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Das Leben der Anderen: Abenteuer hinter den Kulissen

Das Leben der Anderen: Abenteuer hinter den Kulissen

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Ich zwinge mich, die aufkommende Unruhe zu bekämpfen. Es MUSS gehen! Ein weiteres Mal fummele ich mit dem Schlüssel herum, versuche, ihn in die schmale, gewundene Öffnung zu bugsieren. Nein, das klappt nicht! Das ist definitiv nicht der richtige Schlüssel. Und mit dieser Erkenntnis beginnt ungebremst so etwas wie Panik den Nacken hoch zu kriechen. Mit vielen Problemen habe ich gerechnet, aber dieses hier haut alles um! Nur 1, 2 Stunden noch, dann drängen sich hier Hunderte von Läufern, und wir kommen nicht ins Sportheim hinein. Das ist der absolute GAU! Was in Gottes Namen kann ich denn jetzt noch tun?

Nein, dieses Mal will ich nicht selbst laufen, dieses Mal will ich dafür sorgen, dass andere laufen können, aber nicht nur laufen, sondern duschen, essen, trinken, das ganze Rundum-Paket halt, das so dazu gehört. Die werden sich stattdessen bei nasskaltem, ungemütlichem Wetter im Freien aufhalten müssen. Kuchentheke? Fällt aus! Wo und wie denn? Wir kommen ja nicht hinein! Dafür haben wir nun Wochen der Vorbereitung investiert. Verdammter Mist aber auch!

Aber besser, ich beginne noch mal ganz von vorn.

Was nun?

Anfang Oktober erklärte der bisherige Cheforganisator, dass er aus persönlichen Gründen für Planung und Organisation unserer Crossveranstaltung nicht mehr zur Verfügung stünde. Zu allem Überfluss würden auch einige unsere Helfer nicht dabei sein, und ausgerechnet das Herzstück, die EDV-Auswertung, sollte unbesetzt bleiben. Was nun? Ausfallen lassen? Oder nach Alternativen suchen?

Tun oder lassen?

In einem kleinen Team von 5 Leuten werteten wir die bisherigen Veranstaltungen aus, stellten zusammen, was alles zu tun sei, überlegten, was das Minimum an Helfern sei, die wir brauchen würden. Eines war klar, die bisherigen Eliteläufe würden wir streichen und uns auf die regionale Laufszene beschränken. Unsere Schätzung lag bei etwa 150 – 200 Teilnehmern, die die Laufstrecke unter die Füße nehmen würden. Wir ermittelten exakt 29 Positionen, die mindestens besetzt werden mussten.

Wir sprachen Eltern unserer Kinderleichtathleten an, Ehepartner, sportinteressierte Bekannte, um das Helferkontingent aufzufüllen. Und ja, viele sagten zu, wollten mitmachen. Ein ehemaliges Vereinsmitglied, jetzt im Nachbarverein tätig, erklärte sich bereit, die EDV-Auswertung zu machen. Also fiel die Entscheidung: Go! Den Vorzeige-August nach außen sollte ich abgeben.

Wie weit geht das Risiko?

Als erstes wollte ich die EDV-Frage klären. Wir hatten in den vergangenen Jahren stets 3 – 4 Leute im EDV-Raum gehabt. Würde da – bei verkleinerten Startfeldern – 1 oder eventuell 2 Personen ausreichen? Ich setzte mich mit H. zusammen, die uns EDV-seitig aushelfen wollte. Allerdings: es war ein älteres Programm, mit dem sie arbeitete. Es gab nur einen einzigen Rechner, auf dem es lief; keine CD oder ähnliches, von dem aus es auf anderen Rechnern installiert werden konnte. Sprich, wenn der Programmrechner das Zeitliche segnen sollte, wär’ Kacke am Dampfen! Dieses Risiko war mir zu hoch.

Ich hatte zwar von dem System, mit dem wir bisher gearbeitet hatten, keine Ahnung, beschloss aber, es mir anzusehen und den Einsatz zu prüfen. H. war einverstanden, auf dieses Programm zu wechseln. Ich testete das Programm, stellte fest, dass es recht intuitiv zu bedienen ist und genügend Funktionalität bietet. Also würden wir mit einer Software arbeiten, die bewährt ist, die aber noch keiner im Team im Live-Einsatz bedient hatte.

Einige Tage später nahm ich am Kreistag des Leichtathletikkreises teil. Dort diskutierte man auch die Absage der Kreiscrossmeisterschaften durch den bisherigen Veranstalter. Man sprach mich an: Wir hätten doch eine richtig schöne Crossstrecke und genügend Erfahrung, ob wir nicht diese Meisterschaften ausrichten wollten. Ich war einerseits sehr angetan, andererseits aber auch skeptisch angesichts der zusätzlichen Herausforderung. Ich sah mir die Zahlen der Veranstaltung aus 2013 an. Wir würden mit etwa zusätzlichen 100 Läufern rechnen können. Also summa summarum 250 – 300 Teilnehmer; das ist für eine Crossveranstaltung schon recht ordentlich. Wir diskutierten das im Orgateam und sagten zu.

Die Kreismeisterschaften ergaben weitere Anforderungen an die EDV. Als ich mir die Regeln für die Crossmeisterschaften genauer durchlas, stellte ich fest, dass vor allem die Mannschaftswertung nicht ganz ohne ist. Ich versuchte, das im Programm umzusetzen. Vieles gelang, aber an der Mannschaftswertung biss ich mir die Zähne aus. Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass im Cross nicht die Zeiten, sondern die Plätze addiert werden. Belegt z. B. Mannschaft A die Plätze 3, 4 und 5 und Mannschaft B Plätze 1, 2 und 10, so ist Mannschaft A mit 3+4+5 = 12 Punkten gegenüber B mit 1+2+10=13 Punkten das bessere Team, egal welche Zeiten die Läufer gelaufen sind.

Da ich nicht weiterkam, schrieb ich meine Anforderung als Frage ins Forum des SW-Anbieters. Was ich kaum erwartet hatte: bereits kurz danach meldete sich jemand bei mir und löste in engem Kontakt mit mir die Anforderung exakt so, wie ich sie haben wollte. Von diesem ebenso kompetenten wie promptem Service war und bin ich begeistert.

Nun sollte also alles klappen. Um sicher zu gehen, schnappte ich mir Anfang Januar meinen Laptop, besuchte die Veranstaltung des Nachbarvereins, stoppte für 2 Läufe dort die Zeiten, ließ mir die Einlauflisten geben und testete dann zuhause, ob die Auswertung tatsächlich stimmte. Sie stimmte! Perfekt! Test gelungen!

Was kommt da bloß auf uns zu?

Am Anfang hatten wir uns im Orgateam etwa alle 3 – 4 Wochen getroffen, ab Januar – es waren ja nur noch 4 Wochen – sprachen wir jeden Dienstag den aktuellen Stand durch. Seit Mitte Dezember war die Anmeldung frei geschaltet, und wir freuten uns über jeden einzelnen Voranmelder. Die Zahl wuchs zunächst langsam, aber kontinuierlich. Der Lauf würde am Samstag, 1. Februar, stattfinden. Am Mittwoch, 10 Tage vorher, hatten wir 118 Anmeldungen, am Freitag waren es bereits 175. Doch: jetzt war ich mir sicher, das würde am Ende 300 Läufer ergeben, ein schöner Erfolg!

Einen Tag später am Samstag, d. h. genau eine Woche vor der Veranstaltung, verzeichneten wir bereits 238 Anmeldungen, am Montag überschritten wir erstmalig die Zahl 300, und Voranmeldeschluss war erst in 2 Tagen. Im Orgateam warfen wir uns die neuesten Erfolgsmeldungen zu, nun waren wir sicher, dass wir sogar mit 400 Teilnehmern rechnen durften.

Wir hatten uns getäuscht! Nur einen Tag später waren 440 Anmelder im System. So langsam wurde mir wie allen anderen auch das Ganze unheimlich. Wir hatten für eine Veranstaltung von 200 bis maximal 300 Läufer geplant. Doch es war noch nicht zu Ende. Noch sollte der Mittwoch folgen, und am Ende dieses Tages fehlten ganze 3 Teilnehmer, um die Zahl 600 zu vollenden: 597 Anmeldungen!

Das war auf der einen Seite wunderbar, und wir freuten uns. Aber es war auch ein Riesenproblem. Die Strecke war für diese Meldezahlen nie und nimmer ausgelegt. Beim Hauptlauf mit 3 Runden über insgesamt 5,1 km machte ich mir keine Sorgen. Da würde sich das Feld auseinander ziehen. Aber bei den Kinderläufen hatten wir in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass die Teilnehmergrenze pro Lauf bei etwa 30 lag. Die Läufe der Acht- und Neunjährigen (800 m) mit weit über 60 Teilnehmern würden im Chaos enden, erst recht der Bambinilauf über 400 m mit mehr als 80 Kindern.

Wir mussten etwas unternehmen. Kurz nach Anmeldeschluss um 24 Uhr begab ich mich an eine Aufteilung der Läufe und einen überarbeiteten Zeitplan. 4 der Läufe wollte ich teilen, statt 9 waren es nunmehr 13 Wettbewerbe, alle immer noch recht voll, aber zumindest oder hoffentlich beherrschbar. Natürlich musste dadurch der komplette Zeitplan nach hinten geschoben werden, aber mit maximal einer halben Stunde Verzögerung war das vertretbar. Außerdem mussten wir mehr Urkunden vordrucken und natürlich mehr fürs leibliche Wohl einkaufen.

Am nächsten Morgen erhielt ich die Rückmeldungen meiner Mitstreiter zu meinem Vorschlag mit einigen kleineren, aber äußerst wichtigen Korrekturen. Ich nahm die Aufteilung der Läufe im Programm vor und verfasste dann eine Mail an alle Voranmelder, in der ich sie über den geänderten Zeitplan informierte, auf eine vermutlich längere Parkplatzsuche hinwies und um Verständnis für eventuell auftretende Unzulänglichkeiten aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen bat.

Wohl als Reaktion auf meine Bitte, die Richtigkeit der Daten zu prüfen, erhielt ich eine Meldung, dass Familie X nicht am Volkscross über 5,1 km teilnehmen wollte, sondern an der 3 x 800 m-Staffel, diese aber nicht gefunden und sich deshalb am Hauptlauf angemeldet hätte. Ich änderte das und trug Vater, Mutter, Tochter als Staffelläufer ein.

The day before

Am Freitag trafen wir uns morgens um 9 Uhr zum Aufbau. Es war kühl, leicht gefroren, aber strahlender Sonnenschein. Wenn morgen ein solches Wetter vorherrschen würde, dann kämen noch etliche Nachmelder hinzu. Leider war für morgen Regen angesagt. Wir arbeiteten konzentriert, markierten die Laufstrecke mit Stangen, hämmerten diese in den Boden, spannten straff das Flatterband dazwischen, drückten die gelieferten Strohballen eng zusammen, damit keiner dazwischen hängen bleiben würde. Vormittags zur Schulzeit waren einige der Mütter dabei, die mit vollem Elan anpackten und den Hammer schwangen, dass es eine wahre Wonne war.

Oft mussten wir kleine Anpassungen am Streckenverlauf vornehmen, im Wesentlichen war sie zwar gleich wie vorher, aber leichte Begradigungen hatten wir eingearbeitet, und nun waren z. B. Abflussgitter zu umschiffen, in denen man mit Spikes sonst hätte hängen bleiben können. Auch der erstmalige Start einiger Kinderläufe auf dem Damm erforderte eine Verbreiterung, damit es nicht zu Drängeleien und möglicherweise Stürzen führte.

Den Zielkanal aus Drängelgittern machten wir besonders lang, damit es auf keinen Fall zu einem Rückstau vor dem Ziel käme. Die Sonne hatte die Strecke im Laufe des Tages aufgetaut, so dass sie arg matschig geworden war. Ja, das würde morgen ein richtig schöner Cross werden! Zwischenzeitlich las ich eine Mail am Smartphone, wo denn die Tochter von Familie X im Kinderlauf abgeblieben sei. Diese solle zwar in der Staffel mitlaufen, aber eben auch im Kinderlauf. Bisher hatte ich die Anmeldungen selbst bearbeitet, ab heute machte H. das und hatte die Tochter erneut in den Kinderlauf eingebucht, zusätzlich selbstverständlich.

D-day

Nachts wache ich auf. Ich mag das Heulen des Windes, aber nicht jetzt. Ich habe eine ungute Vorahnung. Die Vorahnung bestätigt sich. Zunächst halte ich an, um ein vom Sturm umgewehtes Verkehrsschild aufzurichten. Dabei kann ich bereits sehen, dass das Flatterband an etlichen Stellen gerissen ist. Zu allem Überfluss ist nicht bei allen Helfern die Information angekommen, dass alle 3 oder 4 Stangen das Band getrennt und wieder neu angebracht werden sollte. Daher sind teilweise ganze Passagen durch einen einzigen Riss dahin. Zum Glück haben viele der Helfer sich für den Restaufbau angemeldet, so dass ich jemanden zum Nachbessern einteilen kann.

Der Sturm hat sich nicht damit begnügt, die Flatterbänder zu zerreißen. Im Startbereich ist das Tor mit dem Startbanner umgeweht, im Ziel sind sämtliche Drängelgitter umgekippt und übereinander verkeilt, und einige Sponsorenbanner sind gerissen. Ich mache mich direkt mit A. daran, hier wieder Ordnung hinein zu bringen.

Alle erforderlichen Schlüssel habe ich mir vorher besorgt. Fast in jedem Jahr war vergessen worden, dass wir den Kreidewagen für Start- und Ziellinie von den Fußballern brauchen. Auch die Grillhütte der Altherren war oft erst nach hektischen Aktivitäten offen. Da habe ich vorgesorgt und mir auch den Schlüssel zum Vereinsheim geben lassen, denn aufgrund einer privaten Feier ist der Vereinswirt selbst ausnahmsweise nicht da. Damit die gespendeten Kuchen abgestellt werden können, werde ich gebeten, den Raum aufzuschließen…

…und verdammt noch mal, es geht nicht, der Schlüssel ist falsch! Ich versuche, J. anzurufen. Geht keiner ran! Ich weiß nicht mal, wo er ist, nur dass eine Feier ansteht, aber ob in Kiel, Passau oder sonst wo: keine Ahnung! Wenn Anruf nicht klappt, dann vielleicht per mail? Ungelenk hacke ich eine Panikmeldung ins Smartphone.

Und die Rettung kommt! Nachdem ich mal hier, mal da im Einsatz bin, diesem sage, wo er etwas finden kann, jener erkläre, wie sie ihre Aufgabe ausfüllen sollte, registriere ich plötzlich eine raummäßige Veränderung. Etwas ist anders. Ja natürlich, die Tür, die vermaledeite Tür ist endlich offen! J. hat meinen Hilferuf gehört, ach was erhört und ist sofort gekommen, uns einzulassen. Oh, du Liebling der Götter, nie werde ich dir das vergessen! Nun aber flugs alle Utensilien für die Kuchentheke herbei geschafft. U. kümmert sich darum.

Jemand fragt mich, wo eine Leiter ist. Wir haben keine Leiter! Schon krabbelt einer auf dem Dach herum, um das Kabel für die Stromversorgung der Laptops im Zielbereich und der Musikanlage dorthin zu führen. Die Besetzung des Meldeschalters ist mittlerweile vollzählig da, engagiert und neugierig sind alle, aber auch neu und unerfahren. Zeit also, sie einzuweisen! Die ersten Läufer, die eingetroffen sind, müssen dann eben noch ein wenig auf ihre Startnummern warten. Zwischendrin: Kannst du mal die Grillhütte aufschließen? – Ist bereits auf, einfach Tür öffnen! Meine Frau und 2 gute Bekannte treffen ein. Meine Frau schicke ich zur Kuchentheke, H2. (H. ist schließlich schon vergeben) kommt in den Zielbereich, R., seine Frau, hatte ich wegen der Anmeldung angesprochen. Ist momentan eigentlich besetzt. – Setz dich erstmal dazu, guck mal, wie die das machen! Später wechseln wir dann.

Als ich nach draußen gehe, um den Start-Ziel-Bereich zu inspizieren, hat es angefangen zu regnen. Der Sturm weht immer noch böig, es ist unangenehm nasskalt, wir haben Schwierigkeiten, die Pavillons zum Schutz der elektrischen Geräte so aufzustellen, dass sie nicht wegwehen. Einer der Pavillons ist mitten im Aufbau zerrissen worden. Die Dame vom Fotodienst fragt, wo sie sich hinstellen soll. Ich weise ihr einen Platz zu. Die Grillbesetzung fragt, wo Grillbesteck sei. – Ist in der Grillhütte. – Das sieht aber nicht professionell aus. – Anderes haben wir nicht. - Na gut!

Die EDV, H. mit Verstärkung durch Tochter A., ist schon länger da, hat sich eingerichtet, da scheint alles zu stehen. In der Anmeldung sehe ich, dass R. unglücklich ist. Die Anmeldedamen sind beschäftigt und bemüht, in ihre Aufgabe hinein zu finden und alles richtig zu machen. Leider hat R. dadurch nicht recht was zu tun. Was mache ich mit ihr? Ich wollte noch jemanden in die EDV hineinsetzen, bin aber im Unklaren, ob das was für sie ist. Ach was, besser als gelangweilt hier herum zu hängen, ist es allemal! Später wird sich herausstellen, dass ich hiermit einen wahren Glücksgriff getan, vielleicht sogar die Veranstaltung gerettet habe.

Die Uhr bewegt sich auf 13 Uhr zu, Zeit des ersten Startschusses. Den will ich unbedingt live sehen, um zu prüfen, ob alle Sachen wie geplant greifen. Es regnet nach wie vor, die nasse Kälte ist für alle Helfer, die draußen ihren Job verrichten, äußerst unangenehm.

Dann fällt der erste Schuss, 34 Knaben im Alter von 3 (!) – 7 Jahren toben los, aber das Wichtigste: keiner stürzt, keiner bleibt beim Hügel oder bei den Strohballen hängen. Alle sind sie mit der gleichen Begeisterung dabei wie diejenigen, die gestern die Strecke im Probelauf getestet haben. Nach 1:41 min läuft der erste im Matsch durch das Ziel, nach 4:17 min sind alle durch. Abgleich: Der erste Laptop hat 34 Zeiten, der Kontroll-Laptop ebenfalls, beide Schreiber der Einlauflisten haben 34 Startnummern auf ihren Listen. Das passt. Die Erfassung des ersten Laufes hat funktioniert. Kleine Beruhigung!

Knapp dahinter, 5 min nach dem Start der männlichen Bambini, werden die weiblichen gestartet, 30 laufen mit. Auch dieser Lauf bewirkt heftige Atemzüge, vorwärts strampelnde Beine, Schweiß auf Haut, Schlamm auf Kleidung und zeigt unbändigen Stolz auf abgekämpften Kindergesichtern. Der zweite kritische Wettbewerb ist geschafft. Glaube ich jedenfalls! – Bernd, kannst du mal nach unten kommen? – Na klar! Ich begebe mich in den EDV-Raum im Keller.

- Ich will die Zeiten eingeben, aber ich find die Veranstaltung aufm PC nicht. Da ist nur die Testveranstaltung, die wir letztens durchgespielt haben. – Gibt’s doch nicht. Die muss da sein! – Nach einiger Probiererei ist unser Cross gefunden, aber ein neues, viel größeres Problem tritt auf: Wir finden die Zeitdateien und die Einlauflisten nicht. Das gibt’s doch nicht, ich hab 2 Tage vorher alles noch mal durchgetestet, da passte alles einwandfrei, wo sind bloß die verfluchten Dateien abgeblieben? Während wir verzweifelt suchen, werden die nächsten USB-Sticks zusammen mit den Listen geliefert. – Was ist denn bei euch da unten los? Die Eltern werden schon ungeduldig. Wann können wir die Siegerehrung machen? Wie lange noch? – Dauert noch etwas! Fangt doch schon mal mit der Tombola an!

Warum haut das nicht hin? Die drei Rechner sind vernetzt, alle greifen auf die Datenbank zu, wo liegt das Problem mit den Hilfsdateien? Und so allmählich dämmert mir, was das Problem ist: Die Rechner sind per Kabel verbunden, über den Browser können wir von allen Laptops aus auf die Veranstaltungsdatenbank zugreifen. So weit, so gut! Nur: die eingespielten Hilfsdateien mit den Zeiten und den Startnummern sind lokal abgelegt und können nur vom jeweiligen PC aus gelesen werden, und erschwerend kommt hinzu, dass die Ordnungsstruktur auf allen Rechnern unterschiedlich ist. Das hatte ich beim Test auf einem einzigen Laptop nicht bedacht. Verdammter Mist!

Wir müssen die Dateien zwischen den Rechnern hin und her spielen, damit Zeiten und Startnummern gematcht werden können, aber wir haben nicht genügend Sticks, und schon trudelt die nächste Zeitdatei auf USB-Stick plus Startnummernzettel ein. Wo kriegen wir jetzt kurzfristig zusätzliche Sticks her? Wie bekommen wir Ordnung in das Verzeichnischaos auf den Rechnern? Wie können wir zusammen gehörende Dateien auf den gleichen Rechner bekommen, damit wir die Ergebnislisten und die Urkunden produzieren können? Und die Zeit drängt!

Wir haben Glück im Unglück. J., der Sohn von H., hat schon vorher geholfen, die Rechner per Kabel zu verbinden. Er wird in wenigen Minuten selbst laufen, aber auf meine Frage, wie wir von allen PCs aus auf die gleichen Dateien zugreifen können, macht er sich an die Arbeit. Er richtet öffentliche Ordner ein, die wenigstens 2 der Rechner nutzen können, der dritte macht wegen seines anderen Betriebssystems Probleme. Ab sofort werden sämtliche Dateien nur noch in diesen speziell eingerichteten Ordnern abgelegt. Endlich können wir von wenigstens 2 Laptops aus den Zeit-Startnummern-Abgleich durchführen und alles für die Siegerehrung vorbereiten.

Nun flutscht es, der Stau kann abgearbeitet werden. Ich selbst finde die Zeit für das Interview mit der Lokalpresse, das ich vorher, in der höchsten Hektik, hoffentlich diplomatisch genug, zurückstellen musste. Bei allem Fokus auf eine erfolgreiche Durchführung der Veranstaltung: Ein positives Presseecho und damit eine gute Grundlage fürs kommende Jahr brauchen wir auch.

Ich schaue oben nach dem Rechten: Die Leute im Zieleinlauf sind guten Mutes, aber sie frieren. Beim Grillstand gehen Senf und Ketchup zur Neige. Ich sage ihnen, dass wir genügend eingekauft haben und wo sie alles finden. – Wo ist denn der Sicherungskasten? – Sicherungskasten? Wieso? – Wir haben keinen Strom mehr. – Ach du Scheiße! Ich bin doch kein Elektriker und rufe J. an. Er erklärt mir, wo die Kästen sind. Während ich mit W. die Sicherungen überprüfe, meint er, es könnte auch an den Kabeltrommeln liegen. Er schnappt sich eine und stellt einen neuen Anschluss her. Wie wohltuend, dass neben den vielen Neulingen doch auch einige erfahrene Helfer dabei sind! Nach kurzer Zeit läuft die Musikanlage wieder, und wie lange die Akkus der Laptops für die Zeiterfassung gehalten hätten, werden wir auch nicht mehr erfahren – zum Glück!

Mittlerweile ist C., unser Sprecher, der während der längeren Wartezeit die Athleten so motivierend wie unterhaltsam vertröstet hat, leicht angepisst. Der Kreisvertreter pfuscht ihm nach seiner Schilderung ständig ins Handwerk, wenn es um die Siegerehrungen geht. Ich versuche, ihn aufzubauen und rede mit dem Ehrenamtler, glätte ein wenig die Wogen. Jedenfalls klappt es nun wieder zusammen, war wohl dem Stress geschuldet.

Die letzten Läufe stehen an. Alles läuft zurzeit rund, nun kann nichts Wesentliches mehr schief gehen. Gerade will ich die Siegerehrung wieder verlassen, da vernehme ich laut und deutlich: Das ist falsch! Wenn der da 7. war, dann ist unserer klar davor. Der ist vor dem da durchs Ziel gelaufen. Das habe ich ganz deutlich gesehen! Da beschwere ich mich jetzt gleich unten in der Auswertung! Um Gottes willen! Bloß das nicht! Die sollen in Ruhe ihre Arbeit machen. – Warum geht’s denn da? – Unser ist klar vor dem da! Da geh ich mich jetzt beschweren! – Kein Problem! Nennen Sie mir bitte den Namen! Ich kläre das für Sie. Wir haben ja alle Daten erfasst und werden das leicht feststellen.

Ich schreibe mir beide Namen auf und gehe nach unten. Dort werden gerade die Urkunden des vorletzten, des Hauptlaufes gedruckt. Ich warte einen Moment, um H. nicht zu stören. Plötzlich wird die Tür aufgerissen: Die Ergebnisse stimmen nicht! Unser war vor dem im Ziel. Das habe ich genau gesehen! – Ja, ich habe Ihnen versprochen, das zu klären, aber ich bitte Sie um ein wenig Geduld, damit die laufenden Urkunden zu Ende gedruckt werden können. Ich warte jetzt auch schon so lange! Und das stimmt nicht. Unser war vor dem da drin. Das muss geändert werden! – Selbstverständlich. Aber ich bitte Sie, draußen zu warten, denn dieser Raum ist nur für das EDV-Personal vorgesehen. Aber unser war…. Ich bewundere mich im Nachhinein, dass ich dieser penetranten Person nicht einfach was vors Maul gehauen, sondern sie sanft, höflich und diplomatisch schließlich doch noch aus dem Raum bugsiert habe.

Wenige Minuten später wird die Frage dann auch geklärt. Ihr Schützling ist in der Tat in seinem Lauf auf einem hervorragenden 7. Platz eingelaufen, was hochoffiziell urkundlich bescheinigt wird. Zusätzlich landet das Team auf dem ausgezeichneten 5. Platz, ebenfalls urkundlich bestätigt. In der Zwischenzeit durchlaufen die Staffelläufer als Teilnehmer des letzten Laufes das Ziel. Familie X, die uns vorher mit der Hin- und Her-Melderei einigen Aufwand beschert hat, ist nun doch gar nicht angetreten, hat sich wahrscheinlich vom Regen abhalten lassen.

Apropos Regen: Er hat etliche Starter gekostet, die sich haben abschrecken lassen, dafür konnten wir aber eine ganze Reihe Nachmelder verzeichnen. Am Ende finishten 543 Einzelläufer und zusätzlich 10 Staffeln à 3 Personen. Damit fehlten dann nicht mehr viele bis zu den 600. Da es nach wie vor kalt und ungemütlich ist, treten die meisten recht schnell die Heimreise an. Kuchen gab’s im warmen Vereinsheim, die sind fast alle weg gegangen. Die Grillhütte dagegen steht draußen, wo’s kalt und nass ist. Von den 800 Würstchen und 300 Koteletts ist diesmal weniger als die Hälfte verkauft worden. (Unsere Kalkulationsbasis: Jeder Läufer bringt im Schnitt einen Begleiter mit, damit wären 2 x 600+ Personen zu versorgen gewesen. Da hat uns das Wetter nun einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht.)

Das Ereignis ist letztlich erfolgreich über die Bühne gegangen. Das Gelände leert sich. Ein Teil der Helfer ist noch im Einsatz. Die Strecke muss komplett wieder abgebaut werden: Flatterband ab, Stangen raus und in die Garage, Strohballen zusammentragen (unsere Voltigierer freuen sich wie jedes Jahr darüber), Geld zählen, Veranstaltungsbericht ausfüllen, den die amtliche Aufsicht abzeichnet, Reinigungsarbeiten. Meine Frau ist schon vorher mit H2. und R. zurück gefahren. Wir wollen zum Abschluss des Tages essen gehen. Als ich endlich um ½ 9 Uhr abends zuhause eintrudele, sind wir beide zu müde und rufen den Pizza-Service.

The day after

Den Sonntag wollten wir eigentlich ganz gemütlich und in Ruhe genießen. Aber kaum aufgestanden, fange ich an, die vielen Kleinigkeiten zu notieren, die wir beim nächsten Mal besser machen können. Jetzt ist alles noch ganz frisch. Ich formuliere ein Dankesschreiben an unsere Helfer, die unter schwierigen Bedingungen einen tollen Job gemacht haben: verdoppelte Teilnehmerzahl, mind. die Hälfte der Mannschaft unerfahren, unwirtliches Wetter, und doch hat alles am Ende hingehauen! Das will ich allen noch einmal sagen und ihnen für ihren Einsatz danken. Währenddessen treffen erste Mails ein, in denen sich Läufer und Betreuer für die Veranstaltung bedanken. Auch auf unserer Facebook-Seite gehen ähnliche Kommentare und viele „Likes“ ein. Ich freue mich, dieses Feedback in mein Schreiben einbauen und die positive Rückmeldung weitergeben zu können.

C., dessen Bruder viele Fotos von den Läufen gemacht hat, hat diese bereits am Sonntag auf Facebook eingestellt. Ich schicke daraufhin eine Mail an alle Teilnehmer mit Verweis auf die Fotos und einigen Anmerkungen zum gestrigen Lauf. So vergeht der „gemütliche“ Sonntag mit einer Fülle von Nacharbeiten. Gespannt bin ich nun – wie alle im Orgateam – auf den Tenor des Presseberichts. Bereits am Montag erscheint der Artikel, und alle sind happy und zufrieden. Die Überschrift lautet:

Neukirchen bot Crosslauf wie aus dem Lehrbuch

Es war viel Arbeit, es gab etliche Herausforderungen, aber es hat sich gelohnt!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Dieser Bericht ist besser als so manches Buch das ich zuletzt geslesen habe :daumen:
Unsereins sieht es als Starter bei Volksläufen immer als selbstverständlich an das alles in der Organisation perfekt funktioniert, ohne sich Gedanken drüber zu machen was da selbst bei "kleinen" Läufen für eine Arbeit drin steckt.
In diesem Sinne ein Hoch auf alle die dafür ihre Zeit opfern :danke:
Bild

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Sehr schöner Bericht :daumen: .
Als früherem Mitorganisator einer Veranstaltung in ähnlicher Größenordnung kam mir einiges bekannt vor. Und ja, die lieben Lauffreunde und ihre Angehörigen können ganz schön anstrengend sein :zwinker5:

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Tolle Leistung :daumen:

Jeder, der glaubt, das eine solche Veranstaltung mal eben locker von der Hand geht, wird eines Besseren belehrt.

Gruß Stefan
Beim Laufen lernt man die unterschiedlichsten Menschen kennen. Einige möchte ich gerne als Freund haben, andere wiederum......... :zwinker5:

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Hallo,

toller Bericht! Man vergisst immer wieder, welcher organisatorischer Aufwand und wieviel Herzblut bei den Machern hinter selbst "kleinen" Laufveranstaltungen steckt.

Respekt und Dank an alle Helfer!

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Hey,
das ist total toll geschrieben und war sehr spannend zu lesen und höchst informativ. Ich kann mich den Vorschreibern nur anschließen....ohne die vielen Helfer gäbe es die meisten Wettkämpfe wohl nicht.
Viele Grüße vom TT
Nordish by nature

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Moin,

Stellvertretend für alle Volkslauforganisierer - DANKE für euren Einsatz. Gestern den Kiel Marathon gelaufen, super Helfer, klasse organisiert - ohne euch würde nichts gehen, geschweige denn laufen!

Viele Grüße,
Lutz

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Danke an alle für die positiven Rückmeldungen! Ja, es steckt schon eine Menge Arbeit dahinter, so eine Veranstaltung durchzuführen, und ohne die vielen Helfer im Vorder- und Hintergrund wär das gar nicht machbar.
bones hat geschrieben:So lautet die Überschrift eines längeren Artikels bzw. Interviews mit burny in der neuen Spiridon. Eine nette Ergänzung zum Thread mit einem kurzen Steckbrief des TE.
Ich bin selbst überrascht, dass das praktisch in voller Länge und so umfangreich übernommen wurde.

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Hallo Bernd,

da ist man mal ein paar Tage nicht im Forum auf Laufbericht-Suche ... und dann die Überraschung ... ein Bericht von Burny ... und zwar einer der besonderen Art ... zwar ein Laufbericht ... auch von Burny ... aber aus einer anderen Sicht ... . Wie immer gut, spannend und unterhaltsam geschrieben ... und zeigt, dass Burny ein Genie ist .... Laufen, Schreiben, Organisieren ... weiter so!!!!

Viele Grüße
Andrea
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