Ich kann mich noch gut daran erinnern: 2005 machte mich lautes Sambatrommeln, das ich beim Frühstücken auf der Dachterasse hörte, neugierig und ich fuhr die 500 Meter runter zur Saarlandstraße.
Und da liefen Sie: all die tapferen Marathonis und an der Strecke herrschte eine magische Stimmung, die mir Gänsehaut machte. Und ich stand da, sah mir die Läufer und Läuferinnen an, die z.T. viel älter als ich waren, und dachte, warum läufst du da eigentlich nicht? Und von da an war es um mich geschehen! Mitten in einer persönlichen Krise erschien mir das Laufen plötzlich als Rettungsanker und so fing ich einfach an: kaufte mir Laufschuhe, besorgte mir einen Trainingsplan und lief, erst ganz sutsche, aber dann immer länger, und konnte nicht mehr aufhören! Und das ich, wo ich laufen als Konditionsgebolze beim Handballtraining immer so gehasst hatte! Und dann an einem wunderschönen Herbsttag auf meiner Stadtparkrunde war es auf einmal völlig klar: ich laufe 2006 den Hamburg-Marathon.....
Gesagt, getan! Und so kam ich denn 2006 mit Herzklopfen an der Saarlandstraße vorbei und diesmal waren es die anderen, die mir zujubelten und mich anfeuerten, u.a. meine stolzen Eltern, und ich hatte es wirklich geschafft, ich lief diesen Marathon!
Und das war 2 Wochen vorher auch noch gar nicht klar, denn ich hatte mir das klassische "Runner's Knee" erlaufen und wahnsinnige Schmerzen, die alles in Frage stellten. Und das nach der langen Vorbereitung! Ich war verzweifelt, wollte aber nicht aufgeben und hab alles gemacht, was man machen konnte: eine Unzahl von Spritzen ins Knie und die angeschlagenen Muskeln, Hammertabletten und Massagen, laufen reduzieren, stattdessen aufs Ergometer, Sauna und Badewanne... So gingen die Schmerzen weg, aber meine Unsicherheit blieb: Würde das Knie halten? Steh ich den Marathon durch? Nicht das beste Gefühl, um an den Start zu gehen.....
Aber ich war schon immer ein altes Kampfschwein und so habe ich mich am Sonntag in das Abenteuer gestürzt.
Sehr nervös allerdings: ich wusste gar nicht, dass so viel Liter Flüssigkeit in
die Blase passen! Ich weiß nicht, wie oft ich vor dem Start auf dem Klo war... Um 9.15 Uhr war dann endlich Startschuss und ich und meine Laufpartner aus dem Marathonkurs gingen aufgeregt auf die Strecke. Keiner von uns konnte wirklich fassen, dass es jetzt wirklich los ging!
Der Start war sehr verhalten, ich hatte mir vorgenommen, es wirklich langsam angehen zu lassen und mein Tempo zu laufen, was aber gar nicht so einfach ist, bei so vielen Menschen.
Richtig schön waren die ersten Kilometer in Ottensen und an der Elbchaussee: die Sonne schien und alles war noch locker und leicht.
An den Landungsbrücken wurde es zugig und ich merkte zum ersten Mal meine Hüften und dass ich einfach zu wenig auf Asphalt trainiert habe...
Aber das Quatschen mit den Laufpartnern und die tollen Zuschauer lenkten mich ab... Überhaupt Zuschauer: Ich weiß nicht, wie oft ich meinen Namen an diesem Tag gehört habe: Toll! Die waren alle so nett und als ich immer wieder hörte: "Tanja, du schaffst das!" und "Tanja, du siehst toll aus" (wie die lügen können ) glaubte ich das irgendwann
Dann war endlich Halbzeit und jetzt wollte ich eigentlich Gas geben, naja, was man vorher so denkt... Die Strecke wurde öde, die Zuschauer weniger und meine Beine immer schwerer. Und dann hat diese blöde Strecke doch unglaublich viele Steigungen! Und ich ne waschechte Krise: die Beine tonnenschwer und die Stimmen in meinem Kopf sehr laut: warum tue ich das bloß? Marathon, Schnapsidee! Du warst verletzt, vielleicht schaffst du es nicht? Ist noch so lang und dir tun die Beine jetzt schon weh! Also, war ich von nun an, beschäftigt, die Eisenklötze, die sich Beine nennen, einfach
immer weiter zu bewegen, und die trüben Gedanken zu verscheuchen und stattdessen Autosuggestion zu betreiben: Hatte mir doch extra Samstag noch "Zeit Wissen" gekauft, weil da ein Artikel über Sportpsychologie drin stand. Und ich hatte gründlich gelernt: Und so lief ich also weiter und sagte mir und meinen Beinen "Ich bin eine Gazelle".... und erinnerte mich an all die schlimmen Läufe, die ich in der Vorbereitung gemacht habe, dagegen ist so ein Marathon doch ein Klacks.... Zum Glück war ich nicht die einzige, die ne schwere Zeit hatte, mehr und mehr Läufer gingen zum Walken über und ließen sich massieren am Rand, so dass ich, sie überholend und tapfer weiterlaufend, mein Ego pflegen konnte. Und dann waren da ja noch die vielen Verpflegungsstationen, die alle 4 Km wie eine Oase in der Laufwüste auftauchten: Spontanes Brüderschaftstrinken mit dem netten Mann an der Wasserausgabe, dessen Tochter auch Tanja heißt, wie er mir freudig mitteilt, appetitlich dekorierte Banenstückchen und dieser pappig-matschende Untergrund, auf dem man wie auf Wolken laufen kann , lassen für kurze Zeit alle Qual vergessen.
Und dann taucht auch endlich KM 30 auf, jetzt wird alles gut... Naja, wenn da nicht die lange Alsterkrugchaussee wäre. Aber zum Glück ist da ja noch Sonja, der ich schon an den Landungsbrücken begegnet bin. Sie hatte sich an mich hrangeheftet und fortan wurden wir eine untrennbare Leidensgemeinschaft, die sich Kilometer für Kilometer ans Ziel arbeitete. Ich hatte die klare Rolle als Motivator übernommen, gestählt von all den Psychotricks, ihr entsetztes "oh, es sind noch 5 KM, entgegnete ich sofort, "es sind NUR noch 5 KM"...
Und dann sind wir endlich in Eppendorf, wo ich von meinen Groupies empfangen werde, die sich wirklich freuen, mich endlich zu sehen, und all den hammergeilen Eppendorfern, die die Strecke in ein Tollhaus verwandeln und bei mir so richtig die Lust am Marathon wecken: macht ja doch richtig Spaß!
Und das Ziel rückt endlich näher! Spielverderber ist da nur die Rothenbaumchaussee... Aber auch die nimmt doch tatsächlich ein Ende, plötzlich ein Ruf "Hey Tanja", und es kommt von hinten Birgit aus dem Marathonkurs, die wir morgens verpasst haben. Ich freu mich sie zu sehen, bin aber sehr unhöflich, denn am Dammtorbahnhof entscheide ich mich für die große Zieloffensive und lasse meine Laufpartner stehen! Wahrscheinlich weil der nette Herr gerufen hatte "Tanja, die holst du noch alle ein". Na gut, da lasse ich mich nicht lange bitten!
Also, Tempoverschärfung, das Ziel ist nahe, naja, irgendwie doch nicht, 2 Km können so scheiße lange sein! Und diese fiese Steigung kurz vorm Ziel tut richtig weh und hier meldet sich auch mein Knie so richtig.
Aber dann: einbiegen auf die Zielgrade! Und alles ist nur noch geil! Ich strahle die letzten 100 Meter wie ein Honigkuchenpferd, bin jetzt wirklich eine Gazelle, winke allen zu, die mich nochmal anfeuern, habe sogar noch Kraft für ein Sprintchen, überhole noch Leute, fühle mich so großartig, genieße, strahle... Und bin im Ziel: und überwältigt: könnte heulen und strahlen zugleich.....
Unglaublich schön...
Die Zeit ist jetzt fast egal: 5:12: Unter 5 ging einfach nicht mit den Beinen, mein Ehrgeiz meckert, wird aber vom Glücksgefühl verscheucht...
Ich hab's wirklich geschafft, das Knie hat gehalten und ich hab mich durchgekämpft und meinen Traum erfüllt... Ein irres Gefühl und diesen Zieleinlauf werd ich mein Leben lang nicht vergessen..
Und während ich bei KM 25 noch dachte, "Nie wieder Marathon!", denke ich jetzt schon an den 29.4.2006......
Man wird halt nicht schlauer
Ich bin ein Marathoni!
12.04.06 Wandstetaler Runde: Der erste HM: 2:18:29
23.04.06: Conenergy Marathon Hamburg - der 'erste'..5:12
23.04.06: Conenergy Marathon Hamburg - der 'erste'..5:12