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Der Mann mit dem Hammer ist kein Mythos ...

Der Mann mit dem Hammer ist kein Mythos ...

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...und ich weiß wo er wohnt, in Bonn.

Nachdem ich 2007 relativ entspannt den Kölnmarathon mit vorsichtigen sub 5 gefinisht hatte, wollte ich mal sehen, wie es ist, noch einen zu laufen (schließlich ist man ja als Finisher ein alter Hase und Könner vor dem Herren, dachte ich). Meine beste Zeit auf 10 km ist 49, ich laufe die 20 km locker ! in 2 Stunden, angestrengt in 1:50. Also peilte ich an: sub 4.

Ich entwarf mir einen Trainingsplan, auf dem ich (meist am Wochenende) lange Läufe zwischen 20 und 30 Kilometer einplante, DANN verschiedene kürzere Läufe etwas schneller. DANN ein paar Fahrspiele, DANN ... ja DANN kam alles ein wenig anders. Mein Trainingsplan ist auf mich und meine freie Zeit zugeschnitten, trotzdem wurde mein Training manchmal verhindert durch Unvorhergesehenes (zB. berufsbedingte Reisen) oder Schmerzen im Knie (die kannte ich, die gehen wieder weg, man muss nur warten können...) und leider durch grippale Infekte, direkt und frisch aus dem Kindergarten zu mir gekommen über die nassen Küsse von meinem Jüngsten.

Ich wollte natürlich kein Weichei sein und mich von ein wenig Unwohlsein aus der Bahn und damit aus dem Training werfen lassen, also machte ich weiter und so richtig schön genau das, was man niemals machen sollte. Ich habe eine kleine unbedeutende Krankheit zu einer großen unbedeutenden Krankheit aufgewertet, die sich dann formvollendet mit Glieder-, Hals- und Kopfschmerzen revanchierte und so fielen mind. drei Wochen in der entscheidenden Zeit (sieben bis vier Wochen vor dem Lauf) aus.

Erkenntnis: Egal was Du machst, es wird nun nichts mehr nützen...Panik!

Ich habe mein Training wieder aufgenommen und so gingen die Tage dahin und ich beruhigte mich mit meinen (recht guten) Zeiten und meiner zurückgekehrten Fitness, die für mein Vorhaben (s.o.) auf ein Gelingen schließen lassen konnten. Die letzten fünf Tage habe ich dann vorbildlich mit dem Training ´runtergefahren, ich bin dann nur noch so getrabt, der letzte lange Lauf, 24 km, war mehr als zwei Wochen her und dann kam der Samstag (19.04.).

Ich musste über den Tag 3 Aspirin einwerfen, da mein Kopf zu zerspringen drohte, dabei habe ich normalerweise nie Probleme mit Kopfschmerzen. Ich schob es auf den Wetterumschwung und ging davon aus, dass es am nächsten Tag schon weg sein wird. Positiv denken, dachte ich mir.

Sonntag war der Kopfschmerz tatsächllich weg, nur war mir nach dem Aufstehen ein wenig übel. "Das ist die Aufregung", dachte ich und auch die besorgten und fragenden Blicke meiner Frau ("Bist Du sicher, dass Du das tuen möchtest"), ignorierte ich geflissentlich. Schließlich bin ich ein Mann und daher wohl eher bereit, Signale meines Körpers erst zu ignorieren, um sie dann völlig überzubewerten. Also hörte ich nicht länger hin und spulte die Vorbereitungsroutine ab.

Bonn 20.04. Es war kalt und meine Frisur lag (unter der Kappe). Ich war froh, dass ich noch eine Jacke anhatte, die ich dann beim Start meiner Frau in die Hände drückte. Es ging los, zwei Runden durch die Stadt Bonn und immer zwei Angaben am Rand der Bahn, z.B. erst 3 KM und ein paar Meter dahinter dann 24 KM. (8 KM, dann kurze Zeit später 29 KM usw.) Das war in der ersten Runde schon nicht so motivierend, da man wusste, hier komme ich gleich nochmal vorbei und werde mich vermutlich nicht mehr so frisch fühlen.

Bei mir lief die erste Runde richtig gut, es hatte sich ergeben, dass ich mich hinter einen Läufer gehängt hatte, der meine favorisierte Zeit lief (vielen Dank nochmal an den Unbekannten), den ich aber dann nach der ersten Runde laufen lassen musste, da er schneller wurde (glaub´ ich).

Dann, so bei KM 26 (eigentlich viel zu früh) war er da. Der Mythos! Der sagenumwobende Mann mit dem Hammer und hatte sogar zu meinen Ehren ein für mich besonders schönes Exemplar mitgebracht. Dem war es doch tatsächlich völlig egal, dass ich die ganze Zeit Riegel und Gel gegessen und schön regelmäßig Wasser und dieses gelbe Zeug getrunken hatte, dessen Name ich vergessen habe (vergessen will), als er mir zurief:

"Hey, das war ja wohl zu schnell angegangen, hast´ wohl gedacht, Du kannst die sub 4 schaffen hahaha, nee mein Lieber, nicht mit der grottenschlechten Vorbereitung und schau Dir mal an, wie Deine Beine schmerzen und Dein Nacken..."

und so in einem fort. Da war mir klar, der meint das Ernst. Auch das Lauterstellen meines MP3-Players nutzte nichts, ich war definitiv am Ende. Ganz plötzlich. Einfach so... (Natürlich nicht einfach so, ich glaube sogar heute genau zu wissen warum, in dem Augenblick aber war mir nicht danach zumute, Ursachendiagnose zu betreiben.) Ich war einfach nur kaputt und lief weiter, weil mir nichts Besseres einfiel. Das ist natürlich der denkbar schlechteste Grund und motiviert nicht wirklich. Also stellte ich mir vor, wie mir alle meine Freunde oder besser Neider meine großspurigen Sprüche vorhielten:

"Na, Du wolltest doch so um die 4 laufen? Wie du hast aufgehört? bist Du denn gestürzt und hast Dir beide Beine und dann auch noch beide Arme gebrochen? Wieso bist Du denn nicht weitergerollt..."

Und so weiter. Ich habe diese Leute neben den Mann mit dem Hammer gestellt, das hat aber nichts geholfen. Denn irgendwann ist es einem egal, was andere sagen oder sagen könnten. Die Power ist einfach raus.

Ich schleppte mich also so bis KM 33 und lernte Demut. Es zogen an mir vorbei: Läufer, deren Alter und Gewicht meinem Alter und Gewicht um einiges voraus waren. (Ich : 41 und 75 kg, bei 180cm). Bitte nicht falsch verstehen, Ich habe mich damit abgefunden, dass es ältere Läufer gibt, die einen (mich) in Grund und Boden rennen (ich rede hier nicht von so um die 60 (das sind für mich keine "älteren" Läufer), sondern Ü70. Ich kenne zwei und werde mit keinem von Beiden jemals laufen (vielleicht in zehn Jahren...) Nein, es überholten mich rotgesichtige, keuchende Kreaturen (meistens Männer), denen man am Liebsten zugerufen hätte,

"hey, Alter, mach kein Scheiß, hör auf, bevor Du umfällst".

Aber erstens hatte ich dazu sowieso keine Kraft mehr und zweitens beschlich mich der Gedanke, dass ich wohlmöglich dazu gehörte.

Dann kam KM 34 und der Mann mit dem Hammer (bis dahin immer noch omnipräsent) ging wohl gerade ein schönes kaltes Bier trinken, meine Geschwindigkeit nahm zu, von lahmschleppend auf schnellschleppend. Ich hatte zwar kein Runnershigh (hatte ich noch nie, wohl auch ein Mythos?!), eher machte sich bei mir die Stimmung breit: Boah, gleich geschafft und dann kann ich in Ruhe vormichhinjammern.

Wäre mir nur irgend ein Zeichen meines Körpers komisch aufgefallen, hätte ich mit Freuden dieses Zeichen als DAS ZEICHEN ZUM AUFHÖREN genommen und den Lauf abgebrochen. Meinem Körper ging es aber erstaunlicherweise gut, außer den Schmerzen in den Beinmuskeln.

Kein Herzrasen ("Du, ich musste aufhören, mein Herz hämmerte wie wild, ich war kurz vor einem HI"),

keine Gelenkschmerzen ("ich musste aufhören, da ich sonst meine Bänder unwiderbringlich zerstört hätte"),

kein Schwindelgefühl ("ich konnte es nicht riskieren, plötzlich umzufallen und reanimiert werden zu müssen").

Nichts dergleichen. Mir ging es den Umständen entsprechend gut und die Umstände waren, dass ich meinem Körper schlicht zuviel zugemutet hatte. Das Zuviel war nicht der Marathon (das hatte ich bewiesen), sondern der Marathon mit einer 10 km Zeit von 0:55, 20 km mit 2:00 und angepeilten 3:59 oder kürzer gesagt, ich war am Anfang zu schnell gewesen.

Die letzten zwei Kilometer vergingen dann auch irgendwie und ich finishte mit 04:40. Als ich meine Frau sah, die sich bei meiner Halbzeit (02:00) und meinem fröhlichen ("läuft super") wohl ein etwas früheres Finish vorgestellt hatte (was sie niemals zugeben würde), kamen sie mir dann über die Lippen. Die Worte:

"Das war das Anstrengenste, was ich in meinem Leben gemacht habe."

Zugegeben, klingt ein wenig bombastisch und dann auch noch bei dieser Ziel-Zeit, aber in diesem Augenblick empfand ich es als die reine Wahrheit. Das war mein Empfinden. Vergessen war der erste Marathon, Examensprüfungen, Heiratsantrag, Geburt meiner Kinder (ok, das meiste haben dabei meine Frau und meine Kinder geleistet) und auch die körperlichen Anstrengungen, von denen es ´ne ganze Menge gab in meinem Leben.

Das! Dieser Lauf war das Anstrengenste gewesen. Und ich beziehe das im Nachhinein nicht auf meine körperliche Verfassung, denn nach drei Tagen hatte ich nicht mal mehr Muskelkater, sondern auf die mentale Stärke, die ich gezwungen war aufzubringen und das in Verbindung mit meiner besch... Vorbereitung. Ich hatte damit einfach nicht gerechnet. Ich hatte gedacht, wenn Du nicht mehr kannst, lauf ein paar Minuten langsamer und dann einfach weiter. Das passt schon.

Aber wisst ihr was, ich habe mich wieder beim Kölnmarathon angemeldet und den werde ich mindestens unter 4 laufen, wenn nicht mit 04:39. Und den Mann mit dem Hammer, den kenne ich jetzt und werde ihn als alten Bekannten grüßen, vielleicht verschwindet er dann wieder und beginnt ein neues Leben, zB als Marathonläufer! Dann werde ich da sein....
Lynx

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Hallo Lynx,

erst einmal: herzlichen Glückwunsch zum Finish :daumen: !

Das mit dem Plan, der nicht durchzuhalten ist kenne ich. Das ist eine blöde Situation. Jetzt weißt du, daß es dann besser ist, den Plan umzustellen.

Aber der nächste wird wieder besser, du schreibst ja schon:
Lynx hat geschrieben:....und den werde ich mindestens unter 4 laufen, wenn nicht mit 04:39.....
Schön, daß du jetzt einen Plan B hast. Viel Spaß bei der Vorbereitung!

Regenerier dich gut!

Gruß
Ralph

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Lynx hat geschrieben: Aber wisst ihr was, ich habe mich wieder beim Kölnmarathon angemeldet

Erst mal Glückwunsch zum finishen. Hättest ja auch aufgeben können, also ein großes :daumen: für's Durchhalten.

Es ist schon erstaunlich wie schnell man die Plackerei vergisst, oder vielleicht eher verdrängt, oder :D ? Ich glaube das ist eine läuferspezifische Eigenschaft. Je länger die Strecke desto besser ist sie ausgeprägt, oder sollte es zumindest sein!

Walter
You can only fail if you give up too soon

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Herzlichen Glückwunsch zum Finish! :daumen:

Ein sehr schön geschriebener Bericht! :daumen:

LG Marion
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