Blöd nur, dass der Weg von Eisenach dort hin so lang ist. 72,7 Kilometer und 1.780 Höhenmeter - so steht es auf der Website des Rennsteig-Vereins. Also ein ordentlicher Kanten, den es da zu bewältigen gilt.
Aber, was soll's: Ich kenn das Ding ja nun schon. Bin zum vierten Mal am Rennsteig; bin zwei Mal (2007 und 2008) den Marathon gelaufen und hatte 2009 meine SM-Premiere.
Der Unterschied zu heuer: Ich war damals weitaus besser trainiert. Aber das hab ich ja schon anlässlich des 6-Stunden-Laufs in Nürnberg und auch anlässlich des Wien Marathon geschrieben.
Bei beiden Rennen ist es mir schließlich aber weit besser gegangen, als erwartet. Also wird es diesmal auch so sein, denke ich trotzig, als ich mich am Freitag, kurz vor 22:00 Uhr, hinlege.
Gudrun und ich haben wieder bei Heike und Jörg ihr Quartier beziehen dürfen. Ein Luxus, über den wir uns sehr freuen. Vor allem auch, weil wir mittlerweile schon einige spannende Laufabenteuer gemeinsam bewältigt haben und es immer viel zu erzählen gibt.
Also nochmals: Auch diesmal wird es mir gut gehen.
Aber so einfach lässt sich mein Gefühl nicht überzeugen. Während der Fahrt von Wien nach Arnstadt, auch die ganzen Wochen vorher, ja sogar noch beim Fori-Treffen im La Grappa in Eisenach war ich vollkommen entspannt.
Und jetzt, wo ich im Bett liege, bin ich plötzlich nervös; sogar extrem nervös - und wälze mich mehr als eine Stunde lang von einer Seite auf die andere

Punkt 04:45 Uhr klingelt der Wecker. Ich bin hellwach. Aber mein Magen grummelt. Auch beim Frühstück grummelt er noch - und erst in Eisenach, nach einem Tankstellen- und Toilettenstopp, lässt das unangenehme Gefühl in der Magengegend nach.
Heike bringt uns wohlbehalten zum Start, wo wir Kerstin und Fritz, Michael, Matthias, Markus, Jens, Laufmaus Elke und noch einige andere Foris treffen.
Der Tag verspricht warm zu werden. Kurze Hose und ärmelloses Laufshirt sind daher angesagt. Die richtige Wahl, wie sich schon bei der ersten Steigung beim Weg aus Eisenach herausstellt.
Jörg, Michael und ich traben nebeneinander her.
Ich habe meiner Vernunft versprochen, heute nicht zu fluchen; nicht einmal innerlich. Aber ich habe Respekt vor der Distanz und als ich mit inneren Zweifeln ob der Sinnhaftigkeit meines Tuns kämpfe lästert in mir der Sado: "Das hast du dir selbst eingebrockt, also Schnauze und ranhalten" und der Maso in mir hält vorerst die Schnauze und hält sich ran.
Nach ein paar Kilometern bin ich mit Michael etwas voraus, lasse ihn aber ziehen, da er die 8-Stunden-Marke knacken will - und an die will ich mich erst 2012 (beim nächsten Start) heranpirschen.
Gemeinsam mit Jörg arbeite ich mich zum Inselsberg vor. Es läuft ganz gut. Selbst der halsbrecherische Abgang kurz nach dem Gipfel ist bei trockener Bahn nicht allzu schwer zu bewältigen.
Die nächsten Kilometer läuft es sich mal rauf, mal runter. Bei Kilometer 38 meldet sich die Vernunft und mahnt, unser Tempo etwas zu drosseln.
Aber das nützt wenig. Breite Unlust stellt sich bei mir ein. Mir tut nichts weh, ich hab auch genügend Energie, aber der Kopf spielt eine Weile einfach nicht mit

"Selbst eingebrockt, selbst eingebrockt" blökt Sado sein Mantra kilometerweit in mein Gehirn. "Ja, gib's mir", winselt Maso, bis die Vernunft eingreift und sagt: "Jungs. Lasst den Scheiß. Das Wetter ist schön, der Wald duftet, die Verpflegung ist toll; es gibt also absolut nichts zu meckern!"
Und die Vernunft hat, wie fast immer, recht. Denn: Nach der Marathon-Marke läuft es wieder. Inzwischen hat sich auch Jörg von einem Sturz wieder erholt, der nicht nur ihn eine Weile lang in nachdenklicher Stille dahintraben ließ.
Unsere ganze Konzentration richtet sich nun schon auf das "Rondell" (cirka bei KM 57,5), wo Heike und Gudrun auf uns warten.
2009 konnte Jörg die letzten Kilometer dort hin nur noch humpeln, da ihn Krämpfe plagten. Heute ist davon - Gott sei Dank - nichts zu merken und wir freuen uns, als wir unsere Frauen schon von Weitem winken sehen.
Nach einer viel zu kurzen Pause entlässt mich Gudrun mit einem Kuss und aufmunternden Worten.
Schlimm nur, dass mich Frustphase Nummer 2 kurz danach umso stärker packt. "Selbst eingebrockt, selbst eingebrockt" - Sado ist wieder da und führt einen Freudentanz auf. Maso macht sich so klein wie möglich und buckelt demütig den letzten Gipfel, den Großen Bärberg - hoch.
Nicht einmal als es endlich über weite Strecken runtergeht, verschwindet meine innere Anspannung. Wir laufen zwar wieder ein solides Tempo, aber rund 5 Kikometer vor dem Ziel, die letzte längere Steigung vor der Nase, krampft Jörgs linkes Bein. "Scheiße!"

Wir wandern noch gemeinsam die Steigung hoch, ehe ich mich alleine auf die Socken mache. Der Waldweg ist nach einem gewaltigen Regenguss klatschnass, meine Schuhe sind eingesaut. Aber jetzt ist auch das schon egal.
Nach einer Kurve höre ich plötzlich die Stimme des Moderators aus dem Zielbereich in Schmiedfeld. Wie von unsichtbarer Hand geschoben beschleunige ich meine Schritte.
Am Stadtrand hat ein freundlicher AC/DC-Fan wieder seine Soundanlage aufgebaut und donnert mir ein forsches "Thunderstruck" entgegen.
Der Thunder - besser gesagt das Gewitter - war jedoch schon abgezogen und hat die etwas schnelleren LäuferInnen "gestruckt". Mich hat's nur an den Latschen erwischt, die bis in die Socken hinein nass sind und von mir nach dem Rennen ohnehin entsorgt werden.
Endlich die Zielgerade. Fast wie vorher abgesprochen, mache ich gemeinsam mit einem anderen Läufer noch einmal gehörig Druck und wir jagen mit stolzen Gesichtern durch ein Spalier begeisterter Zuschauer. Keiner von uns beiden will erster sein - und so rennen wir mit perfektem Timing gleichzeitig über die Ziellinie.
Wir gratulieren einander und ich freue mich über eine Zeit von 08:32:02.
Ich bin etwas schneller, als 2009.
Jörg hat ebenfalls seinen Krampf besiegt und kommt nur drei Minuten nach mir ins Ziel.
Duschen, Köstritzer trinken, mit Gudrun, Heike, Jörg, Cabo, Kerstin, Fritz, Tatjana, Schrambo (gratuliere zur 06:24er-Zeit

Liebe Grüße
Wolfgang