6 Stunden später, nach einer P-Pause und dem anstrengenden Versuch, uns von "Ulf" nicht von der Autobahn schubsen zu lassen, trudeln wir auf die Landstraße zu. Das Navi meint, wir müssen nach links. Das Schild nach Bad Füssing zeigt nach rechts. Mit dem Navi hat man immer viel Spaß, deshalb trauen wir unseren Ohren statt den Augen und fahren nach links. Auf dem hintersten Weg nach Bad Füssing stellen wir fest, daß in Bayern jeder Zentimeter Feld gebraucht wird und die Wege dazwischen nur eine statt zwei Spuren haben.
Der spartanische Eindruck setzt sich fort, als wir unser Pensionszimmer beziehen. Egal, alles ist sauber und die Dusche ist nur 300 Meter entfernt und für Läufer kostenlos. Bei der anschließenden Ortsbesichtigung sind wir von den 3 Geschäften in der Einkaufsmeile völlig erschlagen und beschließen den Tag nach Pizza und Bier vorbildlich um halb zehn.
7.15 Uhr stehe ich am nächsten Morgen im Johannesbad und nehme mein Tütchen in Empfang. Mein Coach ist begeistert, daß die Organisatoren zwei Gutscheine für das Schwefelbad reingepackt haben. Auf dem Weg zur Pension sehe ich mir die 42-km-Marke nochmal genau an und ärgere mich darüber, daß es erst ab halb acht Frühstück gibt. Eine Stunde später kommt das "Taping" und die letzte Ölung, bevor ich meine Yoga-Matte ausrolle und ausgiebig dehne. Nebenbei stelle ich fest, daß meine HF schon bei 110 ist, obwohl ich noch keinen Meter gelaufen bin. Lampenfieber, eindeutig.
Auf dem Weg zum Start geht mir mein Coach verloren, der gleichzeitig auch mein Starfotograf ist und mich kurz nach dem Start dann doch noch mit dem Weitwinkel erwischt. 200 Meter weiter latsche ich fast Ishimori in die Hacken, der sich mit Greenhörnchen auf den Weg gemacht hat. Auf meine fluffig bekanntgegebene 3:30 meint Ishimori nur, daß ich mich dann wohl mal beeilen sollte und ich sehe zu, daß ich Land gewinne.In den Innauen fegt uns Orkan "Ulf" mit seinen Ausläufern mächtig um die Ohren, aber im Läuferfeld ist es noch recht kuschelig und ich komme gut voran. Für den Anfang pegele ich mich auf 10,5 km/h ein und beschließe, die HF komplett zu ignorieren. Nebenbei spiele ich mit der Entfernungsmessung rum, konzentriere mich dann aber wieder auf's Laufen.
Beim Ortseingangsschild von Hart denke ich darüber nach, ob man als Läufer abergläubisch sein sollte und ob ich ein Zeichen übersehen habe...

Bei Kilometer 17 (?) zücke ich die Tschibo-Schlappi-Mütze, die mir mein Coach sicherheitshalber mitgegeben hat, denn zum Wind kommt noch Graupelschauer. Bei Kilometer 19 rollen sie einen Läufer gerade in die stabile Seitenlage. Der Krankenwagen ist schon vor Ort, also weiter und nur nicht demotivieren lassen. Kurz vor dem HM-Ziel treffe ich den "Holbn" wieder. Sein "Do muast jetzt noch a rund !" kontere ich mit einem "Viel Spaß in der Therme !". Mein Starfotograf macht das Halbzeitfoto und mein Coach sagt mir noch was. Aber ich schwebe vorbei und mir geht's immer noch saugut.
Und dann kommt wieder "Ulf", diesmal schlägt er voll zu. Ich laufe Sturm und suche nach einem Windschatten vor mir, aber die anderen einsamen Läufer sind zu weit weg. Dafür hat sich prompt einer in meinen Windschatten geklemmt. Komm raus Du breitschultriger Feigling und schieb Deinen gestählten Hintern vor mir her, denke ich, aber er denkt nicht dran. Ich kämpfe mich an den nächsten Läufer ran. Er sieht aus wie ein Michelin-Männchen und kämpft wie ein Held. Leider sind das in der Jacke keine Muskeln, sondern Wind und seine Windjacke macht ihn langsam, zu langsam. Ich ziehe vorbei. Nach kilometerlangem, kraftraubendem Kampf erreiche ich endlich den Abzweig. Alle stöhnen erleichtert auf, weil "Ulf" jetzt nicht mehr frontal, sondern von rechts hinten angreift. Mir tut der Hintern weh und mein Magen fängt an, soviel Luft zu produzieren, als ob ich in ihn, und nicht in die Lunge geatmet hätte. Na prima, war wohl doch zu spät mit dem Frühstück.... Bananen und Tee beruhigen ihn nicht mehr. Bei Kilometer 30 ist mein Sound-Doping zu Ende und der MP3-Player wechselt von Techno zum isländischen Sprachkurs. Bei "Mir geht es sehr schlecht" auf Isländisch schalte ich den Player aus. Ich muß nicht noch hören, was ich schon weiß. An der nächsten Verpflegungsstelle stelle ich fest, daß die Kiddies doch nicht so doof sind, denn der Knirps, der in der ersten Runde die Becher noch mühsam eingesammelt hat, steht jetzt an der Strecke und hält einen blauen Müllsack auf. Clever, das muß belohnt werden, und so gehe ich 3 Schritte zurück und spende meinen Becher, anstatt ihn an die Seite zu flanken.
Bei Kilometer 38 kämpfe ich nur noch mit meinem Magen. Gerade als ich mir das Frühstück nochmal durch den Kopf gehen lassen will und vom Trab in den Schritt falle, kommt eine Läuferin von hinten und meint trocken : "Du willst doch jetzt nicht etwa aufgeben, 3 km vor dem Ziel ?! Los, komm mit !". Recht hat sie. Ich zeige meinem Magen den Mittelfinger (nur von außen) und schließe mich der Hardcore-Truppe an. Tempo- und Zeitgefühl sind mir völlig abhanden gekommen. Beides finde ich wieder, als wir an der Pension vorbeilaufen und ich das 42-km-Schild wiedersehe. 195 Meter weiter Zieleinlauf mit Foto, Medaille abfassen und dann auf die Liege zur Massage. Meine Hände und Finger sehen aus wie aufgeblasene Gummihandschuhe. Bis auf den aufreibenden Kontakt mit dem Brustgurt kann ich keine weiteren Kolateralschäden feststellen.
Im Thermenrestaurant erntet mein Coach verständnisloses Kopfschütteln, als er nachfragt, ob es auch normales Bier gibt, nachdem wir nur Weißbier vorfinden. Die Krönung ist dann die Schwefelquelle. In der 39° warmen Thermalbadewanne schlafe ich fast ein und gebe mir an den Sprudeln die finale Beinmassage. Fast 2 Stunden später gibt's als Belohnung noch das Neuzeller Marathonbier und einen Riesenteller Kohlenhydrate. Auf der vorläufigen Ergebnisliste entdecke ich meine Zielzeit - 3:58 - SUB 4 !!!
Am nächsten Morgen erzählt uns die Herbergsmutter vom "Unglücksfall" und legt uns die Lokalpresse auf den Tisch. Schockiert lesen wir, was am Tag vorher passiert ist und mein Coach kennt jetzt auch die Geschichte zu den Fotos, die er im Ziel gemacht hat. Trotzdem bin ich einfach nur glücklich - und lasse mich regenerierend von ihm nach Hause chauffieren ....