Ich habe nachgezählt: Heuer bin ich bereits das neunte Mal dabei. Ein Klacks für meinen Gesprächspartner, den ich im Startbereich kennen gelernt habe. Er ist ein routinierter Ultraläufer - und er startet bereits zu seinem 25. Wien Marathon.
Ich habe mich heute für eine Kurztight und ein kurzärmliges Laufshirt entschieden. Es ist zwar noch kühl, aber die Sonne wärmt schon angenehm. Außerdem ist für den ganzen Sonntag Schönwetter angekündigt. Läuferherz, was willst du mehr?

Punkt 09:00 Uhr ertönt die Startsirene. Ich trotte gemütlich los. Erstens, weil das Gewühl enorm ist, zweitens, weil ich ohne Erwartungen in das Rennen gehe. Ich möchte einfach nur gut durchkommen und den Marathon als Trainingslauf für den Rennsteig SM nützen.
An der Spitze geht es gleich ordentlich zur Sache. Besonders wohl auch, weil Haile Gebreselassie angekündigt hat, den Marathonis ordentlich Dampf zu machen. Der Veranstalter hat eine Art Verfolgungsrennen ausgetüftelt und lässt den Äthiopier erst zwei Minuten nach den Marathon-Profis "von der Leine".
Ganze 12 Kilometer braucht der Weltrekordler, um bei seinem Halbmarathon-Rennen die Marathonspitze einzuholen - und auch gleich abzuhängen


Ich hab es dagegen angenehm: muss niemandem etwas beweisen heute, nicht einmal mir selbst.
Ich bin allerdings froh, den 6-Stunden-Lauf in Nürnberg in den Beinen zu haben. Das gute Ergebnis trotz bis dahin schlechtem Trainings stimmt mich auch für heute positiv.
Ich habe mir vorgenommen die Kilometer in einem 6er-Schnitt zu laufen, bin allerdings von Beginn an etwas schneller unterwegs. Durch die Prater Hauptallee, vorbei am Donaukanal und über die Ringstraße zur Wienzeile stehe ich immer leicht auf der Bremse. Immer locker, lautet die Devise.
Was mich auf der Wienzeile kurzzeitig etwas ablenkt, ist eine Läuferin vor mir, mit zuweilen fröhlich wippendem Laufrock und einem dezenten Nichts drunter, dass verdächtig nach Stringtanga aussieht

An der nächsten Labestation lasse ich Laufrock und Stringtanga hinter mir und wende meine Gedanken anderen Freuden zu: Ich habe die letzte Woche mit Gudrun und Freunden auf der Insel Krk intensiv Tennis gespielt. Zwei Läufe (jeweils 9,3 km) bei wundervollem Wetter an der in der Sonne in allen Blau- und Grüntönen leuchtenden Adria waren auch dabei.
Freitag nachts waren wir nach einer Woche mit schönstem Wetter wieder retour.
Am Samstag habe ich auf der Marathon Messe meine Startnummer und ein nagelneues Paar Asics DS Trainer geholt und am Abend war Fori-Treffen im La Norma. Moengel (Frank), PaulJakob, UlliL und Meerrunner (Harald) und Nobbie mit seiner Frau und seinen beiden reizenden Töchtern waren da und wir haben den gemeinsamen Abend sehr genossen.
Ich habe in der Nach zum Sonntag gut geschlafen, gut gefrühstückt und bin auch jetzte bei der Wende am Technischen Museum in die Mariahilfer Straße immer noch gut drauf.
Knapp vor KM 20 wartet Gudrun auf mich und überreicht mir ein Liquid Gel von Dextro Energy. Die Päckchen haben den großen Vorteil, dass ihr Inhalt ziemlich flüssig ist. Ein Nachtrinken ist daher nicht nötig.
Bei km 26 wird Gudrun wieder da sein - und mit ihr unsere Freunde Irene und Carlo, die mich auch immer wieder bei meinen Wien Marathons unterstützen.
Die HM-Distanz habe ich in 02:03:53 zurückgelegt.
Ich trabe den Ring entlang, biege in die Lichtensteinstraße ab, lasse den Franz-Josefs-Bahnhof hinter mir und quere die Brücke über den Donaukanal.
Schwupp - das geht alles so leicht heute. Ich steige wieder etwas auf die Bremse. Nur nicht übermütig werden, rede ich mir ein.
KM 26, gegenüber dem Schwedenplatz: Mein "Betreuerteam" ist da. Ich mache kurz halt. Gudrun hat noch ein zweites Liquid Gel dabei, Irene hält meine Laufambitionen fotografisch fest und freut sich mit Carlo über meine gute Laune.
Ich renne weiter und habe das Gefühl, dass heute einfach nichts schiefgehen kann.
Wieder im Prater passiere ich das KM30-Schild. Wow: Nur mehr 12 Kilometer, denke ich. Das mache ich mit links.

Die Wende am Stadion macht Spaß. Hier stehen auch heuer viele Zuseher und machen ordentlich Lärm. Ich biege wieder in die Hauptalle in Richtung Lusthaus ein.
KM33 - Es läuft nicht gut - es läuft super.

Ich umrunde das Lusthaus. KM34. Mir macht es immer mehr Spaß. Nur mehr 8 Kilometer.
Noch ein Kilometer abgespult und es geht raus aus der Prater Hauptallee zur Erdberger Brücke.
Ich biege ein zweites Mal in die Straße am Donaukanal ein und merke, dass ich LäuferIn um LäuferIn überhole.
Ich Spüre zwar meine Füße und meine Beine, aber nichts tut weh, der Atem geht ruhig wie bei einem lockeren Trainingslauf. So entspannt bin ich noch keinen Marathon gelaufen.
Meine Tempo ist wieder etwas höher geworden. Ich nähere mich Kilometer 40, wo Gudrun, Irene und Carlo noch einmal auf mich warten. "Mir geht es super", rufe ich ihnen zu und diesmal sause ich vorbei, denn heute habe ich Lust darauf, die letzten beiden Kilometer richtig Gas zu geben.
Ich gewinne damit zwar keinen Blumentopf, aber die Einsicht, dass es sich ohne Druck auch nach vier Stunden noch locker und schnell laufen lässt.
KM41: Ich biege am Schwarzenbergplatz auf den letzten Kilometer ein. Knapp vor der Oper macht eine hellblau gewandete Zuseherhorde mit irgendwelchen "Jog and Pray" Transparenten, die mir schon unterwegs aufgefallen sind, für mich ("für den Läufer im orangfarbenen T-Shirt" - wie der Zeremonienmeister der Gruppe ruft) die Welle. Ich grinse, winke und sause durch das Menschenspalier.
Die letzten 200 Meter haue ich mit ein paar anderen Verrückten noch einen Endspurt raus, als ginge es um Ruhm, Geld und Ehre.
04:08:33 lautet das Resultat. Ich bin die zweite Hälfte nur um 46 Sekunden langsamer gelaufen wie die erste.
Nach der Dusche treffen wir uns mit Frank, PaulJakob, UlliL und Harald noch beim Maria Theresien-Denkmal. Frank und PaulJakob kommen noch mit auf ein Bier und dann verabschieden wir uns. Der Marathon-Spaß hat hungrig gemacht und ich freue mich auf ein tolles Essen im wunderbaren Kent, einem türkischen Restaurant.
Mein Fazit zum 9. Wien Marathon: So schön kann laufen sein!
Liebe Grüße
Wolfgang