Unglücklicherweise feierte gerade am Abend vorher eine Freundin von mir Geburtstag - und es gab sooooo viele leckere, magenfüllende Sachen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so oft dankend Essen abgelehnt wie am Samstag Abend (die dachten alle schon, ich wäre krank oder geistig verwirrt). Es war eine Qual (vor allem beim Tiramisu). Zudem war ich einer der ersten, die gegangen sind (normalerweise gehöre ich zu den letzten, die man bei einer Party rausfegen muß). Aber ich hatte mir vorgenommen, in Nürnberg mein Bestes zu geben und nicht nach 5 km für ein großes Geschäft austreten zu müssen (ralfen heißt das hier glaube ich - oder gilt das nur für kleine Angelegenheiten?). Jedenfalls hatte ich noch einen Lauf von vor eineinhalb Wochen im Gedächtnis, wo mein mir Gastro-Intestinalsystem nach 6 km das Weiterlaufen unmöglich machte und mich hinter den nächsten Busch zwang (keine Taschentücher dabei und nur regennasse Blätter - gaaaanz toll). Das sollte mir bei einem Stadtlauf mit wasweißichwievieltausend Leuten auf der Strecke doch nicht passieren. Also nur ein Bier und eine Portion Nudelsalat.
Motiviert und nicht vollgefressen begab ich mich dann am Sonntag Mittag nach Nürnberg. Da wartete dann schon wie versprochen Sylvi auf mich, der erste Fori, den ich persönlich kennenlernen durfte. Hoffentlich seid Ihr anderen alle genauso nett. Sie hatte angeboten, für mich Zugläufer auf 1:40 h zu machen, da sie aufgrund einer Erkältung kein volles Tempo laufen wollte. Ich nahm das natürlich dankend an! Rennmaus kam auch kurz zum Treffpunkt und stellte sich vor, war dann aber gleich wieder verschwunden - wir haben sie nach dem Lauf auch nicht mehr getroffen, daher weiß ich nicht, wie es ihr ergangen ist.
5 Minuten vor Startschuß versuchten wir dann, uns durch die im Start-/Zielbereich eingepferchten Läufer zu einer guten Startposition vorzuarbeiten. Es war gar nicht einfach, Sylvi durch die zusammengedrängten Massen bis nach vorne zu folgen (das sollte die ersten Kilometer beim Laufen dann auch nicht besser werden). Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wievielen Leuten ich dabei auf die Füße getreten bin.
Dann kam endlich der Startschuß. Wie es bei der Menge nicht anders zu erwarten war, hingen wir den ersten Kilometer in einen großen Läuferklumpen fest, der sich am Anfang so gar nicht entknäueln wollte (ähnlich wie zu lang gekochte Spaghetti). Letztendlich war der Zeitverlust aber nicht wild - nach 5 Minuten und 11 Sekunden kamen wir am ersten Kilometerschild vorbei (glücklicherweise befanden sich die nicht in Knöchelhöhe), nur eine gute Viertelminute hinter der geplanten 4:45er Zeit).
Zu diesem Zeitpunkt war meine persönliche Zugmaschine Sylvi richtig warmgelaufen und begann, ein gnadenloses Überholmanöver durch die noch immer nicht vollständig entknäuelten Spaghetti-Läufer durchzuziehen. Dieses Schauspiel war - jedenfalls aus meiner und offensichtlich auch aus der Perspektive der von ihr überholten und oftmals total verdutzten Männerwelt - schlichtweg beeindruckend. Es war immer wieder eine schiere Freude zuzusehen, wie sie zwischen zwei langbeinigen 1,90-Männern hindurchwitschte und sich noch fröhlich-höflich für ihr plötzliches Auftauchen entschuldigte. Das einzig nachteilige an diesen Aktionen war, daß die überholten Läufer (die meistens zusammengehörten) immer unmittelbar nach Sylvis Durchmarsch näher zusammenrückten, um sich zu fragen, was für ein geölter Blitz sie da gerade gestreift hatte - nicht ahnend, daß diese flinke wendige Zugmaschine noch den 90-Kilo-Güterwagen Ishimori im Schlepptau hatte, der aufpassen mußte, nicht alles über den Haufen zu rennen, was Sylvi hinter sich stehen ließ. Ich hatte also einiges zu tun, um mit meiner Zugläuferin mitzuhalten, und bin vor lauter Sylvibloßnichtausdenaugenverlierenunddabeikeineleuteüberdenhaufenrenne n durch die eine oder andere Schlammpfütze geschlittert, die sich plötzlich vor mir auftat. Gott sei Dank warf
Sylvi immer wieder einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob ich noch hinterherkomme. Jedenfalls hatten wir beide einen Heidenspaß beim Laufen.
Ein lehrreiches Erlebnis war für mich auch die erste Trinkstation - mein Unterbewußtsein erinnerte sich da wohl noch an den Fränkische Schweiz-Marathon, wo es nur auf der rechten Seite Trinkstationen gab. Da ich an der ersten Station eigentlich noch kein Bedürfnis verspürte, etwas zu trinken, lief ich dementsprechend ganz links - und wäre fast in einen Haufen stehender Trinker gekracht. Ich machte mir kurz eine Note-to-Self: Bei Verpflegungsstellen ab jetzt in der Mitte Laufen!
Die Kilometer flogen nur so an uns vorbei, und wir waren super in der Zeit (Sylvi läuft wie ein Uhrwerk, nur noch etwas präziser). Nachdem sich auch die letzten Spaghettiläufer entwirrt hatten, konnte man nun auch an den engen Stellen (Unterführungen u.ä.) absolut frei laufen. Fast ein wenig schade - die Überholmanöver mit Sylvi hatten eigentlich viel Spaß gemacht.
Etwa bei Kilometer 9 ging es nach einer Unterführung leicht bergauf über eine Brücke: Sylvi fragte mich dort, wie ich denn mit Steigungen zurechtkäme. Kinderfasching, habe ich gedacht und antwortete ihr, daß ich damit keine Probleme hätte. Ich sollte meine Überheblichkeit aber sofort bezahlen: Die Steigung, auf die sie anspielte, kam erst nach der Brücke. Das Stück war nicht lang, aber gemein und atemraubend - oben angekommen, brauchte ich erstmal eine Zeitlang, um mein Tempo wiederzufinden (Sylvi hat`s dann letztendlich für mich gefunden). Es machte mir nur etwas Sorgen, daß ich diesen blöden Berg ja noch ein zweites Mal hinauflaufen müssen werde...
Relativ bald und voll im Zeitplan hatten wir dann die erste von den zwei Runden hinter uns. Das Tempo war angenehm und ich spürte noch keine Ermüdung. Noch nicht. Es schien so, als ob das halbe Publikum Sylvi kannte - aber, wenn die Leute ihr zuriefen, war sie meistens schon wieder weit weg...
Ab Kilometer 12 wurden mir dann die Beine schwer. Ich verfluchte mich und meinen dämlichen Größenwahn innerlich (schon bei 12 Kilometern? Warum habe ich mir nicht 1:45 zum Ziel genommen?). Was tun? Ich biß die Zähne zusammen und hängte mich verzeifelt an meine Zugmaschine.
Etwa einen Kilometer später meldete sich auch noch mein Verdauungstrakt mit der Nachricht "Ätsch, Du hast Dich gestern umsonst mit dem Essen zurückgehalten - ich mache Dir trotzdem das Leben schwer!" Na bravo. Wo ist hier das nächste einsame Gebüsch? Entgegen aller Befürchtungen beruhigte sich aber alles wieder und ich mußte mir um dieses Problem keinen Kopf mehr machen. Trotzdem wurde ich zunehmend langsamer, mochte ich mich auch noch so zusammenreißen. Sylvi merkte das auch recht schnell und stellte ihre Zugstrategie dementsprechend um: Sie lief immer etwa 10 bis 20 Meter und 3 bis 4 Läufer vor mir, so daß ich sie (und sie mich ebenfalls) gut im Auge behalten konnte. Sobald ich auf einen Meter an sie herankam, wurde sie wieder schneller. So holte sie die allerletzten aus mir heraus. Was mir in dieser Phase die schlimmsten Probleme bereitete, war die Tatsache, daß ich unaufhörlich an diese kleine gemeine Steigung denken mußte, die etwa bei Kilometer 19 wieder auf uns warten würde. Wenn ich nun bei Kilometer 14 schon so am abkratzen bin, wie soll ich denn da hinauf geschweige denn danach noch 2 Kilometer ins Ziel laufen?!
Ab Kilometer 15 ging`s dann wieder eine Zeit sehr gut. Meine schweren Glieder und der unaufhörlich grunzbellende Schweinehund interessierten mich nicht mehr. Einfach nur laufen. Und irgendwie versuchen, mit der nimmermüden Sylvi wieder auf gleiche Augenhöhe zu kommen.
[Alle, die sich leicht ekeln, sollten den folgenden Absatz vielleicht überlesen.]
Beim Laufen habe ich auch immer eine erhöhte Schleimproduktion und muß dementsprechend oft ausspucken. Irgendwann an einer Wiese, als es wieder soweit war, hatte ich mich anscheinend nicht genügend darauf konzentriert - jedenfalls hing mir auf einmal ein etwa ein Meter langer, dicker Sabberfaden vom Mundwinkel bis zu den Kniescheiben. Ich schaffte es noch, das Ding einmal nach links und noch einmal nach rechts zu schaukeln, ohne es an einem anderen Läufer abzuladen, bis es mir dann unausweichlich auf das Nürnberg-Stadtlauf-Funktionsshirt klatschte. Mmmmmh - großartig. Wenigstens hatten die anderen um mich herum da einiges zu Lachen (muß wohl wirklich lustig ausgesehen haben, wie ich versucht habe, um meine eigene an mir baumelnde Spucke herumzuhüpfen).
Irgendwann war er dann plötzlich da: Kurz, steil und unerbittlich. Sylvi wieselte die Steigung vor mir hinauf als wie andere eine Wasserrutsche nach unten. Und schon war es auch für mich vorbei. Ich habe sogar noch ein paar Läufer überholt. Beim ersten Durchgang ist es mir jedenfalls schlimmer vorgekommen.
Die letzten zwei Kilometer waren dann wieder eine relative Qual. Sylvi deutete an, wenn ich jetzt schlappmache, zieht oder trägt sie mich durchs Ziel. Da ich fast doppelt so schwer bin wie sie eigentlich keine ernstzunehmende Drohung - angesichts des gefährlichen Funkelns in ihren Augen wollte ich aber doch kein Risiko eingehen und motivierte nochmal alle Reserven.
Erst auf der Zielgeraden löste sie sich von mir und demoralisierte die Männerwelt ein letztes Mal mit einem ordentlichen Schlußspurt. Versuchend, es ihr gleichzutun, konnte ich auf die letzten 100 Meter dann auch noch etwa 15 Läufer, die kurz vorher locker-flockig an mir vorbeigetänzelt waren, hinter mir stehen lassen.
Beim Zieleinlauf sah ich auch das erste Mal seit Kilometer 13 auf die Uhr - und traute meinen Augen nicht: Da stand 1:42:22 - eine Zielzeit, mit der ich angesichts meines stetigen Langsamerwerdens (so kam es mir jedenfalls vor) nicht mehr im Traum gerechnet hatte. Zwar nicht die angepeilten 1:39:59, aber eine neue HM-PB, mit der ich überglücklich und zufrieden bin. Und es hat die ganze Zeit Spaß gemacht!





Eins ist jedenfalls klar: Die Zeit habe ich zum großen Teil Sylvi und ihrer Lauferfahrung zu verdanken. Besser als jede Pulsuhr. Ich bin noch bei keinem Lauf meiner maximalen Leistungsfähigkeit so nah gekommen, OHNE irgendwann einzubrechen. Ich hoffe, ich kann das irgendwann mal weitergeben und für jemand anderes Zugmaschine spielen.
Ich hoffe, das war einigermaßen lesbar und nicht zu überladen. Fotos wurden von meinen Streckenposten nicht all zu viele gemacht (war auch schwierig ohne Startnummern und alle mit dem gleichen T-Shirt); vor allem beim Laufen gibt`s nur eins von uns (ich bin derjenige rechts vorne, der versucht, hinter Sylvi herzuhecheln).
Ich wünsche Euch genauso viel Freude für Eure Wettkämpfe,
Stefan
P.S.: Sylvi, ich hoffe, ich habe Dich jetzt nicht zu sehr überbeweihräuchert. Ich freue mich jedenfalls auf`s nächste Wiedersehen in Bertlich!
01.11.1999 Shanghai-Marathon (HM): 1:50:30
05.09.2004 Fränkische Schweiz-Marathon (26 km): 2:36:39
17.09.2004 Bamberger Nachtlauf (9,2 km): 41:40
03.10.2004 Nürnberger Stadtlauf (HM): 1:42:22
31.10.2004 Frankfurt-Marathon (M): ??:??:??