Eine ungeheuer ereignisreiche und tolle Radtour-Quälerei von München nach Mittelhessen.
Ein Laufbericht ist dies nicht. Deshalb steht's ja auch unter "Andere Sportarten"

Die Bilder zum Text finden sich - wegen der sichereren Haltbarkeit ;-) und der leichteren Veröffentlichung wie meistens in meinem Blog.
Genesis oder: Entstehungsgeschichte einer Schnapsidee
Eine verbleibende Woche Resturlaub, ein neues Rad, die Lust, mal was ganz anderes zu tun als nur zu laufen (und überhaupt wär's dazu sowieso zu weit gewesen ;-) brachte mich auf die Idee, einmal so rrrrrichhhtig hungrig an einem Geburtstagsbüffet einzutreffen.
Dazu bot sich der achtzigste Geburtstag meiner Mutter in Mittelhessen an. Nur dass es bis dorthin von München aus per Rad locker 500 km sind und meine bis dato weiteste Tour unter 100 km weit war ... Nichtsdestotrotz fragte ich zu hauptsächlich diesem Zwecke hier im Forum nach einem GPS-Gerät für's Rad, bekam ungeheuer tolle Ratschläge und Tipps und habe mir dann ... doch noch keins gekauft

Trotzdem gedachte ich zu fahren. Und zwar nach selbst mühsam und liebevoll aus diversen Quellen zusammengestückeltem und -kopiertem Kartenmaterial von München nach Augsburg, dann entlang der Romantischen Straße bis Würzburg, ab Würzburg ein Stückchen entlang des Main-Radweges und dann durch Rhön und Vogelsberg über Alsfeld bis nach Neustadt in Hessen.
Wieviele Kilometer das genau sein würden, war nicht exakt herauszubekommen. Im Vorfeld schätzte ich auf ca. 480-500 km, die ich in 4 bis 6 Tagen zurückzulegen gedachte.
Tag 1 - Start in München
Kurz nach 8:00 Uhr morgens ging es los. Und dann auch gleich so weiter, dass ich mich auf den Verlauf der folgenden nicht immer wie geschmiert laufenden Tourentage von Anfang an einstimmen konnte:
In München wird gebaut. Viel gebaut. Dummerweise wird dabei auf querende und kreuzende Radwege und deren Beschilderung so wenig Rücksicht genommen, dass ich fast 2 Stunden benötigte, bis ich am anderen Ende der Stadt München - vorbei an der Blutenburg und Richtung Fürstenfeldbruck radelnd verließ.
Eine Weile lang rollte alles wie frisch geschmiert, das Wetter war bilderbuchig, dass ich durch FFB wegen eines Straßenmarktes komplett durchschieben musste, ließ meinen Mut auch noch nicht sinken. Aber dann begannen die ersten Tücken: Radwege, die eine durchgehende Beschilderung bis Augsburg versprachen aber nicht hielten. Ungeheuer dicht besiedelte Gegenden mit massenhaft unbekannt benamten Käffern, in denen jeweils NIE Augsburg oder eine andere bekannte Örtlichkeit ausgeschildert war. Sondern lediglich immer wieder und immer noch mehr unbekannte komisch benamte weitere Käffer ....
100 Kilometer, überfüllte Flussauen in Augsburg und umschobene Hindernisse später - und damit nicht mehr so ganz im gesetzten Zeit- und Streckenlimit - unterradelte ich endlich fast 8 Stunden später die Autobahnbrücke nördlich von Augsburg, die ich von zu Hause aus mit dem Auto in unter eine Stunde erreichen kann.
Aber jetzt begann die "Romantische Straße". Ich freute mich darauf. Eigentlich. Radelte den Radweg am Lech entlang, der kurz darauf vom Hochwasser verschluckt wurde und mich zu Umkehr, Flussüberquerung und unbekannten Ufern zwang.
Und mir die erste der vielen netten Begegnungen mit interessanten, lustigen, spannenden, verrückten und immer erstaunlich hilfbereiten Mitmenschen am Wegesrand bescherte: des Weges nicht mehr kundig sprach ich einen pausierenden Rennradler an und hoffte, er könne mir weiterhelfen. Er entpuppte sich als Dozent aus Augsburg - eigentlich aus Osnabrück stammend, Romanist, der fast dieselbe Tour selber schon gefahren war. Nur noch weiter in den Norden rein. Und der mich dann eine Weile begleitete, Geschichten erzählte, Streckenhinweise und -tipps gab, mir die ansonsten ungeheuerlich schmerzhaften über-100-km ein wenig versüßte und sich eine Antwort auf die an mich gerichtete Frage selber gab:
"Warum sind Sie denn nicht wenigstens mit der S-Bahn schonmal durch München gequert oder mit dem Zug bis Augsburg gefahren? Wäre doch wirklich leichter und landschaftlich reizvoller gewesen und hätte triste Streckenabschnitte erspart."
Auf mein räusperndes: "Ähhh ... naja ... ich wollte eben von Tür zu Tür ..." fiel er mir seufzend ins Wort: "Ahja, verstehe. Stolz, Ruhm, Ehre und das ganze Zeuchs ... ich kenn' das, ich mach' das ja auch immer so .."

10 Stunden nach Start in Donauwörth suchte ich mir ein Hotel, mein Fahrradtacho zeigte 146 gefahrene Kilometer an, mein Magen - dem ich außer gelegentlichen Getränken, einer Banane, einem Apfel, ein paar Bonbons und Rosinen nichts festes seit dem Frühstück zugeführt hatte, gönnte ich ein ausgiebiges rustikales Essen, ein Weizenbier, dann schleppte ich mich mit krampfendem linken inneren Oberschenkel ins Bett - er krampfte den ganzen Abend über permanent und fast unbeirrbar vor sich hin - zog mir noch den "Tatort" aus München rein und war überzeugt: "Nee, das schaffste nie und nimmer in der geplanten Zeit. Morgen geht garantiert NIX!".
Tag 2 - von Donauwörth bis hinter Rothenburg o.d.Tauber
Zu meinem allergrößten Erstaunen wachte ich erstens weckerlos um 5:30 Uhr und zweitens ziemlich fit auf am nächsten Morgen. Der krampfende Oberschenkel hatte sich wieder beruhigt und es kam mir wunderbar vor, dass die Beine ansich ziemlich locker wirkten. Die Reststeifheit verscheuchte ich mit vorfrühstücklichen Yogaübungen, plünderte dann aus vollem Herzen das Büffet und machte mich auf die Radsöckchen.
Am ersten Tag war ich mit kurzen Ärmeln und kurzer Radhose gefahren, hatte schon ordentlich Farbe an den vorgebräunten Gliedmaßen bekommen und entschloss mich angesichts des strahlenden Tages noch ein Nümmerchen kürzer zu wählen klamottentechnisch: ganz kurze Hose und ärmellos.
Es ging stundenlang dahin entlang der romantischen Straße: Harburg, Nördlingen, Dinkelsbühl, Feuchtwangen, Schillingsfürst ... eine Stadt romantischer und lieblicher als die nächste. Jede mit Stadttoren, altem Stadtkern, Brunnen, Brünnchen, Fachwerk, Giebeln und Kopfsteinpflaster versehen. Manchmal auch über nicht-geteerte Wald-, Feld- und Wiesenwege, was Kraft und Ressourchen erforderte. Weitgehend jedoch eben, nur wenige Steigungen und häufig Gefälle ... es lief recht gut.
Manchmal verfuhr ich mich. In den Städten neigen die Fahrradhinweise dazu, einfach zu verschwinden. Im Nichts. Und so muss man sich zeitraubend durchfragen zum richtigen Stadtausgang, irrt falschen Fährten entlang die Hügel hinauf und rückwärts wieder hinunter bis der richtige Weiser des rechten Weges wieder auftaucht ... um im nächsten Ort ebenso spurenlos wieder abzutauchen ... Aber immer unterwegs: unglaublich hilfsbereite Menschen, die unglaublich bereitwillige Auskünfte geben, Flaschen auffüllen, immer die gleichen Fragen stellen.
- woher kommen Sie denn?
- Wohin wollen Sie denn?
- Sie sind wirklich ganz alleine unterwegs?
Denn: nichts tat ich lieber und nichts motivierte mich mehr als die immer wiederkehrenden gleichen Fragen mit immer gleichen und nur gelegentlich leicht abgewandelten oder der Situation angepassten Antworten zu kontern. War ein Gesprächspartner besonders nett, interessant, humorvoll oder sonstwie ansprechend, dann wurde die Plauschpause auch ein wenig erweitert zu einem kleinen Gespräch am Wegesrand.
Ein Fazit der Radtour war für mich: "Die meisten Menschen sind hilfsbereit, neugierig, nett und offen." Jedenfalls, sobald sie merken, dass man ihnen dasselbe entgegenbringt und sie um etwas bittet, das sie leisten können und wollen. Bestimmt gibt es viele andere. Aber erstaunlicherweise ist mir niemand davon begegnet bzw. näher gekommen.
Auch die Hunde waren nett und größtenteils freundlich. Ab und zu ein Kläffer hinterm Zaun - aber nie wirklich gefährliche oder kritische Situationen.
Ein Greifvogel im Wald (war es ein Bussard oder ein Habicht


Später dann allerdings stellte ich fest, dass die kurzen Ärmel keine allzu gute Idee gewesen waren. Der Fahrtwind hatte die Sonne verniedlicht, die mir inzwischen die freien Schultern knallrot verbrannt hatte, was sich später zu einem der schlimmsten jemals durchlebten Sonnenbrände mit Blasen, Hitze und Schmerzen entwickelte. Außerdem wechselte heute das rechte Knie in puncto Schmerzen den gestrigen Oberschenkel ab.
Vom Arsch nicht zu reden - die dortigen Druckstellen ignorierte ich einfach tapfer. Jeweils um Kilometer 80-100 herum schwächelte ich massiv. Jeden Tag! Von 100 - 130 gings dann wieder ein bisschen wie in Trance und der Rest war ein endlos zäher Kampf um jeden Meter und nur dazu gut, ein geeignetes Quartier zu erreichen bzw. zu finden.
Ein massiver Regenguss durchweichte mich kurz vor Rothenburg ob der Tauber so komplett, dass ich für dieses Städtchen (in dem ich mich wiederum verirrte) nicht viele Blicke übrig hatte, sonder kurz dahinter frierend die pitschnassen Klamotten wechselte, mir etwas später ein - absolut empfehlenswertes - Quartier in Tauberzell suchte, die Sachen trockenfönte, meine feurigen Schultern pflegte um nach einem wiederum ausgiebigen Abendessen wie tot ins Bett zu fallen.
Völlig überzeugt davon: "Morgen schaffst du das NIE! nochmal so"
An diesem Abend zeigte der Fahrradtacho 139 Tageskilometer an, davon ca. 1/4 nicht asphaltierte Strecke.
Tag 3 - von Tauberzell bis Rieneck im Spessart
Bis auf die verbrannten Schultern, die nach wie vor stark schmerzten und die nun komplett verhüllt wurden, hatten sich auch am folgenden Morgen alle abends noch meuternden Körperteile in ihr Schicksal ergeben und zeigten sich allen Erwartungen zum Trotz bereit für einen weiteren Tag im Sattel.
Schon bei Lauda-Königshofen verließ ich die Tauber, kam somit nicht in den Genuss von Tauber-Bischofsheim. Aber von hier gab es eine nur 41 km lange Verbindung - dazu komplett asphaltiert - nach Würzburg.
Die Strecke erwies sich per Fahrrad täglich weiter als ursprünglich geschätzt und so war mir klar, dass die weitere Romantik mit folgenden Waldwegen das Unternehmen: möglichst in 4 Tagen! auf jeden Fall zum Scheitern gebracht hätten.
Wobei ich erwähnen möchte, dass es im Grunde keinen "vernünftigen" Grund gab, die 4 Tage einzuhalten. Ich hatte noch reichlich Zeit, musste im Grunde erst Samstag bzw. Freitag Abend am Ziel sein. Spätestens. Aber das bedeutete auch: 5 oder 6 Tage Fahrzeit wären kein Problem gewesen.
Ich habe mir unterwegs mehrmals die Frage gestellt, was dann mich zum

Eine Antwort habe ich nicht gefunden. Ich fuhr einfach immer weiter. An diesem Tag über Würzburg, dann den Main entlang über Gemünden hinaus und fand nach 12 Stunden und 151 Tageskilometern ein wunderbares und günstiges QuartierinRieneck im Spessart.
Tag 4 - vom Spessart durch Rhön und Vogelsberg nach Neustadt/Hessen
Bis auf die weiterhin brennenden Schultern meuterte heute nichts am Körper

Nichts deutete am Morgen nach dem wiederum ausführlichen Frühstück darauf hin, dass es ein grauenhafter Tag, eine Qual, vernichtend! werden würde.
Zunächst durch ganz wunderschöne Landschaften fahrend, entlang blökender Schafsherden, krähender Hähne, springender Rehe. Durch Wiesen, entlang Bächlein und Feuchtwiesen mit Biberspuren und fast noch heiler Natur. In den Foto-Genuss der äußerst seltenen und bedrohten Schachbrettblume kommend, wieder nette und hilfsbereite Menschen treffend, radelte ich hinein ins Hessenland gen Rhön.
Die Rhön als Mittelgebirge ist mir bekannt und so war ich auf knackige Steigungen und Gefälle (die ich auch reichlich zu bewältigen hatte) gefasst. Nicht gefasst war ich auf fehlende Ausschilderungen, nicht zu erhaltende Radwegkarten, Radwege, die nur darauf ausgelegt sind, Sonntagsausflügler auf waldige Höhen und in lauschige Gebiete zu befördern. Zur Erholung - aber nicht zum Vorwärtskommen. Ich scheuchte im einsamen Wald Rehe auf, traf Waldarbeiter bei der Mittagspause, endete in einer Sackgasse mit Kompostieranlage, änderte, wechselte ungezählte Mal den Weg und irrte so durch die Lande. Zunehmend erschöpft, müde, psychisch geschlagen, verzweifelt. Am Ende!
Befragte willige aber unwissende Menschen nach möglichen Alternativen, klapperte Geschäfte und Gemeindeverwaltungen kleiner lauschiger Dörfer nach einer geeigneten Straßenkarte ab. Landete immer wieder in Sackgassenwege in Wald und Feld, schob zurück, überkletterte Leitplanken ...
Alternativen boten sich nur in Form von viel zu schmalen Bundesstraßen über die ohne abzureissen der Schwerlastverkehr donnerte. Oftmals weder Rad- noch Standstreifen. Ich teilte mir den Weg mit Bussen, Öltankern, Lastwagen mit Kränen beladen, wurde angehupt ... Es war lebensgefährlich. Nein - ich wollte eigentlich nicht sterben an der B254 zwischen Lauterbach und Alsfeld. Oder vielleicht doch? Irgendwann saß ich - Rotz und Wasser heulend - an einer müllübersäten Böschung neben den donnernden Schwerlastern. Gegenüber der Eingang zur Kläranlage Lauterbach, kilometerlang nicht abzusehen, wann ich wieder radtaugliche Wege finden würde. Sterben wäre evtl. die bessere Alternative und hier der geeignete Ort dazu.
Es begann zu regnen. Es war mir völlig egal. Ich überlegte, mich abends hier abholen zu lassen. Nur noch ca. 30 km vom eigentlichen Ziel entfernt. Aber in einigen Stunden würde der beste aller Ehemänner sowieso hier in der Gegend durchfahren. Ich könnte mich zum nächsten McDonalds in Lauterbach schleppen und dort abholen lassen. Gescheitert.
Bis nach Lauterbach schleppte ich mich noch, kaufte mir auch Cola und BigMac. Aber dann ... kam wieder ein Fünkchen Lebenswillen und Ehrgeiz auf. Auperdem war die Aussicht auf 5 Stunden im McD nicht allzu prickelnd

Ich kämpfte mich durch bis Alsfeld, von wo aus mir der Weg eigentlich bekannt ist. Eigentlich! Ich verfuhr mich dennoch ein letztes Mal, landete in einem winzigen Nest namens Vockenrod, hatte dort eine (hier nicht ausführlich zu schildernde, da nur mündlich wirkende ;) Begegnung, die an Schrägheit, Lustigkeit und Skurrilität nichts zu wünschen übrig ließ. Und die mich alleine schon mit diesem vermaledeiten Dreckstag wieder versöhnte. Es gibt noch in den kleinsten Käffern die irrsten Leute - soviel sei gesagt.
Ab hier war noch ein mehrere Kilometer langer Anstieg zu bewältigen. Ich musste komplett schieben. Beim Radfahren kommt der Mann nicht mit dem Hammer. Sondern mit dem Chloroformtüchlein. Irgendwann stellte ich fest, dass ich - ganz ohne Hammermoment - nicht mehr wirklich mit beiden Beinen in der Realität wandelte, sondern ausgebrannt und entrückt in irgendwelchen höheren Sphären herumschlich.
Langsamst die Serpentinen hoch und auf der höchsten Anhöhe angekommen präsentierte sich mir - ganz irdisch und real - ein so wunderschöner Sonnenuntergang mit Regenbogenbegleitung, dass es doch wieder etwas überirdisch war.
Eine steile Abfahrt - im Dunkeln, bei meinem nicht mehr allzu frischen Zustand und aufgrund der mit Schlaglöchern und Lücken durchsetzten Landstraße leider nicht ausfahr- und voll genießbar - von 6 Kilometern brachte mich ans Ziel: Neustadt in Hessen. Der Tacho zeigte an diesem Tag "nur" 141 Tageskilometer an. Und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 13 km/ h


Als meine Knochen und Gräten am nächsten Tag zweifelsfrei erkannten, dass es nicht wieder losgeht, erlaubten sie sich kleinere Meutereien. Die Oberschenkelmuskeln wurden hart, Schultern und Nacken verspannten, der Rücken tat etwas weh. Nach drei Tagen Faulenzerei, Feiern und Entspannen ist aber alles wieder komplett im Lot und ich bin der Meinung: Radfahren macht - ausgiebig betrieben - auch so fertig wie längeres Laufen (Marathon oder mehr oder so ;-) Aber die Regeneration scheint doch flotter zu gehen.
Bilanz:
- 4 Tage - 577 Kilometer
- ein - inzwischen sich pellender - Sonnenbrand
- ungeheuer viel gesehen und erlebt
- an meiner persönlichen Leistungsgrenze gekratzt
- eine Woche ganz ohne Internet verbracht - was auch mal ganz nett ist ;-)
- inzwischen schon wieder Lust auf nochmal sowas in der Art
P. S. zurück gings dann - ganz nach Plan - heute mit dem Auto ;-)