Ein traditionsbehafteter Pflichttermin also, für den mein Mann und ich sogar ein Eurocup-Rennen ausfallen ließen. Diesmal hatte meine Firma drei Mannschaften für die 10er Strecke gemeldet, darunter erstmals ein reines Damenteam. Der Lauf sollte gleichzeitig mein letzter ernsthafter Laufwettkampf werden, bevor es bis zum Herbst auf zwei Rädern weitergeht. Ein anständiger Saisonabschluss mit einer neuen persönlichen Streckenbestzeit, also <42:42. Leider hakte es bei der Vorbereitung von Anfang an. Zuviel Arbeit, zu wenig Schlaf, zu zickige Achillessehne, zu knackendes Knie, es machte überhaupt keinen Spaß mehr zu laufen.
Vor allem die Woche vor dem Wettkampf war mehr als bescheiden, mit vielen Überstunden, extrem wenig Schlaf und praktisch Null Training. Dienstag versuchte ich noch ein Tempotraining, was aber ziemlich daneben ging wg. einfach zu k.o. Den Essener Firmenlauf am Mittwoch dann ganz easy gejoggt, große Leistungen wären da eh nicht drin gewesen. Nach dem Lauf wurde es dank des großartigen ÖPNV im Ruhrgebiet mal wieder Mitternacht, bis wir endlich im Bett waren, und morgens um halb 5 ging's weiter. Von Freitag auf Samstag dann fast 12 Stunden durchgeratzt und den Rest des Tages wie im Nebel rumgelaufen. Abends konnte ich natürlich nicht einschlafen, saß dafür aber am Wettkampfmorgen aus lauter Gewohnheit wieder um 4:30 senkrecht im Bett. Alles zusammen: beste Voraussetzungen für eine tolle 10er Zeit!

Kaum vor der Tür, fing es an zu schütten. Reduzierte sich netterweise bis zum Start um 10:15 wieder auf einen Wechsel von Niesel und Schauer. Startschuss: Ein Kilometer auf größtenteils glattem Asphalt leicht bergauf, dann einige Hundert Meter ganz steil nach oben auf richtig schlechtem Untergrund. Ein paar Hundert Meter flach auf halbwegs akzeptablem Boden, und dann ging es in den Wald, wo der Boden nach dem harten Winter schlimmer als je zuvor war. Diesmal eher ein Cross- als ein Straßenlauf. Strecke
Kurz vor dem Wendepunkt der 5er Strecke tauchte schräg vor mir plötzlich eine Mountainbikerin auf. Erst dachte ich, sie trainiert hier gerade zufällig. Als sie mit dem Läuferfeld in einen recht engen Weg abbog, war mir klar: Das muss die Freundin von einem der männlichen Läufer in meiner Nähe sein. Mist, Fahrradbegleitung ist doch verboten! Und dann passierten wir auch noch einen Streckenposten, der einen kritischen Blick auf meine Startnummer warf und etwas in sein Funkgerät sprach. Mir ging der Hintern auf Grundeis, und ich bereitete im Geiste schon meine Verteidigungsrede vor: Nein, ich kenne die wirklich nicht, die war nur rein zufällig in meiner Nähe, die hat mich nicht begleitet!
Inzwischen ging es bergab, dann wieder leicht bergauf, und jetzt drohten meine Oberschenkel zu streiken. Schon einundzwanzigeinhalb Minuten rum, und KM 5 noch nicht mal in Sicht. Das war es mit der angedachten 42:30. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, warum bin ich heute überhaupt aufgestanden?! Die Mountainbikerin fuhr immer noch schräg vor mir und hatte inzwischen ein paar Mal meine Position gecheckt. So langsam dämmerte es mir, dass sie doch mich begleitete, und das ganz legal. Wow, ich musste demnach an dritter Stelle liegen, mehr als ich zu hoffen gewagt hätte. Einer meiner Arbeitskollegen schloss von hinten auf, fragte mit Blick auf die Radlerin, ob ich aktuell erste Frau wäre. Ich japste "Nee, dritte", sie dreht sich um, grinst "Nee, erste!". Ufff, erstmal verdauen!
Dass ich die Führung nicht ins Ziel retten kann, war mir klar, denn demnach waren mindestens zwei Läuferinnen, die mich üblicherweise locker abhängen, zur Zeit noch hinter mir. Und spitzten ihre Beine vermutlich schon für den Endspurt, während ich jetzt schon aus dem letzten Loch pfiff. Aber wer nicht kämpft, hat schon verloren, also weiter über die schlammigen Holperwege gehetzt. Reichte leider nicht, um mit dem Kollegen mitzuhalten, der war dann doch zu schnell, um einen brauchbaren Hasen abzugeben. Kurz vor KM 8 ging es endlich wieder raus aus dem Wald - was ich im Training jedesmal bedaure, aber in diesem speziellen Wettkampf ist es jedesmal eine Erlösung. Glatter Asphalt, sanftes Gefälle, 2 km langer Endspurt. Da werden selbst die müdesten Läufer wieder munter, allerdings gilt das für die Konkurrenz genauso.
Also nicht locker rollen lassen, sondern weiterkämpfen. Tolle Anfeuerung durch das jetzt wieder zahlreichere Publikum am Straßenrand. Junge, ist das schön, in Führung zu liegen! Apropos, wo bleiben die beiden eigentlich? Bei KM 9 bin ich nicht mehr bereit, meine Position abzugeben, jetzt will ich auch als Erste durchs Ziel. 400 m vor dem Ziel eine scharfe Linkskurve, schön vorsichtig, jetzt bloß nicht auf den letzten Metern noch die angeschlagene Achillessehne schrotten. Wieder Holperstrecke, jetzt mit Zuschauerspalier. 300 m weiter zweimal scharf rechts, und auf die Zielgerade. Zwei Läufer übersprinten mich, beide männlich, Glück gehabt, und hurra, ich bin drin. Das war ja einfach.

Zielzeit? Vergessen auf die Uhr zu gucken, egal, ich habe gewonnen!!! Einen Lauf, dessen Siegerzeit bei den Frauen normalerweise bei 36 bis 37 Minuten liegt! Ein WAZ-Reporter interviewt mich, das kommt auch nicht alle Tage vor. Nach einem Liter Wasser und einer Stunde Pause bin ich bereit für einen locker getrabten 5er. Den Großen Berg kann man sich ruhig zweimal geben, das war auch das Motto meiner abendlichen Joggingrunde, als ich vor Jahren noch dort wohnte. Die Beine sind jetzt allerdings ziemlich müde, ich gönne es ihnen und forciere nichts mehr. Nach gut 23 Minuten ins Ziel und als erstes die Ergebnislisten des 10ers angesteuert. 42:40, naja, war doch noch okay, die Zeit. Nein, geschielt, da steht 41:40. Das ist nicht nur persönlicher Streckenrekord, das ist eine komplett neue Bestzeit! Leider nur Brutto, der Fluch der ersten 3. Hätte ich das geahnt, wäre ich weiter vorn gestartet und müsste jetzt nicht die Zeit schätzen, die das Geschiebe bis zur Startlinie gedauert hat. Mist, Yippieh, ich bin hin- und hergerissen.
Der Nachmittag und das Relaxen auf dem Sommerfest fällt im Wortsinn ins Wasser. Es kübelt inzwischen wie aus Eimern, und das konstant. Dauerregen in Schauerstärke. Sehr schade für alle Beteiligten, vor allem die Organisatoren und Helfern tun mir leid, die sich mal wieder echt ins Zeug gelegt hatten. Das hätte ein traumhafter Nachmittag werden können. Aber wie sagt der Duisburger: Wat willze machen. Für mich war ja trotzdem soeben ein völlig ungeträumter Traum wahr geworden. Jetzt noch dreimal zur Siegerehrung: Gesamtsieg, Altersklasse, und unser Damenteam hat ebenfalls gewonnen. Ich kann langsam nicht mehr in die Kameras grinsen, mir tun die Wangenmuskeln schon weh. Entsprechend sehen die Fotos auch aus.

Später zuhause beim Check der Mannschaftsergebnisse wandern die schlaffen Mundwinkel doch noch mal nach oben: Da steht sie endlich, meine Nettozeit, amtlich verbrieft, ligatauglich und vor allem für mich zum damit angeben. 41:35! Sämtliche möglichen Misserfolge auf Rennrad und -roller in den nächsten Monaten können mich nicht mehr schocken. Im Zweifelsfall kann ich immer noch sagen "Dafür habe ich den Tengelmann-Lauf gewonnen!".
