DerC hat geschrieben:Der Erfolge der USA in der LA beruht auf (Reihenfolge KEINE Wertung, kein Anspruch auf Vollständigkeit)
Das ist ja alles sehr überdeutlich zu sehen. Aber das ist eben der Istzustand, zu dem hin es eine Entwicklung gegeben hat. Der religiöse Einfluß auf diese Geschichte würde mich mal näher interessieren, aber da ist dieses Forum kaum der richtige Ort.
Zum Calvinismus in den USA: Ich denke, dass diese Ethik von den Siedlern und ihren Nachkommen erweitert bzw. um gedeutet wurde.
Das war ja auch der Sinn. In Europa wurden diese Leute religiös verfolgt, also ließen sie sich woanders nieder, wo sie ihre religiösen, politischen und sozialen Vorstellungen realisieren zu können meinten. Daß sie sich dann dort auch wieder mit europäischen Kolonialherren auseinandersetzen mußten, war so nicht vorgesehen, und damit war es dann ja auch formal ab 1776 wieder vorbei.
Die religiösen Wurzeln der Unabhängigkeitsbewegung scheinen mir vor allem in den Erweckungsbewegungen des 18. Jh. zu liegen, also einer stark individualistischen (und das heißt für damals, anders als heute: sozusagen "sozialistisch" orientierten) Richtung. Weil alle vor Gott gleich sind, haben auch alle denselben Anspruch auf ein (sorgen-)freies Leben, auf individuelle Rechte - eben auf pursuit of happiness.
Und wenn jeder seines Glückes Schmied sein darf, kann das Glück eben auch sehr unterschiedliche Formen annehmen, die man gern respektieren darf, auch wenn es nicht die eigenen sind. Eigentlich ist das so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was man seit Max Weber unter protestantischer Ethik versteht.
Das läßt Raum für alle möglichen persönlichen Träume, und dann gilt eben auch:
"The pursuit of happiness", wie es in der Unabhängigkeitserklärung der USA hieß, ist in den USA eben auch im Sport möglich und wird oft als erstrebenswert angesehen.
In D kommen bei großen Trainingsumfängen eher Unterstellungen und seltsame Fragen wie z. B: "Vernachlässigst du auch nicht deine Arbeit?", "Aber davon kann man doch nicht leben, warum investierst du dann so viel" oder "Vor was läufst du weg?"
Kann auch umgekehrt laufen: "Was? So viel km? Naja, ich müßte ja eigentlich auch mal... Mein Arzt meint ja..." So klingt's immer öfter.
Das betrifft übrigens nicht nur den Sport, auch bei anderen mit Leidenschaft betrieben Aktivitäten (Musik Kunst), die nicht direkt dem Broterwerb dienen, kommen hierzulande oft ähnliche Kommentare.
Das gilt überhaupt für Kultur. Übersetzungen von Fachtexten z.B. werden zwar nicht eben üppig bezahlt, aber man kann davon leben. Übersetzer für Belletristik werden dagegen meistens skandalös niedrig entlohnt. Aber was soll's? Sind eh bloß Kulturschaffende. Die müssen davon ja nicht leben, die gehen doch putzen.
Ansonsten kenne ich das glücklicherweise z.T. recht anders. Ich staune immer wieder, was Kinder schon im Grundschulalter oft für volle Terminkalender haben.
OK, das meiste davon ist, fürchte ich, elterlicher Ehrgeiz. Aber nicht immer ist es so, daß Eltern ihre Kinder ein Instrument lernen lassen, damit es besser in Mathe wird oder was weiß ich sonst noch. Viele Eltern wollen sich ja in ihren Kindern nochmal selber verwirklichen und mit ihnen nachholen, was sie selber früher nicht gepackt haben. Das kann man getrost unter "protestantische Arbeitsethik" einsortieren (ja, ich weiß, stimmt eigentlich nicht, aber momentan haben wir noch keine passendere Beschriftung für diese Schublade).
Auch die Kinder selbst sind nicht ganz unschuldig daran: Heute wollen sie dies, morgen lieber jenes einfach mal kennenlernen. Ist ja eigentlich auch nicht verkehrt. Aber wo es so viele Möglichkeiten gibt, bleibt oft alles unverbindlich und folglich auf der Strecke. Gilt natürlich ganz besonders für den Sport.
Aber manchmal habe ich eben auch den Eindruck, daß da Eltern kapiert haben, daß Schule nicht alles ist, daß es im Leben nicht in erster Linie darauf ankommt, für das BIP zu funktionieren und nur das zu tun, was sich rechnet, daß Zeit eben nicht Geld ist. Sondern daß es für die Kinder selbst auch wichtig ist, ihren Eltern frühzeitig etwas voraus zu haben. Das läuft dann zwar auch wieder darauf hinaus, daß die Kinder etwas lernen, das die Eltern nicht können, ob nun ein Instrument, eine Sportart oder sonstwas. Aber das Motiv ist dann nicht mehr die nachgeholte Selbstverwirklichung, sondern Hilfe beim Selbständigwerden. Dann haben die Kinder auch bald etwas, auf das sie wirklich stolz sein können und das sie dann auch gern vertiefen und ausbauen.
Damit mal wieder zu den langsamen Läufern (mit 1:40 für einen HM zähle ich ja auch noch dazu): Viele davon waren mal übergewichtig oder sind es noch. Viele haben nur notgedrungen angefangen zu laufen und geben es vielleicht bald wieder auf. Aber gerade dann, wenn sie sich aus solchen Motiven heraus auf den Weg gemacht haben, haben einige unter ihnen ja vielleicht auch erkannt, daß Erwerbsarbeit nicht der Sinn des Lebens sein kann. So ein Aufbruch, auch wenn er zaghaft ist und man als ambitionierter Läufer nur drüber lächeln mag, setzt doch schon ein gewisses Umdenken voraus. Je dicker der Schatten ist, desto langsamer kann man drüberspringen und desto behäbiger sieht das aus. Aber wenigstens bewegen sich die Leute. Mag sein, daß das mit der Zeit etwas verändert. Man soll den Tag nicht vor dem Abend tadeln.
Gruß
agha