Die Eckdaten stimmen optimistisch: eine Runde über 1481,38 Meter ohne Steigungen oder Gefälle gilt es innerhalb von 6 Stunden so oft wie möglich zu bewältigen. Das bedeutet für mich: in relativ kurzen Abständen immer wieder an Verpflegungsstand und Klo vorbeizukommen. Beides wichtige Aspekte bei einer Veranstaltung über längere Distanz! Und sollte ich nach drei oder vier Stunden doch dahinter kommen, dass solche Distanzen nix für mich sind, kann ich jederzeit `raus gehen und mir den Rest als Zuseher anschauen

Der Vortag:
Am Freitag, dem 04.04.2008 hole ich meine Startnummer ab, auf deren oberem Rand mein Name gedruckt steht, was ich ganz toll finde. Dazu gibt es ein Startsackerl mit einer ganzen Menge von interessanten Produktproben der Sponsoren und einigem Infomaterial des Bundesheeres, denn der Veranstalter des Laufes ist der HSV = Heeressportverein. Ich überfliege die Broschüren, beschließe dann aber, mich doch nicht für die Luftwaffe zu bewerben. Schon wegen meiner Flugangst nicht.
Dann begebe ich mich zum wenige Kilometer entfernten Campingplatz Salzburg Nord, wo ich eine relativ angenehme Nacht in meinem Ford Transit verbringe, lediglich von der Tatsache beunruhigt, dass es teilweise recht heftig regnet. Als echter Steirer möchte ich sogar sagen: „Es waschelt“ – keine Spur vom sanften Salzburger Schnürlregen

Am Abend koche ich mir noch eine Portion Nudeln (Recheis Mini Spaghetti – die waren im Startsackerl enthalten) und ersäufe sie in Tomatenmark und Frischkäse. Meine Katze DIESEL, die wie immer mit ist, bekommt außergewöhnliche Mengen an Leckerlies und überlegt wohl schon, ob einer von uns demnächst sterben muss, weil ihr die plötzliche Freigiebigkeit nicht ganz geheuer ist. Naja, da morgen mein Ultra Lauf Debüt sein sollte, bin ich mir nicht so sicher…

DER Tag!
Am Samstag um 07:00 Uhr wache ich noch vor dem ersten Weckersignal auf. Es hat aufgehört zu regnen und nach zwei großen Häferl Tee (ich traue mich, ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten diesmal nicht, einen Kaffee zu trinken) und einigen Aufräumarbeiten im Auto mache ich mich auf den Weg nach Wals. Obwohl erst um 10:00 Uhr der Start sein wird, sind schon um 08:05 Uhr etliche Autos am Parkplatz. Ich räume geschäftig in meinen Sachen und versuche, mich zu entscheiden, was ich anziehe. Die Sonne lugt zwischen den Regenwolken hervor, aber es ist unangenehm kühl. Also die ¾ Hose von Tchibo, das kurzärmelige grüne Shirt passend zu den neuen NIKEs und die blaue HOFER (=ALDI) Windjacke darüber. Ich will aus dem Auto steigen, aber sofort hüpfe ich wieder zurück, um mir noch eine Schicht Bekleidung drüber zu ziehen. Die lange Laufhose vom Kaffeeröster kommt noch dazu, die warme Jacke darüber und eine Mütze.
Dann versuche ich, von einer der geschäftig herumeilenden Damen Auskunft zu bekommen, ob man als Einzelstarter auch im Start/Ziel Bereich seine Sachen deponieren muss oder das einfach irgendwo an der Strecke tun kann – und ob es sonst noch etwas Spezielles gibt, das ich auf jeden Fall beachten sollte.
Die ziemlich kurz gehaltene Antwort: „Keine Ahnung, bin auch das erste Mal da!“ und weg ist sie. Als sie sich von mir entfernt, lese ich auf ihrem Rücken in großen Lettern „Ultra-Marathon Team XY“. Aha. Sie ist also das erste Mal dabei. Sehr nett!
Ich werfe einige Powergels (steirisch:„Quetschies“), zwei meiner Trinkgurtflaschen und ein Paar Reserveschuhe nebst Reservesocken in eine Umhängetasche und stelle diese im Start-Zielbereich auf meinen Klappsessel. Ich hätte jetzt gerne meinen Ultra Triathlon erfahrenen Vater bei mir, um mit ihm die aktuelle Lage zu besprechen. Wir haben zwar noch am frühen Morgen miteinander telefoniert, aber irgendwie fühle ich mich momentan so klein und allein, dass ich mich am liebsten in mein Auto verkrochen hätte und wieder Heim gefahren wäre. Aber kneifen gilt nicht

So stehe ich also um 10:00 Uhr mit 96 anderen Einzelstartern und 24 Staffelläufern am Start. Ich bin wieder in ¾ Hose, kurzärmeligem Laufshirt, darüber die leichte Windjacke. Da ich keine Ahnung habe, was nun auf mich zukommt, bin ich kein bisschen nervös, sondern nur neugierig. Ich wollte mit „Push the button“ starten, aber plötzlich finde ich, dass Cindy Lauper viel besser zur Situation passt und während das Quäken der Starthupe ertönt, singt es in meinen Ohren „GIRLS WANNA HAVE FUN!“ und ich fühle wie sich mein Herz mit Vorfreude auf die nächsten 6 Stunden füllt und tappe mit den anderen Einzelstartern los. Die Staffelläufer fetzten davon wie die Gejagten und wir Sololäufer schauen ihnen in einer Mischung aus Amüsiertheit und Schulterzucken nach. Wir haben immerhin noch 5 Stunden und 59 Minuten lang Zeit, uns kaputt zu machen!
Mein Plan für den 6 Stunden Lauf sieht aus wie folgt:
Durchkommen
Durchlaufen
Genug trinken
Genießen
Und aus.
Nach drei Runden laufe ich zum Versorgungsstand. Ich habe schon vor dem Start die Auswahl bewundert und die fleißigen Damen, die mit flotten Händen Apfelspalten schnipseln, Orangen zerlegen, Mannerschnitten und diverse Riegel auspacken und auf Tellern anrichten, Wasser, Isogetränk, Cola, Mineralwasser, Bier und Tee in Becher verteilen und einfach dafür sorgen, dass Getränke und Futternachschub nie versiegen. Im Vorbeilaufen schnappe ich mir einen Becher Wasser und versuche, im Weiterlaufen zu trinken. Der Becher ist aus Kunststoff, es ist einer dieser dickwandigen Joghurtbecher und da ich ihn nicht knicken kann, ohne den Rand zu zerbrechen, versuche ich eben, ordentlich daraus zu trinken. Einen Teil des Wassers inhaliere ich über die Nase, einen Teil schütte ich mir in den Halskragen und der weitaus geringste Teil davon schafft es tatsächlich in meinen Mund.
Da die Strecke überaus ordentlich und gepflegt wirkt, habe ich Skrupel, den leeren Becher einfach in die Botanik zu pfeffern und trage ihn die ganze restliche Runde bei mir, um ihn bei der nächsten Runde brav wieder am Versorgungsstand abzugeben. Eine der Damen schaut mich irritiert an. Ich beschließe, alle drei Runden zu trinken, was sich später als viel zu wenig herausstellt.
Inzwischen hat die Sonne etwas mehr Kraft bekommen und ich entledige mich der Windjacke und werfe sie im Vorbeilaufen knapp an meinem Sessel vorbei. Darüber mache ich mir aber so lange keine Sorgen, bis es anfängt, leicht zu regnen und ich plötzlich feststelle, dass meine Jacke weg ist. Etwas entnervt renne ich im Start-Ziel Bereich herum, bis eine junge Dame mir die Jacke reicht. Sie hat das Ding am Boden liegen gesehen und weil es anfing zu regnen, in einem Zelt von irgend einem Staffelteam aufgehängt. Ich bedanke mich hastig für die Fürsorge (obwohl mir lieber gewesen wäre, ich hätte meine Jacke nicht suchen gehen müssen) und renne weiter. Mein Pulsmesser zeigt inzwischen wieder beruhigende Werte an, auf den ersten zwei Runden hatte ich doch etwas zu viel Gas gegeben.
Nach genau zwei Stunden sagt der Sprecher an, ich hätte rund 20 Kilometer zurückgelegt. Ich bin inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass ich mit dem Bechertrinken meinen Wasserbedarf keinesfalls decken kann und laufe zu meinem Sessel, um eine der Trinkgurtflaschen zu holen. Diese trinke ich auf der nächsten Runde leer. Ich steuere den Versorgungsstand an und fülle die Flasche auf, was nicht ganz einfach ist, denn die Einfüllöffnung ist ziemlich klein und meine Hände nicht so ruhig, wie sie für diese Aufgabe sein müssten. Ich sehne einen Betreuer herbei, dem ich meine Trink-, Nahrungs- und Kleidungsprobleme übertragen könnte. Außerdem wüsste ich gern meine zurückgelegten Kilometer, aber das Zählen der Runden habe ich gleich zu Beginn aufgegeben, als mir klar wurde, dass ich mir für diesen Zweck auch die Länge der Runden genau anschauen und ausrechnen hätte müssen.
Die Zeit verrinnt und ich beschäftige mich damit, die anderen Läufer zu studieren. Ein junger Mann, etwa einen Kopf kleiner als ich, überrundet mich ständig mit beinahe schockierendem Tempo. Da wir unsere Startnummern vorne am Körper tragen und ich ihn nur von hinten zu sehen bekomme, wenn er grade wieder an mir vorbeiläuft, tröste ich mich damit, dass er vermutlich zu einer Staffel gehört.
Dietmar Mücke ist auch unterwegs, wie immer barfuss aber ohne den roten Haarschopf und ganz in schwarz gekleidet. Als wir eine Zeitlang auf gleicher Höhe laufen, will ich ihm einige Fragen stellen (zum Beispiel die vermutlich wenig intelligente Frage, ob man sich auch beim Barfusslaufen Blasen laufen kann…) aber er erklärt gerade seinem Nebenmann einen Weg und die beiden sind schwer vertieft in ihr Gespräch, da will ich nicht stören. Überhaupt plaudert Mücke den ganzen Lauf, erklärt und unterhält sich mit verschiedenen anderen Läufern, als wäre das ein gemütliches Feierabendründchen. Immer wieder taucht das Klatschen seiner nackten Füße am Asphalt auf, mal ist er etwas schneller als ich, mal drosselt er gerade sein Tempo. Jedes Mal zucke ich leicht zusammen, wenn ich seine bloßen Füße am harten Straßenbelag aufpatschen höre und überlege einige Kilometer lang, wie gesund oder ungesund das Laufen in Schuhen im Vergleich dazu ist. Ich beschließe dann aber, dass es sicher gesund ist, auf natürlichem Untergrund barfuss zu laufen, dass der Mensch aber den künstlichen Straßenbelag geschaffen hat und dazu die künstlichen Fußkleider ganz gut passen. Ich werde Herrn Mücke in Wörschach 2009 ganz einfach mal "interviewen".
An einer Stelle begegnen sich die Läufer und da mich die „Nummer 77 DIRK“ in einer der ersten Runden so freundlich angelacht hat, suchen sich unsere Blicke fortan in jeder Runde und wir lachen uns aufmunternd zu. Da wir anfangs konstant das gleiche Tempo laufen, treffen wir uns drei volle Stunden lang alle 8-9 Minuten. Plötzlich ist Dirk weg und ich treffe ihn wieder, als ich ihn überhole, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam entlang des Streckenrandes geht. Sein Knie macht ihm Schwierigkeiten. Er versucht zwar immer wieder, neu anzulaufen, aber es wird nicht besser und so quält er sich bis zum Ende der sechs Stunden über die Strecke, aber viele Kilometer werden das nicht mehr.
Ich selbst hatte einen kurzen, schmerzhaften Stich im rechten Unterschenkel gehabt – knapp am Wadenkrampf vorbei – als mich ein Staffelläufer auf der Geraden umgerempelt hat. Das, obwohl ich weit weg von der „Ideallinie“ unterwegs war, nachdem wir ja bereits am Start darauf aufmerksam gemacht worden sind, dass wir „langsamen Läufer“ den Rekordanwärtern die Innenspur überlassen sollten und ich mich streng an diese Vorgabe hielt. Heißen Dank dafür, werter Herr Superläufer. Ein hastiges „Tschuldigung“ hätte mich schon glücklich gemacht! Aber von wegen!
Nach diesem Beinahe-Krampf halte ich mich fortan bei der Verpflegungsstation an Mineralwasser, auch wenn das bedeutet, dass ich erst einmal die Kohlensäure aus der Trinkgurtflasche schütteln muss. Einen Becher Isogetränk habe ich auch probiert, das war mir aber etwas zu süß und außerdem kannte ich den Geschmack nicht und wollte nicht riskieren, dass ich diese Sorte vielleicht nicht vertrug und dem Ausgang des Rennens womöglich nur vom Klo aus zuhören konnte.
Ein Laufwunder der besonderen Art erlebe ich auch noch, als ich einen Läufer in nur einer Runde zweimal überhole. Ich habe da so eine Vermutung, wie das passiert ist, aber da ich weiß, dass der kleine Betrug ihm auch keinen Platz unter den ersten drei eingebracht hat, werde ich darüber keine weiteren Gedanken verschwenden.
Nach vier Stunden meldet sich die Natur zu Wort und ich verschwinde kurz „für Damen“. Die Herren haben es da leicht, die stellen sich einfach neben die Strecke an ein Bäumchen und „ahhhh“ en vor sich hin. Die Damentoilette ist kuschelig warm beheizt und als ich wieder hinaus auf die Strecke muss, merke ich, wie kühl es eigentlich ist. Die Sonne blitzt immer nur minutenlang zwischen den Wolken hervor, ab und zu weht ein eiskalter Lufthauch und immer wieder tröpfelt es ganz kurz, um uns Läufer in Furcht und Unruhe zu versetzen. Ich habe die Windjacke anbehalten und so wird das auch bis zum Ende bleiben.
Der Sprecher im Start/Ziel Gelände sagt immer wieder die Namen der Läufer an und auch, dass dies mein erster Ultra ist. Bei den Worten „kommt aus Graz“ zucke ich jedes Mal irritiert zusammen, denn irgendwie habe ich mich noch nicht ganz an meine neue Heimatstadt gewöhnt.
Obwohl die Nudelsuppe an der Verpflegungsstation verlockend riecht, kann ich mich nicht dazu aufraffen, stehenzubleiben oder langsam zu gehen, um daneben einen Teller leer zu löffeln. Ich laufe. Weil es gut geht, weil ich gerade "so schön drin bin" und weil ich eh nicht weiß, ob nicht plötzlich das AUS kommt und dann habe ich immer noch genug Zeit, mich an den Verpflegungsstand zu begeben.
Andere haben da weniger Probleme damit und ein Teilnehmer fällt mir besonders auf, den ich in praktisch jeder Runde überhole, er jedesmal kauend. Mal ein Teller Nudelsuppe, mal eine Portion Gemüsereis, mal hat er beide Fäuste voller Mannerschnitten oder labt sich grade an einer großen Cola. Run and Mampf quasi. Die Menge an Kalorien, die ich auf der ganzen Strecke verbrate, wirft er sich alle paar Runden ein

Nach etwas über fünf Stunden plötzlich nervt mich der MP3 Player. Ich stopfe das Ding in der nächsten Runde in meine Tasche und krame verzweifelt nach einem weiteren Powergel. Aber ich finde nichts mehr außer einem Päckchen Traubenzucker. Die ganze nächste Runde wickle ich hektisch ein Täfelchen Traubenzucker nach dem andern aus und schiebe mir diese in den Mund. Nur noch gut ¾ Stunden, da kann auch Traubenzucker nicht mehr viel Schaden anrichten, denke ich. Kurz darauf geht es mir wieder wesentlich besser. Vor Antritt meiner letzten Runde hole ich meine dicke Jacke vom Sessel und binde sie mir um die Hüften, während ich weitertrotte. In der vorletzten Runde komme ich dahinter, dass es zum Ziel hin locker 1/2 Meter Steigung gibt. Wahnsinn, das ist mir 5 1/2 Stunden lang entgangen und in der Ausschreibung stands auch nicht drin!
Als das Quäken des Zielsignals den Ablauf der sechs Stunden ankündigt und wir alle schlagartig stehen bleiben, um auf die Vermessung der Restmeter zu warten, kann ich mich schon glücklich in meine warme Jacke kuscheln und muss nicht fürchten, mich in den durchschwitzten Sachen zu erkälten.
Mein erster Gedanke auf dem Weg zu meiner Tasche: „Jetzt brauch ich aber einen Kaffee!“ und den hole ich mir auch gleich.
Die Dusche anschließend war ein wirklich erhebendes Gefühl. Es gab reichlich heißes Wasser und die Sanitäranlagen waren kuschelig warm eingeheizt, ein ganz dickes Lob auch dafür an die Verantwortlichen!
Ziemlich rasch kommen wir zur Siegerehrung, alle erhalten die Umrisse des Landes Salzburg als Medaille an einem bunten Band und ich finde noch immer, dass die Umrisse dieses Bundeslandes aussehen wie ein adipöser springender Hirsch!
Die Heimfahrt war recht angenehm, nachdem wenig Verkehr war konnte ich mir Zeit lassen. Ab und zu dachte ich beim Zurückschalten über die Vorteile nach, die ein Automatikgetriebe hätte.
Am Sonntag war ich mit meinen Eltern Nordic Walken (Mit Papa am Vormittag, mit Mama am Nachmittag) und am Abend habe ich auf einer gemütlichen 2-Kilometer Runde getestet, ob ich schon wieder normal laufen kann. Wohlweislich dort, wo ich unbeobachtet war. Naja, bis zum Vienna City Marathon sollte ich diesen 6-Stunden Schlurfschritt wieder wegbekommen haben, den ich mir in Wals angeeignet habe.
Ach ja, mein Endresultat war: 58,784km, somit Gesamtsechster bei den Damen und den undankbaren 4. Platz in meiner Altersklasse.
Special: Meine tiefe Bewunderung und Anerkennung den Siegern des 6-Stunden Laufes LINDNER Georg, der ganze 79,122 Kilometer weit gerannt ist sowie der Siegerin bei den Damen HOFER Sabine mit 76,753 Metern. RESPECT!!!



Respect aber auch den Veranstaltern für dieses gelungene Laufevent! I´ll be back!
