Sonntag 10.04.2011 - Obermain-Marathon Bad Staffelstein
(Landschaftslauf, 690 Höhenmeter)
Ist es vernünftig oder sinnvoll, einen relativ anspruchsvollen Marathon zu laufen, nachdem man gerade mal 2 1/2 Monate wieder im Training ist, acht Tage vorher einen 5-Stundenlauf und 15 Tage zuvor auch schon einen eher knackigen Marathon absolviert hat?

Latürnich! Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es sogar die einzig logische Konsequenz!
Und abgesehen davon, dass ich eigentlich keine andere Wahl hatte - Staffelstein war vor drei Jahren so was von geil, da musste ich unbedingt wieder hin.
Die Vorbereitung war optimal - Montag 15 km- Tempodauerlauf, Dienstag und Mittwoch jeweils von 5:30 bis 19:30 im Büro, Donnerstag 8x500m Intervalle, Freitag 10 km locker. Am Samstag fiel mir aber noch siedend heiß ein, dass meine Laufschuhe seit dem Saaletal-Marathon keine Hügel mehr gesehen hatten - also dachte ich mir, so ein klitzekleines Läufchen mit ein paar Höhenmetern zum Brötchenholen kann doch am Tag vor einem "Trainingsmarathon" nicht schaden. Irgendwie sind dann 17 km mit 280 Höhenmetern Anstiegen im 5:30er Schnitt draus geworden und meine Frau musste etwas länger auf die Brötchen warten.

Nein, das hat nichts mit fehlender Vernunft, es war einfach höhere Gewalt! Die Morgensonne schien durch die Baumwipfel, die Vögel zwitscherten, und ich kann doch unmöglich schon wieder heimlaufen, wenn ich gerade mal warm geworden bin!
Am Sonntag früh habe ich das - sowie das gute Pfund Nudeln mit Bolognesesauce und die zwei Kellerbier vom Abend zuvor - natürlich bereut. Am liebsten wäre ich einfach im Bett geblieben.
Trotzdem stehe ich um 9:00 Uhr noch etwas fröstelnd und mich leise in mein Bett zurückwünschend in Bad Staffelstein am Start.
Ich hatte mir übrigens in einem Anflug von läuferischem Größenwahn (kommt bei mir Gott sei Dank nur selten vor) für sub3:50 zurechtgelegt. Irgendwie muss da ja eine Steigerung zur letzten Woche - rein - Höhenmeter hin oder her.
Peng, und schon geht's los. Anders als vor 3 Jahren fühlt es sich nach den ersten paar Minuten aber nicht locker flockig an, sondern wie harte Arbeit. Der Spaßlauf von gestern früh sitzt mir noch in Muskeln und Knochen und ein Rest der Bolognesenudeln feiert in meinem ein verspätetes chinesisches Neujahrsfest. Sieht also eher düster aus mit den sub3:50.
Ab km 2 geht's 4 km nur bergauf. Ich bin wie immer recht kommunikativ und lerne unter anderem Anton, einen blinden Läufer und seine Begleitung Dieter kennen, die die Anstiege relativ mühelos nehmen. Aber auch ich bin viel zu schnell unterwegs und bevor ich mich's versehe (eine Minute früher als geplant) oben angekommen. Das wird sich später wohl rächen. Trotzdem nehme ich bergab die Hand von der Bremse und lasse es einfach rollen.
Bei km 10 bin ich noch immer eine Minute zu früh, km 15 passt dann aber wieder. Und schon geht's nach Vierzehnheiligen hoch, in meiner Erinnerung das härteste Stück, über 2 km relativ steil bergauf, und dabei immer steiler werdend, und kurz nach der Kathedrale eine Brauerei, wo Dir alle Zuschauer ihr kühles Bier vor der Nase rumwedeln ("Ihr seids subber, Ihr habds fast gschaffd!"). Irgendwie mogle ich mich da aber auch vorbei, ohne einer ahnungslosen Seele den Krug aus der Hand zu reißen.
Bei km 18 oder 19 kommt uns dann der spätere Sieger entgegen - schaut schon beeindruckend aus. Ich will auch mal so schnell sein. Mein derzeitiger Laufabschnittsgefährte erzählt mir, das sei der Uwe Bäuerlein, der noch gar nicht so lang läuft und früher über 100 Kilo gewogen habe. Wow. Krasses Pferd.
Kurz vor der Halbmarathonmarke auf dem Staffelbergplateau wird es noch einmal anstrengend - ein kurzes aber blödsinnig steiles und enges Stück Schotterweg, auf dem einem die schnelleren Läufer plus Sonntagswanderer entgegenkommen.
Die Aussicht auf dem Plateau ist herrlich, ich halte mich aber nicht lange auf. Und obwohl ich bisher eigentlich ziemlich zügig gelaufen bin, war ich bei der HM-Marke auf einmal eine Minute hinter meinem Plan. Egal, durchgehalten hätte ich das ohnehin nicht, und 3:55 ist auch ok.
Also wieder runter vom Staffelberg, jetzt gehöre ich auch zu denen, die das Bergfest hinter sich haben und den langsameren Läufern entgegenkommen. km 21 bis 26 verlaufen recht unspektakulär, bei km 25 bin ich nun aber schon über 3 Minuten hinter meinem Plan (wie ist das denn passiert?), km 26 bis 29 geht es angenehm bergab, ich kann es richtig schön rollen lassen.
Das letzte Drittel habe ich von 2008 noch als eine schattenlose, etwas langweilige Unendlichkeit in Erinnerung. Und genauso ist es auch dieses Mal. Zwar nicht ganz so heiß wie vor drei Jahren, aber dafür bin ich deutlich kaputter als damals. Die Beine sind schwer und bis zum Ziel scheint es noch eine Ewigkeit. Glücklicherweise sind Anton und Dieter immer irgendwo in meiner Nähe geblieben, und so laufe ich von nun an ein paar Kilometer zusammen mit den beiden. Die nette Unterhaltung lässt mich meine Erschöpfung etwas vergessen. Die Verpflegungsstelle bei km 33 liassen wir aus. Kurze Zeit später falle ich dann etwas hinter den beiden zurück, kann aber trotzdem in einiger Entfernung dranbleiben.
Beim km 34-Schild fällt mir dann auf, dass der Forerunner bereits 35 km anzeigt. Normalerweise ist das Ding ja sehr zuverlässig, was die zurückgelegte Distanz angeht. Letztendlich gibt es vier Möglichkeiten: Entweder, das Ding hat sich irgendwo auf zwischen HM-Marke und jetzt verpeilt (Tor 1), ich bin gaaaaanz weit weg von der Ideallinie gelaufen (Tor 2), die Strecke ist länger als 42,195 km (Tor 3), oder die Schilder sind unsauber platziert und es kommen noch ein paar richtig kurze Kilometer (Tor 4). 1, 2, 3, oder 4 - ob Ihr wirklich richtig steht, seht Ihr, wenn das Licht angeht. Egal - ich gehe lieber mal davon aus, dass noch 8 km zu laufen sind.
Die nächsten 3 km ziehen sich dann wieder wie Kaugummi dahin. Kurz nach km 36 trinke ich nochmal einen Becher. Danach wird es knapp zwei langweilige Kilometer an Bahngleisen entlanggehen - Anton und Dieter laufen immer noch ein paar Meter vor mir.
Dann endlich das nächste Schild: Km 37. Und der Forerunner zeigt 37,77 km. Der letzte "Kilometer" hatte also gerade mal 800 Meter. Sieht also ganz nach Tor 4 aus. Mal sehen, wie es weitergeht.
Eine Gruppe von drei Läufern überholt mich (ich nenne sie "die Karawane"). Der eine hat ein 36. Rennsteig-SM-Finishershirt. So eins habe ich auch zuhause! Was der kann, kann ich also auch. Daher ich reiße mich nochmal zusammen und ziehe mit. Kurze Zeit später kommt das km 38-Schild - wieder nur 800 m seit "km 37".
Und da macht es auf einmal Klick. Erschöpfung und Wehwehchen sind im Handumdrehen vergessen, ich ziehe nochmal richtig an, lasse Anton und Dieter sowie die Karawane hinter mir. 3:40 min nach der km 38-Marke renne ich schon am km 39-Schild vorbei (wieder nur 730 m). Links ein kleiner Badesee - wie gern würde ich da jetzt reinspringen! Nix da. Weiterlaufen. Nach weiteren 3:49 min sehe ich km 40 (tatsächliche Distanz 770 m).
Die letzte Verpflegungsstation lasse ich links (oder rechts) liegen und trete das Gaspedal voll durch, ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn sich jetzt noch irgendwas verkrampft (hatte ich ja erst vor zwei Wochen), verkrampft sich's halt. No risk, no fun. Die letzten beiden Schilder nehme ich nicht mehr war und schaue auch nicht mehr auf die Uhr - ist mir eigentlich auch wurscht bei einem Runner's High Deluxe auf den letzten Kilometern.
Und da geht's auch schon durch eine kleine Unterführung ins Stadion rein. Es gibt einfach nichts schöneres, als eine halbe Stadionrunde ins Ziel zu rennen!
Meine Frau erwartet mich im Zielbereich, sie hat klasse Fotos geschossen. Na, dann schauen wir mal auf die Uhr, ob es mit den sub3:50 geklappt hat: Überraschung - es sind sogar 3:46:04 geworden!
Und jetzt kann ich mir endlich das abholen, worauf ich mich seit 42,195 km gefreut habe: Ein schönes kühles Bier (und zwar ein richtiges, nicht das hochgiftige alkoholfreie Zeugs) aus meinem Finisher-Bierkrug!
Fazit: Obwohl der kleine dicke Phönix noch immer nicht so schnell fliegen kann wie früher und mit seinen 91 kg noch mindestens 9 Kilo abnehmen muss, fühlt er sich nach diesem Lauf nun wirklich wie wiedergeboren, hebt mit kräftigen Flügelschlägen ab Richtung Harz, und wendet sein Haupt dabei auch schon Richtung ...
