Nach meinem gelungenen Marathon genoss ich erstmal meine lauffreien Tage und vermisste das Laufen so überhaupt nicht. Ging nur zum Cross-Fit-Kurs mit anschließender Sauna und Reiten. Und ich legte essenstechnisch eine absolute Cheat-Woche ein und futterte, was das Zeug hält. Hach, war das herrlich…

Eine Woche nach dem Marathon verspürte ich dann doch wieder ein klein wenig Lust aufs Laufen. Also ganz gemütlich 5,5 km in 6:05er Pace gejoggt. Auf mehr hatten weder die Beine noch ich Lust. In der Woche danach habe ich dann die Läufe auf 7, 8 und 12 km verlängert, immer ganz gemütlich in 6er Pace. Die Beine fühlten sich mittelprächtig an und so nach einer halben Stunde hatte ich immer eigentlich gar keine Lust mehr aufs Laufen und es fühlte sich alles schwerfällig an. Der Gedanke an einen Wettkampf in naher Zukunft war mehr als weit entfernt.
Für den Sonntag hatte ich mir dann einen 15km-Lauf vorgenommen, damit ich in dieser Woche auf 42,2 km komme. Also in einer Woche insgesamt das, was ich vor 2 Wochen in einem Rutsch geschafft hatte. Der Lauf war dann mit einmal sowas von locker und fluffig, der Puls total niedrig, obwohl ich flotter als die letzten Tage unterwegs war. Das war schööön.
Und das allererste Mal keimte der Gedanke auf, dass meine Physio ja doch recht haben könnte. Da ist doch nächsten Sonntag wieder der Great 10K, der schnellste Zehner Deutschland, wo ich die letzten Jahre immer neue Bestzeiten gelaufen bin. Aber ach nein, ich hatte ja zu Schatzi gesagt, dass in nächster Zeit keine Wettkämpfe mehr anstehen. Abends beim Zeitungslesen der Berliner Morgenpost meint Schatzi zu mir: hier ist ein Artikel über den 10km-Lauf nächste Woche am Schloss Charlottenburg. Läufst du den dieses Jahr gar nicht mit? Wäre doch wie abtrainieren für dich… Öööhhhmmm, ja wenn du mich schon so fragst, könnte ich mich ja eigentlich noch anmelden. Der Lauf ist auch langschläferfreundlich erst 12 Uhr. Und zack, Nägel mit Köpfen gemacht und angemeldet. Nachdem ich in der M-Vorbereitung die 10km in 46:22 gelaufen war, sollte es dann jetzt schon ein Sub46 werden, das hatte ich mir eh als Jahresziel für 2022 vorgenommen.
Dienstag habe ich die Beine dann nochmal wieder auf schnelleres Laufen eingestimmt und bin nach Rückfrage hier im Forum auf die Bahn gegangen und 4 x 1000m Intervalle in Zielpace gelaufen. Ok, statt 4:35 wurde es dann 4:25 Pace im Durchschnitt, lief einfach so gut. Aber das waren natürlich auch nur 1000er Intervalle, die kann man noch ganz gut durchdrücken. Die restliche Woche nur noch 2 kürzere Läufe mit ein paar Steigerungen.
Wetter am Sonntag war super, 18 Grad, nur fast zu warm in der Sonne. Aber ich wusste aus den letzten Jahren, dass zumindest die zweite Hälfte der Strecke größtenteils im Schatten liegt. Beim Aufwärmen zeigte die Garmin beim Leistungszustand – 5… Hhhmmm, die Form wird doch jetzt nicht weg sein? Egal, locker bleiben, dieser Lauf ist einfach nur Zugabe. Genieße es, zumindest so lange es geht… Vorm Start wird noch die „Elite“ vorgestellt, Deborah Schöneborn ist auch dabei. Sie wird diesen Lauf bei den Damen mit neuer PB gewinnen.
Dann der Startschuss, auf geht’s. Die ersten Meter im Feld mitschwimmen und erstmal in Fahrt kommen. Kurzer Blick auf die Uhr, upsi 4:10er Pace ist dann doch etwas viel Fahrt. Also Tempo rausnehmen und nicht zu doll mitreißen lassen. Nächster Blick, 4:35er Pace, dass passt. Erster km geht lt. Uhr in 4:30 weg, das Schild kommt kurz nach dem Pieps. Die Garmin spuckt jetzt einen Leistungszustand von +11 aus, ich fühle mich auch großartig. Der zweite km geht leicht bergab, hier lasse ich es bei 4:20 – 4:25er Pace rollen. Dementsprechend km 2 mit 4:23 lt. Uhr.
Plötzlich kommt von hinten die Sub45-Pacerin an mir vorbeigelaufen. Da es immer noch tendenziell minimal bergab geht, bleibe ich einfach mal hintendran. Das ist jetzt aber eine 4:15er Pace… Hapüüüh… Auch als nicht mehr bergab geht, bleibt die Pacerin in diesem Tempo. Das ist mir dann doch zu heftig und ich bremse ab. Die Truppe um die Pacerin entfernt sich dementsprechend von mir. Ich drücke "ihren" Zöglingen die Daumen, dass sie vom Tempo nicht gekillt werden. Trotz wiederholtem Abbremsen bleibt meine Pace aber auch zwischen 4:20 und 4:25. Eigentlich zu schnell, ich befürchte einen Einbruch in der zweiten Hälfte. Anderseits läuft es einfach, der Puls ist auch völlig im Rahmen. Also beschließe ich es zu riskieren und einfach so weiterzulaufen und zu schauen, wie weit ich komme.
Zwischen km 4 und 5 geht es zwischendurch etwas bergauf, ich nehme etwas raus. Die 5km-Messmatte passiere ich in 22:23. Puuuh, jetzt das ganze nochmal, ist doch jetzt schon ganz schön anstrengend… :schwitz2

Schon im Zoo kann ich wieder beschleunigen, allerdings merke ich, dass ich jetzt besser keine 4:20er Pace mehr laufen sollte. Auch km 6 bleibt unter 4:30. Vielleicht geht ja heute schon eine Sub45 ? War ja eigentlich erst für nächstes Jahr mein Ziel gewesen. Allerdings ist es jetzt schon sehr anstrengend und das soll noch 4 km so gehen? Jetzt kommt auch noch leichter Gegenwind dazu, so ein Mist, das werden noch lange Kilometer. Ich suche mir jetzt Windschatten und laufe abwechselnd hinter zwei Männern her. So geht es besser, kein Wind mehr zu spüren.
Bei km 6,5 kommt eine Wasserstelle. Ich würde eigentlich sehr gerne etwas Wasser trinken und mir auf den Kopf gießen. Allerdings laufe ich recht weit links und die Wasserstelle ist rechts. Außerdem spüre ich, dass ich jetzt auf keinen Fall aus dem Rhythmus kommen darf und einfach nur weiterlaufen muss. Also verzichte ich aufs Trinken und bleibe im Windschatten. Immer einfach weiterlaufen, laufen, laufen, laufen…
Die letzten 3 km sind wirklich nur noch oll, ich kriege definitiv nicht genügend Luft, auch wenn der Puls noch was anderes sagt. Ich will diverse Male einfach nur stehenbleiben und Luft holen. Meine Windschatten sind jetzt 2 Meter vor mir. Ich versuche krampfhaft, das Tempo halbwegs beizubehalten und dranzubleiben. Gar nicht so weit vor mir sehe ich die Sub45 Pacerin, sie hat ihr Tempo dann wohl doch etwas gedrosselt. Das Ziel Schloss Charlottenburg ist schon zu sehen, kommt aber einfach nicht richtig näher. Der letzte Kilometer ist nur noch beißen, ich kann das Tempo hochhalten, aber schön siehts bestimmt nicht mehr aus und es fühlt sich beschi**en an. Jetzt ist der Zielbogen zu sehen, ein letzter Blick auf die Uhr, sieht gut aus… Die letzten Meter ziehen sich wie Kaugummi, ein Zielsprint gibt es nicht mehr, die Lunge pfeift auf dem letzten Loch.
Dann endlich, ich laufe durch den blauen Zielbogen und über die Messmatte. Uhr abdrücken und einfach nur stehenbleiben. Das tut sooo gut. Der Ordner will mich gleich weiterschicken. Ich japse nur kurz irgendwas von 2 Sekunden und versuche, wieder genügend Luft zu kriegen. Überraschenderweise geht das nach ein paar Sekunden schon wieder ganz gut und ich schaue auf meine Uhr:
Die habe ich bei 00:44:41 (offiziell 00:44:40) abgedrückt – YEEEAAAHHH – Sub45 !!! Wie geil ist das denn bitte?!


Ich gehe weiter und hole mir meine sowas von verdiente Medaille ab. Bei der Nachzielverpflegung hole ich das unterwegs ausgelassene Trinken nach und lasse einen Becher nach dem anderen meine ausgedörrte Kehle runterfließen… Aaahhhh… Als letzte Belohnung dann noch ein lecker Bier, sogar mit Alkohol. So muss das. Ich genieße es zusammen mit Schatzi in der Sonne stehend.
Was für ein Laufjahr 2022 für mich!!! Absolute Top-Bestzeiten über die HM- und M-Distanz und jetzt noch über 10 km die Sub45 als krönenden Abschluss!!!