Mal ein ganz anderer Laufbericht: Der große Hindernislauf nach Heiligendamm, wo vom 6. bis 8. Juni mehrere absurde Theater zum Thema G8 parallel aufgeführt wurden. Während die Weicheier sich mit Booten zu Pressekonferenzen schippern ließen, nahm ich Neo-Sportlerin natürlich am großen Cross-Country Event teil, bei dem 15.000 Teilnehmer die Aufgabe hatten, drei Ziele zu erreichen: Die Zugangsstraßen zum schwer verriegelten G8-Tagungsort Heiligendamm, der durch einen 12 Kilometer langen Zaun gesichert war. Zur Erhöhung der Spannung bei diesem Volkslauf haben sich die Organisatoren einiges einfallen lassen und 16.000 grün und schwarz uniformierte Animateure damit beauftragt, den Lauf möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Der Animationstrupp namens Polizei ließ sich nicht lumpen und nahm gleich ein paar Dutzend Hubschrauber, Wasserwerfer und Räumpanzer mit.
Aber von Anfang an: Mein Start lag auf einer Wiese bei einem kleinen mecklenburgischen Dorf. Die Animationsteams von der Polizei brachten schon zu Beginn Spaß in die Sache, indem sie die Teilnehmer mittels Straßensperren daran hinderten, auf normalen Wegen zum Start zu gelangen. Mein Lauf begann somit eigentlich auf dem S-Bahnhof Klein-Lüttenscheid. Das große Feld der Läufer machte sich mangels Bussen zu Fuß auf dem Weg und legte die 5km bin zum Start in strammem Walkingtempo und singend zurück.
Nach einer langen Sammelpause waren die 4.000 Teilnehmer dieser Strecke eingetroffen, an den anderen beiden Starts waren es ebenso viele, wie die Organisatoren über Funk erfuhren. Also ging es gegen Mittag los: Das Feld teilte sich in fünf Kolonnen, die hinter bunten Fahnen losmarschierten. Die Animationstrupps von der Polizei blockierten gleich am Anfang den Weg, woraufhin die Läufer singend in die Felder abbogen und in langen Schlangen durch das hohe Getreide stapften. Da stand dann erstmal Tempo und Strecke im Vordergrund, es wurde stramm gewalkt. Die Animateure – sehr schön verkleidet in einer Art Ritterrüstung mit Schienbeinschützern, Helmen, Schilden und Schlagstöcken - versuchten zwar immer wieder, ihre Trupps zu den Läufern zu schicken, um sie zu unterhalten, blieben aber meist ratlos im hohen Gras stecken, weil die Hindernisläufer geschickt Wege rundum fanden.
Als die erste zu querende Straße ins Blickfeld kam, konnte der Animationstrupp dafür dann so richtig auffahren und ein schönes Hindernis aufbauen. Von beiden Seiten näherten sich Animateure und Wasserwerfer, das Feld der Läufer zog ordentlich an und begann einen kleinen Sprint. Etwa 2.000 sprinteten über die Straße und wurden dabei von den Wasserwerfern erfrischt (es war ja auch schon ziemlich heiß). Dann schlossen die Animateure die Kette und bremsten den zweiten Teil des Feldes mit Tritten und Pfefferspray-Attacken, was einige Ausfälle im Feld nach sich zog. Da ich am Lauf nicht offiziell teilnahm, passierte ich das Hindernis mit Hilfe meines Presseausweises und schloss mich einer der Kolonnen an, die schon weitermarschierten. Das restliche Feld passierte dank geschickter taktischer Manöver dann auch bald das erste Hindernis.
Nach einem weiteren strammen Gänsemarsch durch die Felder registrierten wir bewundernd eine neue Überraschung des Animationsteams: Fünf Hubschrauber kreisten elegant über der Wiese und brachten frische Animateure, die auf der nächsten Straße ein neues Hindernis aufbauten. Das vorderste Feld der Läufer passierte die Straße noch ungehindert im Sprint, dann fuhren von zwei Seiten Wasserwerfer auf.
Ich sprintete ebenfalls auf die Straße zu und wurde dabei schön beregnet. Als ich auf der Straße stand, schoss mich allerdings ein überambitionierter Animateur mit seinem Wasserwerfer so ab, dass ich quer über den Straßengraben flog und mich an einem Jägerzaun gedrückt wiederfand. :eek: Als ich wieder Luft hatte, versuchte ich aufzustehen und wurde sofort wieder vom Wasserwerfer niedergemäht. Also nahm ich dankbar die ausgestreckte Hand der anderen Hindernisläufer an, die sich auf die Straße gesetzt hatten, und kroch durch den Graben auf die Straße zurück. Eingehängt am Boden kauernd wurden wir von hinten weiter mit Wasser drangsaliert. Was schmerzhafter ist, als man das Wasser gemeinhin so zutrauen würde. Die Animateure begannen unterdessen, die Blockade von vorne her mit Tritten, Schlagstöcken und Pfefferspray aufzulösen und warfen die Teilnehmer etwas unsanft in den Straßengraben. Erst als einige stark geprügelten laut „Presse! Presse!“ riefen, fiel mir ein: Das bin ja ich!, stand etwas benommen auf und beschränkte mich wieder auf Beobachten und Fotografieren, was allerdings nur als Fake möglich war, weil meine Kamera zu nass geworden war. Nach 15 Minuten hatte das große Feld der Läufer das Hindernis unauffällig umrunde, und die Blockade löste sich auf. Wir nahmen das dritte Weizenfeld in Angriff und waren nun schon ziemlich nah am Ziel: Der Zugangsstraße nach Heiligendamm.
Der Zieleinlauf wurde, wie sich das so gehört, dann ganz schön anstrengend. Die Sonne brannte, viele Teilnehmer waren schon schwer dehydriert, die meisten hatte Augen wie Karnickel - sei es wegen Pfefferspray, sei es wegen Heuschnupfen. Aber jetzt aufgeben war nicht drin: Das Ziel war zum Greifen nah. Die Animationstrupps hatte lange Reihen von Mannschaftsbussen im Zielbereich aufgereiht und schickten Hundertschaften ihrer besten Leute, schön in ihren Rüstungen glänzend, in das Weizenfeld, um die Läufer ein letztes Mal aufzuhalten. Über Megaphon rief die Läufer-Vorhut „aufteilen! Aufteilen!“, und das Feld von immer noch etwa 3.000 Hindernisläufern zog sich Kilometerweit in die Breite.
Die Animateure trabten zwar, Schild und Schlagstock voran, diszipliniert ins Feld, um die Teilnehmer aufzuhalten, wurden aber in flottem Tempo links und rechts umlaufen. Durch weitere erfrischende Wasserkaskaden von den Wasserwerfern erreichte ein Läufer nach dem anderen das Ziel und setzte sich erschöpft auf die Straße. Ich selbst finishte nach etwas über zwei-einhalb Stunden – angesichts der Umstände eine gute Zeit, wie ich finde.
Als alle 3.000 Finisher eingetroffen waren, begann die Verhandlung mit dem Animationsteam, das gegen die Freigabe mehrer eingeschlossener Polizeiautos schließlich zusicherte, das Unterhaltungsprogramm einstweilen einzustellen. Zugleich kam über Funk die Meldung, dass es auch die anderen beiden Läuferfelder in ihre Ziele geschafft hatten und alle drei Zugangsstraßen blockiert waren. Es wurde dann noch eine schöne Siegesfeier für alle Finisher: Anrainer brachten Kuchen und Wasser auf die Straße, die „Volxküche“ verköstigte mit veganen Eintöpfen „nicht von Nazibauernhöfen“, Gitarren wurden ausgepackt, Clowns jonglierten und ein Cheerleader-Trupp übte mit den Eingetroffenen lustige Parolen, und auch die Animateure nahmen ihre Helme ab und feierten ein bisschen mit.
Vielen Finisher gefiel es so gut, dass sie gleich die nächsten beiden Nächte im Zieleinlauf verbrachten. Ich hingegen hängte mir meinen Presseausweis um und verließ das gastliche Gelände durch fünf Kontrollposten der Polizei, und mich mal bei den anderen Zieleinläufen umzusehen.
Insgesamt ein gut organisierter 10-km-Cross-Country-Lauf mit einem extrem ambitionierten Animationsteam, das dann aber doch zu unorganisiert war, um die Taktik der Hindernisläufer zu durchschauen. Leider hält mich nun eine Schädelprellung und eine Halswirbeldistorsion, herrührend vom Wasserwerfereinsatz der Animateure, für einige Zeit vom Laufen ab. Für künftige solche Veranstaltungen würde ich daher ein besseres Training für die Animationstrupps der Polizei empfehlen, die zeitweise ihre Aufgabe doch ein bisschen zu ernst genommen haben.
Tipps für alle, die mal an sowas teilnehmen wollen:
- Wasser kann verdammt wehtun, wenn es aus einem Wasserwerfer kommt. Großräumig ausweichen! :eek:
- Wasser ist aber auch verdammt wichtig - mehrere Liter mitschleppen lohnt sich, weil ein Teil für Augen-Auspülen von Pfefferspray-Geplagten draufgehen wird.
- Schwimmbrillen helfen gegen Tränengas, gelten in Deutschland aber als "passive Bewaffnung".
- Bei Heuschnupfen kein Tuch um Mund und Nase binden, sonst wird man wegen Vermummung vberhaftet.
- Sonnencreme nicht vergessen - fettfrei, sonst kann das richtig weh tun mit dem Pfefferspray.
- Die bunten Clownhüte vieler Teilnehmer waren nicht nur gegen Sonne nützlich, sondern erinnerten das Animationsteam der Polizei auch immer wieder daran, dass hier ein Volkslauf und keine Schlacht stattfindet.
- Detailkarten und Kompass sind nützlich, Walkie-Talkies noch viel mehr, weil die Hubschrauber des polizeilichen Animationsteams die Handynetze stören.
Der große G8-Cross-Country-Hindernislauf nach Heiligendamm
1Grüße von lila
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.