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Riesenbecker Sixdays - noch ein Laufbericht

Riesenbecker Sixdays - noch ein Laufbericht

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Hallo,

Und noch ein Laufbericht von den Riesenbecker Sixdays:

Die Vernunft
Sechs Tage Laufen, sechs Tage jeden Tag ein Halbmarathon, sechs Tage jeden Tag Gelände- und Steigungsläufe – ob das jetzt vernünftig ist oder nicht, darüber kann sich streiten wer will, aber nicht mit mir. Denn ich bin süchtig! Süchtig nach den Sixdays, ich gebe es offen zu. Vor zwei Jahren war ich das erste Mal dabei und danach habe ich es eigentlich nie mehr in Frage gestellt, ob ich nochmal mitmache oder nicht. Ich brauche das einfach. Zu intensiv sind die Eindrücke, zu intensiv die Lauferfahrung, zu intensiv der Muskelkater…

Wieso man als Läufer von den Sixdays so verstrahlt wird? Ich probiere mal die Highlights in Worte zu fassen:

Das Ziel

Einfach so läuft man hier nicht. Auf die Sixdays muss man sich lange vorbereiten. Wer sowas aus dem Stand läuft, ist ein Tier, ein Monster, nicht normal. Man trifft hier Läufer mit unterschiedlichen Zielen: die einen laufen auf Zeit, die anderen auf Durchkommen, wieder andere wollen es genießen, andere wollen einfach nur die Schmerzen ertragen – ja, diesen Eindruck kann man bekommen, wenn man in so manche Gesichter schaut…

Mein Ziel: Durchkommen, genießen und irgendwas zwischen 10 und 11 Stunden, so wie letztes Mal, also irgendwo mitten drin – im Feld (und den Zielen auch). Mitten drin in einem Traum aus Natur, Laufbegeisterung und einer unvergleichlichen Stimmung.

„Teilt euch die Etappen gut ein!“ Die mahnenden Worte des Sixdays-Kopfes Michael Brinkmann wollte ich mir dieses Jahr besonders zu Herzen nehmen. Gelungen ist es mir auch diesmal nicht. Schon bei der ersten Etappe habe ich mich zu einem für meine Verhältnisse zu hohen Tempo verleiten lassen – genauso wie letztes Mal. So ging es weiter, von Etappe zu Etappe, immer kurz vor meinem persönlichen Limit. Vernünftig ist das wohl nicht, aber was soll’s, denn es war klasse! Ist das eine masochistische Ader in mir? Nein, es ist einfach die Begeisterung, die pure Emotion und die tolle Erfahrung bei einem der schönsten Landschaftsläufe Deutschlands dabei sein zu können!

Die Landschaft
Für mich – neben den vielen Helfern an der Strecke – der Star der Veranstaltung. Zugegeben, ich wohne quasi direkt an der Strecke und habe die landschaftliche Vielfalt des Tecklenburger Landes ständig unter den Füßen. Trotzdem gelingt es der Sixdays-Strecke, selbst einem typisch muffeligen, westfälischen Eingeborenen wie mir, noch ein „Oh“ und „Ah“ zu entlocken. Und das bei voller Belastung!

Alles ist dabei: Gelb leuchtende, Rapsfeld gesäumte Wirtschaftswege, knorrige Buchenwälder, verträumte westfälische Örtchen, wo man mit siebzehn noch posaunte: „Hier möchte ich nicht tot über‘m Zaun hängen!“ und bei einsetzender Altersvernunft dann doch alles dafür tut hier ein Stück Heimat zu haben. Verwunschene Wälder, Steigungen, die so steil sind, dass man eigentlich einen Kletterkurs dafür braucht, verhuschte Ecken, deren Atmosphäre man aus Grimms Märchen zu fühlen glaubt, hübsche Pferde, nette Kühe und ebenso reizende Eingeborene, die selbst in der tiefsten Pampa mitten im Wald stehen und die Laufverrückten anfeuern. Natursteinbrüche, die nicht ganz so steile Wege säumen und weite, offene Landschaften, wo sich Fuchs und Ihr wisst schon an 364 Tagen im Jahr Gute Nacht sagen. Nur an einem Tag scheint hier etwas mehr Trubel zu sein: wenn die Läufer kommen.

Etappe 1 führt über klassisch westfälische Wirtschaftswege, am Kanal entlang und dann über den Teutohubbel nach Ibbenbüren. Sie ist jetzt noch nicht so der landschaftliche Oberbrüller und nach ca. 20km auch zu Ende. Tag 2 geht es dann richtig los. Rauf in den Teuto, runter in den Teuto, rauf, runter, rauf, runter, rauf, runter…. So geht es die ganze Etappe, bis die Beine zum Schluss total leer sind. Schaust du während des Laufes rechts und links erlebst du an diesem Tag die ganze Schönheit des Teutos. Bezeichnend während dieser Etappe ist die ständige geruchliche Präsenz von Bärlauch. 4 km vor dem Ziel, in der Talaue unterhalb von Tecklenburg, kommt es bei mir dann zum olfaktorischen Overkill. Ich denke nur noch an Bärlauch-Pizza und nur dieser Gedanke treibt mich die gnadenlose Steigung zum Ziel in Tecklenburg hoch. Ich nehme mir fest vor, die beste Frau von allen, bei den nächsten Sixdays um eine Bärlauchpizza am Abend der zweiten Etappe zu bitten.
Der nächste Tag: Unglaublich aber wahr, es gibt die dritte Etappe auch in Trocken! Beim letzten Mal im Dauerregen, bin ich hier noch mit dem Schuh in der knöcheltiefen Matsche stecken geblieben und sah nach der Etappe aus, als hätte ich bei einer Schlamm-Catch-Veranstaltungen mitgemacht. Dieses Jahr: traumhaft; kalt aber trocken. Wieder ist alles dabei: Wald, enge Hohlwege, Wirtschaftswege, nette kleine Siedlungen und viel Bergrunter zum Schluss. Die Strecke von Tecklenburg nach Mettingen ist jetzt eine meiner Lieblingsetappen. Tag 4, 5 und 6 führen die landschaftliche Erlebnistour fort und setzen immer mal wieder spektakuläre Highlights.

Wenn mich jemand fragt, was typisch für die westfälische Landschaft ist: Lauf die Sixdays und du weißt es!

Die Landschaft ist es, die für mich den ganz besonderen Reiz dieser Veranstaltung ausmacht, aber das habe ich, glaube ich, schon geschrieben. Hier zu laufen, um einfach nur zu genießen, ist also ein absolut lohnendes Ziel!

Die Leute
Das gibt es nur bei den Sixdays: Menschen, die sonst nur das Haus verlassen, wenn die Kirche im Dorf brennt, stehen an der Strecke. Unglaublich, wer und was in diesen Tagen hier in der Gegend mobilisiert ist und sich am Wegesrand zum Jubeln und Anfeuern einfindet.

Es sind diese Momente, die irgendwie besonders sind: Ich sehe einen in die Jahre gekommenen westfälischen Bauern auf seinen Ländereien stehen, der zahllosen gestandenen Mannsbildern nach sieht, die in weißen Piratenkniestrümpfen an seinem Feld vorbei joggen. „Ker ker ker, watt maket däi bloß doa?“ kommentiert er zu sich selbst. Wir sind in der Region, wo noch Platt gesprochen wird.

Zwischen Mettingen und Recke geht es entlang einer Reihe von Vorgärten mit so extrem gepflegten Rabatten (westfälisch für Beete) und Rasenflächen, dass ich mir schwöre beim nächsten Mal ein Rudel Maulwürfe hier auszusetzen.

Hier sind die Kühe noch glücklich, die Pferde laufen aufgeregt ein Stück auf der Koppel mit und auch der eine oder andere Hofhund scheint die Läufer heiser anzufeuern.

Die Zieleinläufe
Zwei Highlights sind hier hervorzuheben: Tecklenburg und Riesenbeck bzw. zweite und letzte Etappe.
Es ist schon etwas Besonderes, wenn man nach der zweiten, sehr harten Etappe den Tecklenburger Burgberg hinunter ins Ziel läuft. Die Gänsehaut beim Zieleinlauf ist hier garantiert! Alleine schon von der letzten Steigung…

Der Zieleinlauf am letzten Tag in Riesenbeck ist schon längst Kult. Hier stehen mehr Leute an der Strecke, als das kleine Örtchen Einwohner hat. Für jeden Läufer hat Moderator und Sixdays-Mutti Michael Brinkmann an jedem Zieleinlauf eine Geschichte, einen Spruch oder Wort in Petto.

Die Helfer
Das ganz Besondere an den Sixdays sind die Helfer. Fast an jeder Kurve stehen sie. Die Ehrenamtlichen, die den Weg weisen, anfeuern und immer einen netten Spruch auf den Lippen haben. Es müssen hunderte sein, oder es sind immer die selben oder wie auch immer. Man merkt, dass hier über die vielen Jahre eine Truppe zusammengewachsen ist, die geschlossen hinter der Veranstaltung steht und den Sixdays damit ihren ganz besonderen familiären Touch gibt.

Es ist anders als beim City-Marathon, wo tausende die Strecke säumen. Manchmal stehen da nur drei oder vier Kinder und machen die Laola-Welle. Es ist total rührend: Bei den Sixdays erkennst du einige kleine und große Fans nach den ersten Tagen wieder. Treue Laufclubs feuern nicht nur ihre Teilnehmer an. Auf Etappe vier habe ich ein Déjà-vu: ich sehe exakt an gleicher Stelle eine Dame mit einem hübschen braunen Hund stehen (ich habe auch einen so einen hübschen braunen Hund, daher an dieser Stelle der Focus auf dem Hund) und klatschen wie vor zwei Jahren. Vielleicht habe ich nach vier Tage Laufen entsprechende Hallus, aber ich bin mir sicher – echt, ganz sicher…

Dieses Jahr haben wir – zumindest was den Regen angeht – Glück. Nur bei Etappe fünf setzte leichter Nieselregen ein. Allerdings ist es kalt, a****kalt. Aber was soll das Gejammer! Wir Läufer laufen uns irgendwann warm, wir können uns entsprechend hightechmäßig bekleiden und wenn‘s mal kalt wird, laufen wir eben nen Tick schneller. Das können die Helfer nur bedingt. Sie stehen in der Kälte, im Regen und sie stehen einsam, irgendwo mitten im Wald. Sie frieren, aber sie lachen. Klasse, ohne die würde hier gar nix gehen.

An den Verpflegungsstellen gibt es bei den letzten Etappen sogar warmes Wasser. Unsicher, ob ich das trinken oder mir über die blau geforenen Finger kippen soll, kann ich aber nur den Hut ziehen vor soviel Engagement. Euch allen: Tausend Dank!!!

Die Kommunkation
Am Ende von Etappe drei kommt es zu einer typischen Sixdays-Begegnung: Auf den letzten vier Kilometern höre ich hinter mir das typische, leise Keuchen einen Mitstreiters. Ich laufe grad alleine, in Gedanken versunken, dass andere Menschen jetzt um diese Zeit mit einem Glas Weizen in Hand am warmen Kaminfeuer sitzen, während ich mich hier die üblen Steigungen hoch prügle und freue mich, den vorletzten fiesen Anstieg hinter mir gelassen zu haben. Als das Schnaufen auf gleiche Höhe vorstößt vernehme ich das deutliche Geräusch einer spontanen Flatulenz des Mitläufers, was nach 15km Tempo-Geländelauf doch wohl als absolute Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden kann. Trotzdem entschuldigt sich der laufende Mitstreiter mit einem höflichen „Oh, sorry.“. „Kein Problem, wir setzen doch alle im selben Boot“ entgegnete ich vollkommen sinnentleert. Spontan und ohne Absicht entfährt mir ein paar Sekunden später eine ähnliche Spontanblähung, was nach einer derartigen Belastung einfach passieren kann.

„Wir verstehen uns!“ kommt als Antwort und was folgt, ist ein ca. vier Kilometer langer Dialog über Gott, die Welt, das Laufen, die Sixdays, die Beine und alles, was uns in den Sinn kommt. Zum Glück geht es – bis auf eine kleine Fiesigkeit – nur noch bergab und wir laufen quatschend ins Ziel.

Das ist typisch für die Sixdays. Nein, nicht, dass alles Läufer ununterbrochen blähen: es sind die netten Kommunikationen zwischendurch. Man trifft sich eben. Man trifft sich am Start, man trifft sich beim Laufen und nach ein paar Tagen hat man auch seine Pappenheimer, an deren Fersen man sich heftet oder die man selber ziehen kann.

Es ist einfach nett. Da, wo ich laufe, also im Mittelfeld, herrscht mehr der Gedanke „Dabei sein ist alles“. Mir ist es ziemlich egal, ob ich von zwanzig Läufern überholt werde, während ich mit meinem Bläh-Kollegen über Dütt und Datt schwadroniere. Irgendwer macht mittendrin immer irgendeinen Spruch, es wird gelacht, gemeinsam gelitten und Mut gemacht.

Nicht, dass hier der Eindruck entsteht, dass ein paar hundert gut gelaunte Jogger hier grinsend durch Feld und Flur hüpfen! Es ist schon alles irgendwie Hardcore, was Belastung und Lauferei angeht. Aber das Drumherum hat einfach was!

Die Selbsterfahrung
Nein, hier folgt jetzt keine Beschreibung einer Gruppentherapie, - oder doch? Am zweiten Tag laufe ich ein Teilstück mit einem holländischen Heilpraktiker, der mir seine Theorie der Sixdays anschaulich darlegt: Gesund sei das ja nicht unbedingt, aber wann erlebt man schon sechs Tage, an denen man sich seines Körpers so intensiv bewusst ist, wie in diesen sechs Tagen?

Hmm, da kann ich eigentlich nur zustimmen. Selten sonst tut mir der Hintern, tun mir die Haxen so weh, wie in diesen Tagen. Und: wann sonst gehe ich fast jeden Abend zur Massage? Wann sonst achte ich tagsüber auf Ruhephasen? Obwohl ich in der Woche normal und voll durcharbeite, nehme ich mir in diesen Tagen immer eine liegende Mittagsauszeit und achte sehr genau auf meine Ernährung. Der Mann hat Recht! Die Sixdays sind Selbsterfahrung pur!

Die Organisation
Die Sixdays zu organisieren ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Wer die Westfalen kennt, kennt auch deren Sturheit und Dickköpfigkeit. Es gehört schon ein ganz besonderes Talent dazu, zur Berufsverkehrszeit mehrere Hauptstraßen hier in der Region für eine Laufveranstaltung zu sperren bzw. durch Helfer zu regulieren. Das würden die hier normalerweise nicht mal für die Kanzlerin machen! Und das an sechs Tagen in Folge auf die Kette zu kriegen: Respekt!

Es muss mit Wald-, Land- und Grundbesitzern verhandelt werden, die Verpflegungsstellen, die Busfahrten (ok, das mit den Busfahrern und der Orientierung kann man in Einzelfällen noch optimieren… ;-)), die Streckenposten und und und und geplant werden. Alles in allem ist das hier eine Riesen-Aufgabe und man kann sich nicht oft genug für die perfekte Organisationen bedanken!

Für mich gibt es nur einen einzigen Wermutstropfen in diesem Jahr. Ich kann es ja verstehen, dass die Zubereitung in diesen Mengen für die Helfer einen großen Aufwand bedeutet, aber sie haben mir gefehlt: die Nussecken. Diese braune, unfassbar leckere Doping-Masse, die einem im Ziel das Leben direkt wieder versüßt, hat mir gefehlt, echt.

Ein treu-begeisterter Sixdays-Junkie

//Stefan
Naturfoto Blog

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madeinnature hat geschrieben:Sechs Tage Laufen, sechs Tage jeden Tag ein Halbmarathon
Wann läuft man denn da? Abends?
madeinnature hat geschrieben:Gelb leuchtende, Rapsfeld gesäumte Wirtschaftswege, knorrige Buchenwälder, verträumte westfälische Örtchen
Na, Du hast ja ein Blick dafür, wie man in Deinem Fotoblog sieht :daumen: .
madeinnature hat geschrieben:über den Teutohubbel nach Ibbenbüren
:hihi: Lustige Namen habt ihr ....
madeinnature hat geschrieben:Als das Schnaufen auf gleiche Höhe vorstößt vernehme ich das deutliche Geräusch einer spontanen Flatulenz des Mitläufers
Das nennt man nonverbale Kommunikation :daumen: .
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Hallo,
Renn-Schnecke hat geschrieben:Wann läuft man denn da? Abends?
Auch: die ersten beiden Tage (Sa, So) um 14:00 - ab Montags dann arbeitsfreundlich um 17:00 Uhr. So kann man in der Woche tagsüber schön durchknechten. Die letzte Etappe am Do. (Feiertag) dann wieder um 14:00 Uhr. Das ist alles ziemlich perfekt organisiert. Du kannst z.B. vor dem Start mit dem Auto zum Ziel fahren - von dort findet dann ein Bustransfer zum Start statt.

//Stefan
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