Ich lebe noch!
Zur Zeit kann ich zwar Treppen nur rückwärts runtergehen, aber die Knochen sind heil geblieben
Um es vorweg zu nehmen: Es war die härteste, aber auch die landschaftlich schönste Veranstaltung, an der ich bisher teilgenommen habe.
Schon die Anreise am Freitag mit dem Auto über den Furka Pass hat deutlich gezeigt, dass man es dort unten mit (richtigen) Bergen zu tun hat. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass man dort irgendwo laufen kann.
Nach dem Abholen der Startunterlagen in Gondo, habe ich mir zuerst im Nachtlager im alten Schulhaus ein Bett gesichert. Beim ersten Anblick des Nachtlagers, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ein Hotel nicht doch die besser Wahl gewesen wäre. Die Stockbetten standen dicht an dicht, d.h. es gab keine Lücken zwischen den vielleicht 70cm breiten Matrazen. Aber zum Glück habe ich ein Bett am Rand bekommen und eigentlich war es ingesamt doch ganz okay. Gestört hat mich nur, dass wegen des Wasserfalls in unmittelbarer Nähe und wegen der Böller (es war Nationalfeiertag in der Schweiz) die Fenster geschlossen wurden. Daher konnte man schon nach kurzer Zeit die Luft, in dem mit fast 20 Personen belegten kleinen Zimmer, nur noch mit einem sehr scharfen Messer schneiden.
Am Samstag Morgen nach einem sehr guten Frühstück ging es bei leichtem Regen an den Start. Auf dem Programm stand zunächst der Aufstieg durch die Gondo Schlucht auf den Simplon Pass und dann weiter auf den Bistinenpass mit ca. 1700 Hm. Die Landschaft und die Singletrails waren trotz Regen wunderschön. Zum Bistinenpass hoch wechselte sich der Regen mit dichtem Nebel ab. Aber gerade das Laufen im Nebel brachte eine ganz besondere Stimmung mit sich. Ich habe während des Aufstiegs immer versucht mich zurückzuhalten, um mich für den zweiten Tag zu schonen. Danach ging es bis km 40 nur noch bergab und ich habe es rollen lassen und einige Läufer überholt. Als während der schönsten Downhillstrecken auch noch kurz die Sonne rauskam und einen kurzen Blick auf die umliegende Bergwelt freigab, wusste ich, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist nach Gondo zu fahren.
Bei Kilometer 40 wird normalerweise in Gedenken an die erste Austragung dieses Laufes die Saltina gesichert durch die Feuerwehr durchquert. Leider hatte der Fluss dieses Jahr durch die heftigen Regenfälle zuviel Wasser, so dass wir die Brücke nehmen mußten. Kurz nach der Überquerung der Saltina, gab es noch einen sehr heftigen, aber relativ kurzen Anstieg, bevor es durch die Straßen von Ried-Brig ins Ziel ging.
Das Nachtlager in Ried-Brig befindet sich in einem Bunker und unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Schulhaus in Gondo. Nur der Wasserfall vor dem Fenster wird durch eine Lüftungsanlage, die an eine Waschmaschine im Schleudergang erinnert ersetzt. Aber wieder konnte ich ein Bett am Rand erwischen und das Nachbarbett blieb sogar frei.
Am Samstag Abend fühlten sich meine Beine schon ziemlich schwer an und vor allem meine Oberschenkel meldeten, dass sie das schnelle Bergablaufen nicht gewohnt sind.
Am Sonntag Morgen stand ich dann mit schweren Beinen am Start im sonnigen Ried-Brig. Ich hatte mir vorher das Höhenprofil nicht mehr genau angesehen und hatte nur in Erinnerung, dass mir jemand erzählt hat, man könne sich auf der ersten harmlosen Hälfte in Ruhe wieder einlaufen. Naja... nach ein paar hunder Metern durch Dorf gab es erstmal 500Hm auf ca. 2km. Meine Beine fanden das nicht harmlos. Nach ca. 7 km setzte dann auch wieder der Regen ein. Leider wurde der Zustand meiner Beine nicht besser, sondern verschlechterte sich immer weiter. Vor allem bergab konnte ich überhaupt nicht mehr an laufen denken, weil meine vordere Oberschenkelmuskulatur ihren Dienst einstellte. Leicht wellig ging es wieder hoch zum Simplonpass bei Kilometer 18. Dadurch dass ich jetzt doch die meisten Strecken wandern mußte und jeder Schritt wehtat, hatte ich ein kleines Stimmungstief. Als ich dann noch ein Auto mit Läufern, die wohl aufgegeben haben auf dem Simplonpass stehen sah, war ich kurz versucht auch einzusteigen. Meine Gedanken in diesem Augenblick kann ich nicht mehr richtig beschreiben. Jedenfalls habe ich mich mit dem Rücken zum Auto gestellt, so dass ich es nicht mehr sehe, habe zwei Cola runtergekippt und bin geflüchtet, so schnell ich konnte.
Die nächsten 14km Abstieg nach Gabi, waren, wie nicht anders zu erwarten, sehr schmerzhaft und nicht besonders flott. Natürlich habe ich überlegt, in Gabi auszuteigen. Aber ich habe mich mit folgenden Argumenten überzeugt, weiterzulaufen: Du bist nicht verletzt, sonder es tun nur die Muskeln weh. Du bist noch weit vor dem Zeitlimit und hast für die letzten 9km noch genügend Zeit. Wenn du jetzt aussteigst, wirst du dich danach ziemlich ärgern, dass du so blöd warst, nicht weiterzulaufen.
Nach Gabi folgten 3km Antieg mit 700Hm auf den Furrgu Pass. Vor diesem Anstieg wurde ich von einigen Läufern vorher gewarnt. Also ging ich die Aufgabe mit großem Respekt an. Im Nachhinein betrachtet war es anstrengend, aber nichts, wovor man nach der schon gelaufenen Strecke Angst haben muß. Die letzten 7km Abstieg nach Gondo kamen mir ewig vor. Aber nach viel Schlamm und rutschigen Steinen war ich irgendwann endlich im Ziel.
Gondo ist eine sehr empfehlenswerte Veranstaltung. Die Organisation ist herzlich, familiär und nahezu perfekt. Die Landschaft ist atemberaubend und wunderschön. Die Strecke besteht zum allergrößten Teil aus Singletrails. Auch wenn viele der anwesenden Läufer es behaupten, die Strecke ist anspruchsvoll und nicht eine Anfänger- oder Einsteigerstrecke. Die anwesende Läuferclientel ist furchbar nett, aber auch sehr speziell
Man kommt sich sehr klein und unbedeutend vor, wenn man fasziniert den Geschichten lauscht, die dort erzählt werden...
Gruß,
Gero