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Ein Winterlauf im Mai

Ein Winterlauf im Mai

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Heute ist Muttertag. Ich liege im Bett und warte darauf, dass mir ein glockenhelles Stimmchen verkündet, dass der selbstgebackene Kuchen und der Milchkaffee auf dem Tisch steht. Schon lege ich mich ein bisschen zurecht, um den Morgenkuss einer kleinen feuchten Schnute entgegenzunehmen – da fällt mir plötzlich ein, dass ich gar keine Mutter bin. Ich habe auch nicht in Mainz, Düsseldorf oder Hannover zum Marathon gemeldet. Ich habe also absolut keine Ausrede, um nicht in Langenhain anzutreten.

Meine Wetterstation zeigt 6 Grad und eine kleine Wolke, aus der Striche schräg nach unten stürzen. Toll.

Eigentlich ist die Strecke in Langenhain großartig. Eine kleine Steigung hier, ein paar hundert Höhenmeter dort – ganz reizend. Aber bei 6 Grad und fallenden Strichen?

Ein Läufer kennt zwar keinen Schmerz, aber er kennt Regen. Regen muss man ignorieren, mit Missachtung strafen. Das kann man allerdings nur, wenn man demonstrativ durch ihn hindurchläuft. Mit dicken Keksbacken in der Wohnung sitzend ist das ganze vollkommen unglaubwürdig. Nun gut. Dann also Langenhain.

In der Sporthalle schaue ich mir das Streckenprofil an. Es sieht aus wie die Fieberkurve eines Malariakranken, den man immer wieder versuchshalber in der Kühltruhe ablegt. Heilung ist erst bei km 20 zu erwarten.

Wir simulieren kurz das Einlaufen, es ist einfach zu kalt, um sich wirklich warm zu machen. Passend zum Wetter hat man einen norddeutschen Moderator engagiert. Er erklärt etwa 34 mal die Streckenführung und alles, was er sagt, klingt ein bisschen wie "Horch, da kommt der Klabautermann!". So gesehen ist alles wieder sehr harmonisch, wie immer bei Volksläufen auf dem Land.

Wir starten an einer willkürlichen Stelle und hoppeln gleich danach über eine sumpfige Wiese. Im anschließenden Lauf durch das Dorf werden die frisch gefegten Bürgersteige sofort mit Erdbrocken aus 160 Schuhprofilen verunreinigt. Mir ist kalt. Ich will nach Hause. Nach wenigen Kilometern beginnt es zu regnen. Ich bemerke es gar nicht. Der Regen ist mir völlig egal. Regen? Sagt jemand was von Regen? Pöh!

Lief ich anfangs noch neben einem Läufer mit Frotteestirnband, habe ich bald schon den Anschluss an andere und erst recht an das Feld vor mir verloren. Ich laufe im Energiesparmodus, das Malariaprofil ist mir eine Warnung. Erst an der heftigsten Steigung bei Kilometer acht treffe ich wieder auf ein paar schnaubende Gesellen. Ich lege den kleinsten Gang ein und es fängt an Spaß zu machen. Gegner, gebt mir Gegner!

Die Erfüllung meines Wunsches bleibt mir verwehrt. Stattdessen prasselt bald darauf ein rüder Platzregen auf mich herunter. Ich hebe die Arme nach oben und rufe: "Herr, ich habe gerade 5 Euro an einen gemeinnützigen Verein bezahlt, ist das denn noch nicht genug?" Aber wie so oft hört mir niemand zu und ich werde wortlos weiter beregnet. Ein Glück, dass ich kein Frotteestirnband habe, es hätte sich vermutlich in eine bleischwere Augenkompresse verwandelt. Guten Mutes laufe ich weiter, und bemitleide die Streckenposten. Aus deren Bärten ragen meterlange Eiszapfen und der Verlust einiger Zehen ist wahrscheinlich.

Mich selbst rettet gerade wieder einmal eine Steigung vor Unterkühlung. Vor einer Depression durch Einsamkeit bewahrt mich eine einzelne Mitläuferin. Sie läuft viel schöner als ich, aber die Digitalanzeige im Ziel hat nun einmal keine Skala für Schönheit. Ich bin schon bei km 17, höchste Zeit, mich in der gewohnt unschönen Art, mit dem federnden Schritt eines schwangeren Nashorns und hochrotem Kopf ins Ziel zu verabschieden. Und mit der Kraft der zwei Herzen hole ich zu einem unangefochtenen Endspurt aus - es ist ja auch niemand mehr da zum Fechten. Ganz bestimmt hätte ich das Feld von hinten aufgerollt, wenn das Feld nicht schon im Ziel gewesen wäre.

In der Halle singe ich ein Loblied auf alle Mütter, die die selbstgebackenen Kuchen ihrer Kinder stehenden Fußes zu nassgeregneten, ausgehungerten Läufern gebracht haben.

Ich esse soviel davon, dass ich das anschließende, von Herbert Steffny empfohlene Wannenbad wohl treffender als "Wammenbad" bezeichnen sollte.

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Wieder einmal ein herlicher Bericht von Frau Schmitt!

Ich würde glaube ich meinen rechten blauen Zeh dafür geben, einmal einen so schönen Bericht zu schreiben :D

Viele Grüße
Ralf

www.kreativ-projekt-blog.de

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Frau Schmitt! Hut ab und glatte 15 Punkte (wo doch jetzt gerade Abi-Zeit ist!)

Hat mir viel Spaß bei der Lektüre bereitet und mich von der Schmach abgelenkt, heute nach schlappen 37 Minuten abgebrochen zu haben, nur weil ein paar unscheinbare Wölkchen den Himmel verdunkelten, zornige Grummler von sich gaben und kleine, weiße Kügelchen auf mich herabschmissen.
Als dann noch silbrig zischende Blitze dazukamen, die so gar nicht nach Amors Pfeilen aussahen, habe ich mich schnell aus dem sich in Matsch verwandelnden Staub gemacht, bevor die Silberblitze mich und meinen MP3-Stick als Entladeantenne missbrauchen konnten.
P.S.: Auch ich harre noch der Rührteigbackmischungen und feuchten Küsse - sie könnten auch von einem vorbeitrottenden Königssohn auf wahlweise weißem oder schwarzem Schimmel stammen (ich weiß, das geeeeeht gar nich, aber im Pott gibbet ja auch nich soooo viele Prinzen (höchstens inner Rolle verpackt)).

Muttertägliche Grüße von einer, die auch gar keine Mutter ist
a
"Guten Tag, wir machen ein Interview zum Thema Intellekt. Was sagen Sie als Nicht-Betroffener dazu?"

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Jetzt hab ich schon wieder einen frauschmitt-Bericht gelesen :eek:

... dabei weiß ich doch genau, dass die süchtig machen :klatsch:

ich brauch meeeeeeeehr :geil:


lg fff

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Köstlicher Bericht, Frau Schmitt! :P
Und daß das ganze Feld vor dir war, glaube ich nicht, auch wenn - oder gerade weil :D - du keine Zeit nennst :gruebel:

Danke! :hallo:

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Marienkäfer hat geschrieben: Und daß das ganze Feld vor dir war, glaube ich nicht, auch wenn - oder gerade weil :D - du keine Zeit nennst

Für die Statistik:
20 km, 1:50:56. 7. Frau von 18, und (das ist der Beweis): 64. von 80 Läufern.
Das war einfach ein ganz hartgesottenes Feld. Nix mit Schnupperläufern und Erstlingshasen. Das ist ja das Gemeine.

Am Montag versuch ich's nochmal mit einem 20er. Und wehe ich kann das Feld nicht von hinten aufrollen... :motz:

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Danke, frauschmitt, für die Info!
frauschmitt2004 hat geschrieben:Für die Statistik:
20 km, 1:50:56. 7. Frau von 18, und (das ist der Beweis): 64. von 80 Läufern.
Das war einfach ein ganz hartgesottenes Feld. Nix mit Schnupperläufern und Erstlingshasen. Das ist ja das Gemeine.

Am Montag versuch ich's nochmal mit einem 20er. Und wehe ich kann das Feld nicht von hinten aufrollen... :motz:

Viel Erfolg!!
Wo denn?

:)

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Also nee, Frauschmitt...so kann ich nicht arbeiten :nene: Ich bin ja noch nicht mal dazu gekommen, den Feldberg-Bericht einzuwursten (danke übrigens ;) ), geschweige denn all' die anderen Nachfolger...und jetzt drohste schon wieder mit neuen laufliterarischen Kunstwerken ;)

Würd' ja glatt sagen: "Schreib verdammt nochmal weniger!"...aber dann hätte mein Auto morgen früh bestimmt 'nen Platten und ich hätte 'ne tote Katze vor der Tür liegen - Schmittfans können wirklich rabiat werden wenn man ihnen ihre Droge entzieht, hab' ich mir sagen lassen...

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@Greeny
Da bin ich aber beruhigt, ich dachte schon, Du findest meine Berichte inzwischen:sleep: :sleep: :sleep: . Mal sehen, ob's was schreibenswertes gibt. Man weiß ja auch nie, was passiert. Mit dem Feld. Und den eigenen Hinterschinken. Und den Lungenlappen. Am Ende werdens Jammerlungenlappen. :gruebel:

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frauschmitt2004 hat geschrieben:@Greeny
Da bin ich aber beruhigt, ich dachte schon, Du findest meine Berichte inzwischen:sleep: :sleep: :sleep: .
NIE IM LEBEN! :geil: Bin nur gerade etwas webseitenbastelfaul....aber wenn Madame mir den Rest vielleicht auch noch mailen täte...? :peinlich:

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Wieder mal klasse geschrieben :daumen: ... wann kommt der Sammelband auf den Markt?
Steif
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Ständig verschwinden Senioren spurlos im Internet, weil Sie "ALT" und "ENTFERNEN" gleichzeitig drücken.
Gesperrt

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