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von kirchheimrunner
Heute haben wir etwas besonders genussvolles vor: 12,5 km von der Würmeiszeit über den Frevel der Betonfetischisten - zu Herzog Sigismunds Blutenburg ...
Wie ist das jetzt mit der Würm?
Ihr kennt Sie gar nicht? Das dachte ich mir schon. Denkt euch nichts, uns Münchnern geht es genau so.
EIN FLÜSSCHEN IST SIE ALSO; - MIT MÄCHTIG VIEL GESCHICHTE AUF DEM BUCKEL
Aber so schnell gebe ich nicht auf!
Ist die Würm nun ein Fluss, oder nur ein Bach? Ein Rinnsal vielleicht? Ich gebe es ja zu: so genau kann das keiner sagen. Von ihrer Quelle bis Pasing plätschert sie gera-de mal 21 km dahin, um dann nach 38 km hinter Dachau im Moos - in der ebenfalls mickrigen Amper sang- und klanglos zu verschwinden.
Wie ein Lindwurm schlängelt sich das Flüsschen westlich um München herum. Die Mühlen, über die ihre Wasser noch vor einhundert Jahren gelaufen sind, um die schweren Räder anzutreiben, gibt es schon lange nicht mehr. Ihre Zuflüsse, der En-tenbach und der Tiefengraben sind zu jämmerlichen Rinnsalen verkommen.
Ihren Lebenszyklus begann die Würm vor sage- und schreibe 50.000 Jahren. Promi-nent ist sie also; - keine Frage. Sogar die Würmeiszeit ist nach ihr benannt. So etwas kann nicht einmal die ... schöne grüne Isar ... von sich behaupten.
Aber kaum war sie aus den Gletschermassen geboren, schon ging es mit ihr bergab.
Tiefpunkt ihrer Karriere scheint das Jahr 2003 zu sein. Die Städteplaner haben alles versucht um sie zu vernichten. Mit Autobahnen, Betonpisten für Fernstraßen, ICE – Trassen und Wohnsiedlungen, haben sie alles getan um die Würm zu zerstückeln, in Beton zu gießen, oder in den Untergrund zu zwingen.
Wer glaubt ihr, wird triumphieren?
ZWEIMAL MUSS MAN SCHON HINSCHAUEN; - DANN ABER GIBT DIE WÜRM IHRE SCHÄTZE PREIS.
Zum Joggen völlig ungeeignet würde man sagen, wenn man auf der Lochhammer Autobahnbrücke steht. Im Sommer wälzt sich eine Blechlawine von München hinaus ins „Fünfseenland“. - Starnberger See, Ammersee und Kloster Andechs – unser hei-liger Berg; - ja das Paradies ist zum greifen nah.
An diesem sonnigen Freitagnachmittag stehe ich auf der Autobahnrampe bei Loch-ham und verfolge den Lauf der Würm über die ehemals ländlichen westlichen Stadt-teile, Pasing nach Obermenzing. Einen winzig schmalen Flußauenstreifen haben die Baulöwen und Grundstücksspekulanten dem Flusslauf gegönnt. Zum leben zu we-nig; - zum sterben zu viel?
Gemächlich trabe ich los. Nur nichts überhasten! An einem Biergarten vorbei; - un-gemütlich denke ich mir – weil der Freitagsnachmittagsverkehr von der nahen Auto-bahn her, mit seinem Hupen und eiligen Geschiebe, sogar das Prositgegröle der un-entwegten Feierabendtrinker übertönt.
Aber aufgepasst; kaum bin ich 5 Minuten gelaufen, schon hat die Würm ihre ersten Überraschungen parat. Dieses Rinnsal ist ein Überlebenskünstler, denke ich mir. Eng und undurchdringlich wirkt der alte Baumbestand. Zum Schutz gegen ungebetene Eindringlinge haben sich die Kronen der Eichen, Buchen und Linden über dem Bäch-lein zusammengeschoben.
Im Schatten der Bäume lässt es sich wunderbar laufen. Die Luft ist frisch, geschäftig turteln die Singvögel im Schilfgürtel Blattgrün des Ufersaums umher.
Nur die Nachmittagsonne blinzelt hie und da durch das junge frische Grün der Auen.
Das Wasser gurgelt und begleitet mich mit ihrem sanften Plätschern Kilometer um Kilometer bis nach Pasing hinein.
Wie schön öfters gesagt: Das Paradies wurde nicht am Reißbrett erfunden. Darum genieße ich das Laufen. Denn krumm sind die Wege; wunderbar winden sie sich um alte Bauriesen und Fischteiche herum.
PASING DIE STADT VOR DER STADT.
Ihr wisst es schon! Jetzt ist es mal wieder soweit: Es bleibt nicht aus. Ein paar Minu-ten Heimatkundeunterricht müssen sein:
Pasing – die Stadt vor der Stadt - war schon in vor und frühgeschichtlicher Zeit be-siedelt. Der Handelspunkt lag direkt an der Heerstraße Salzburg nach Augsburg, so wurden die keltischen Rodungsbauern schon früh durch römische Soldaten und Kaufleute christianisiert. Viel später, es war so um das Jahr 500 herum bei der Ein-wanderung der Bajuwaren, gründete der Sippenführer Paoso das Ackerbauerndorf Pasing. Ungünstig gewählt war der Platz nicht, gelegen an der römischen Heer und Handelsstraße, inmitten von satten Wäldern und fruchtbaren Ackerböden, gleich bei der wasserspendenden Würm. Und ganz allein war er auch nicht in dieser Gegend, denn andere Sippenführer hatten ebenfalls Ansiedlungen gegründet: Svapo (Schwa-bing), Kiso (Giesing), Sentilo (Sendling), Manzo (Menzing) und wie sie alle hießen.
... Und all diese Siedlungen sind nun im 20. Jahrhundert als urbane Stadteile in Mün-chen – der Weltstadt mit Herz“ – aufgegangen.
Kaiser Heinrich II. vermachte schließlich das aufstrebenden Pasing im Jahre 1006 dem Domkapitel von Freising. Im Mittelalter überschattete rachesüchtige Bruderkrie-ge und die Brandschatzung der Schweden Pasings Geschichte.
Im 19. Jahrhundert trat dann Pasing wieder in das Licht der modernen Geschichte. Der bäuerliche, verträumte Charakter Pasings war weitgehend dahin, und war dem städtischen und industriellen Flair gewichen, als 1908 die Straßenbahnlinie nach Pa-sing eröffnet wurde und von der bayerischen Hauptstadt München aufgesogen wur-de.
Die Würm hat das alles erduldet und ertragen. Der ICE hat auch am Pasinger Bahn-hof uneingeschränkte Vorfahrt. So muss ich, wenn ich der Würm folgen will in den Untergrund. Meine Schritte hallen von den Steinwänden zurück. Über mir rattern die Fernzüge. Der Fluss hat es eilig aus dieser steinernen Zwangsjacke herauszukom-men. Ich kann ihn gut verstehen: Geboren in den Gletschern der Eiszeit, und nun kultiviert und begradigt...
Gleich hinter dem Pasinger Bahnhof hat man es dann geschafft: Das Bett der Würm ist zerschnitten und zermetzgert; kurzum: Man hat dem Fluss fast den Garaus ge-macht.
BIEDERMEIER KLASSIZISMUS PUR...
Aber wo ein Fünkchen Leben ist, da sprudelt es einfach weiter. Kurz bevor man in den Blutenburger Park hineinläuft, kann man noch das wunderbarste Stück bieder-meierlicher Architektur bewundern, das München zu bieten hat.
Es sieht fast so aus, als ob die Efeuranken die wunderbaren Rundbogenfenster vor den Blicken neugieriger Bauherrenmodellbetreiber verbergen wollen.
Recht hat sie „die Mutter Natur“. Zwischenzeitlich bin ich ins Schwitzen gekommen. Wer kann sich schon an so einen heißen, fast hochsommerlich warmen Mai wie in diesem Jahr 2003 erinnern?
HERZOG SIGESMUND UND DIE MUSE ...
Jetzt, nach 5 bis 6 km gemütlichen Joggens, mache ich Tempo. Ich habe es eilig. Den schmalen Parkstreifen, zwischen der Siedlung der Obermenzinger neureichen Spießbürgerlichkeit und dem vielbefahrenen Zubringer zur Stuttgarter Autobahn durchsprinte ich mit Herzfrequenz 175. Dieser Streckenabschnitt gefällt mir nicht. Zu laut ist das Gedöns des Feierabendverkehrs. Die Blechlawine schiebt sich nach Westen; die Pendler aus Augsburg und Landsberg wollen nach Hause; - Ihre Schre-bergartengemütlichkeit genießen ...
Ich falle wieder in einen nachdenklichen Trab. Haben sie Recht, unsere gestressten die Zeitgenossen, wenn sie der Zivilisation fliehen? Wie war doch gleich noch der sinnige und leicht missverständliche Spruch des griechischen Philosophen Epikur:
Das höchst Glück ist die Lust!
Nun ja, ich denke für uns Läufer, die alle motivierenden Exerzitien des Fitness – Papstes dem Strunz I. (auch Breitwandgrinser genant) über sich ergehen ließen; - ist die Lust ein Tagesgeschäft; - Business as usual! Wir sind doch mit Endorphinen, körpereigene Glückshormonen und dem Überwinden des innerein Schweinehundes auf Du und Du; - oder etwa nicht?
Solche Gedanken kommen mir gerade jetzt, wo ich auf die schmucke, romantische Blutenburg zulaufe. Wahrlich eine schmucke Perle im pulsierenden Leben des Münchner Westens. Und ihr berühmteste Schlossherr, Herzog Sigismund von Wit-telsbach, scheint mir auch ein genussvoller Jünger Epikurs gewesen zu sein.
Weil ihm "schöne Frauen, weiße Tauben und Saitenspiel" mehr behagten als die Bruderkämpfe des Hauses Wittelsbach, verzichtete Herzog Sigismund auf Mitregie-rung und zog sich in seine geliebte Blutenburg zurück, das von der Würm umflosse-ne, 1431-40 auf altem Wehrgrund gebaute Jagdschloß seines Vaters Albrecht III:, dem er 1488 eine unvergleichlich schöne, romantische Schloßkapelle beigeben ließ.
Im Herrenhaus ist heute die internationale Jugendbibliothek untergebracht, im Tor-turm die Erich-Kästner-Gedenkstätte und in den Ökonomiegebäuden Konzertsaal und Schänke. Dort, unter den Kreuzrippengewölben wird im Rahmen der Blutenbur-ger Schlosskonzerte jedes Jahr die hohe Kunst des Saitenspieles; - sei es Harfe, Laute oder konzertante Kammermusik – gepflegt.
DAS DUNKELSTE STÜCK GESCHICHTE UNSERES FLUSSES
O Hedonia, du lichte eitle Freude, - das Leben ist Genuss. Aber halt, passt auf. Alles hat zwei Seiten:
Freud und Leid,
Liebe und Feind
Genuss und Not
Hunger und Brot,
Das alles liegt näher beieinander als wir oft glauben! Ihr fragt euch sicherlich, warum mir solche trüben Gedanken gerade in diesem schmucken Schlosspark kommen? Schimmert und blinzelt das Licht an diesem linden Maiennachmittag so hell und freundlich, dass es alle schwarzen Schatten aus den Herzen bannen kann?
„Gut und schön“, denke ich mir; - manches Mal aber ist es wichtig sich an die dunk-len, schweren Jahre unserer Geschichte zu erinnern. Damit wir mit Courage, Mut und Entschlossenheit auftreten, wenn sich wiedereinmal ein „Führer“ jedweder Couleur berufen fühlt, die Welt zu retten.
Folgt man der Würm flussabwärts; - gerade mal 15 km hinter Menzing; - dort beginnt das Moos. Mittendrin zwischen Karlsfeld und Dachau stand einst ein stacheldraht-umspanntes Lager, von Wehrtürmen bewacht und in der Nacht hell beleuchtet. Über den Eingangstor konntest du lesen:
„Arbeit macht frei!“
Vom KZ – Dachau aus, begann der Fußmarsch der Häftlinge. In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 führte ihr Leidensweg hier vorbei.Ein Denkmal zeugt von dieser dunklen Stunde unserer Geschichte.
Hinaus ins Ungewisse! In die Freiheit oder in den Tot!
Wenn die Gedanken schwer werden, wird auch das Laufen zur Anstrengung.
Irgendwie bin ich froh, dass ich weiter hinein in den Blutenburger Park laufen kann. Sattgrün glänzt der englische Rasen. Die alten Ahornbäume atmen die frische Früh-lingsluft. Nun vergesse ich alles um mich herum. Fast eine Stunde bin ich schon un-terwegs. Immer wieder werden meine Augen verführt nach links und rechts zu schauen.
Nach einer gemütlichen Runde im Park mache ich mich auf den Rückweg. Heute darf es nicht zu spät werden; - Frau und Kinder warten zu Hause auf mich. Und un-sere Alte Oma, die bei uns in ihrem Pflegebett auf ein gnädiges Ende wartet. Manch-mal habe ich ein schlechtes Gewissen. Laufe ich eigentlich meinen Problemen davon?
Ich fühle mich gehetzt als ich zurücklaufe. Trotzdem genieße ich in vollen Zügen den Lauf am sprudelnden Wasser entlang. Nach 1 Stunde und 7 Minuten stehe ich wie-der vor meinem Auto. Schön und lehrreich war mein Lauf. Lange noch muss ich an den Bajuwaren Paoso an Herzog Sigismund und an die geknechteten Häftlinge des Konzentrationslagers denken; - was wohl aus ihnen allen geworden ist?
der Kirchheimrunner ...
...der sich noch ganz lange über seinen 1. Marathon freut...