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Philosophischer Halbmarathon oder der letzte Waldmeister

Philosophischer Halbmarathon oder der letzte Waldmeister

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Im Auto höre ich gerne anspruchsvolle Sendungen: Gute Musik, tiefschürfende Diskussionen, avantgardistische Hörspiele. Mein Fahrstil ist dabei angepasst. Sollte also irgendwann ein roter Toyota Aygo langsam vor euch hertuckern: Nicht ärgern, der Fahrer konsumiert Kultur.

Heute kommt passend zu meiner Anfahrt zu einem spontan ausgesuchten Abend-Halbmarathon eine Sendung über die Philosophen Hannah Arendt und Martin Heidegger. Eine richtig gute anregende Sendung, die mal wieder zeigt wofür man seine Gebühren gerne gibt: Da kann man was lernen, z. B. daß der Heidegger, den ich bisher für einen etwas anrüchigen Blut-und-Boden-Existenzialisten gehalten habe (ich darf da übrigens durchaus ein bißchen mitreden: Habe mal 4 Semester Philosophie studiert, und war dann immerhin so schlau geworden daß ich kapiert hatte, daß das nichts für mich ist), ständig sowas von geile Dinger raushaut :idea: : "Alles Wesentliche geschieht jäh!" "Nicht zweifeln, nicht rätseln, einfach sein" oder "Ich will daß du seist, was du bist". Boah, nicht schlecht, oder? Und wenn man die Äußerungen der beiden bemerkenswerten Denker - die Sendung besteht hauptsächlich aus dem Briefwechsel - so verfolgt, wie sie ständig alle Gefühle, alles Geschehen reflektieren, weiterdenken, in Zusammenhänge stellen, hinterfragen, dann wird einem ganz philosophisch zumute.

Da könnte man z.B. mal drüber nachdenken was man gerade tut: Ich fahre nach Leonberg-Warmbronn um dort einen Halbmarathon zu laufen. Alles ist grau, es regnet. Ich werde dort gute 2 Stunden unterwegs sein, es wird anstrengend sein und vermutlich nicht sooo toll. Es kostet 20 Euro. Gibt es da irgendeinen Sinn? Eigentlich nicht: Es ist dort nicht schöner, hier könnte ich auch 21 km durch den Wald laufen. Die 20 Euro könnte ich für ein schönes Abendessen ausgeben: feinste Pasta, Bio-Gemüse, gereifter Parmesan, anständiger Wein. Die eingesparte Anfahrtszeit könnte man nützen um das zu kochen: Das wäre Sinn-voller. Es bleibt nur ein ethisches Argument, ich laufe da mit, weil man solche Läufer auch braucht. Was wäre die Guten, wenn es die Schlechten nicht gäbe. Und außerdem hoffe ich ja auf der Strecke nette Menschen zu treffen: Schon wieder eine philosophische, ja geradezu sophistische Erkenntnis: Nicht alles was wahr ist hat mit Philosophie zu tun.

Kaum angekommen höre ich in der Sporthalle wie einer zum anderen sagt "Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß!" Bravo, das ist sozusagen die Primitiv-Macho-Version von Heidegger. Dann kanns ja losgehen mit dem philosophischen Halbmarathon: Eigentlich fühle ich mich wohlpräpariert: Nach dem Marathon vor 4 Wochen habe ich zunächst nur gemütliche kurze Läufchen gemacht, und als die sich immer normaler anfühlten habe ich ein Schippe aufgelegt. Mal 3-5x2000 meter in 11:20, mal 16 Kilometer im Wald. Alles locker. Ich bin durch das Marathontraining irgendwie langsam geworden, Tempi mit 5.XXmin/km fühlen sich irgendwie schnell an, aber alles ist gut, und ich will heute ja auch nicht schnell rennen. Eigentlich nehme ich den Halbmarathon nicht richtig ernst. Wie immer bei diesen kleinen Veranstaltungen in der Region nehmen nicht viele teil, wie immer sind die alle eher schnell, wie immer geht es zick-zack mit verschiedensten Runden durch den Wald. Gut gefällt mir der Name: "Waldmeisterlauf"! Während ich auf den Start warte kommen die Nordic-Walker an, und ich darf auch hier neue Erkenntnisse gewinnen: Ich habe Nordic-Walking ja immer für eine Alibi-Veranstaltung gehalten: Ein Alibi für Sport, aber dann kommt hier nach 53 Minuten der Sieger über 8,3km rein (!), mit einer Figur wie ein 3h-Marathoni, komplett in Hightech-Kompressionskleidung, und 71 Jahre alt. Nicht schlecht!

Mittlerweile ist das Wetter besser geworden: Blauer Himmel, angenehm warm. Und es geht los! Die Strecke ist vom Regen schön matschig, aber wirklich nett anzuschauen. Die hellgrünen Buchenblätter glitzern in der Sonne, es geht mal rauf mal runter, die Läufer sind schnell weit auseinandergezogen. Doch, doch, das hat Sinn hier zu laufen, das macht Spaß, ich habe keine größeren Ambitionen, würde aber schon gern mit 6min/km hier durchlaufen. Was auch die ersten 8 Kilometer mühelos funktioniert. Doch dann schlägt Heidegger zu "Alles Wesentliche geschieht jäh!" Kurz nach Kilometer 8 fühlt es sich jäh so an, wie es sich (noch) nicht anfühlen sollte: anstrengend. Ich mag wohl ein schlechter und unerfahrener Läufer sein, aber eine Wahrheit weiß ich gewiß, wenn sich bei Kilometer 8 bim Halben etwas nicht richtig anfühlt ist das definitiv ein schlechtes Zeichen. Vorerst geht es abwärts in den Ort und über die Zeitmessung bei der halben Strecke. Eine Helferin (die sind alle total nett!) ruft mir zu "Die Hälfte ist schon geschafft!" ich rufe zurück "Ja, leider erst!" Da haben wir schon wieder eine lupenreine philosophische Fragestellung: Optimismus und Pessismismus: Ist das Glas halbleer oder halbvoll! Ist der Halbmarathon schon halb geschafft, oder wirds jetzt erst richtig schlimm. Ich neige heute situativ zur pessimistischen Seite.

Ein paar Kilometer weiter hat sich meine Erkenntnis "jäh" deutlich verschärft: Das wird heute ganz unangenehm. Ich überlege ernsthaft ob ich die Strecke verlasse und mich irgendwie zum Zielgelände durchschlage. Aber ich habe keine Ahnung wo ich bin, und es ist nicht sicher daß die Sache dadurch kürzer wird. Ein Päärchen hat zu mir aufgeschlossen und läuft erstaunlicherweise nicht flott vorbei sondern bleibt lange bei oder gar hinter mir. Vielleicht ist es mein Zürich-Marathon-T-Shirt das ich stolz spazierentrage, das mir ein wenig Rest-Respekt einbringt. Irgendwann ist es aber auch damit vorbei, die beiden ziehen (durchaus langsam aber nicht erreichbar) davon. Jetzt bin ich auch noch ganz allein, und es ist keinesfalls sicher daß überhaupt noch irgedeiner hinter mir ist. Zeit zum Philosophieren: Woran liegts, daß das hier überhaupt nicht läuft: Wars die Wanderung am 1.Mai (oder zumindest die verschiedenen alkoholischen Getränke die diese begleitet haben), wars das Krafttraining am Donnerstag, das die Muskeln kaputt gemacht hat, oder die etwas zu beherzt gelaufenen Steigerungen beim Abschlusstraining gestern. Keine Ahnung, aber wofür haben wir Heidegger: "Nicht zweifeln, nicht rätseln, einfach sein": Genau, ich bin halt ein lausiger Sportler und einer mittelschweren Halbmarathonstrecke nicht wirklich gewachsen. Mißmutig trabe ich weiter vor mich hin.

Kaum mehr erwartet noch ein kleiner Lichtblick. Bei Kilometer 18 holt mich eine ebenso junge, wie freundliche, wie hübsche Frau ein. Und anstatt aus einem kleinen Überholmanöver etwas Motivation zu gewinnen, bleibt sie bei mir. Erklärt auch sofort daß es ihr alleine schwer gefallen sei, und sie lieber mit mir zusammen laufen möchte. Und auf mein umgehendes Geständnis, daß ich nicht garantieren könne, auch nur auf bescheidenstem Niveau durchzulaufen, meint sie, man könne auch hin und wieder ein paar Schritte gehen. Soviel Glück habe ich garnicht verdient und schon die alten Griechen (die Philosophen!) wußten: "Den Glücklichen strafen die Götter". Wir sind noch keinen Kilometer zusammen gelaufen - und haben ein wenig geplaudert: Sie läuft hier ihren ersten Wettkampf: Sie hat den Halbmarathon genommen weil sie damit rechnet aufgeben zu müssen und das bei 5 oder 10 Kilometer zu peinlich findet (Ein interessanter, um nicht zu sagen, philosophischer Ansatz) - kaum sind wir also ein wenig zusammen gelaufen kriege ich Krämpfe. Selbst jetzt bleibt das liebenswürdige Wesen stehen, und fragt ob sie helfen kann. Ich schicke sie freundlich aber bestimmt weg: Jetzt muß wirklich jeder alleine sehen wo er bleibt. Bei mir bleiben die Krämpfe (immer wieder: mal Wade, mal Oberschenkel, mal Zehe)

Als bedauernswerte Laufruine humpele ich die letzten Kilometer voran. Die nimmermüden Helferinnen und Helfer tun was sie können: Eine ruft mir enthusiastisch zu: "Mitmachen ist alles". Nunja das ist eigentlich nicht meine Lauf"Philosophie", ich finde eigentlich schon daß man die Strecke mindestens so bewältigen sollte, daß man erhobenen Hauptes durchkommt. Der nächste - ich bin gerade am langsam gehen - philosophiert eher taktisch: "Prima, jetzt schonen und dann die letzten paar Meter noch schön laufen". Je nun. Wieder die nächste übt sich in der philosophischen Tugend des Mitgefühls: Weil ich gerade mal wieder versuche anzulaufen, sagt sie "Wegen mir müssen sie nicht laufen". Tue ich ja auch nicht, den Stolz hab ich mir abgeschminkt, ich versuche zu laufen daß es irgendwann mal ein Ende hat. Nach 2:17: irgendwas laufe ich in ein auf den ersten Blick leeres Stadion ein: Der Sprecher kündigt mich umfangreich mit allen Daten an. Klar er hatte ja auch jede Menge Zeit und nichts Besseres zu tun. Nur wofür? Es ist ja niemand da, und ich weiß ja wenigstens noch wer ich bin und für welchen Lauftreff ich hier peinlicherweise antrete. Um hier als der letzte Waldmeister einzulaufen. (Später sehe ich in der Ergebnisliste daß tatsächlich noch zwei fast 10 Minuten nach mir gekommen sind, aber erstmal bin ich gefühlt Letzter). Das kann man nur noch philosophisch nehmen: Denn eins ist ja klar und wahr zum Thema Letzter: Eine(r) muß es machen. Und heute hab ich es gemacht: Aus der Erkenntnistheorie zur praktischen Philosophie. Aus Gedanken werden Taten. Martin Heidegger: "Ich will daß du seist, was du bist"

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Ganz großes Lese-Kino ;-) Danke für die gute Unterhaltung!

Und trotz Deines geknickten Hauptes: Glückwunsch zum finish!
Hoffentlich blieb es ohne Nachwirkungen!

LG,
Finny

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Sehr amüsanter Bericht und die Querverbindungen und Parallelen zur Philosophie machen ihn doppelt so gut.
Ich denke mal jeder hat schlechte Läufe gehabt und wird auch, solang er weitermacht, schlechte Läufe haben. Das gehört dazu.

Viel Erfolg weiter auf der Strecke und in der Philosophie. Das Gute ist, dass wenn das eine nachlässt, das andere immer aufblüht. :teufel:
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5 Km : 20:37 - 19.06.2011 Kaiserslautern
10 Km : 42:24 - 19.06.2011 Kaiserslautern
15 Km : 1:08:24 - 26.04.2014 Mainz
21,1 Km 1:36:28 - 10.04.2011 Kaiserslautern
Marathon 3:59:24 - 11.05.2014 Mainz
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