Die Vorraussetzungen waren wie bei den beiden letzten Marathons nahezu ideal. Kaum Trainingsausfall (nur vor zwei Wochen sicherheitshalber ein paar Tage nach einer wirklich leichten Erkältung), keine Verletzungen und die Sonne lachte vom Himmel. Noch nie waren wir so pünktlich am Start, mit so viel Ruhe vorher. Da wir relativ spontan in einem Hotel übernachtet haben, waren wir gestern sogar noch ganz entspannt nach dem Abholen der Startunterlagen im Dom zur Messe extra für den Marathon. All die Jahre die ich in Köln gewohnt habe war ich noch nie zu einer Messe im Dom. Schön war es!

Und nun stehen wir entspannt in der Sonne im Startblock. Vor vier Wochen bin ich bei der Generalprobe in Köln einen völlig relaxten Halbmarathon in 2:05 gelaufen, an den ich dann noch 7km „auslaufen“ dran gehangen habe, um auf einen langen Lauf zu kommen. Daher stand meinem Ziel für heute unter 4:30 zu bleiben eigentlich nichts im Wege. Überdies war das Hauptziel wie immer: Mit Freude, Spaß und Würde durch diese meine „Herzensheimat“ zu laufen.
Daraus wurde dann mal so gar nichts. Schon auf den ersten 500m war mir eigentlich klar, was kommen würde. Bei den langen Läufen kann ich oftmals nach ein paar Schritten sagen: Dies wird ein Lauf, bei dem es völlig egal ist, ob du 26, 28 oder 32km läufst, weil es heute einfach gut läuft. Dann gibt es „Na ja-Tage“ an denen es nicht so lässig läuft, aber man trotzdem relativ entspannt und ohne wirkliche Probleme seine langen Runden dreht. Und manchmal- glücklicherweise nicht oft- gibt es lange Läufe, bei denen ich eigentlich schon nach 400m weiß, dass ich bei km7 denken werde: Wie um alles in der Welt willst du heute 30km laufen?

Leider hatte ich dieses Gefühl schon auf der Deutzer Brücke (wir sind noch beim Hinweg, also km1!). Normalerweise muss man sich ja naturgemäß bei Läufen ab Halbmarathon auf dem ersten km bremsen, damit die Pferde nicht mit einem durchgehen. Gestern war es mal so richtig voll und daher ging es auch erst mal so gar nicht los, aber das half auch so gar nichts. Schon der erste km fiel schwer.
Ab und an habe ich beim Laufen Probleme mit dem Magen. In diesem Jahr habe ich das erste Mal in meinem Leben einen 10km Wettkampf deswegen abgebrochen. Beim Halbmarathon im Mai in Duisburg habe ich mich entsetzlich gequält. Seitenstechen, Magenblubbern und das Gefühl, dadurch habe ich keine richtige Kraft in den Beinen, weil sich beim Laufen der Körper auf was anderes konzentriert und ich mich mehr und mehr verkrampfe.
So ging es mir leider am Sonntag auch. Im Training habe ich festgestellt, dass es wenigstens ein bisschen helfen kann, wenn ich mich versuche möglichst zu entspannen. Aber wenn man sich bei km 1 des Marathons schon mies fühlt ist das so eine Sache mit der Entspannung...
Bei km 7 konnte ich nur denken: 6mal7 ist 42. Das schaffst du nicht noch 5 Mal! Meine Magen beruhigte sich langsam, aber ich fühlte mich vollkommen kraftlos. Das Laufen fiel unendlich schwer. Ich habe bei meinen beiden anderen Marathons nicht einmal ernsthaft ans Aufhören gedacht. Bis hierher habe ich an nichts anderes gedacht.

Uwe wollte geplant bei km 12 oder wohl eher km 19 aussteigen. Gesundheitliche Probleme machten seinen Marathonplänen schon vor längerer Zeit einen Strich durch die Rechnung und so war klar, dass er heute seine bezahlten Gebühren nur zum Teil ausnutzen wollte, damit wir zusammen starten konnten. Er wollte dann entspannt in Richtung Ziel gehen und dort auf mich warten.
Weil ich sehr unleidlich bin, wenn ich leide, schicke ich dann beim Laufen, egal ob Wettkampf oder Training jeden weit von mir. Also habe ich Uwe auf den ersten km dann „gebeten“ etwas Abstand zu mir zu nehmen, weil ich es einfach nicht haben kann, wenn jemand bei mir ist, wenn es mir so sch… geht.

Beim Getränkestand bei km 13 dachte ich mir: Wenn du ihn dort erwischt, laufen wir bis km 19 doch noch weiter zusammen und hören dann halt gemeinsam auf. Ich sah ihn aber nicht. Also dachte ich mir: Dann halt beim nächsten Stand auf der Dürener Straße. Das ich bis km19 laufen „musste“ war für mich innere Pflicht, weil ich in Sülz und Lindenthal gewohnt habe. Und einen Marathon, selbst einen abgebrochenen, ohne durch „meine Veedel“ gelaufen zu sein. Das ging selbst im größten Elend gar nicht.
Ich konnte zwar diese meine Lieblingsstellen des Marathons nicht so genießen, wie die letzten Male, aber trotzdem hat mich dort schon leicht was gepackt, als die ersten Menschen einen mit Namen ansprachen und lobten, weil man ja so was schaffen würde.
Bei km 19 um den Rudolfplatz tobte wie gewöhnlich der Bär- hier war schon wegen der Enge und Zuschauermenge an anhalten gar nicht zu denken. Ich dachte mir, dass Uwe mich (ohne das ich es bemerkt habe) überholt haben müsste und dann wahrscheinlich hier noch irgendwo stehen würde, sobald es etwas leerer würde. Ich sah ihn aber nicht. Hhmmm. Was nun? Aussteigen und dann zum Zielbereich und da über zwei Stunden rumwarten, weil wir uns bestimmt nicht zufällig über den Weg laufen würden (waren ja noch ein paar andere Menschen da).
Ich weiß nicht genau warum, aber ich bin einfach weiter gelaufen. Mangels Alternative? Keine Ahnung! Als ich über die Halbmarathonmatte rüber war, kam mir zum ersten Mal der Gedanke: Und wenn du das Dingen doch einfach zu Ende läufst? Jetzt hast du dich 21,1 km gequält, das schaffst du auch noch mal so weit.

Schon zu diesem Zeitpunkt war sonnenklar, dass es eine miserable Zeit weit über 5 Stunden werden würde. Aber irgendwie setzte sich der Gedanke in meinem Kopf fest: Du hast nun 3 Monate für diesen Marathon trainiert. Jetzt lauf gefälligst die Strecke, egal wie, hol dir die Medaille! (Wobei mir Urkunden und Medaillen ansonsten ziemlich schnuppe sind!)
Um es hier mal abzukürzen: Es hat Vorteile, wenn man sich schon an km 1 quält. Denn es wurde nicht schlimmer, es blieb nur so. Das Gute daran war: Egal ob km 8, 18, 28 oder 38 jeder war dem anderen ebenbürtig. Wenn man so weit hinten läuft, sieht man ja viele, die sich unendlich quälen. Ich war erstaunt, wie viele z.B. bei km 35 aufgeben und in die Bahn steigen oder die letzten km wirklich nur noch gehen können. Bei den Getränkestellen habe ich auch längere Gehpausen gemacht. Ansonsten bin ich in meinem Quälschlappschritt gelaufen. Immerhin das ging. Und ab km 30 konnte ich sogar vermehrt lächeln (laut Zuschauerreaktionen), weil ich oft dachte: Donnerwetter, dass du das hier durchziehst.
Das sonst gehasste Kopfsteinpflaster war mir dann auch piepegal. Uwe wartete auf der Hälfte der Deutzer Brücke mit gefühlten 5 Fragezeichen im Gesicht, da er ja schon rund 45 Minuten vorher mit mir gerechnet hatte. Wir sind dann gemeinsam ins Ziel getrabt (er halt ohne Chip) und ich habe mich selten so über eine Medaille gefreut. Was habe ich mir dieses Blechteil sauer verdient. 5:15 habe ich gebraucht. Und: Ja ein Marathon über 5 Stunden ist ein Marathon! Für mich diesmal sogar mehr als die beiden unter 5 Stunden!

An dieser Stelle: Danke jedem einzelnen Zuschauer, der besonders die langsamen, fertigen Läufer versucht aufzubauen. Danke für jedes namentliche Anfeuern. Danke für jedes aufmunternde Wort. Danke für die vielen ehrlichen, liebevollen Blicke und Bemerkungen wie: Das was du hier heute leistest, ist großartig.
In und nach der Badewanne stelle ich fest: Ich habe mir dermaßen unter dem BH die Haut aufscheuert wie noch nie. Eine Stelle habe ich dort immer, da tape ich sicherheitshalber ab. Das hat mal so gar nichts genutzt. Und meine Beine fühlen sich nicht nach Marathon an. Sonst laufe ich abends im Bett noch „nach“. Diesmal merke ich nichts.

Am nächsten Tag: Treppen lief ich auf der Arbeit problemlos. Die Beine waren ohne jeglichen Muskelkater, nur leicht angespannt. Aber Bauchraum und Rücken fühlten sich an wie nach dem verkorksten Halbmarathon in Duisburg: Als ob ich in eine Prügelei geraten wäre. Im Grunde genommen ist es ein Druckschmerz, als ob ich im Bereich Brust/Bauch in einem Schraubstock eingezwängt gewesen wäre. Ich muss mich wohl völlig beim Laufen verspannen, wenn es mir nicht gut geht.
Nach der Arbeit ab in die Sauna. Nun fühlte ich mich bis auf die Schürfwunden und dem Verspannungen im Rücken- und Bauchbereich in den Beinen total locker. Ich könnte lässig laufen gehen. Seltsam das alles!

Ich weiß nicht ob es sich lohnt Ursachenforschung zu betreiben. Zu wenig lange Läufe waren es nicht, davon habe ich genug gemacht, außerdem hätte sich das wohl auch ein wenig später als bei km 1 bemerkbar gemacht. Ich verbuche das Ganze einfach als „es hat nicht sollen sein, warum auch immer“. Der Magengeschichte will ich nun schon mal mit einem Arzt auf den Grund gehen, muss mir aber noch einen suchen, da ich keinen Hausarzt habe (der letzte Besuch bei so einem liegt zu lange zurück, da wohnte ich noch ganz woanders).
Wann und wo der nächste Marathon stattfinden soll weiß ich heute noch nicht. Dreimal war ich nun in Köln. Vielleicht sollte ich meinen nächsten mal woanders machen und kölsche Stimmung wieder mehr auf Karneval und den FC verschieben. Ich bin nur dankbar, dass es mir nicht beim ersten Marathon so ging, sonst hätte es keinen zweiten mehr gegeben.

Danke für die lange Geduld beim Lesen. Aber Laufberichte schreiben dient eben besonders nach „gescheiterten Läufen“ der Laufseelenpflege.
Liebe Grüße
Miriam