Wilde-Hilde hat geschrieben:nein, meine persönliche maximale HF habe ich bisher nur nach der Faustregel 220-Lebensalter "errechnet". Ich weiß das das sehr unspezifisch ist, aber demnach komme ich bei meinen 160-er Puls fast auf eine Intensität von 90% (!). Wobei ich mich bei einem Puls von 160 noch recht gut unterhalten kann.
Meine Frage ist nun, ob nun auch durch lange Läufe (>60min.) in der Frequenz irgendwann meine Pulsfrequenz automatisch sinkt? Oder sollte ich als Anfängerin ganz bewußt bei einer Intensität von 70% (~ 125 Puls) trainieren und dann entsprechend die Geschwindigkeit steigern?
Hallo Wilde-Hilde,
die per Formel ermittelte Hfmax gilt für Herrn Otto Mittelwert. Ein statistischer Mittelwert hilft bei der Orientierung, mann/frau sollte davon aber kein Trainingsprogramm ableiten. Wenn du dich bei einem Puls von 160 "noch recht gut unterhalten" kannst, dann läufst du nicht mit 90%. Wenn du mit 90% laufen würdest, hättest du absolut keine Lust mehr dich zu unterhalten und fähig wärst du dazu schon gar nicht.
Das ist nur anders bei Laufeinsteigern in den ersten Wochen, wenn sie zuvor überhaupt keine Ausdauersportart betrieben haben. Dann schießt der Puls über, eine Art Sicherheitsmaßnahme des Nervensystems, das noch nicht gelernt hat bei einer moderaten Belastung auch eine moderate Herzfrequenz einzustellen. Du läufst aber sicher schon länger als sagen wir 4 bis 6 Wochen.
Ich kann es nur wiederholen: Wenn du dein Training tatsächlich auf Basis von Herzfrequenzbereichen gestalten möchtest, dann kommst du nicht umhin deine tatsächliche Hfmax zu ermitteln.
Zu deiner Frage: Mit wachsender Ausdauer verändert sich auch die Relation Herzfrequenz zu Lauftempo. "Wachsende Ausdauer" bedeutet, dass der Energiestoffwechsel leistungsfähiger wird. Das "leistungsfähiger werden" geschieht durch eine Verbesserung einer Vielzahl von Teilprozessen. Ein Teilprozess ist der Sauerstofftransport vom Einatmen bis in die Muskelzelle. Ein wesentlicher Parameter in dem Zusammenhang ist die Herzfrequenz: Schneller Laufen fordert mehr Sauerstoff, mehr Sauerstoff bedeutet, dass die Durchblutung gesteigert werden muss und dazu schlägt das Herz schneller. Das Training verbessert aber auch die Fähigkeit des Organismus Sauerstoff in der Muskelzelle bereit zu stellen. Das heißt: Das Herz muss nach erfolgreichem Ausdauertraining weniger schnell schlagen, um dieselbe Menge Sauerstoff in den Muskel zu bringen.
Jetzt kommt das Aber: Langsame, lange Läufe fordern den Körper weit weniger dazu heraus seine Sauerstofftransportkapazität zu verbessern, weil während dieser Belastung der Sauerstoffbedarf am geringsten ist. Die von dir erhoffte Hf-senkende Wirkung geht hauptsächlich von Trainingsläufen aus die mit hoher Intensität ausgeführt werden. Das sind schnelle Dauerläufe, Intervalltraining, Fahrtspiele.
So und nun stelle ich dein Haus vom Dach wieder aufs Fundament: Deine "Denke" geht in die völlig falsche Richtung. Niemand trainiert, um einen niedrigeren Puls zu bekommen. Denn das ist kein lohnendes Ziel. Das ist überhaupt kein Ziel. Wir trainieren ...
... um gesund zu bleiben
... schneller zu werden
... länger laufen zu können
... weil es uns Spaß macht
... um den dicken Nachbarn, den wir nicht leiden können unsere sportliche Figur zu zeigen
Es gibt also irrsinnig viele meist sehr sinnvolle Motive zu laufen. Aber einen niedrigeren Puls zu bekommen ist absolut kein sinnvolles Motiv. Der Vorrat an Herzschlägen eines Menschenlebens ist nicht begrenzt, so dass man mit langsamerem Herzschlag länger leben könnte. Die Herzfrequenz ist für Läufer ein Wert, dessen er sich bedienen kann, um in Herzfrequenzbereichen zu trainieren. Das funktioniert ganz gut, wenn man bestimmte Fehler vermeidet, bzw. die nötigen Voraussetzungen erfüllt (z.B. seine wirkliche Hfmax kennt). Darüber hinaus taugt die Herzfrequenz noch für Effizienzkontrollen, ob jemand wirklich erfolgreich (=effizient) trainiert. Wenn er das tut und noch nicht im Grenzbereich seiner Leistungsfähigkeit ist, dann wird er feststellen, dass nach etwa 4 Wochen die Herzfrequenz für eine Referenzgeschwindigkeit (z.B. 5 min/km) gesunken ist.
Lauftraining verändert eine Unmenge Parameter und Prozesse in deinem Körper. Zum Beispiel wächst auch die Blutmenge. Nun stell dir vor wir hätten ein Messgerät (ein Pulsmesser ist nichts anderes als ein Messgerät!) mit dem wir die Blutmenge messen könnten. Es würde keinen Tag dauern, bis der erste Läufer/die erste Läuferin hier im Forum panisch posten würde: "Hilfe ich leide unter Blutarmut!"
Stelle bitte bei deinem Denkgebäude eine sinnvolle Reihenfolge auf:
1. Was will ich erreichen?
2. Wenn ich xyz erreichen will, wie muss ich dazu trainieren?
3. Ich suche mir einen Trainingsplan, bzw. stelle mein Training entsprechend 1./2. zusammen.
4. Ich trainiere (nach Pulsmesser oder über vorgegebene Tempi)
5. Ich kontrolliere den Erfolg
Und erst bei 5. spielt die Frage eines gesunkenen Pulses eine Rolle. Aber nur als Messwert. Ziel ist nicht weniger Puls zu haben. Ziel ist die Ausdauer zu verbessern, wodurch der Puls sich normalerweise reduziert.
Ich hoffe das kommt bei dir verständlich an, nach so viel Text. Alles Gute
Gruß Udo