Am Abend will ich mir noch die Beine vertreten, laufe zur Festwiese und besuche Mandy und Frank am Zeltplatz, die mit ihren Potsdamer Vereinskameraden gemütlich beisammen sitzen. Nach einem kleinen Gelage im Vereins-Pavillon

Freitag läuft ganz entspannt ab. Ich geh ein bisschen in Suhl bummeln und fahre anschließend nach Oberhof zum Startunterlagen abholen. Irgendwie lustig, überall wuseln Läufer umher, alles Weicheier wie ich, die nur den halben laufen. Ich treffe Sumowalker und dann auch Mandy und Frank. Wir sitzen in der Sonne, nehmen einen Imbiss und lassen es uns gut gehen.
Mir ist dennoch bange, ich habe bekanntlich wenig getan die letzten Wochen, von diversen Wettkämpfen mal abgesehen...Ich wollte vorm Rennsteig wenigstens ein paar Mal unseren Rodelberg rauf und runter rennen, nicht mal das hab ich gemacht. Was soll das nur geben? Ich habe keinerlei Zeitvorstellung, nur eine: Ich möchte nicht von Sumowalker überholt werden. Das hatte ich schon (allerdings beim Marathon) und ein Trauma davon getragen. Diesmal soll er mich nicht kriegen. Auf keinen Fall.
Das Fori-Treffen ist klasse, es gibt gutes Essen. Sumo-Walker zeigt sich kampfbereit und meldet Zweifel an, dass ich schneller sein werde als er. Da beschließe ich: Spaß hin oder her, du nimmst auf jeden Fall die Beine in die Hand und lässt den Walker hinter dir.
Die Nacht ist grauenhaft. Meine Blase meldet sich alle paar Minuten, ich kann nicht einschlafen und schnatterinchen neben mir geht es genau so. Ich schlafe so schlecht, dass ich am nächsten Morgen um 5 Uhr (für mich eine absolute Unzeit) froh bin, aufstehen zu dürfen.

Dann muss Klein-Biggi, der Rennsteig-Frischling allein zum Bus und macht auch prompt den Anfängerfehler. Ich gucke nach Mandy oder cabo, weil ich eigentlich nicht alleine fahren möchte, stelle mich erst mal irgendwo hin und plötzlich kommt der erste Bus und hält genau da wo ich stehe. Ich bin umringt von Leuten und habe keine andere Chance mehr, als in diesen Bus zu steigen, der schnell völlig überfüllt ist und nun darf ich 30 Minuten stehend und eingefercht wie eine Ölsardine verbringen. Und das mir Klaustrophobikerin.

Sehr angenehm finde ich, dass es bei weitem nicht so kalt ist wie angenommen. Die Sonne scheint, das Wetter ist herrlich. Ich gebe den Kleidersack ab und behalte meinen Trumpf: eine alte Strickjacke für die Altkleidersammlung. Endlich im Startblock. Nach allem was ich gelesen und gehört hatte, ist der Rennsteig eng und voll. Ich wollte also nicht zu weit nach hinten. Block IV wurde mir zugestanden und ich begab mich dann direkt an die Grenze von III und IV. Plötzlich seh ich Mandy und freu mich, dass wir gemeinsam auf den Start warten können. Mandy gibt mir alten Tunnelblickläuferin noch den Tipp, doch auch ein bisschen zu gucken und die Gegend zu genießen.
Dann das ganze Programm: La-Ola, Schneewalzer und natürlich das Rennsteiglied, dass ich seit zwei Tagen übe....
Es geht los. Es macht Spaß, ich kann ein bisschen überholen. Ich hab kein Gefühl für die Geschwindigkeit, die ich laufe. Es geht wie erwartet erst mal viel bergauf, aber ich denke immer, da kommt noch was. 45 Minuten laufe ich ohne Gehpausen, dann walke ich auch schon mal flott den einen oder anderen Anstieg. Und zwischendurch gucke ich immer mal wieder in die Gegend, weil Mandy das gesagt hat und ich sie nicht enttäuschen und will. Nachher will ich sagen können: Hast du das gesehen und die Stelle da und war das schön usw....
Was mich völlig irritiert ist, dass ich kein km-Schild sehe und auch kein Verpflegungspunkt kommt. So denke ich nach ca. 50 Minuten, vielleicht hab ich noch keine 5 km geschafft? Kann das bergauf laufen wirklich so viel Zeit kosten? Da stehen an der Strecke ein paar Leute mit einem Schild: "Großer Beerberg, höchste Stelle auf der Strecke". Ich bin völlig überrascht. Wie, jetzt schon? Höher geht´s nicht mehr? Ich hab das Streckenprofil nicht ganz auswendig gelernt, aber ich weiß, dass ich auf jeden Fall weiter gelaufen bin als 5 km.
Nun kommt auch endlich der Verpflegungspunkt, ich nehme nur etwas Wasser und kurz darauf sehe ich die 10 km-Marke. Ein Blick auf die Uhr: 1:06. Das ist o.k., schließlich habe ich die meisten Steigungen hinter mir und jetzt geht es ja fast nur noch bergab. Ich bin fit, ich bin frisch, also eine Schippe drauf gelegt und ab geht´s, let it roll. Oder um es mit Mandy zu sagen: Lass es kullern...
Junge, macht das Spaß. Ich fliege über Wurzeln und Steine, schlängel mich geschickt durch, überhole immer mal wieder. Es macht Spaß. Die kleinen Anstiege die noch kommen, walke ich lieber und spare mir die Kraft fürs spurten. So kann ich die letzten 4 km richtig Gas geben. Ich sehe auf die Uhr: Wahnsinn, sub 2:15 ist drin.
Überglücklich laufe ich mit 2:14:05 ins Ziel, mir kommen tatsächlich die Tränen, der Rennsteig lässt einfach keinen kalt. Da stehe ich nun mit meinen Emotionen und keiner ist da, dem ich um den Hals fallen kann, das ist irgendwie doch doof, jedenfalls hier und jetzt am Rennsteig. Dabei muss cabo ganz in der Nähe gewesen sein, wir liegen nichtmal eine Minute auseinander. So verfliegen meine Emotionen ziemlich rasch wieder, ich wende mich praktischeren Dingen zu als Umarmen und heulen: Getränke besorgen und den Kleiderbeutel abholen. Es ist tatsächlich mein Glückstag: Während viele auf ihren Beutel noch warten müssen und mithelfen, zu sortieren, liegt meiner ganz vorne und ist griffbereit. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ich bin durchgeschwitzt und friere jetzt doch eine wenig trotz des strahlenden Sonnenscheins.
Ich genieße noch etwas die Atmosphäre bevor ich ins Hotel zum duschen gehe. Dort trifft auch Pittiplatsch ein und endlich kann ich jemandem in die Arme fallen.
Der Lauf war toll, weit weniger anstrengend als vermutet. Ich hatte solchen Respekt vor der Strecke und jetzt war es einer der lockersten Wettkämpfe meines Lebens. Ich hatte kurz darauf nicht das Gefühl, sonderlich etwas getan zu haben. Das verstärkte sich noch, als ich dann etwas später, frisch geduscht mit pittiplatsch am Ziel stand und die Marathonis und Supermarathonis bejubelt habe. Das groupen in der prallen Mittagssonne war bald anstrengender als der Halbmarathon.
Tja, eigentlich mag ich keine halben Sachen und irgendwie ist der HM Rennsteig light und deshalb soll es nächstes Jahr der Marathon sein.
Am Abend haben wir abgefeiert, gesungen, auf den Bänken getanzt, geschunkelt und gegrölt, uns mal richtig zum Affen gemacht. Aber ist halt Rennsteig und so muss es sein. Und deshalb nächstes Jahr wieder.

Ein weiteres Highlight war ein Regenerationslauf mit Kathrin am Sonntagmorgen: Ich habe zwei Nächte wenig geschlafen, ich habe eines der wenigen kinderfreien Wochenenden und habe Sonntag morgen um kurz vor sieben den Impuls: laufen. Sicher lag es am "Kuscheln" mit Schnatterinchen.
Wir überlegen kurz, ob wir laufen oder nicht, dann springen wir aus dem Bett. Los geht´s: ein Stück zum Rennsteig und zurück, mit Strongman-Einlage, weil wir über oder unter mehrere umgefallene Riesenbäume steigen mussen. Dann vorbei an einer Weide mit vielen Mutter-Kühen und Kälbchen. Und immer wieder schöne Aussicht. Dazu die klare Morgenluft.
Es ist schön, ein Läufer zu sein.