm zurief, dass er gut auf mich aufpassen solle. Eigentlich doch ganz schön hier hinten.
Mein Problem war aber die Blase. Hat so ein Saniwagen ne Toilette an Bord? Wenn ich jetzt in die Büsche verschwinde, machen die sich doch Sorgen? Muß ich dem Fall bescheid sagen? Die einzelnen Fragen dauerten bei wind- und sandgestrahltem Hirn, jeweils einen km und da passierte ich das Ortseingangschild von List. Ha! Nun bin ich gleich da. Hallo? Wo geht es denn hier zum Ziel? Die Feuerwehr-Kids sammelten sich an den letzten Punkten und machten aus Leibeskräften Krach für mich und die Dame hinter mir. Besser war es für den Sieger bestimmt auch nicht.
Noch ein Wort zum Rückenwind: Der kam zwar meist von hinten, aber in so seltsamen Schüben, dass ich bei einer solchen Böe locker nen Meter pro Schritt gewonnen hatte, gleichzeitig aber total erschrocken war. Dann war es fast windstill und das Laufen so aber keinesfalls leichter. So lieber Wind. Nun hab ich’s dir aber gegeben.
Aha, hier nochmal links rum. Die Feuerwehr hielt noch ein vorletztes Mal die Autos an und ließ mich die Strasse passieren. Der Autofahrer hat es ja nicht glauben wollen und fast den Feuerwehrmann umgefahren. Oje und das alles nur wegen mir. Ich bedanke mich auch hier.
1/100 vor dem Ziel.
Das Orgateam-Auto hielt hier nochmal an der Straße. Ein Daumenhoch vom Fahrer. Ich mach eine entschuldigende Achselbewegung „Tut mir ja aufrichtig leid, dass ich Euch so lange aufhalte.“ Der Fahrer winkt ab. Was ich als „Macht doch nichts.“ deute.
Wo issn das Ziel? Die letzten paar hundert Meter will ich doch heldenhaft ins Ziel laufen. Warum komm ich eigentlich nicht vom Fleck? Totaler Gegenwind. Ich muß leider bis zur Kante der Kaserneneinfahrt gehen und laufe dann die letzten zwei Meter ins Ziel. Die Rosenfrau wird fast zu Boden geknuddelt. Ich hole mir meine Medaille ab, schlürfe Ersatzkaffee und Wasser und schlabbere Banane. Hey, ich muß doch… auf dem Weg zu dem schon so lang ersehnten Örtchen treff ich die Sanitäter und bedanke mich noch mal herzlich, dass sie soooooooo langsam gefahren sind.
Gut gelaunt, kaputt, ein wenig stolz, mit einer weiteren Banane ausgerüstet, schlendere ich zum Bus. Nach und nach treffen noch weitere Läufer ein, die sich massieren lassen haben oder umgezogen … und der Bus fährt uns wieder Richtung Westerland. Wir drei Beiandersitzenden sind uns einig: „Von List bis Westerland ist’s ja ganz schön weit. Das kann man doch gar nicht laufen. Gut, dass der Bus fährt.“
Dann hab ich noch geduscht in der Welle. Zum Baden wars mir zu voll. Hab mich zu Kaffee und Kuchen abholen lassen und bin dann gegen 18 Uhr wieder in den Zug auf Festland gestiegen. Was für ein Wochenende.
Somit ist jetzt meine Psyche wieder etwas gestreichelt und die Laufseele belebt. Ich hab es geschafft, ich bin angekommen, ich habe nicht gekniffen und nicht aufgehört. Nach dem verbogenen Jahr 06 ein hoffnungvoller Einstieg für kleine Heldentaten in 2007.
Anne, einseitig beschmerzt … wie ein Hanghuhn … bin wohl aber eher ein Seitenwindschaf
[Syltlauf 2007] Opus 2 - Vom Winde verweht -
1Musik hören ist Lesen im Kochbuch. Selber Musizieren ist Genießen, ist „Auf der Zunge-Zergehen-Lassen“. (Hermann Lahm)
:in tuepfels küche :tuepfel in Bewegung :tuepfel im bilde
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