Klar Peter Greif hat mich wieder mit seinem Countdown gequält und letztes Mal hat es ja auch geklappt. Warum diesesmal Zweifeln? Weil es schneller ist, als letztes Mal? Immerhin wollte ich nach Frankfurt Ende Oktober letzten Jahres meine Bestzeit um mehr als 16 Minuten verbessern - ja geradezu einstampfen. Da ich aber alles ander als überzeugt war, da meine Endbeschleunigungen eher bescheiden ausgefallen sind, fing ich an, meine Zeit langsam aber sicher nach oben zu korrigieren. 3:40 wär ja auch schon was. Auf jeden Fall unter 3:45.
Den eigentlichen Plan habe selbst ich an der Stelle noch nicht erkannt, mein Unterbewußtsein strickte an einem perfiden Plan - die Weltherrschaft - oder soetwas in der Art. Also wog ich meine realen sowie virtuellen Gegner in Sicherheit. Klassisches VWGJ. Auf der anderen Seite wurden natürlich aus Reinem Kalkül - auch das war mir noch nicht bewußt - Mitleidsbekundungen an alle Mitstreiter ausgensandt, die an kleinen bis mittleren Problemen herumlaborierten.
Der Test: 15km TempoDL im Renntempo glückte, mehr noch, er fiel mir außerordentlich leicht. Nächste Stufe, Verwirrung stiften: sogleich wurde das Ergebnis nicht ohne Stolz verkündet. Peter meint, wenn man diese Zeit schafft, kann man das Tempo auch einen ganzen Marathon durch laufen. Mein Unterbewußtsein muss sich diebisch über die Vorstellung gefreut haben, die Gegner erfurchtsvoll erzittern zu wähnen.
Mit immer häufiger wechselnden Stimmungen "Das klappt, ich bin mir sicher" und "Au weia, na gut 3:45 ist auch eine Verbesserung" sowie "der zukünftige Stadtmeister soll sich noch einmal meinen Bild ansehen, denn auf der Strecke wird er nur noch meinen Rücken sehen" sollten die Gegner endgültig orientierungslos gemacht werden.
Samstag, nachmittag, Bonn. Es ist nicht besonders warm, gerade richtig für einen Marathon. Die Messe ist dort aufgebaut, wo sie immer aufgebaut war, es scheint sich zu den Vorjahren nichts verändert zu haben. Nur dieses Mal werde ich mitlaufen und nicht nur zuschauen. Leider hat der Veranstalter auf die Skater verzichtet - "Das ist der Untergang für Bonn" meint mein Kumpel Alex - klar er ist sauer, hatte er doch die letzten Jahre immer wieder an den Skater-Marathon teilgenommen. Die Startnummer baumelt schon längst in einem Kleiderbeutel an meiner Schulter. Gleich ist es 17 Uhr, mal gucken, wer so alles zum samstäglichen Vortreffen erscheint.
Schon aus der Ferne sehe ich einen Widersacher. Langsam aber sicher sickert es in mein Bewußtsein, der Plan. Kurzzeitig wird mir schwindelig. Soetwas hätte ich mir nicht zugetraut. Doch ganz in meiner Person gefangen konzentriere ich mich auf mein nächstes Ziel. Ich schleiche mich von hinten an und greife Pit an. Dieser geht sofort zu Boden, keine Chance. Ein kleines überhebliches Siegerlächeln huscht über meine Lippen. Wieder einer weniger. Angeschlagen rappelt sich Pit wieder hoch, hält sich die Wade - der hat gesessen.
Als wär nichts gewesen, warten wir, Bonsai, Pit und ich auf den Rest. Neben Junsa und Begleitung gesellt sich schließlich noch Odo zu uns, der nächste Fall. Viel schwieriger zu knacken, aber er hat ja Probleme mit dem Fuß. Trotz mehrfacher Versuche gelingt es mir aber nicht, eine gezielte Attacke auf diesen zu lenken. Immerhin muss es aussehen, wie ein Unfall. Schließlich gesellt sich auch noch Raul nebst Begleitung zu uns. Noch einer, ich biete ihm großmütig an, gemeinsamt die 3:30 zu laufen. Raul willigt ein. Irgendetwas wird mir schon einfallen - morgen auf der Strecke.
Nach ein paar albernen Fotos und Videoaufnahmen gebe ich mich meiner gezielten Vorbereitung hin, Pizza. Zugegeben, 18 Uhr ist etwas ungewohnt und später am abend bemerke ich wieder einen leichten Hunger, aber was tut man nicht alles für die Weltherrschaft.
Die Nacht verläuft unruhig. In einem Traum sehe ich mich zusammen mit einem Läufer mitten in einem Raum stehen, die Ausschilderung der Strecke zeigt nach oben. Ein Loch in der Decke. Wie um alles in der Welt soll ich so meine Zeit schaffen. Mühsam kletter ich nach oben und - wache auf. Was für ein bekloppter Traum.
Das Frühstück fällt etwas dürftig aus, 2 Brötchen mit Butter und Honig, ein Becher Tee. Obwohl ich sehr früh aufgestanden bin, schaffe ich es gerade so eben zur geplanten Zeit die Wohnung zusammen mit meiner persönlichen Betreuungs- und Groupietruppe zu verlassen. Mit der U-Bahn sind wir schnell in der Stadt, das Procedere kommt mir ser vertraut vor, obwohl ich in Bonn noch nie gestartet bin. Kurze Hose ist angesagt, klar, um Raul von der Strecke zu fegen, brauche ich alle Bewegungsfreiheit. Die Startblöcke sind schon gut gefüllt, als ich mich langsam zwischen 3:30 Hasen und anderen Läufern durch die Massen dränge. Raul ist nirgends zu sehen. Verdammter Mist, wenn ich nicht aufpasse, flutscht der mir noch durch die Finger.
"Da simma dabei - datt is prihimaa" los gehts, der Startschuß ist gefallen. Dadurch, dass zwischen dem schwarzen und grünen (meinem) Startblock eine Lücke gelassen wurde, können wir sofort loslaufen und es kommt zu keiner nennenswerten Stockung auf dem ersten Kilometer. Meine Renntaktik war klar: 14km im Renntempo plus ein paar Sekündchen, 14km im Renntempo und dann 14km "gucken, watt geht bzw. Weltherrsschaft - na sie wissen schon".
Sehr schnell sind wir auf der Kennedy-Brücke, wo ich schon aus guter Entfernung meine persönliche Groupie-Truppe erspähe. Meine Frau macht ein Foto, ihre Freundin jubelt. Keine (gefühlten) 10m weiter dann ein Rotschopf - das kann nur - genau, das Grünhorn schnellt mit dem Arm vor und versucht mir, eine Saftige Ohrfeige zu verpassen. Geschickt weiche ich aus, das hätte schnell schiefgehen können und vorbeigewesen wärs mit der Weltherrschaft. Chris und Heike schauen etwas überrascht wohl wegen der satten Geschwindigkeit, die ich vorlege.
Auf gehts nach Beuel. Dem Stadtteil,dem man die größte Feierwut der Bonner nachsagt. Wahrscheinlich haben sie das auch ausgiebig am Vortag getan, denn auf der Straße ist nur mäßig was los. Aus dem Augenwinkle taucht auf einmal eine bekannte Person auf - Raul. Er sei etwas weiter hinten gestartet. Sofort schießen mir die Tricks durch den Kopf, wie man vor seinen Vereinskollegen in der Rangliste auftaucht. Obacht Olli, da musst Du zum Schluß ein gutes Polster zwischenlegen. Krampfhaft arbeitet mein Hirn, wie ich wohl diesen Widersacher ausschalten kann. Vorerst laufen wir gemeinsam, so hab ich ihn wenigstens im Auge.
Die Kilometer verfliegen, schnell sind wir wieder auf der Kennedy-Brücke. Nach Chris, Daniela und Heike schauen wir diesmal vergeblich, die haben sich schon verpisst. Macht nichts, ich hab ja meine persönliche Gruppe dabei. Winkend laufe ich vorrüber, nur schwer kann ich mich zurückhalten, das Victory Zeichen in die Luft zu recken - später.
Gleich eineinhalb Kilometer später nochmal Lächeln für die Kamera. Jetzt gehts Rheinaufwärts Richtung Godesberg. Bei km14 steht Alex, etwas mürrisch schaut er ja schon aus, wäre wohl gern auf Skates dabei und würd mir beweisen, wie geil und schnell man mit den Teilen hier über den Kurs rasen kann, klar, in 1:13 - das ist aber zeitlich nicht mal annähernd am gelaufenen Marathon. Raul ist derweil immer noch an meiner Seite. Wir klatschen Hände ab und animieren die Leute am Rand zu Laola-Wellen. Sowas wär in Hannover nicht möglich. In Bad Godesberg ist richtig viel los. Viele Menschen stehen an der Strecke und tröten, jubeln, klappern mit Töpfen und dergleichen.
Immer noch ist mir kein geeigentes Mittel eingefallen, Raul zu Fall zu bringen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich immer mehr hinter ihm laufe. Nicht viel, nur ein oder zwei Meter. Ich lauere darauf, dass er einbricht. Bei Kilometer 26 wärs soweit, meint er, da wirds sich zeigen, was für eine Zeit drin ist. "Ja" - denke ich mir - "da wirds sich zeigen, da steck ich Dich in die Tasche". Als schließlich km 28 vorüberzieht, Raul sich immer wieder mal umdreht und nach mir ruft, wird mir klar, die Weltherrschaft werde ich heute wohl nicht an mich reißen können.
Etwas geknickt gestehe ich mir ein, dass ich wohl noch ein wenig dafür trainieren muß. Nichtsdestotrotz kann ich mit dem Training ja schon heute beginnen. Rauls immer kleiner werdende Rückansicht fest ins Auge gefaßt, renne ich weiter, bis irgendwann bei Kilometer 34 nichts mehr von ihm zu sehen ist. Auf mich allein gestellt schaue ich mich um. Klar, die Gruppe von Läufern, die mich schon seit einigen Kilometern begleiten. Mal vor mir, mal hinter mir. Wir haben uns eingependelt. Bei Kilometer 35 werde ich noch einmal von meinen Groupies angefeurt, das gibt Kraft. Denn jetzt wird es auf einmal unsäglich schwer. Zu allem Überfluß ist der Speicher meiner Uhr voll, Zwischenzeiten kann ich nicht mehr nehmen.
Von hinten kommt, ohne dass ich es merke, eine Frau angelaufen. Am Rand beugt sich ein Passant vor und versucht an mir vorbeizustarren, den Namen der Frau zu lesen. Bei mienr Ehre gepackt versuche ich, mich an sie heranzuhängen. Wir unterhalten uns, es lenkt ein wenig ab. Trotzdem knabbern jetzt selbst kleine Steigungen an meinen Muskeln. Einen Kilometer später muss ich auch die Frau ziehen lassen. Welch schmach.
Die Viktoria-Brücke über die Eisenbahn läßt mich noch einmal richtig keuchen, auch das runterlaufen bringt nicht die gehoffte Erholung. Verdammt, wann kommt endlich das beschissene Ziel. Immer noch 2 Kilometer zu laufen. Das kleine Postmännchen, welches ich bereits vor 5 Kilometern überholt hatte, ist wieder da. Zäher Bursche. Eine kleine Gruppe von 3 Leuten kommt angerannt, rufen mir zu "Komm, ett is nicht mehr weit, häng Dich ran - da simma dabei" - nä, auf singen kann ich jetzt nicht mehr. Zwar lass ich mich noch ein wenig von ihnen ziehen, muss dann aber abreißen lassen. Schneller als erwartet taucht die Fußgängerzone auf. Ok, jetzt alles geben, auf die Uhr hab ich seit 3 Kilometern nicht mehr geschaut.
Links sehe ich Sabine und Chris, sie jubeln mir zu, rechts meine Frau, ich gebe Gas, alles was drin ist. Schon vor dem Ziel reiße ich beide Arme in die Höhe. Auch wenn ich keine Uhr sehen kann, weiß ich, dass ich mein Ziel erreicht habe. Ich renn über die Zielmatte, trete fest auf. Man weiß ja nie. Stoppuhr. 3:28:35. Wieviele Urscheie, Siegerfäuste und Jubel ich noch ausgestoßen habe, weiß ich nicht. Nur, dass ich irgendwann Raul über den Weg laufe. Die Rennsau hat eine 3:25 irgendwas geschafft. Ok, vergessen ist die Weltherrschaft, scheiß drauf. Ich freu mich mit Raul und er sich mit mir, auch wenn ich das Gefühl nicht ganz los werde, dass da ein kleines überlegenes Lächeln über seine Lippen gehuscht sind.
Noch einmal treffe ich meine Frau nebst ihrer Freundin. Foto, Siegerkuß, ein paar Worte. Lange stehen kann ich nicht, ich merke, wie die Muskeln sich verhärten. Also gehe ich Richtung Viktoria-Bad und suche nach der Verpflegung im Zielbereich. Ein einsamer lächerlicher Wasserstand ist da. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Egal, ich kann mich nur schwer aufregen, haben die Endorphine doch gerade die Oberhand. Noch bevor ich meine Startnummer bei der Kleidersackverwahrung sagen kann, drückt mir ein Helfer meinen Beutel schon in die Hand. Erst jetzt bemerke ich, dass schon am Zelteingang einer immer auf die Nummern lugt und diese laut durchs Zelt zur entsprechenden Person weiterleitet.
Frisch geduscht mache ich mich auf den Weg, Medaille und T-Shirt will ich noch abholen, da fällt mein Blick auf einen Innenhof der Uni. Ein großes Rondel mit Marktständen ist da aufgebaut, Redbull, Cola, Obst, Brot, Wurst - alles, was das Herz begehrt. Sogar einen Stand mit Kölsch erblicke ich. Nach einigen Colas wandern so auch ein paar Kölsch gleich die Speiseröhre hinunter.
Am Messezelt treffe ich auf Sabine, Chris und Jörg. Jörg hat sich ganz gut über den Kurs gerettet, sah aber nicht besonders glücklich aus. Trotzdem: 3:13 muss man erst mal schaffen, da muss ich noch viel mehr trainieren, denke ich mir. Der Plan mit der Weltherrschaft kommt nur noch vereinzeilt hoch, eigentlich grinse ich nur noch darüber, shietegal.
Zu Fuß machen Jörg und ich uns auf den Weg, die anderen LA-Ler zu treffen. Jo hatte mich angerufen und mir bereit mitgeteilt, was für ein Ar*** ich doch sei, 3:28 - unerhört

Der Fußmarsch tut gut, Treppen gehen geht noch erstaunlich gut, Jörg tut sich da schon schwerer. Noch einmal gehts über die Kennedey-Brücke zum Bahnhöfle. Heike, Daniela, Jo, Susanne, Chris und ? (wer war das, ganz außen an der Wand neben Chris?) sind da. Leider löst sich die Runde viel zu schnell auf, da die HMs und Groupies schon seit einiger Zeit wohl dort gesessen und gewartet haben. Immerhin, ich hab sie noch getroffen.
Jörg und ich haben dann noch unsere Getränkegutscheine auf der After-Run-Party in Kölsch umgesetzt, danach haben auch wir uns getrennt. Zufrieden und immer noch mit einem breiten Grinsen gings dann Richtung Plittersdorf. Abends kann ich mich noch an einige Biere erinnern, bevor ich selig in die Kissen gesunken bin.

odie
PS: 2 Dinge verhinderten, dass ich in der Tageszeitung in der Ergebnisliste mit auftauchte: 1. ich war nicht aus der Region und 2. ich habe mit Platz 513 knapp die Zeit verpasst, denn es wurden nur Teilnehmer bis Platz 500 aufgelistet.
Offizielles Ergebnis: Platz 513 von 1931, Platz 57 von 192 der M30, Netto 3:28:29