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Hamburger Trendforscher zu Mobiltelefone & Internetgemeinschaften

Hamburger Trendforscher zu Mobiltelefone & Internetgemeinschaften

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Hallo Ihr Lieben,

habe gerade ein köstliches Interview in der Wirtschaftswoche gelesen zum Thema SMS ("mediales Kraulen") & Internetgemeinschaften.... Viel Text für den gemütlichen Abend. Ich fand es anregend...:look:

„Wie ein Cremetiegel“

Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann über Mobil-telefone als digitaler Schmuck, SMS undInternetgemeinschaften.

Wippermann, 54, ist Gründer und Geschäftsführer des Hamburger Beratungsunternehmens Trendbüro. Seit 1993 lehrt er Kommunikationsdesign an der Universität Duisburg-Essen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er mit Andreas Steinle das Buch „Die neue Moral der Netzwerkkinder“.



Herr Professor Wippermann, jährlich werden 15 Milliarden SMS-Nachrichten mit dem Handy verschickt. Ist das Handymania oder SMS-Sucht?

Weder noch. Das Handy ist so beliebt, weil es zwei Bedürfnisse zugleich erfüllt: Man ist unabhängig und mobil, gleichzeitig eingebunden in eine soziale Gemeinschaft, also jederzeit erreichbar. Nach einer kanadischen Untersuchung führt schon das Signal für das Ankommen einer SMS zur Ausschüttung von Glückshormonen. Da findet eine Art mediales Kraulen statt als Ersatz für physische Nähe.

Wie wichtig ist dabei das Design der Geräte?

Sehr wichtig. Jugendliche sparen dafür an der Kleidung. Es geht eher darum, das coolere Handy als die schickeren Klamotten zu haben. Der Kleidungsstil ist heute extrem minimalistisch.

Und davon hebt sich das Handy als Modeartikel ab?

Eindeutig. Das Gerät hat die gleiche Ausweisqualität wie die Mode. In dem Moment, da ich mein Handy öffentlich nutze, können andere daran ablesen, wie ich die Welt sehe und zu welcher Gruppe ich gehören möchte. Zum Beispiel ist Weltmarktführer Nokia, trotz Einbußen, bei den Jüngeren immer noch sehr beliebt.

Was ist das Besondere an Nokia?

Nokia war die erste Marke, die Zitate der Surferkultur bewusst in Design umgesetzt hat. Sie hat die amerikanische Westküstenästhetik mit High Tech zusammengebracht. Jahrelang waren Nokia-Handys oval, ihre Form erinnerte an ein Skateboard. Das war ein Design, das von den Jüngeren verstanden wurde, das eine Rebellion gegen Mainstream-Produkte und eine Versportung von Technologie darstellte. Was bei den Vätern der Uhrenfetischismus, ist bei den Jungen der Handyfetischismus.

Die Uhr spielt als Schmuck für die Jungen keine Rolle?

Sie ist Teil des Handys. Es ist viel wichtiger, das Handy so zu individualisieren, dass es den persönlichen Geschmack ausdrückt und zugleich Anerkennung findet. Entscheidend ist dabei die Marke. Sie dient als eine Art Ego-Prothese.

Wie individualisiere ich mein Handy?

Durch ein persönliches Display, besondere Schalen oder das Herunterladen von 40-stimmigen Klingeltönen. Damit verdient die Musikindustrie inzwischen fünfmal so viel wie durch das Herunterladen richtiger Musikstücke. Einen eigenen Telefonsound zu installieren, ist heute fast Pflicht geworden.

Welche Töne sind out?

Bei Jugendlichen jede Art von klassischer Musik – außer der Nationalhymne. Die finden die Kinder cool, nicht die Eltern.

Es gibt inzwischen Handys am Hals oder am Finger und MP3-Player in der Snowboardjacke – ist das mehr als digitaler Schnickschnack?

Das ist eine konsequente Entwicklung. Die Geräte werden immer kleiner. Nokia oder Siemens bieten Handys an, die einem Schmuckstück ähneln und zugleich Bilder produzieren. Die Leute tragen heute einen Knopf im Ohr, wenn sie telefonieren. Das eigentliche Gerät verschwindet. Es ist absehbar, dass demnächst die ganze Technologie ans Ohr, an den Hals oder ins Textilgewebe wandert. Die Modemarken, die aus der Snowboardszene kommen, arbeiten schon mit Philipps, Motorola und Siemens daran.

Könnten die Geräte auch unter die Haut gehen?

Das wäre der nächste logische Schritt. Wenn man bedenkt, dass heute schon mehr als 35 Prozent der Jugendlichen Piercings und Tattoos tragen, ist ein Piercingring, der technologisch aufgeladen ist, nicht wirklichScience-Fiction.

Gibt es Anzeichen für eine Feminisierung des Designs?

Der Einfluss des Ornamentalen wird immer wichtiger. Das sieht man auch an der Rückkehr von Muschel- und Klapphandys. Die sehen aus wie ein Cremetiegel.

Die Benutzer werden immer jünger. Wird das Handy demnächst den Sandkasten ersetzen?

Es hat ihn längst ersetzt. In den USA gibt es Software für Babys und Kleinkinder. Beiuns werden in den Kindergärten Internet-diplome vergeben. Das ist so ähnlich wie der frühe Erwerb einer Fremdsprache. Computerkompetenz ist für Kinder Überlebensbedingung. SMS ist wie der Sandkasten ein Ort, der freigegeben wird von den Eltern, damit die Kinder ihr eigenes soziales Netz aufbauen und einander Achtung zuweisen oder nehmen. Das kann man gut bei Schülern beobachten: Während früher Hänseln oder üble Nachrede auf dem Schulhof stattfand, findet es heute per SMS im Unterricht statt.

Ist es ein Fehler, wenn Eltern ihren Kindern Computer oder Handy entziehen?

Mit dem computerfreien Kinderzimmer würde eine Lebensform kultiviert werden, die es außerhalb der Familie nicht mehr gibt. Kinder, die heute heranwachsen, leben und arbeiten morgen in einer anderen Welt als der herkömmlichen. Wer unter den Jugendlichen über zwölf Jahren kein Handy hat, wird nicht mehr wahrgenommen. Schlimmer ist nur noch, ein Handy zu besitzen und niemand ruft an. In dem Moment, wo man den Beweis hat, dass man erreichbar wäre, aber keine SMS bekommt, weiß man, dass man aus der sozialen Gemeinschaft, zu der man gehören möchte, ausgeschlossen ist.

Diese Angst haben doch auch Erwachsene.

Sicher, gerade die sozial Schwachen. Die tun alles mögliche, um mobil erreichbar zu sein, obwohl sie das objektiv gar nicht bräuchten. Für die ist dabei sein alles. Wer es sich leisten kann, das Handy auszuschalten, zählt heutzutage zu den Privilegierten, die genügend Kontakte haben und den Genuss der Nichterreichbarkeit auskosten können.

Wer im Zug ständig telefoniert, zeigt Proll-allüren?

In gewisser Weise ja. Früher war man als Handybenutzer im Zug privilegiert, weil man einen Informationsvorsprung hatte. Wenn aber 70 Millionen Geräte unterwegs sind, zählt freie, unverplanbare Zeit, die man mit Nachdenken verbringt. a

Wir erleben heute die erste Generation, die mit dem Privatfernsehen und dem Computer aufgewachsen ist. Welchen Einfluss hat das auf das Sozialverhalten dieser Generation?

Früher traf man Familie, Kollegen und Freunde im Einzugsgebiet von Wohnung und Arbeitsplatz. Heute wird das gemeinsame Leben über persönliche Medien organisiert. Die sind wie eine zweite Wohnung, wie ein neues Zuhause. Unsere wichtigsten Bezugspersonen sind abgespeichert in einer Datei und werden kontinuierlich abgerufen, wobei die Botschaften meistens Bestätigungen sind: „Denkst du an mich?“, „Ja, ich denke an dich.“ Die drei wichtigsten Informationen lauten immer: „Ich komme später, ich bin zu spät gekommen, ich stecke im Stau“ – wobei der Stau meist erfunden ist, um Zeit zu gewinnen und den anderen nicht zu verlieren.

Ein Triumph des Geschwätzes und der Lüge?

So wie die Primaten sich flöhen, so plaudern wir und bleiben damit in Kontakt. Es ist wichtiger, irgendeine SMS zu kriegen als gar keine.

Wie sieht es mit dem Internet aus, entstehen in den dortigen Foren Freundschaften?

Ein globales Internetangebot wie friendster.com zeigt, wie man Freundschaften schließen kann und Referenzen erhält, die einen für andere potenzielle Freunde attraktiv machen. Man kann Freundschaften geradezu sammeln und dadurch seinen Status innerhalb der Community verbessern. Quantitative Vorstellungen von Freundschaft werden immer wichtiger.

Aber Freundschaften lassen sich doch nicht organisieren. Die entstehen mit der Zeit...

...und das macht sie so kostbar. Trotzdem, was wir aus dem Geschäftsleben kennen, aus Rotary- oder Business-Clubs, spielt auch im Privatleben eine immer größere Rolle. Eine Vorselektion von Interessen,die deckungsgleich sind und es ermög-lichen, in bestimmte Freundschaftskreise einzutreten.

Sind die frei zugänglich?

Das ist unterschiedlich. Beim Yachtclub brauche ich Referenzen. Über dogster.com kommen Sie sofort mit anderen Hundehaltern ins Gespräch. Das ist wie im Park.

Wie beurteilen Sie die Stabilität der Gemeinschaften, die im Netz entstehen?

Es handelt sich in erster Linie um Organisationsformen, wie wir sie aus dem Schwarmverhalten der Vögel und Fische kennen. Man bewegt sich autonom und orientiert sich zugleich an den anderen. Und es steht uns frei, anders als den Tieren, den Schwarm zu verlassen. Das Interesse des Einzelnen, mit anderen in Kontakt zu bleiben, garantiert heute die Bindungskraft der Gruppe, nicht mehr die Tradition. Deshalb sind die Anforderungen an die Kommunikationsmoral auch viel höher als früher. Man muss den Kontakt immer wieder bestätigen.

Welche Rolle spielen die neuen Medien für die Anbahnung intimer Beziehungen?

Was da passiert, fasst man unter dem Begriff Social-wear zusammen. Die einschlägigen Internetseiten sind nichts anderes als eine optimierte Form der Partnersuche. Früher konnte man auf Partys bei Freunden die besten Liebesbeziehungen knüpfen, heute übernehmen virtuelle Freundschaftsnetzwerke diese Funktion.

Ist das der Tod des Flirtens?

In gewisser Weise ja, heute geht alles ökonomischer und schneller, da bleibt zum Flirten nicht viel Zeit.

Verändert sich dadurch auch unser Verhältnis zur Privatheit?

Es hat sich schon verändert. Die Privatsphäre ist vor 20 Jahren noch ziemlich wörtlich interpretiert worden. Bei der letzten Volkszählung etwa gab es einen Riesenaufstand und ein Verfassungsgerichtsurteil, das der Datenerhebung enge Grenzen gesetzt hat. Inzwischen werden 20 Prozent der gesamten Netzkommunikation strategisch überwacht. Auch im Internet hinterlässt der Benutzer Spuren, die man zurückverfolgen kann. Wegen der Terrorismusgefahr hat die Entschlossenheit des Staates, die Privatsphäre öffentlich zu machen, dramatisch zugenommen. Der Chef von Sun Microsystems, Scott McNealy, hat schon vor Jahren seinen Mitarbeitern gesagt: „Sie haben sowieso keine Privatsphäre mehr, gewöhnen Sie sich daran.“

Für manche Leute ist das doch eine verführerische Einladung zur Selbstdarstellung.

Sicher, es gibt im Internet diese entzückende Seite hotornot.com. Da können Sie Ihr Bild hinterlegen und bekommen dann von Interessierten Ratschläge, wie Sie sich optisch aufmotzen können. Die Selbstinszenierung wird zunehmen.

Macht das eitel?

Ja, Anerkennung erhalten wir nur, wenn wir anders auftreten als andere. Es gibt vom Institut für Demoskopie in Allensbach eine Untersuchung, nach der heute Selbstachtung eine geringere Rolle spielt als Fremdanerkennung. Das gilt für Internetauftritte, Handys, Tattoos und Piercings gleichermaßen. Sie sind ein Signal für diejenigen, mit denen man kommunizieren will.

Ist das nicht eine Pseudoindividualisierung?

Darüber will ich gar nicht streiten. Natürlich ist das eine gekaufte Identität.

„WER ES SICH LEISTEN KANN, DAS HANDY AUSZUSCHALTEN, ZÄHLT HEUTE ZU DEN PRIVILEGIERTEN“

Christopher Schwarz

Quelle: Wirtschaftswoche, 31/2004, S.132 ff.

Startnummer *2999* 19.09.2004 - Wachau Marathon

[ Dieser Beitrag wurde von Claus am 28.07.2004 editiert. ]

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Original von Claus:

Weder noch. Das Handy ist so beliebt, weil es zwei Bedürfnisse zugleich erfüllt: Man ist unabhängig und mobil, gleichzeitig eingebunden in eine soziale Gemeinschaft, also jederzeit erreichbar. Nach einer kanadischen Untersuchung führt schon das Signal für das Ankommen einer SMS zur Ausschüttung von Glückshormonen. Da findet eine Art mediales Kraulen statt als Ersatz für physische Nähe.
Ja und nein. Manchmal hasse ich ankommende SMS. Die verpflichten meist zu Antworten. Und um das zu vermeiden, rufe ich den Versender oftmals an und erspare mir so das Antworten. :D

Sicher, gerade die sozial Schwachen. Die tun alles mögliche, um mobil erreichbar zu sein, obwohl sie das objektiv gar nicht bräuchten. Für die ist dabei sein alles. Wer es sich leisten kann, das Handy auszuschalten, zählt heutzutage zu den Privilegierten, die genügend Kontakte haben und den Genuss der Nichterreichbarkeit auskosten können.
Geht das so einfach? Ich schalte mein Handy öfters aus, als manchem lieb ist. Also muß ich ein Privelgierter sein. :bounce:
Wer im Zug ständig telefoniert, zeigt Proll-allüren?

In gewisser Weise ja. Früher war man als Handybenutzer im Zug privilegiert, weil man einen Informationsvorsprung hatte. Wenn aber 70 Millionen Geräte unterwegs sind, zählt freie, unverplanbare Zeit, die man mit Nachdenken verbringt. a
Ich habe schon immer was gegen Prolls gehabt....




The jazz things in life.
Bild

www.smueve.de
Beweibt

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Nicht umsonst bekommt niemand meine Nummer.
Mich nervt es.

Und mein Klingelton hört sich an - na? wie ein telefon, unglaublich oder?


Da muss man ein Handy haben, was sogenannte Polyphone Klingeltöne beherrscht, um sein Telefon anhören zu lassen wie damals diese Wählscheibendinger. Und das wird noch als Feature verkauft.

Ich hasse telefonieren.

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#Quiqueg im QNet

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@Claus

Denke bitte mal daran das du, wenn du Texte 1:1 übernimmst bzw.kopierst, die Quellenangabe exakter nennst.
Du sparst dir als Zitierer und vor allem dem Webmaster des Forums eventuell viel Ärger, da aus Gründen des Copyrights gerade Verlagsgesellschaften manchmal sehr kniffig sein können.

Wenn du einen Link drauf legst erspart man sich eventuell viel Ärger.



Lutz

Permanenter-Pizza-Patriot

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Original von Der Hiddestorfer:
Denke bitte mal daran das du, wenn du Texte 1:1 übernimmst bzw.kopierst, die Quellenangabe exakter nennst
hallo lutz,
danke für den hinweis. habe exakte quelle ergänzt. link geht nicht, da nicht öffentlicher content

claus


Startnummer *2999* 19.09.2004 - Wachau Marathon

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Original von Uschi:
Original von Sisu:
Und jetzt geh ich auf hotornot :glow: (Gibt es da nicht ein deutsches Pendant?)
Hier kannst du gucken oder dich begucken und schätzen lassen :) )

Grüße
Uschi
Danke Uschi. :P
Habe ich vor Jahren mal von einer Bekannten gezeigt bekommen, und später nicht mehr gefunden.
Schon mal ausprobiert? Muss man sehr stark sein, um die Antworten zu überleben?

LG :hallo:
Sisu

Heute ist ein guter Tag zum Laufen
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