In diesen Tagen stand Adidas vor Gericht. Das Urteil fand ich so deprimierend, dass ich für meinen Podcast einen Kommentar dazu geschrieben habe. (Das Thema tauchte hier übrigens mal kurz auf, den Thread fand ich fast genauso frustrierend.) Wer nicht so gern Podcasts hört, kann hier was drüber lesen.
Captain Kirk hatte es gut. Der Communicator an seinem schlafanzugartigen Oberteil funktionierte einfach immer. Und selbst wenn er nicht mehr funktioniert hätte - Kirk musste sich nie darüber Gedanken machen, ob sein Schlafanzug nun als Bekleidung oder als Elektrogerät gilt und wie er demnach entsorgt werden müsste. Früher war eben alles besser - sogar die Zukunft.
Heute sind wir zwar in der Zukunft angekommen, aber diejenigen, die sie maßgeblich gestalten, wollen lieber ein noch bisschen in der Vergangenheit bleiben. Nehmen wir zum Beispiel die Firma Adidas. Im Jahr 2004 brachte sie einen besonderen Laufschuh auf den Markt. Er heißt "Adidas 1" und ist der Stolz der Firma. "Adidas 1" ist nämlich kein gewöhnlicher Schuh. In seinem Inneren steckt ein kleiner Computer, der die Dämpfung des Schuhs anpassen kann - je nach Gewicht des Läufers, Geschwindigkeit, und Bodenbeschaffenheit. Selbst der technische Laie kann sich vorstellen, dass man dazu eine äußerst raffinierte Kombination an elektronischen Bauteilen aufbieten muss. "Logisch", sagt da die Firma Adidas, das sei ja auch ein Schuh "für Technikfreaks". Beinahe hätte dieser Schuh allerdings seinen Hersteller eine Menge Geld und Arbeit gekostet. Er wurde nämlich eben wegen diesem Schuh verklagt. Und das kam so:
Seit 2005 gilt in Deutschland nach einer EU-Richtlinie das Elektro- und Elektronikgesetz. Sinn dieses Gesetzes ist die Reduktion der Berge von Elektronikschrott, die inzwischen schneller wachsen als die Altpapierberge in den Büros. Das Gesetz sagt, dass jeder Hersteller von Elektro- oder Elektronikgeräten seine ausgedienten Geräte zurücknehmen und entsorgen bzw. recyceln muss. Registriert und koordiniert wird das Ganze von der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (EAR). Die hat über das Produktschlamassel einen entsprechend guten Überblick. Als die EAR "Adidas 1" entdeckte, war ihr klar: das Ding ist Elektroschrott in spé. Also muss sich der Hersteller ordnungsgemäß registrieren lassen und dafür sorgen, dass die ausgelatschten Käseschlappen nach langem schweren Leiden am Fuße ihrer technik- und laufverrückten Besitzer anständig entsorgt werden.
Ich will es an dieser Stelle etwas abkürzen: die EAR klagte und verlor. Sie ging in Revision und verlor wieder. Und: sie verlor jetzt ein drittes und letztes Mal. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig gilt fortan als Grundsatzurteil. Mit der Firma Adidas freuen sich alle möglichen Hersteller, die Elektronikteile in ihre Produkte basteln und sich einen Pfifferling darum scheren, was später einmal daraus wird. Jetzt haben sie die richterliche Erlaubnis dazu.
Der vorsitzende Richter Wolfgang Sailer beurteilte den Fall als "bizarr". Wirklich bizarr ist allerdings nur das Urteil und die Argumentation, die dazu geführt hat. Adidas sagt, der Schuh sei kein gewöhnlicher Schuh. Das kann jeder nachvollziehen - wer würde für einen gewöhnlichen Schuh schon 250 Euro zahlen. Richtig, meint auch die EAR, das Ding sei ein Sportgerät. Ne, sagt Adidas, das nun wieder gar nicht. Er sei ein "Lifestyleprodukt". Sportschuhe trüge man ja auch eben mal so. Wie Joschka Fischer, bei seiner ersten Vereidigung als Minister damals, meint da einer der Richter. Was Joschka Fischer mit elektronischen Bauteilen in Schuhen zu tun hat, bleibt allerdings ein wenig im Dunkeln. Es zeigt höchstens, dass man hier Mühe hat, im 21. Jahrhundert anzukommen. Die Devise "nur was Elektrogerät heißt, muss auch so behandelt werden wie ein Elektrogerät" mutet angesichts des technischen Fortschritts genauso historisch an wie Joschka Fischers Turnschuhe im Haus der Geschichte.
Ein Schuh ist ein Schuh, sagt Richter Sailer. Ein Schuh ist ein Schuh, sagt auch die Firma Adidas, die eben noch stolz verkündete, der Schuh sei etwas für "Technikfreaks". Sie hat jetzt das Privileg, sich nicht still und heimlich aus der Verantwortung stehlen zu müssen - sie darf es öffentlich und mit richterlichem Segen tun.
Na gut, mag manch einer denken. Dann boykottieren wir eben diese Produkte, für die keiner verantwortlich sein will. Aber warum soll ausgerechnet der Verbraucher dem Fortschritt entsagen, wenn er doch nun mal da ist? Dürfen wir unseren gebrechlichen Eltern keinen Fernsehsessel mit Elektromotor kaufen, in dem sie bequem sitzen und leichter aufstehen (ist ja ein Möbel, kein Elektrogerät)? Sollen wir nicht die Skijacke mit dem eingebauten Lawinenpiepser kaufen, wenn wir in den Bergen ängstlich sind (ist eine Jacke, kein Elektrogerät)? Was ist mit all den Produkten, die es schon gibt und denen, die es noch geben wird? Sollen wir Technik nicht nutzen dürfen, nur weil die Rechtslage von vorgestern zu sein scheint?
Und selbst wenn wir allen elektronischen Zwitterprodukten die kalte Schulter zeigen - gewonnen hätten wir damit immer noch nicht viel. Adidas hat nämlich noch einen Trumpf im Ärmel. "Strenggenommen", sagt die Adidas Sprecherin Anne Putz, "gehören alle unsere Schuhe nicht in den Hausmüll. Da sind zu viele unterschiedliche Materialien verarbeitet." Man kann das Statement von Frau Putz auch so verstehen: Wenn ohnehin alle Schuhe Sondermüll sind, kommt es auf den ein oder anderen Mikrochip, die ein oder andere Batterie auch nicht mehr an.
Außerdem - wer wirft Laufschuhe heute noch in den Müll? Die stecken wir doch allenfalls in einen Altkleider-Container. Von dort aus landen sie als "Mitumba" (was soviel bedeutet wie "Das Hemd des weißen Mannes") in Afrika. Und damit schlagen wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: wir beruhigen unser Gewissen. Dank uns und unseren abgetragenen Schuhen können aus kleinen Negerlein große Laufidole werden. Und obendrein landet so all der Sondermüll und Elektroschrott auf einem Kontinent, für den Umweltverschmutzung nur eine Katastrophe von vielen bedeutet. Er landet weit weg von Richtern in Leipzig und Schuhinnovatoren in Herzogenaurach.
Ein Schuh ist ein Schuh ist ein Schuh
1Berichte, Geschichten und Streuselkuchen: www.laufen-mit-frauschmitt.de
Laufen mit Verantwortung: laeufer-pro-umwelt.de
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