Sonntag 12 Oktober 2007, ca. 13:20: Mit einem furiosen Schlusssprint auf der Tartanbahn des Münchner Olympiastadions versuche ich zu retten was zu retten ist. Mit letzter Kraft stürme ich ins Ziel und Blicke danach ungläubig auf die Uhr: 3:20:00. Soll ich jetzt lachen oder weinen? OK, es ist Bestzeit. Die angepeilten 3:15 sind aber klar verfehlt und wenigstens die 3:19:xx hätten es doch sein können.
Freitag 11 November 2007, ca 6:00: Nach 4 Wochen Laufpause bin ich heute wieder richtig heiß auf's Laufen. Es ist kalt und rutschig. Gerade denke ich noch wie toll das ist wieder auf der Straße zu sein, da lieg ich auch schon da. Eisplatte - Fuß verdreht - Syndesmoseband und Kapsel stark angerissen - Gipsschiene und 6 Wochen Pause.
Montag 31. Dezember 2007: Mein ganz persönlicher Silvesterlauf - Ganz für mich allein - Es geht wieder!
Freitag 4. Januar 2008: Mein Wiedereinstieg in planmässiges Training mit dem Trainingsplan von VIC-System. Es geht schnell aufwärts.
Sonntag 16. März 2008: Erster Wettkampf - HM in Gröbenzell. Mit knapp 1:38 deutlich besser als erwartet - Pläne für einen Frühjahrs-Marathon keimen.
Sonntag 6. April 2008: HM in Forstenried. Mit knapp unter 1:35 noch mal verbessert. Die Wahl fällt auf den Marathon in Prag - ein langes Pfingstwochenende mit der Familie lockt.
Sonntag 11. Mai 2008, ca. 8:45: Strahlender Sonnenschein am Pfingstsontag in Prag. Herrlichstes Wetter wenn man nicht gerade einen Marathon vor sich hat. Nun stehe ich im Startblock am wunderbaren Altstädter Ring und treffe die letzen Vorbereitungen, schalte den FR ein und gieße mir das mitgebrachte Wasser über den Kopf und mein Laufshirt. Das soll lt. Peter Greif gut gegen die erwartete Hitze sein. Mein Umfeld schenkt mir wenig Beachtung, denn 2m weiter steht die Attraktion: "Marathon Man" - Ein Australier im Superman-Kostüm.
Das Training lief gut und lt. VIC-System wäre eine 3:08 möglich. Das halte ich für viel zu optimistisch und bei diesen Bedingungen für ganz unmöglich. Ich beschließe mal wieder die 3:15 anzugehen und als Plan B zumindest eine neue PB. Um kurz vor 10 kommt dann Bewegung ins Feld. Wir dürfen zur Startlinie aufrücken. Pünktlich um 10 dann der Startschuß und das Feld setzt sich zu den Klängen von Smetanas "Die Moldau" in Bewegung. Nach dem Startbogen geht es durch ein Spalier von Fahnen die breite Panzska hinunter Richtung Moldau. Kurz darauf geht es links ab Richtung Karlsbrücke. Ich versuche meinen Rhythmus zu finden und mir meinen Platz im Feld zu suchen. Dann kommen wir auch schon auf die Karlsbrücke: ein herrliches Bild bei diesem Wetter. Leider ist sie nur selten so frei wie jetzt...
Weiter geht es durch die Gassen der Kleinseite und unterhalb des Letensky Parks entlang der Moldau nach Osten. Kurz nach KM 3 dann der Schock: Wir unterqueren eine Brücken-
auffahrt und der FR meldet sich mit einem Piep: "Auto-Pause"



Es ging aber gleich wieder weiter. Wieviel war das jetzt? 5s, 10s? . Zur Belohnung bei KM 4 gleich die nächste kurze Unterführung und bei KM 5 eine größere. Das dürften jetzt 30s sein.

Oh Mann! Das war's dann aber hoffentlich. Abgelenkt werde ich durch die erste Versorgung bei KM 5: Für mein Empfinden vorbildlich: Erster Tisch - Eigenverpflegung, Zweiter Tisch - Wasser
(erst mal ein Becher auf die Kappe, einer in den Nacken) Dritter Tisch - Bananen, Orangen, Salz und Zucker, Vierter Tisch - Iso-Drink, Fünfter Tisch - Schwämme.
Das ganze alle 5k + alle 2,5k nur Wasser und Schwämme).

Zurück zum Lauf: Mittlerweile habe ich den Rhythmus gefunden und versuche einen 4:35er-Schnitt zu laufen. Durch ein ödes Gewerbegebiet gelangen wir zu einer Moldau-Brücke
und auch dort ist es fürs Auge nicht gerade attraktiv. Von Publikum ist hier weit und breit nichts zu sehen. Über eine schnurgerade Einfallstraße bewegen wir uns wieder Richtung Altstadt. Die Sonne brennt unbarmherzig und von Schatten ist hier ebenfalls keine Spur. KM 10 kommt in Sicht. Der FR zeigt 45:40, gefühlte 30s dazu wären das 46:10 und damit genau im Plan für 3:15 (tatsächlich waren es 46:23). Ich fühle mich trotz der Hitze gut, der Puls ist im grünen Bereich bis mich bei KM 11 ein Donnerschlag trifft. Besser gesagt tut sich der Boden auf und der Kurs führt in einen langen Tunnel. Wieder macht es "Piep" und der FR stellt die Zeitmessung ein. Ich versuche meine Wut in Energie umzusetzen , aber wie lange hat das jetzt gedauert hier durch zu laufen? Wie kann man so blöd sein..

Nach dem Tunnel sieht es plötzlich aus wie bei der Tour: Mehrfach stehen Namen und Pfeile mit der Angabe "Beijing" auf der Straße. Es sind hier einige Leute am Start die sich noch für Peking qualifizieren wollen. Ich fürchte das ist nicht das Wetter dafür...
Kurz darauf sind wir wieder auf der Pancszka und nähern uns dem Altstädter Ring. Hier in der Altstadt ist endlich Stimmung.
Von links höre ich plötzlich ein "Schneller Papa" und entdecke meine Frau und die Kids die mich jubelnd anfeuern. Am Zielbogen steht dann praktischerweise die Uhr mit der Bruttozeit und ich schätze eine Differenz zwischen meinem FR und der tatsächlichen Zeit von 2 min ab. Natürlich war das noch nicht das Ziel, sondern es geht weiter durch die Altstadt am Karolinum vorbei zum Pulverturm und dann im Bogen über eine große Einkaufstraße zurück Richtung Moldau. An der Legii-Brücke geht es dann entlang der Moldau nach Süden.
Irgendwie macht sich jetzt die Hitze bemerkbar und ich kann das Tempo nicht ganz halten. Kurz vor KM 15 werde ich dann vom Pulk des 3:15-Pacer überrollt. Kurz versuche ich das Tempo zu halten aber mein FR zeigt mir ständig eine Pace von ca. 3:25 an. Das ist mir zu schnell und eigentlich auch für 3:15. An einer Eisenbahnbrücke macht der Kurs für ca. 3,5k einen Abstecher in ein Wohngebiet. An einer Grünanlage muss ich dann dem Drang meiner Blase nachgeben und verliere weiter Sekunden. Damit sind die 3:15 wohl durch.
Da ich mich trotzdem wieder ganz gut fühle nehme ich mir vor weiterhin im Bereich 4:35-4:40 zu bleiben. Bei km 19 kommen wir nun zurück zur Moldau und für fast 3 lange km geht es in praller Sonne entlang der Ausfallstraße nach Süden. Die einzige Abwechslung sind die entgegenkommenden Läufer die meist auf dem Radweg im Schatten laufen können. Das macht Hoffnung.
Bei KM 20 bin ich mit "gefühlten" 1:32:30 bzw. mit realen 1:32:49 nur knapp über dem Soll. Seit einiger Zeit bewegen sich in meinem "Dunstkreis" 2 Spanier die ein relativ konstantes Tempo laufen und ich versuche dranzubleiben. Nach der Wende bei km 22 geht es jetzt zwar weitgehend im Schatten wieder nach Norden, dafür haben wir jetzt empfindlichen Gegenwind. Nach einem Führungswechsel bei den beiden Spaniern werden diese aber langsamer und ich setze mich vor die beiden. Leider können sie sich nicht dran hängen.
Auf diesem Abschnitt, unterhalb der Burg Vysehrad vorbei, beginne ich viele Läufer "einzusammeln". Ich fühle mich gut, aber es sind ja erst 24k gelaufen. Wir nähern uns der Palackeno-Brücke und hier ist wieder ein richtiger "Hot Spot" an Zuschauern. Was mich erstaunt: Ich laufe in einem frisch auf der Messe erstanden schwarz-rot-goldenen ärmellosen Shirt und erhalte gerade auch von tschechischer Seite immer wieder positive Anfeuerung. Das hatte ich nicht unbedingt erwartet. Wir wechseln nun über die Brücke auf die andere Seite der Moldau und es geht erst mal wieder nach Süden. Auf diesem wieder etwas öderen Stück plagt mich auf einmal Seitenstechen. Gott sei Dank verschwindet es nach der Verpflegung an der Wende bei km 28 wieder.
Immer wieder muß ich mich dazu zwingen "am Drücker" zu bleiben, zwar überhole ich fast dauernd aber wenn ich nicht aufpasse werde ich auch selbst immer langsamer.
Bei Km 30 gehe ich mit "gefühlten" 2:19:00 (real 2:19:56) durch. Kurz danach überhole ich ein französisches Pärchen. Sie fallen mir erst dadurch auf, dass er sie während des Laufs mit einer Orange füttert. Kurz darauf geht es wieder unter eine Brückenauffahrt und ich höre hinter mir ein lautstartkes "Marie allez, Allez Marie allez allez". Das geht noch eine ganze Weile so und mir tut die Frau irgendwie leid. Vielleicht will Sie das aber auch so. Über die Legii-Brücke gelangen wir wieder in die Altstadt und hier ist gleich wieder eine Menge los. Trotz aller Anstrengung schaffe ich jetzt aber nur noch einen Schnitt von 4:40-4:45. Wenn ich den halte ist auf jeden Fall eine neue PB drin. Entlang der Moldau, an der Karlsbrücke vorbei geht es zur Manesuv-Brücke, hier ist der nächste Treff mit meiner Familie vereinbart.
Während ich um die Ecke biege höre ich ein zweistimmiges "Papa" und meine Kids laufen plötzlich neben mir bzw. versuchen es. Der alte Papa ist aber ganz schön schnell und die beiden haben Mühe ein Stück mitzukommen.
Nach der Brücke geht es dann rechts ab und wir laufen nun wieder auf dem bekannten Kurs der km 4-12. Es bleibt weiterhin das gewohnte Bild: Ich überhole werde aber selber auch langsamer. Mein Schnitt geht auf 4:50-4:55 zurück. Vor allem an den Verpflegungen lege ich jetzt kurze Gehpausen ein um in Ruhe zu trinken. Die Hitze fordert spätestens jetzt ihren Tribut. Wieder durch das Gewerbegebiet, über die Moldau und dann auf die schnurgerade Einfallstraße.
In der prallen Sonne macht das spätestens jetzt keinen Spaß mehr. Endlich erscheint die km 40-Marke: "gefühlte" 3:08:40, real 3:09:17. Es scheint eng zu werden. Jetzt kommt ja wieder "mein" Tunnel, der mich vor 2h so geschockt hat. Bergab gebe ich noch mal Gas. Kurz vor verlassen des Tunnel werde ich durch ein energisches "Marie, Marie, Marie, allez allez allez" erschreckt. Die beiden scheinen aufgeholt zu haben. Nach dem Ende der Steigung will ich noch mal Gas geben aber jetzt versagt mir das linke Bein den Dienst. Ein mehrfaches Stechen in der Wade kündigt einen Krampf an. Alles nur das jetzt nicht. Noch 2x versuche ich das Tempo zu verschärfen, jedesmal meldet sich sofort das Bein. Oh oh...
Endlich geht es dann links wieder in die Panzska auf die Zielgerade. Ich ziehe an und laufe was das Zeug hält. Vor mir treiben 2 Läufer ihre Späße mit dem Publikum, dafür habe ich aber keinen Blick. Mein Blick geht nur Richtung Ziel. Endlich erreiche ich den blauen Teppich, reisse die Arme hoch und überquere bei einer Brutto-Zeit von 3:20:xx die Ziellinie. Hat das gereicht?
Völlig erschöpft brauche ich erst mal ein paar Minuten um die Medaille in Empfang zu nehmen.
Gleich darauf schnappe ich mir ein Bier und gehe zur Technical Area, lass mir das Pfand für den Chip auszahlen, hole meine Tasche und gehe ins Umkleidezelt. Das ging alles fix und poblemlos.
Als ich mein Handy einschalte ist schon eine SMS vom Ergebnisdienst da: 3:20:18 steht da als offizielle Zeit. Wie? Was? Das ist hoffentlich Brutto.
Da grad nicht viel los ist gehe ich zur Medaillengravur und erfahre dann durch meine gravierte Medaille die Nettozeit: 3:19:38.
Ich bin mehr als zufrieden. Zwar hab ich wieder die 3:15 verpasst, aber an einem Tag an dem hier einige Läufer ihren Olympia-Traum begraben mussten, weil es für einen Mitteleuropäer einfach zu warm für einen Marathon war, hab ich immerhin meine PB verbessert.
Ausserdem gefällt mir die Info auf der Urkunde: 10k Platz 507, 20k Platz 533, 30k Platz 454, 40k Platz 365, Finish Platz 346 und der Traum von den 3:15 lebt weiter
Wer sich einen Eindruck verschaffen will: Hiergibt es den Live-Bericht des tschechischen Fernsehens. Bei 5:40 laufe ich durch's Bild....