Meine Mum kommt grad von der Gassi Runde zurück, eine Tüte Brötchen unter dem Arm, und verzieht das Gesicht "Ieh, es regnet", entgegnet sie auf meinen fragenden Blick. Na toll. Dabei ist doch heute Berlin Halbmarathon, da muss es doch angenehme Temperaturen haben, so wie immer eben. Aber noch läßt sich der Himmel nicht erweichen und hält uns seine stahlgrauen Wolken entgegen.
Also erstmal Frühstücken. Nachdem meine Vorbereitung gar keine war (4 Monate Laufpause Sept-Dez und dann so mit 10-20 wkm wieder ein wenig durch die Gegend gegondel) wollte ich heute eigentlich eine Sightseeingtour machen, aber bei dem Wetter?
Wir ziehen uns fertig an und machen uns auf den Weg zum Balzac. Vielleicht können wir zusammen mit den Foris den Himmel doch noch besänftigen. Nach einem trockenen Fußmarsch erreichen wir das Cafe und treffen auch noch einige Foris

Gegen 10:42 stopfe ich noch schnell meinen Freund in seinen Startblock (wir waren mal wieder etwas spät dran, warum muss es auch an den Damentoiletten immer so voll sein

10km war der längste Lauf in den letzten 3 Monaten. Nicht grad das, was ich einen langen Lauf nennen würde. Und jedem anderen hätte ich sicher dringlichst abgeraten mitzulaufen, aber letztlich weiß man es ja doch immer besser. Und nachdem ich die letzten beiden Jahre mitgelaufen bin, weiß ich ja zumindest auf was ich mich einlasse

Also setze ich mich langsam in Trab und drücke meine Uhr als ich die rote Matte überquere. Ich bin ohne Chip unterwegs, mit einer blauen Nummer ohne F davor und hoffe es merkt keiner

Auf der Berlin Vital Messe gab es einen Stand (asics?), wo, wenn man wollte, einem eine kleine Marschtabelle ausgedruckt wurde. Nur im Flüsterton traue ich mich dem Man hinter dem Drucker meine angepeilte Zielzeit zu sagen. Der bleibt aber cool und druckt mir ein Bändchen mit der Zielzeit 2:30h.
Das baumelt nun an meiner linken Hand. Wenn ich langsamer bin, ist das auch okay. Aber so hab ich einen kleinen Überblick wo ich mich ungefähr befinde. Bei km 1 drücke ich die erste lap ab und habe 6:57 min auf der Uhr stehen. Das paßt ungefähr und ich lege meine erste Gehpause ein.
Mir ist klar, dass ich die 21km nicht unbeschadet durchlaufen kann. Im Forum bin ich vor kurzem auf die Methode von Galloway aufmerksam geworden. Laufen und Gehen im Wechsel. So im richtigen Läuferleben finde ich das ja doof. Ich will doch laufen und nicht gehen, aber für diesen Lauf erscheint es mir ein Mittel der Wahl den HM locker und ohne größere Probleme zu erleben.
Ein paar Tage vor dem HM habe ich das ausprobiert und schnell gemerkt, dass man versucht ist schneller zu laufen als gedacht und so trabe ich nach der ersten Gehpause langsam wieder an. Es funktioniert gut und so spule ich die ersten 7 km relativ locker ab.
Doch bis sich das Schild bei km8 endlich zeigt scheinen mehr als 1000m zu vergehen und ich merke wie meine rechte Fußsohle anfängt leicht zu brennen. Eine Blase kündigt sich an. Die Beine selber sind locker und auch die Atmung zeigt keine Anstrengung und so laufe ich erstmal weiter. Km 10 erreiche ich in weniger als der abgedruckten Zeit auf meinem linken Armband. 3 min habe ich rausgelaufen. Aber nochmal soviel liegt vor mir und mein Fuß brennt immer stärker.
Bei km11 muss ich wieder etwas länger gehen, hat doch ein fieses Seitenstechen seinen Weg in meine rechte Seite gefunden. Ein netter Zuschauer bietet mir etwas zu trinken an. Aber ich vermute fast das trinken vor weniger als 1km ist Schuld an meiner aktuellen Misere. Und so bedanke ich mich für das Angebot, gehe aber ohne trinken weiter und drücke den Schmerz weg, bevor ich langsam weiterlaufe.
Mein Fuß fängt immer stärker an zu Schmerzen und so nehme ich mir an der nächsten Getränkestelle (km 14) etwas mehr Zeit den warmen Zitronentee zu trinken. Das Gehen is relativ schmerzfrei umso schlimmer durchdringen mich die ersten Laufschritte. Die Beine selbst sind erstaunlich locker und auch sonst geht es mir gut, nur die blöde Blase schmerzt.
Ich beiße die Zähne zusammen und laufe weiter doch kurz vor km17 beschließe ich, dass ich mich nicht kaputt laufen will und setze mich an den Rand um mir den Schaden unter meinem rechten Fuß etwas genau anzusehen. Sollte die Blase schon offen sein, werde ich den Lauf abbrechen und lieber heim humpeln, als mir noch was Schlimmeres zu holen.
Der Blick auf meinen Fuß überrascht mich dann aber doch. Es ist kaum etwas zu sehen. Die Schmerzen sprechen da allerdings ganz andere Bände. Ich schnürre den Schuh etwas fester und es hilft ein wenig. Ich rappel mich wieder hoch, gehe ein paar Meter bevor ich mich wieder in trab setze. Da lächelt mich eine Zuschauerin an und sagt: "Was ihr alle macht ist super!".
Das Ziel schon fast vor Augen biegt der Lauf doch nochmal kurz hinter dem Potsdamer Platz nach rechts um eine kleine Schleife zu laufen. Die letzte Getränkestation bei km18 nimmt hier hinten im Feld jeder mit. Um mich herum läuft niemand mehr. Alle sehen ziemlich erschöpft aus und nippen an ihren Bechern. Ich setze mich wieder in Trab und andere ziehen mit.
Kurz darauf ermuntere ich noch eine Läuferin, die lange in meiner Nähe lief jetzt nicht aufzugeben und auch sie läuft weiter.
Kurz vor dem km20 Schild muss ich dann aber doch noch mal anhalten und meiner Family Hallo sagen, den Hund kurz knuddeln und beruhigen, dass es mir gut geht und ich den letzten km noch schaffe

Und so quäle ich mich den letzten, mit jedem Schritt schlimmer werdenden Anstieg einer Brücke hoch, bevor ich gen Ziel rolle. Neben mir stimmen die Zuschauer ein "Jeder ist ein Sieger" Gesang an und ich laufe mit einem Grinsen im Gesicht auf's Zieltor zu. Es stehen zwar schon 2:45 h auf der Uhr, aber das hindert mich nicht mich wie ein Sieger zu fühlen und so reiße ich die Arme hoch und überquere die roten Matten.
In meiner Euphorie es geschafft zu haben drücke ich die falsche Taste auf meiner Uhr und muss mich erst erneut durch's Menu klicken bevor ich die Zeitnahme stoppen kann. 2:33:25 stehen auf der Uhr. Nahe am erhofften Einlaufziel und ohne Blase wären die 2:30 sicher drin gewesen

Ab jetzt ist jeder Schritt eine Qual und ich wunder mich, dass ich die letzten 5 km überhaupt noch laufen konnte. Ich grinse immer noch und irgendwie stolz nehme ich meine Medaille entgegen bevor ich über den Teestand herfalle und die Bananenschachteln plünder

Heute, zwei Tage nach dem Lauf, spüre ich noch meine Oberschenkel ein wenig. Ansonsten tat überraschender Weise gar nichts weh. So gut ging es mir nach den anderen HM nie. Die Blase merke ich auch schon nimmer, Blasenpflaster drauf und sie heilt schön ab.
Den nächsten HM werde ich aber wieder mit deutlichen mehr Trainingskilometern in den Beinen in Angriff nehmen. Aber es war doch ein schönes Erlebnis wieder dabei gewesen zu sein.
Janni
