Ich steh im Startblock. Meine Zielzeit hab ich eigentlich von 4:15 auf 4:30 für heute heruntergesetzt. Und doch sehe ich den 4:14 Ballon und stelle mich kurz dahinter und überlege, einfach mal mit 6 min pro KM loszulaufen. Oh weh, die Sonne kommt raus! Laufen bei Sonne bedeutet für mich immer gleich auch einen höheren Puls. Und im Verhältnis zu den letzten Wochen soll es auch noch relativ warm werden. Also ermahne ich mich wieder, nicht zu schnell anzugehen. Ich muss kopfschüttelnd feststellen, dass doch einige Läufer bekleidet sind wie im tiefsten Winter. Es geht los… stockend… ich starte im Rosbacher Block (zwei Blöcke hinter den Staffeln) und nach ca. 12 Minuten darf ich endlich über die Startlinie laufen. Die Stimmung am Straßenrand ist toll und ich laufe locker los, hab aber irgendwie gar kein Gefühl für mein Tempo. KM 1 drücke ich bei 5:48 ab. Ach Du liebe Güte, viel zu schnell! Tempo rausnehmen… KM 2 ist mit 5:56 eigentlich immer noch zu schnell und mein Puls jetzt schon viel zu hoch. Aber ich laufe locker und kann nebenher noch gut quatschen. Ich lasse mich dazu verleiten, das Tempo weiter zu laufen; auch, weil ich jetzt Zick-Zack laufen muss, um viele Staffelläufer zu überholen. Klar ist das organisatorisch kaum anders machbar, als einen extra Staffelblock zu haben, aber müssen einige Staffelläufer mit einem Tempo von ca. 8 min pro KM auch noch zu zweit, zu dritt quatschend nebeneinander laufen? Bei KM 5 steht meine persönliche Uhr auf 29:33. Eigentlich immer noch etwas zu schnell. Ich bin sogar so vermessen, dass ich mittlerweile beide 4:14 Zugläufer überholt habe. Ob sich das nicht rächen wird? Mir ist jetzt schon warm und ich trinke nen Becher Wasser und auch noch ein paar Schlücke Rosbacher Sport. Den Schwamm ordentlich eingetunkt und Arme, Nacken, Gesicht sowie Kopf wässern. Der Schwamm wird heute noch eines meiner wichtigsten Utensilien werden. Und das, nachdem ich ihn vor zwei Jahren kein einziges Mal benutzt habe.
Bei KM 6 wird mir zum ersten Mal so richtig bewusst, dass mir bisher noch nicht so richtig bewusst war, was ich hier eigentlich tue. Oh Mann, ich laufe Marathon! Ein Musiker am Straßenrand spielt gerade den Refrain von „Highway to hell“, als ich vorbei komme. Gemeinsam mit ein paar Läufern strecke ich den Arm nach oben und singe mit. Gänsehaut. Und die Hoffnung, dass dies für mich nicht die Straße in die Hölle werden wird. Ich sauge dieses Mal die Stimmung von Straßenrand lediglich auf und hab richtig Spaß am Laufen. Man, ist das toll heute! Kurz vor KM 10 krame ich mein erstes Gel raus. Ich hab mir fest vorgenommen, konsequent ab KM 10 alle 5 km bis KM 35 ein Gel einzuschieben. KM 10 passiere ich locker laufend und immer noch Spaß habend bei 59:30. Nur mein Puls beunruhigt mich doch etwas… der bleibt einfach konstant hoch. Und ich hab Durst. Wo zum Teufel ist der Getränkestand??? Weit und breit nix zu sehen. Hab ich ihn verpasst? Kann doch nicht sein. Und endlich, bei ca. 11 km steht das Schild „In 200 m Verpflegung“. Ich drücke mir das Gel rein und schnappe mir zwei, drei Becher hintereinander bei der Verpflegung.
Und dann halte ich Ausschau, denn hier irgendwo werden Petra und Gaby stehen. Und da sehe ich auch schon Petra, wie sie wild winkt und ruft. Schade, das wird das einzige Mal sein, dass ich sie sehe, denn ihr Mann ist drei Blöcke vor mir gestartet und folglich auch viel schneller. Ein Stück weiter auf der ersten Brücke für heute stehen Gaby und Hubi, schön

Es dümpelt so vor sich hin, aber ich laufe immer noch locker. Ein paar kleiner Publikumsnester sorgen für willkommene Abwechslung und KM 20 passiere ich bei 01:59:01. Nur noch ein kurzes Stück, dann ist die Hälfte geschafft. Wow, Halbmarathon bei 02:05:39, das sind etwa 6 Minuten weniger als vor zwei Jahren.
Aber schlagartig passiert etwas mit mir – oder in mir. Ich versuche mit aufzumuntern, indem ich mir sage, dass ich ab jetzt die KM runter zählen kann aber ich fühle mich irgendwie plötzlich gar nicht mehr so frisch. Mir ist immer noch sauwarm und der Puls steigt. Plötzlich vom Straßenrand ein „Super, Daniela, weiter so… Du siehst noch gut aus!“ Oh je, ist es also wirklich so weit? Ich fühl mich nur nicht mehr frisch sondern man sieht es mir schon an? Oh weia, und das so früh. Kurz darauf, etwa bei KM 22 in Schwanheim, sagt gerade ein Sprecher durch, dass wir uns die 75.000 EUR abschminken können, da die sich bereits einer abgeholt hat… Nicht zu fassen… die sind im Ziel, als ich gerade mal die halbe Strecke hinter mir habe. Und dann kommt auch noch die Schwanheimer Brücke und mir brutzelt die Sonne aufs Hirn. Die Steigung merke ich in den Beinen eigentlich nicht, werde aber trotzdem langsamer (bin jetzt bei 6:10 im Schnitt) und da passierts… die beiden 4:14 Zugläufer überholen mich. Ein letztes Aufbäumen meinerseits aber ich kann nicht mithalten. Bei KM 25 stehen 02:30:08 auf der Uhr und mir wird langsam ein bisschen mulmig im Magen. Das Gel nehme ich trotzdem und trinken werde ich auch, solange ich kann!
Endlich geht’s ins Stimmungsnest Höchst, aber die Steigung auf der Bolongarostraße kommt mir richtig brutal vor. Frankfurt hat nen ebenen Kurs, aber die paar Höhenmeter tun irgendwie trotzdem weh. So langsam geht es wieder Richtung Innenstadt… aber da wird’s erst mal einsamer. KM 28 – Mann, reiß Dich zusammen, sind doch nur noch 14 km, was ist das schon! Aber langsam wird mir immer mulmiger im Magen. Nein, eigentlich ist mir nicht mulmig, mir ist richtig übel. Ah, ein freies Dixie… trinken tu ich wohl genug; muss pullern. Ich geh rein und bin ganz schön am Wackeln. Aber Moment mal, das ganze Dixie wackelt. Ich hab Mühe, mein Gleichgewicht zu halten. So, wieder trinken und einfach mal ein paar Schritte gehen… Ich zwinge mich, wieder loszulaufen und werde mich zwingen, bis zur nächsten Getränkestation zu laufen. Auch wenn die Versuchung, weiterhin zu gehen, sehr groß ist. Viele um mich rum haben dieser Versuchung bereits nachgegeben. Mir ist immer noch speiübel… trotzdem das nächste Gel bei 30 km reinziehen? Ja, verdammt, werde ich. Mein Tempo schwankt und liegt im Schnitt ca. bei 6:30. KM 30 passiere ich bei 03:02:31. Hier wird mir zum zweiten Mal heute so richtig bewusst, was ich hier eigentlich mache… ich laufe nen Marathon. Und langsam zweifel ich daran, ob ich heute finishen werde.
Häh? Was ist das? Ein süßlicher Duft… wo kommt der denn her? Ich fasse es nicht, das ist doch ein Läufer da rechts neben mir mit ner dicken, fetten Tüte in der Hand. Im Nachhinein kann ich nicht mehr bezeugen, obs wirklich ein Läufer war aber in dem Moment war ich mir sicher. Sachen gibt’s…
So langsam sieht man nicht nur gehende Läufer sondern auch liegende… am Seitenrand – mit und ohne Infusionen. So langsam überlege ich, ob ich es schaffe, einfach zum nächsten Getränkestand weiter zu laufen (verdammt, wo kommt der denn endlich?), ob ich gehen oder doch lieber kotzen soll. Ich schaffe es bis zum nächsten Getränkestand aber da gehe ich wieder ausgiebig, bevor ich mich zwinge, weiter zu laufen. „Scheiß drauf!“ pushe ich mich… „sind doch nur noch bepisste 10 km, Mann! Da ist ne lockere Trainingsdistanz, stell Dich nicht so an!“ (Sorry für die Ausdrücke, aber Fäkalsprache fand ich in der Situation sehr angebracht *g*). Bei ca. KM 34 sehe ich Pumuckel am Straßenrand stehen und uns Läufer anfeuern. Läuft der heute nicht mit? (An der Ergebnisliste werde ich heute Abend sehen, dass er mitlief… und letzter wurde. Wahrscheinlich hat er wieder in diversen Kneipen Halt gemacht *g*). Und dann endlich, KM 35, zurück in der Stadt bei 03:36:59. Fast nen 7er-Schnitt die letzten 5 KM. Mir ist immer noch speiübel, aber ich ziehe mir das letzte Gel rein. So langsam hab ich wieder Hoffnung und denke auch, dass ich alles bei mir behalten werde.
Die nächsten 5 KM sind mir in wirrer Erinnerung. Mal super Abschnitte mit super Stimmung, mit der mich das Publikum richtig gepusht hat; dann wieder einsame Abschnitte mit hin und wieder Gehen und mal wieder Pinkeln im Dixie. Ich bin irgendwie leer… nicht nur die Speicher im Körper, sondern auch der Kopf. Bei KM 39 sehe ich Gaby und Hubi wieder. Und Andreas ist auch dabei, der mir zuruft „die Kenianer sind gerade erst vorbei“ Irgendwie schaffe ich es dann doch, das KM-Schild 40 (bei 04:13:22) zu erreichen und plötzlich erwacht wieder Leben in mir.
Hier ist auch wieder richtig was los und jetzt sind wirklich nur noch lächerliche 2.195 km. Ein Hauch von nichts… Irgendwo hier überholt mich dann auch noch der 4:29 Zugläufer. Na prima. Aber halt mal, ist der nicht etwas zu schnell? Unter 4:30 sollte ich eigentlich noch gut schaffen, wenn ich jetzt nicht mehr zusammenbreche. Und plötzlich sehe ich einen rosa Puschel. Mensch, das muss der Puschel sein, von dem frauschmitt im Forum immer schreibt. Und folglich muss das da mit dem Puschel auch frauschmitt sein. Ich freue mich richtig, sie zu sehen, obwohl sie mich ja gar nicht kennt (bis auf vielleicht ein paar Einträge im Forum von mir). Aber das ist mir in dem Moment völlig egal. Ich laufe auf sie zu und rufe „Frau Schmitt!“ Sie schaut verdattert erst auf mich, dann auf meine Nummer… puschelt aber trotzdem für mich und ruft mir zu. Ich schaffe wieder nen KM von 6:31.
Vielen Dank Frau Schmitt!

Ich laufe fast euphorisch weiter… aber dann plötzlich zittert mein rechtes Bein in Höhe der Achillessehne. Es ist kein Krampf, aber vielleicht kurz davor? Ich bleibe kurz am Straßenrand stehen und dehne. Und dann laufe ich ein letztes Mal an. Yes! Ich werde gleich in diese verdammte Halle einlaufen! Vom Straßenrand kommen jetzt schon Glückwünsche und dass wir es gleich geschafft haben. Mein Körper zittert so langsam. Dann die letzte Kurve und ab in die Halle. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Arme hoch, runter, winken? Ich tue alles, irgendwie. Soll ich lachen oder heulen? Ich tue beides. Und endlich durchs Ziel! 4:27:59 – fast 5 Minuten langsamer als vor zwei Jahren. Das hätte ich auch einfacher haben können. Aber ich bin so stolz auf mich, dass ich es geschafft habe – die Zeit ist hier und jetzt egal. Und nächstes Jahr mit etwas mehr Vorbereitung und hoffentlich ohne Laufpausen wird das auch wieder besser. Was? Nächstes Jahr? Ich muss verrückt sein, gleich wieder an den nächsten Marathon zu denken *g*
Ich nehme mir ne Folie, geh raus, hole mir meine Medaille ab und da steht auch mein Mann Micha, der schon ne Weile auf mich gewartet hat – und auch stolz auf mich ist, dass ich es geschafft habe. Er fragt nach meinem Knie. Mein Knie? Ja, bis KM 15 hatte ich auch Angst, dass die Schmerzen wieder kommen könnten, aber mein Knie war heute brav. Genauso wie mein Oberschenkel und meine Wade. Dafür hatte ich heute ganz andere Probleme ;)
In diesem Sinne – Hammering Man, wir sehn uns nächstes Jahr wieder; und dann hoffentlich wieder nur bei Start und Ziel.
Gruß,
bibee