Tempo und Biel
„Einmal musst Du nach Biel“ – ich weis ja nicht mehr wer mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, aber in diesen Jahr wollt ich mir den Traum erfüllen. Da die Vorbereitung ganz ordentlich, wenn auch nicht optimal gelaufen war, rechnete ich im günstigsten Fall mit einer niedrigen Zehner Laufzeit und maximal um die 12 Stunden.
Viel zu früh (gegen 16:00) war ich in Biel und versucht vergeben in der Eishalle noch etwas Ruhe zu finden. Später traf ich dann noch Conny, Tess, Sigi, Stefan und Udo. Bei der Plauderei was man so alles für unterwegs mitnehmen sollte, meine Conny – Tempos. Hab ich zwar beim Wettkampf noch nie gebraucht, aber als Bielfrischling hörte man natürlich auf die Erfahrenen und so ein Päckchen macht den Buckel auch nicht krumm. Den ganzen Tag hatte es eher mehr als weniger vom Himmel geschüttet, in Richtung 22:00 wurde es immer besser und hörte ganz auf. Bei der Startaufstellung lief mir auch noch Bergliwalti über den Weg.
Und dann ging es los. Der erste Fünfer füllte sich mit 29:11 min und einem Puls um 155 richtig gut und locker an. Tschaka da geht was, auch die vielen Pützen und teilweise recht schlammigen Wege konnten mich nicht verdrießen. 29:02; 28:32; 28:45 für die nächsten Fünfer. Allerdings meldete sich kurz vor km 20 meine Eingeweide und ich machte die erste Bekanntschaft mir den Bieler Büschen. Irgendwas von der Verpflegung war mir auf den Magen geschlagen, Durchfall – Schei.. im wahrsten Sinne des Wortes. Aller paar km musste ich nun in de Büsche und lies dort unter „anderem“ jede Menge Zeit liegen und obwohl ich immer noch unter 6 min/km lief (wenn ich lief) gingen die 5 km Zeiten in die Knie 32:48; 32:30; 30:15; 35:02; 41:15 – Der Ultratypische Krise, mit der ich im Bereich 70-80km gerechnet hat, war unerwartet früh eingetreten. Was mach ich hier für einen Scheiß warum tue ich mir das an …? Ich begann das für und wieder eines Ausstiegs bei km 56 abzuwiegen.
Für den Ausstieg sprach in erster Linie das Papierproblem, so ein Päckchen Tempo reicht auch nicht ewig und feuchtes Gras ist nicht der Brüller (zumal wenn man im Dunklen noch eine Brennnessel erwischt), Sorgen machte ich mir, wie sich eine Dehydrierung durch den Flüssigkeitsverlust auswirken könnte und bei der Laufgeschwindigkeit waren selbst die 12 Stunden utopisch geworden. Für Weiterlaufen sprach nur das sich die Beine super gut anfühlten (hatten ja auch regelmäßig Pause) und das ich keinen Bock hatte mit meinem Problem im Bus zu sitzen und keine Chance zu haben in einen Busch zu kommen. In der größten Not nahte kurz vor km 56 ein Engel in Form von Stefan/Ishimori und kredenzte mir ein nagelneues unbenutztes Päckchen Tempo. An den Verpflegungsständen hatte ich nur noch Wasser, Banane und Cola genommen und auf den ganzen Iso-, Hypo-, Gel-, und Bouillon-Kladderadatsch verzichtet, da ich nicht einordnen konnte was mir auf dem Magen geschlagen war. Überhaupt hatte ich das Gefühl, das es langsam besser wurde und sich die Abstände zwischen den Büschen kontinuierlich verlängerten. Weiter …
Nun kam Biel pur - der Emmendamm sprich Ho-Chi-Mi-Pfad nahte und es war noch stockduster. Obwohl ich eine Lampe dabei hatte, die reinste Stolperstrecke. Erstaunlich das dort nicht reihenweise Fuß-, Knöchel,- und Knieversehrte herumliegen. Besonders wenn man
an die aberwitzige Geschwindigkeit denkt, die in der Spitze gelaufen wird. In Anbetracht das es für mich nur noch ums Ankommen ging, legte ich zahlreiche Gehabschnitte ein. Die Fünferzeiten 34:14; 34:15; 39:15 (Emmendamm) Nun zeigte sich endlich der ersehnte Silberstreif am Horizont, es dämmerte und Vögel kamen aus ihren Nester und krakelten in den Morgen hinein, meinen Innereien hatte sich halbwegs beruhigt und mit der Sicherheit ins Ziel zu kommen, begann die Rechnerei ob die 12 Stunden noch zu erreichen wären. Auf grader Strecke und bergab war ich noch relativ flott unterwegs, aber am kleinsten Anstieg fehlte mittlerweile die Kraft zum laufen. Im flotten Schritt war ich aber fast so schnell unterwegs wie machen beim laufen. 35:15; 36:14; 34:58 Bei Km 76 kein Gedanke mehr daran auszusteigen. Weiter …., nun kam zwar noch ein fetter Berg … aber immer nur weiter 38:45; 38:29; 34:46; 37:59 und dann waren es nur noch 5 km bis ins Ziel. Erstaunlicherweise begann ich mich immer besser zu fühlen, war ja auch gute 15 km nicht mehr genötigt die Büsche aufzusuchen. Bei Km 50 war mir noch klar, das tust Du dir nie wieder an, aber jetzt – war doch gar nicht so schlimm. 12 Stunden pah – locker. Zufällig überholte mich ein 100-Marathonclub-Gufti und ich verbiss mich in seine Waden. Das nennt sich irgendwie greifsche Endbeschleunigung und so dauerten die letzte 5 km auch nur 29:15 min. Nach 11:23:41 war ich offiziell im Ziel, da es aber keine Nettozeit gibt, hatte ich selber nur 11:22:35 bei 100,7 gemessenen Kilometer und 605 Höhenmeter auf der Uhr, inklusive 14 Buschbesuchen, die Zeit, 2 Päckchen Tempo und einen wunden Hinter gekostet haben (na ja Bushbesuche sind teurer).
Bis auf einen leichten Muskelkater in der vorderen Oberschenkelmuskulatur fühlen sich 100 km-Beine gar nicht so schlecht an, erstaunlicherweise hatte ich weder während noch nach dem Lauf auch nur ansatzweise Krämpfe.

PS – nochmals Dank an den Retter in der Not Ishimori