R-Wert ist eine Schätzung und hat einen relativ hohen Fehler. Der wird ja sogar angegeben, bei den Werten von gestern 7T-R 0,93 [0,85 - 1,03] und beim 4 Tage [0,65-0,96]. Das heißt auch nicht, dass der R-wert 100% sicher in dem genannten Intervall liegt, sondern zu etwa 95% nach den Berechnungen des RKI. (Das sind knapp zwei Standard-Abweichungen, bei genau 2 Sigma sind es dann 95,4 % oder so ... Sigma-Regeln nannte man das wohl in der Oberstufe.)
Die Dunkelziffer ist eine geschätzte und dazu dynamische Zahl, und die spielt natürlich eine Rolle, wenn wir Zusammenhänge zwischen r-Wert und Neuinfektionen abschätzen wollen. Wir könnten da jetzt möglicherweise mit etwas mehr Substanz hochrechnen seit der Münchener Studie, aber große Fehler bleiben.
Wir haben ja gesehen, dass der Anteil an Verstorbenen an den positiv Getesteten massiv gesunken ist, Höchststand waren mal ca 4,7 % im Juni, mittlerweile sind wir bei 1,8% und die Zahl sinkt seit Mitte Juni kontinuierlich (in erster Näherung ist die Kurve seit 19. Juni streng monoton fallend, Schade übrigens, dass diese gute Nachricht nicht häufiger Thema in den Medien ist.) Für die fallende Kurve gibt es verschiedene mögliche Ursachen, eine wird vermutlich eine niedrigere Dunkelziffer durch die höhere Zahl an Tests sein, eine weitere könnte besserer (Selbst-) Schutz der Risikogruppen sein, weiterhin gab es mehr Tests bei Menschen ohne Beschwerden, die dann im Infektionsfall eher milde Verläufe haben.
Die 1,8% sind immer noch nicht die reale Sterblichkeit, die dürfte weitaus niedriger liegen, über die Höhe gibt es noch keinen Konsens in der Wissenschaft und mit einem gewissen Fehler wird man auch bei dieser Zahl leben müssen.
Wegen der unterschiedlichen Testzahlen und Dunkelziffern sind die aktuellen Zahlen auch nur bedingt mit denen aus dem Frühjahr vergleichbar. Es ist wiederum nicht möglich, das genau abzuschätzen, wenn wir die Zahlen aus dem Frühjahr verdoppeln haben wir imo einen besseren Vergleich (und dann sehen die aktuellen Zahlen nicht mehr ganz so krass aus, aber das ist zugegeben eine grobe Schätzung.)
Ein wenig genauer probiere ich es mal: KW16 waren 36885 positiv bei 408348 Tests, Positivquote 9,03 %.Wenn wir diese Positivquote mit den ca. 1,5 mio tests aus KW 44 multiplizierten, kämen wir auf über 145000. Es ist aber nicht anzunehmen, dass die Positivquote im April so hoch geblieben wäre, wenn mehr als 3x so viel getestet worden wäre, also können wir mit den über145000 auch doch nicht so viel anfangen. Alternativ könnten wir mit verschiedenen geschätzten Dunkelziffern multiplizieren ... Faktor 2 wirkt auf mich gar nicht so falsch, aber es haben bestimmt schon Menschen mit mehr Aufwand versucht, das genauer zu machen.
Insgesamt bleiben Schätzungen Schätzungen, auch wenn man sich über Hochrechnungen viele kluge Gedanken machen kann. Die absoluten Zahlen sind für viele erst einmal beeindruckend, geben aber nur ein sehr unvollständiges Bild wieder. Der Anstieg ist zumindest etwas langsamer geworden diese Woche, kann man vermutlich eher noch nicht auf die neuen Maßnahmen zurückführen. Hab mal ein wenig rumgespielt und wöchentliche Zunahme beim 3 Tages-Durchschnitt berechnet. Da komme ich für heute auf den niedrigesten Wert seit dem 3. Oktober. Die Kurve für die Intensivpatentien folgt logischerweise verzögert, ist aber da auch jetzt schon unseriös, weiter mit einem zu hohen, starren Wachstumsfaktor zu rechnen.
Immer wieder: Wir sollten zugeben, wie wenig wir wissen. Zahlen sind geduldig.
