Das war die bange Frage, über die ich die ganze Woche vor dem Röntgenlauf, der mein zweiter Ultra werden sollte, grübelte und deren fehlende Antwort mich richtig schlecht gelaunt machte im Vorwege. Was war geschehen? Halsschmerzen, die ganze Woche über, das war geschehen. Mein Hals konnte sich nicht entscheiden, ob er nun richtig entzündlich krank werden oder lieber weiterhin latent rummucken wollte. Wenn er mir jetzt einen Strich durch meine Rechnung „63er“ machen wollte, dann .... grrrr! Schließlich hatte ich mich seit dem Frühsommer auf diesen Lauf gefreut und vorbereitet, an alles, sogar an Motivationen für eventuelle Tiefpunkte auf der Strecke gedacht. Nicht laufen zu können, das wäre ein echter Tiefschlag.
Aber erst mal hinfahren mit Anne nach Remscheid, dann kann man immer noch weitersehen.
Hals unverändert rummuckend.
Erst mal die Nacht abwarten. Morgens erst mal anziehen und für den Lauf fertig machen und zum Start fahren. Entscheiden kann ich mich dann ja immer noch, ob ich laufe oder nicht.
Prokrastination nennt man dieses Aufschieben wohl

Tja, der Rest ist schnell erzählt:
Startbereich. Aufstellung. Startschuss. Loslaufen. Hineinhorchen in Körper – ist da was, muss ich vielleicht etwa beim Halbmarathonziel abbrechen? Nöö, sagt der Körper, alles paletti, es ging uns nie besser! Halsschmerzen weg!?
Und so fliegen die Kilometer dahin, kann es kaum glauben, ich laufe und laufe und freue mich über leichte Beine und jedes Feld, jede Siedlung, jedes Waldstück, das ich vom letzten Jahr wiedererkenne. Ach, hier sind wir schon? Unterwegs treffe ich auf den netten Mitläufer Mario, der hier den Marathon machen will, und wir laufen munter schnackend die Strecke bis KM 42 zusammen. Dieses Jahr fährt sogar die Dampfeisenbahn genau in dem Moment über die Müngstener Brücke, als wir darunter durchlaufen.
Tiefpunkte, Grenzerfahrungen, Mit-sich-selber-kämpfen? Nöö, die Motivationssprüche können in der Tasche bleiben, die brauch ich heute nicht. Genauso stark, wie ich mich geärgert hätte, wenn ich heute nicht hätte laufen können, genauso stark freue ich mich, diesen tollen Lauf hier und heute zu absolvieren, dabei zu sein!
Irgendwann ist das Ziel vor mir, dort ist auch Anne, die ihrerseits erfolgreich den Halbmarathon gefinished hat, das gibt ein tolles gemeinsames Zielfoto, Wahnsinn! Mein zweiter Ultra!
Und so stelle ich fest, dass es auch die Ausschläge nach unten sind, die einen die "Amplituden" nach oben stärker würdigen lassen ... Vielleicht ist ein bisschen Sich-Sorgen-machen oder Frustration im Vorwege doch nicht immer schlecht ...

Tess
PS: Zwei Tage nach dem Lauf sind die Halsschmerzen übrigens weg
