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Wunderbarer Artikel in der ZEIT zum Thema Laufen

Wunderbarer Artikel in der ZEIT zum Thema Laufen

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Hallo zusammen,

hier habe ich einen wunderschönen Artikel aus der ZEIT.
Für Nichtläufer mag es sich unglaubwürdig anhören, aber ich für meinen Teil kann sagen, dass ich mich zu 100 % in diesem Artikel wiederfinden kann !
Ich will Euch diesen Artikel nicht länger vorenthalten !

Bitte schön!

Gruß
Toni

Atemlos
Laufen ist Denksport
Ein Jogger braucht Ausdauer und gute Schuhe - ein Läufer braucht vor allem seinen Kopf
Von Gregor Hens





Joggen ist ein ordinäres, ein hässliches Wort. Es hat mit dem, was ich hier tue, nicht das Geringste zu tun, sagte mein amerikanischer Freund Paul, als ich ihn vor einiger Zeit in einem Sportstudio traf. Er war zur Berlinale in die Hauptstadt gekommen. Obwohl wir uns ein Jahr oder länger nicht gesehen hatten, unterbrach er, als ich an das Laufband trat, sein Training nicht. Ein Jogger, das ist jemand, der schwerfällig, tranig von einem Fuß auf den nächsten fällt und sich von mir auf dem Bürgersteig überholen lässt, sagte Paul. Selbst dann noch, wenn ich überladen mit Plastiktüten, mit einer Zwölferpackung Klopapier unter dem Arm vom Einkaufen komme. Das sind die Jogger, arme Kreaturen, Gesundheitsfreaks mit bunten Schuhen. Man erkennt es am glasigen Blick und an ihrer Haltung, dass sie nicht denken. Dass sie sich weder geistig noch körperlich im Griff haben. Sie sind überall, im Tiergarten, in Köln am Niederländer Ufer, an der Außenalster. Ich sehe sie, wie sie sich die Kniegelenke ruinieren, gerade auch in New York und im Fernsehen und natürlich im Fernsehen in New York, da joggen sie durch die Serien und die Filme aus den achtziger Jahren, sie joggen durch den Central Park und am East River entlang, selbst durch Brooklyn.

Ich war, das muss ich gestehen, verwirrt, vielleicht sogar ein bisschen verletzt. Warum, fragte ich mich, redet er von Gesundheitsfreaks und dem New York der achtziger Jahre, warum ist er so fahrig und unkonzentriert? Statt auf die Pause-Taste seines Geräts zu drücken und mich zu begrüßen. Zu fragen, wie es mir ergangen ist. Aber ich blieb bei ihm, schaute ihm zu und hörte, wie er sich seinem Thema näherte, wie er es einkreiste, denn ich hatte vor dem Intellekt meines Freundes immer den allergrößten Respekt gehabt. Es wird schon zu etwas führen, dachte ich, es wird schon seinen Grund haben, dass er mich gerade hier und gerade jetzt auf diesen Umwegen an seine Ideen heranführte.

Joggen ist eine Perversion, sagte Paul, eine amerikanische Perversion wie Käse aus der Tube oder wie das so genannte Bowling, das mit dem Kegeln, diesem eleganten, ernsten, schönen Sport, nichts zu tun hat. Dabei ging es schon in Rip van Winkle, dem uramerikanischen Märchen, ums Kegeln. Der faule Rip gibt vor, auf die Jagd zu gehen, in vorrevolutionärer Zeit, er legt sich unter einen Baum, um ein Nickerchen zu machen. Da träumt ihm von einer Gruppe gigantischer Holländer mit entsprechend riesigen Hüten, die durch das Tal am Hudson River ziehen, trinkend und lärmend und spielend. Rip wird eingezogen, sozusagen, requiriert als Kegeljunge. Ein, so stellt sich bald heraus, lebensgefährlicher Job. Denn kaum hat er die mannshohen Kegel unter größten Anstrengungen aufgestellt, donnert schon die nächste Kugel die Bahn hinunter. Immer wieder, immer noch einmal hört er das Krachen und Grollen, rettet sich in letzter Sekunde mit einem kühnen Sprung. Als Rip schließlich aus diesem Albtraum erwacht, liegt seine Flinte neben ihm im Gras – verrostet. Von seinem treuen Hund, so muss er feststellen, ist nur noch ein Skelett übrig. Und als er ins Dorf zurückkehrt, ist seine kleine Tochter eine erwachsene Frau, die ihn nur aus Erzählungen kennt, und Amerika ist längst unabhängig.

Amerika, erklärte Paul, wurde beim Kegeln erfunden, so will uns das Märchen sagen. Und es wird mit dem Bowling untergehen, wie man an dem Film Bowling for Columbine gut sehen kann. Was ich damit sagen will, meinte Paul und erhöhte mit einem Knopfdruck den Steigungsgrad an seinem Laufband, ist, dass die amerikanische Kulturproduktion von jeher den Unterschied verstanden hat zwischen Bowlen und Kegeln, zwischen Joggen und Laufen.

Paul schien jetzt konzentrierter. Vor mir, so dachte ich, vollzieht sich eine eindrucksvolle Wandlung. Ich spürte, wie sich seine Gedanken zu verfestigen begannen, auch wenn ich weiterhin nicht jede Wendung seines Monologs nachvollziehen konnte. War es wirklich so sinnvoll, das Joggen mit dem Bowlen zu vergleichen? Ich ließ ihn weiterreden.

Es geht nicht um Geschwindigkeit, sagte Paul, versteh mich nicht falsch
Denk an den Marathon Man. Dustin Hoffman rennt um das Trinkwasserreservoir von Manhattan. Diese Intensität! Der Takt der Schritte, das Hecheln im Off. Und Jodie Foster in der Anfangssequenz von Das Schweigen der Lämmer. Wir haben uns gerade erst hingesetzt und sehen die ersten Bilder, und schon stockt uns der Atem. Da hat sie den Fall noch gar nicht und läuft schon um ihr Leben. Oder denk doch nur an Rocky. Was gibt es Erhebenderes als die Laufszenen aus RockyI!, rief Paul, die Freitreppe des Museums hinauf (eines Kunstmuseums!), was ist ergreifender als Rocky Balboas verbissenes, schließlich triumphales Training an einem dampfenden Wintermorgen in Philadelphia? Niemand käme auf die Idee, diesen Mann, einen italoamerikanischen Schlachthausarbeiter, als Jogger zu bezeichnen. Rocky läuft, er trainiert, sein Körper betet, die Muskeln denken. Seine von feuchter Kälte bis in die Spitzen durchdrungene Lunge – sie weint.



In Gattaca, mein Freund, rief Paul und justierte die Geschwindigkeit an seinem Gerät, in dem am meisten unterschätzten Film des vergangenen Jahrzehnts, ist es Ethan Hawke, der uns zeigt, was Lauftraining wirklich ist. Auf dem Laufband, mein Freund. Englisch treadmill, Tretmühle. Du kennst den Film nicht? Hawke spielt einen Mann mit Herzfehler, der Astronaut werden will. Unbedingt. Sein einziges Lebensziel. Als ihm beim Fitnesstraining im Vorbereitungscamp die gleichmäßig pochende Mess-Sonde, die er irgendwo geklaut hat, von der Brust fällt und vier, fünf Schläge lang sein eigener, wild rasender Puls zu hören ist, der Puls eines Krüppels, da bleibt dir selbst das Herz stehen. Da spürst du die Anspannung, du spürst, wie krank man sein muss, um so gesund, so stark, so schön zu wirken.

Es geht nicht um Geschwindigkeit, mein Freund, sagte Paul, der jetzt ganz in seinem Gedankengang verfangen war, der sich eingeschossen hatte auf sein Thema. Versteh mich nicht falsch. Es geht, sagte er und erhöhte nochmals seine Taktzahl, darum, den Körper, jede einzelne Faser in diesem Körper, zum Denken zu bringen. Wir machen die ersten Schritte und fangen an mit einem diffusen Gefühl der Konzentration. Diffuse Konzentration, jawohl. Kein Widerspruch! Wir treiben eine Weile in der Ursuppe der Gedanken – um jetzt mal eine Metapher zu bemühen. Das ist ganz schön, aber unproduktiv. Noch viel zu ungerichtet. Ein kleines synaptisches Feuerwerk, Tischfeuerwerk meinetwegen, wir denken, laufen, fangen an zu schwitzen und merken, es ist nicht genug. Die Gedanken bleiben undeutlich, flüchtig, wir können sie nicht festhalten. Wir assoziieren: Begriffe, Dinge, Szenen. Das ist besseres Brainstorming, mehr nicht, sagte Paul. Assoziationen, verschwommene Bilder und Beispiele, erste Ansätze von Organogrammen. Ich bewunderte ihn, die Gleichmäßigkeit seiner Bewegungen, wie er die Füße nach vorn warf, wie er sanft, elegant abrollte auf dem gut gefederten Laufband. Ohne langsamer zu werden, nahm er sein Handtuch vom Bügel des Geräts und wischte sich den Schweiß ab. Und sagte: Dann, nach einiger Zeit, nach weiteren Kilometern, ordnet der Läufer schließlich seine Gedanken und lässt den Jogger, dieses arme, krauchende Tier, intellektuell weit hinter sich. Es beginnt sich etwas herauszukristallisieren, das man einen geordneten Diskurs nennen könnte. Geordnet und getaktet. Der Läufer findet einen Rhythmus, und er denkt in diesem Rhythmus, und er redet, wenn er denn redet, in diesem Rhythmus. Jetzt bekommt er die Gedanken zu fassen, er bekommt die Dinge in den Griff. Ich kann, das sollst du mir glauben, in diesem Stadium sehr zivilisierte Erörterungen vornehmen, sagte Paul, ich schreibe ganze Essays, entwerfe meine Filmkritiken, ich argumentiere und überzeuge. Ordentliche Kopfarbeit ist das. Ernst und irgendwie gesittet. Übrigens ist dies auch der Punkt, an dem Geschichten entstehen. Handlungen, Reihung, sinnvoller Zusammenschluss von möglichen Menschen und unmöglichen Ereignissen. Du bist doch Erzähler, meinte Paul, das ist es, was dich in diesem Zustand erwarten würde.

Er lief jetzt zwölf Stundenkilometer, und ich hörte beinahe sein Herz
Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, was er damit meinte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sich beim Sport eine geistige Bereitschaft herstellen ließ, die ich sonst nur mit allergrößter Mühe und mithilfe verschiedener Stimulantien, mit Espresso und Zigarillos und mit Ohrstöpseln aus Schaumstoff, erreichen konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, in einem Sportstudio auf der Stelle zu laufen und dabei zu denken. Eine Geschichte zu erzählen, einen ernst zu nehmenden Gedanken zu formulieren. Andererseits sah ich ihn ja, sah Paul, wie diszipliniert er war, wie aus dem fahrigen Geplänkel, das ich zu Anfang mit einer gewissen Skepsis verfolgt hatte, in diesem Stadium eine höchst konzentrierte, beziehungs- und anspielungsreiche Auseinandersetzung wurde.

Schließlich aber, sagte Paul und warf einen Blick auf seinen Pulsmesser, treten wir ein in eine Phase der echten, ungebrochenen Kreativität. Sie ist das Ziel. Wir sind dann mit uns selbst beschäftigt, wir hören uns, wir hören unseren Puls, wir spüren jeden einzelnen Muskel, empfinden es nicht als Schmerz, sondern als Bewusstsein, es ist, als wäre der ganze Körper ein mächtiges, gemeinsam denkendes, gemeinsam atmendes Kollektiv. Paul lief jetzt zwölf Stundenkilometer bei einer eingestellten Steigung von 4,5 Prozent. Ich hatte beinahe das Gefühl, das Pochen seines Herzens zu hören. Trotz des blechernen Plärrens der Top-Twenty, die pausenlos durch die Lautsprecher des Sportstudios gejagt wurden. Ein Schweißtropfen, der sich vom Ellbogen meines Freundes gelöst hatte, traf mich auf der Stirn.

Paul schwieg jetzt. Er schien wie weggetreten. Ich stellte mich, weil ich fürchtete ihn zu stören, auf ein Laufband, das inzwischen frei geworden war. Ich legte mein kleines, mit dem Namen des Sportstudios bedrucktes Handtuch über den Bügel, wie Paul es getan hatte. Ich drückte auf eine Taste mit der Bezeichnung Quick Start. Das Rollen der Walze setzte weich ein, zwang mich beinahe unmerklich zum Spazieren. Gutmütig, dachte ich, ein gutmütiges Gerät. Freundlich und verständnisvoll. Dann wurde es langsam schneller, und ich ging noch immer, die rote Leuchtanzeige tickte nach oben, fünf, sechs Stundenkilometer, immer schneller, sechseinhalb Stundenkilometer, sieben, sieben Komma zwei, und ich fiel in den vorgegebenen Laufschritt ein, ich lief, ich lief und musste lächeln, lächelte, während ich lief, in mich hinein, und ich habe, mein Freund, sagte ich und justierte noch einmal die Geschwindigkeit, seitdem nicht aufgehört zu laufen.

Wunderbarer Artikel in der ZEIT zum Thema Laufen

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Original von Claus:
dito

hi toni,
danke für den artiekl auszug. du und er hat recht, aber es ist ein bisserl arrogant. weil jeder fängt als jogger an......

keep on running claus
Hi Claus,

da hast Du schon nicht ganz unrecht, aber dennoch hat er mein Empfinden genau getroffen. Ich teile nicht die Ansicht über Jogger und Läufer (obwohl es da m.E. nach schon Unterschiede gibt), allerdings konnte ich mich in der Beschreibung des Gefühls beim Laufen absolut wiederfinden.

Ich wünsche Euch einen schönen Tag.

Gruß
Toni

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Hi,

bin ich froh, dass nicht nur die Laufanfängerin den Artikel als arrogant empfindet. Erstens fängt wirklich jeder als `Jogger` an und zweitens was ist schlimm, wenn es dabei bleibt? Ich habe keine Ahnung, wohin sich meine Läuferkarriere entwickeln wird, Stand heute wird es nie zu einem Marathon reichen, aber was solls?

Tina
Gesperrt

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