Ein Sieg über das nasse Elend
Bericht vom 9. BerlinMan Triathlon am 24.8.2008
„Pack die Badehose ein, ...“ Das Berliner Volkslied vom unbeschwerten Badevergnügen im Wannsee geht mir urplötzlich durch den Kopf, als ich die Utensilien für meine erste Teilnahme am BerlinMan zusammenpacke. Auch als ich mein Treckingrad soweit abspecke, dass aus dem langstreckenerprobten Tourer ein halbwegs renntaugliches Bike wird (was das Gewicht gleich um 3,5 kg reduziert), ist die Melodie wieder da. Aber ob’s in meinem Fall ein Vergnügen wird? Schließlich will ich möglichst viel von meinem Training der letzten Monate im Wettkampf umsetzen, hoffe insgeheim sogar darauf, mich in der ersten Hälfte zu platzieren. Der BerlinMan hat einen ausgezeichneten Ruf, was die Organisation betrifft, aber wenn ich schon 700 km weit reise, dann soll auch etwas Ordentliches dabei herauskommen.
Doch da ist ja noch die Sache mit dem Wetter. Und die Vorhersage für das WoE ist miserabel.
Einen ersten Vorgeschmack auf das Kommende gebt es, als ich im CityNightLine-Nachtzug nach Berlin sitze und der Regen deutlich vernehmbar auf das Dach und gegen die Scheiben trommelt. In Berlin ist es zunächst etwas besser - nur Nieselregen. Zum Spätnachmittag lockert die Wolkendecke dann auf, und als ich zusammen mit Björn zur Startnummernausgabe und zur Müesliparty am Jugendgästehaus am Großen Wannsee erscheine, strahlt sie Sonne mild und unschuldig von einem fast blauen Himmel. Man könnte hier glatt Urlaub machen. Nur der frische Wind stört uns, als wir den Steg am Seeufer betreten und das Startgelände inspizieren; auch die Wellen sind nicht dazu angetan, die Nerven zu beruhigen angesichts des Vorhabens, morgen erstmalig die 700 m in einem Freigewässer durchkraulen zu wollen. Und das ohne Neo, bei 19° Wassertemperatur!
Bei der anließenden Wettkampfbesprechung dann der Schock: Die Distanzen beim Volkstriathlon, in Berlin politisch korrekt „Jedermensch-Distanz“ geheißen, sind auch noch länger als in der Ausschreibung angegeben. 800 m schwimmen und 24 km mit dem Rad (statt 20). Eine Zumutung - und zugleich eine harte sportliche Herausforderung. Packen wir’s an!
Unsere Zuversicht schwindet allerdings schlagartig, als wir am Sonntag in aller Frühe aufstehen und als erstes im Hof ein unüberhörbares Plätschern und Tropfen vernehmen. Die Regenfäden sind noch da, als wir frühstücken und sie begleiten uns auch, als wir mit U- und S-Bahn nach Nikolassee fahren. Und als wir um kurz vor 8 Uhr unseren Zielort erreichen und die Räder einchecken (mit besonders gründlicher Bremsenkontrolle!), sind wir bereits ziemlich nass. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Kaum halbwegs getrocknet, begeben wir uns wieder nach draußen, um unseren persönlichen Wechselplatz einzurichten. Alles, was wir sonst auf oder neben dem Fahrrad bereitlegen, wird binnen Sekunden durchnässt, und der Versuch, alles irgendwie mit Folien abzudecken, wird vom böigen Wind vereitelt. Also nur Helm und Startnummer auf’s Rad, alles andere bleibt im kleinen Plastikkörbchen, das wir schubladengleich in die weiße Startertüte stecken.
Das nervöse Warten auf den eigenen Start um 9:35 Uhr zerrt an den Nerven, und ich überbrücke es u.a. damit, dass ich die ersten MD-Triathleten anfeuere, die das Wasserabenteuer gerade hinter sich haben und die Radstrecke in Angriff nehemen. Rasch ein paar Fotos gemacht, dann schnell wieder rein, weil meine Jacke dem Schauer nicht standhält und die Feuchtigkeit durchsickert. O je - wie soll das nur in einer dreiviertel Stunde werden?
Mittlerweile gleicht die Stimmung im Foyer der JH einem Hornissennest, die allgemeine Unruhe ist mit Händen zu greifen, überall hört man Stimmen, die von den Trainingsleistungen künden oder den schlimmen Moment beschwören, wenn man aus dem Wasser kommt und dem kalten Wind ausgesetzt sein wird... Um mein angespanntes Nervenkostüm am weiteren Flattern zu hindern, verziehe ich mich in eine halbwegs ruhige Ecke und versuche mir einzureden, dass es bestimmt nicht so schlimm werden wird, wie es den Anschein hat. Vergeblich. Noch eine halbe Stunde.
Um zehn nach 9 schmeiße ich mir mein gelbes Pre-Start-Plastik-Leibchen über und gehe mich einlaufen, wobei ich direkt hinter der JH in den Wald gehe und die schlammigen Wege mit den großen Pfützen entdecke, die nachher den Anfang unserer Laufrunde bilden werden. Ich werde mitnichten warm, sondern nur kalt, darum gebe ich es nach 300 m wieder auf und begebe mich ins Trockene.
Noch 10 min. Es hilft alles nichts, ich gehe jetzt da raus. Mit gespielter Todesverachtung und ohne irgendwas, was man normalerweise bei solcher Witterung anziehen würde. Aber was ist hier und heute schon „normal“?? Die Pappeln am Rande der Wechselzone biegen sich im Wind und ich konstatiere, dass ich definitiv keine Lust habe. Noch drei Minuten. Badekappe und Schwimmbrille auf. Ich gehe ins Wasser und weiß: „Noch kannst du das alles lassen. Aber wenn du die nächsten 10 Meter reingehst, gibt es kein Zurück mehr.“
Dann geht es los. Obwohl ich etwa in der viertletzten Reihe losschwimme, um dem Getümmel aus dem Weg zu gehen, bin ich doch bald schon mittendrin. Der kalte Wind kommt von vorn, die Strömung schiebt von rechts Wellen heran, von denn Achim Achilles später sagen wird, sie seien höher als der Fernsehturm gewesen. Es ist rasch vorbei mit sauberer Armstreckung, vorbei mit langer Zug- und Druckphase, vorbei mit 2er- oder 3er-Atmung. Wozu habe ich eigentlich Abschlagschwimmen geübt, wozu bahnenweise RV, Scullen und dergleichen? Hier geht es nur noch darum, dem nassen Element irgendwie zu trotzen. Und dabei vorwärts zu kommen, ohne beim Luftholen die gleiche Menge Wasser zu inhalieren. Doch selbst, als ich notgedrungen auf Brustschwimmen gewechselt habe, ist das nicht so einfach. Man muss zum Atmen ziemlich hoch raus, was aber die Wasserlage komplett verdirbt.
Die erste Boje ist umrundet, ich kriege etliche Tritte ab. Dann geht es besser, kein Wunder: die Strömung schiebt etwas von hinten. Das ändert sich gleich an der zweiten Boje. Jetzt habe wir zwar den Wind schrän von hinten, aber die Strömung schräg von der Seite. Drei Kraulzüge *schwapp* , dann gebe ich es auf. Ohnehin schwimmt vor mir fast niemand mehr Kraul, dafür kämpfen sie sich alle an den Steg heran. Doch der will und will nicht näher kommen. Allmählich dämmert es mir, dass ich viel stärker nach links schwimmen muss, um geradeaus zu kommen. Später wird einer vom Orga-Team schmunzelnd sagen: „Ihr seid alle soooo einen Bogen geschwommen.“ Schließlich ist das rettende Ufer da. Endlich. Und ich kann auch ohne zu taumeln gleich zum Rad laufen. Nach gut 16 min - da bin ich selbst überrascht.
In der Wechselzone möchte ich mich schon etwas beeilen, aber bis ich die blöden Socken anhabe, die Laufschuhe geknotet habe (wird mir nachher etwas Zeit sparen), Sonnenbrille (!), Helm und Startnummer dort sind, wo sie hingehören, vergehen dreieinhalb Minuten. Dafür kann ich gleich nach der Zone aufs Rad steigen und lostreten, wahrend ich einige Athleten sehe, die ihr Rennrad auf den nassen Kopfsteinpflaster erstmal vorsichtig zur Straße hochschieben.
Auf geht’s! Ich komme schnell in einen guten Rhythmus und lasse es rollen. 33 km/h, es ist gar nicht sooo kalt wie befürchtet. Aber nass ist es wieder! Von den Bäumen der Havelchaussee schüttelt der Wind jede Menge Wasser runter (ab und zu auch einen kleinen Ast), dazwischen gibt’s ordentliche Schauer und von unten spritzt genügend Wasser an und in die Schuhe. Egal, nur nicht die Kollegen da vorn aus dem Auge verlieren ... ransaugen ... und vorbei. Die Sonnenbrille hält den Regen ab und verstärkt deutlich die Kontraste, hat also durchaus eine angenehme Wirkung.
An der langen Steigung zum Grunewaldturm zieht es mir die Kraft aus den Beinen. Trotz allen Bemühens sinkt der Tacho doch auf 16 km/h ab, aber danach kann ich wieder Fahrt aufnehmen. Nur schneller als 46 geht’s nicht - dazu bremsen die breiten Reifen bei der Nässe dann doch zu sehr. Ob das gut geht? Das frage ich mich auch bei der Kopfsteinpflasterpassage, die geeignet ist, alle meine Gleitwirbel wieder an die richtige Stelle zu rütteln. Unterwegs blitzt es plötzlich aus einem Kombi am Straßenrand. Reflexartig stellt sich das schlechte Gewissen ein: „Wie - bin ich zu schnell gefahren?“ Nein, es war nur der Fotograf, der sich in den Wagen zurückgezogen hatte, um selbst trocken sei bleiben und dabei die tropfenden Athleten zu knipsen.
Die eine Runde ziiiieht sich und ich denke mit Grauen an an Acki und die anderen Mitteldistanzler, die das Ganze viermal machen müssen. Nee, einmal reicht wirklich! Zumal ich gegen Ende der Runde spüre, dass meine nassen Füße langsam gefühllos werden. Ich möchte ja gern so schnell fahren wie die Autos, die auf der nahen Avus durch die Regen-Gischt zischen, aber es bleibt beim frommen Wunsch. Immerhin kann ich noch ein paar Kollegen (mit den hohen Startnummern) überholen; ich selbst werde fast nur von solchen mit niedrigen Nummern überholt; das sind die MD’ler. Als ich dann endlich an der JH vom Rad steige und es durch die Wechselzone zu meinem (unendlich weit entfernten) Platz schiebe, bin ich froh, mich irgendwo festhalten zu können, denn so gänzlich ohne Gefühl in den Füßen funktioniert das Laufen gar nicht gut.
Auf zum letzten Teil des Abenteuers! Ruhig anlaufen, warten, bis sich das Gefühl wieder einstellt! Als es dann besser geht, habe ich die ersten Schlammpassagen schon gemeistert und bin gut unterwegs. Das Wissen, die beiden schwierigsten Etappen schon gemeistert zu haben und bestimmt nicht am Ende zu kämpfen, bessert meine Laune deutlich und gibt den Beinen Schwung. Das müssen die tapferen Mitstreiter ausbaden, die ich unterwegs einsammeln kann - es sind etliche.
Die Laufstrecke ist nur lächerliche 5 km lang. Bin ich nicht schon das Zehnfache gelaufen? Das zählt aber heute nicht, das ist Schnee von vorgestern. Heute heißt es nur kämpfen, irgendwie locker bleiben und keuchend weiter. Und dann kommt die Kreuzung, die ich schon kenne. Mit dem grünen Kombi auf dem Gehweg, den ich auch schon kenne (erneut zuckt der Doppelblitz) und dann geht es rechts ab. „Gleich rechts hoch, da ist das Ziel!“ ruft mir eine Stimme begeistert zu (wie oft sie das wohl heute schon getan hat?) und ich hänge mich nochmal richtig rein, stampfe die kleine Rampe hoch und bin im Ziel. Gleich nach mir kommt ein Kollege rein, den ich noch 150 m vor dem Ziel überholt habe. Wir gratulieren uns gegenseitig und ich frage: „Was bist du für eine Altersklasse?“ „M50“, gibt er atemlos zurück, und ich kann schmunzelnd zugeben: „Dann hab ich eben noch einen Platz gutgemacht.“
Puh, der pure Wahnsinn! Nach ein paar Minuten bin ich soweit erholt, dass ich mich an einem bleifreien Erdinger laben und das leckere Buffet inspizieren kann. Natürlich bleibt es nicht beim Inspizieren... Als ich dann irgendwann gut gestärkt die Zielzone verlasse, erwischt mich erneut ein Fotograf. Es muss auch wohl ein eigenartiges Motiv gewesen sein: Tropfnass, das Finisher-Shirt rasch übergeworfen, Sonnenbrille im strömenden Regen auf, in jeder Hand ein Stück Kuchen und auf beiden Backen kauend...
Dann der Blick auf die Ergebnisliste: Mit meinem Abschneiden bin ich richtig zufrieden, denn mein Traum von der ersten Hälfte ist tatsächlich in Erfüllung gegangen, in der AK bin ich sogar deutlich im ersten Drittel.
Natürlich lässt der Regen im Verlauf des Nachmittags nach, hört sogar ganz auf. Ich lockere die Beine bei einem ausgedehnten Spaziergang rund um die Borsig-Werke, schlendere durch die Hallen sowie am Tegeler See entlang und gehe dann zur Feier des Tages lecker indisch essen. Das „Darjiling“ in Alt-Tegel ist ein echter Tip! Während ich auf das Menü warte, schaue ich mir die Fotos auf meiner Digi-Cam an und mich durchrieselt in Anlehnung an einen historisch bedeutenden Satz das wohlige Wissen:
Ich bin ein BerlinMan!
Zeit: 1:37:44 h
Swim: 16:30 min
Bike: 54:35 min
Run: 26:39 min
Platz gesamt: 123 von 274
Platz Männer: 94 von 195
Platz TM50: 5 von 17
Entwicklung: 120 - 112 - 94
Ein dreifacher Sieg über das nasse Elend
1Nicht die Erkenntnis gehört zum Wesen der Dinge, sondern der Irrtum. (F. Nietzsche)