
das jahr 2004 war in läuferischer hinsicht für mich sehr erfolgreich gewesen. seit januar war ich mit meistens großer freude täglich gelaufen. 15 mal marathon und mehr konnte ich in meine streak integrieren, darunter ein gewonnener 24 stunden lauf (in schwach besetztem feld...), der 6 tage bahnlauf in erkrath sowie eine marathon serie in hamburg. dabei hatte ich nicht das gefühl, mich übernommen zu haben, sondern spürte einen starken drang und ein großes verlangen, diese sportlichen herausforderungen anzugehen.
nach dem langen hoch folgte ein langes tief: eine gesundheitliche beschwerde löste die andere ab: von nierensteinen über divertikulitis (darmgeschichte) bis hin zu einer starken angina mit üblen folgen. bin ich zu viel gelaufen und deshalb krank geworden? oder bin ich trotz des vielen laufens krank geworden? diese frage ist leider nicht so leicht zu beantworten. ich begreife häufig erst im nachhinein, warum ich schwierige wegstrecken erlebe und kann dann nach und nach den kurs korrigieren.
seit langen wochen hatten mich die folgen der angina so sehr geschwächt, dass ich das laufen auf ein minimum reduzieren musste. auch mein arzt, der mich in dieser hinsicht seit über 10 jahren nur unterstützt, empfahl mir dringend, nur "leichtes training" zu machen. ich war ziemlich niedergeschlagen, besonders, weil ich nicht wusste, was eigentlich genau mit mir los war. den isar lauf im mai musste ich absagen, zu erkrath im august meinte mein arzt: "ist ausgeschlossen. einen 6 tage lauf können sie nur machen, wenn sie sich ganz fitt fühlen, schon von der psychischen belastung her!"
und nun stand am 18./19. juni 2005 zum dritten mal für mich der 24 stunden lauf "run for help" in bad lippspringe im kalender. ein "familientreffen mit spaß - charakter" ist das für mich. in der ostwestfälischen kurstadt ist die welt noch ein bisschen in ordnung. unterschiedliche gesellschaftliche gruppen in der stadt stehen mit viel engagement zusammen, um diesen lauf zu gunsten benachteiligter kinder zu organisieren. gelaufen wir auf einem 620 meter langen rundkurs im arminius park. im start - ziel bereich ist eine bühne aufgebaut, von der aus das geschehen moderiert wird. rockige klänge treiben die läufer an, und zwischendurch gibt es immer wieder "life musik", z.b. von der feuerwehr oder dem kolpingverein. an der strecke ist ein bierstand und ein imbiss aufgebaut - der bierstand wird ebenso wie die laufstrecke 24 stunden lang frequentiert. sagenhaft, was hier manche menschen "leisten".
gegen 11.30 waren wir mit unserer starken bremer fraktion angereist: gregor nieting (gnies) und jps, winfried böttcher von der lg bremen nord und ich mit frau irene und tochter daniela. dazu kam stephan isringhausen (steppenhahn) mit den söhnen oskar und jorret aus bochum. als "überraschungsgäste" stießen auch noch thomas und martina wienand (thowie und rennfrauchen) mit sohn lennart und meine große tochter tabea aus dorsten dazu. eine handvoll weitere langstreckler rundete den kreis der ultraläufer ab.
um 13.00 uhr fiel bei strahlendem sonnenschein der startschuss. in den nächsten 24 stunden sollte nun die laufstrecke von den gut 10 "ultras" sowie von etwa 1800 menschen aller altersklassen - vom kleinkind bis zum urgroßvater - bevölkert werden: kindergartengruppen, schulklassen, familien, sportvereine drehten mehr oder weniger viele runden durch den park. teilweise war der rundkurs sehr voll, so dass ein gleichmäßiges laufen nur bedingt möglich war. aber wer kann beim anblick so vieler begeisterter kinder etwas anderes empfinden, als freude? bad lippspringe ist ja auch nicht in erster linie ein ernster wettkampf, sondern der spaß und das miteinander stehen im vordergrund.
von den "ultras" hat sich wohl jeder ein persönliches ziel gesteckt. für mich war es nur ein ganz kleines ziel: nachdem ich in den letzen wochen täglich meist nur 2 bis 10 km gejoggt war, wollte ich es einfach nur gemütlich angehen lassen. falls es ganz super läuft: samstag 21 km und sonntag 21 km - zeit ist ja genug. so kann ich mir wenigstens einen marathon aufschreiben (sammlertick...). aber - wie gesagt - nur, wenn es wirklich optimal läuft.
es lief für mich von der ersten minute an optimal. ich lief 10 runden (6,2 km) und machte 15 minuten pause. von diesen "10er blöcken" hängte ich erstmal 10 stück aneinander, für jeden block ließ ich mir 50 bis 55 minuten zeit. so hatte ich um 1.00 uhr ohne stress 100 runden = 62 km erreicht. der abend und die nacht in bad lippspringe ist immer besonders schön. der trubel auf der strecke hat sich gelegt, es wird dämmrig und dunkel, 2000 kleine kerzen beleuchten stimmungsvoll den rundkurs. jetzt aber erst mal ins zelt und etwas schlafen. um 4.00 uhr werde ich wach und fühle mich frisch und munter. die vögel zwitschern, und der morgen ist schon angebrochen. die gedanken spulen ab: "wenn ich jetzt vor dem frühstück bis 6.00 uhr noch durch laufe und dann ab 6.30 uhr noch gut drauf bin und bis 13.00 uhr locker weiter mache, könnte ich es schaffen, die 100 km voll zu machen. das wären noch 62 runden - das müsste doch gehen...
ein 10er block reihte sich an den anderen, und als am sonntag um 13.00 h die laufstecke geschlossen wurde, standen für mich 163 runden = 101 km zu buche. gut hingeschaukelt. nix tut weh, alles hat gehalten. irgendwie ist das unbegreiflich für mich, aus so einer krise heraus so ein ergebnis zu erzielen. es ist ja nicht wirklich viel für einen 24 stunden lauf - nach wettkampfmaßstäben gemessen. aber für mich eben absolut mehr, als ich mir für dieses wochenende erdenken konnte. die knie- und rückenschmerzen, die mich seit einigen wochen plagten, sind verschwunden. das soll einer verstehen. auf jeden fall bin ich erstaunt und sehr dankbar und wieder ein bisschen optimistischer gestimmt.
jeder von uns "ultras" hat in bad lippspringe eine persönliche gute leistung erreicht: sei es winfried, der mit 110 km den 2. platz errang - für ihn war das wochenende ein testlauf für den k 78 in davos. oder jps und gregor - sie haben sicher mit ihrem doppelmarathon ein phantastisches ziel errreicht, ebenso wie der steppenhahn, der auch mehr als 84 km schaffte. besonders zu erwähnen ist noch jorret, der mit seinen 15 jahren das ding mit sich selbst ausgemacht hat und mit 162 runden die 100 km geknackt hat! thowie hat mal eben so am samstag nachmittag ungeplant einen marathon gelaufen und sein sohn lennart mit 14 jahren einen halbmarathon. bevor jetzt die mahner den zeigefinger erheben: der 24 stunden lauf - insbesondere wenn es sich um einen "fun run" handelt, ist einfach eine sehr gute gelegenheit, sich ohne stress und druck auf der laufstrecke zu versuchen. die euphorie und stimmung einer solchen veranstaltung tragen viel dazu bei, das ganze zu einem positiven erlebnis werden zu lassen. für das selbstwertgefühl der jungen leute ist es - denke ich - allemal gut, einen persönlichen erfolg auf grund eigener anstrengung zu verbuchen.
für den guten zweck sind in diesem jahr über 15.000 euro zusammen gekommen. je mehr man läuft, umso teurer wird es; für jede runde darf man 20 cent blechen und bekommt, wenn man nach dem lauf bezahlt hat, eine urkunde dafür. alles ganz locker.
für mich war es wieder mal ein großes erlebnis, das mir viel gegeben hat. wenn du 24 stunden mit den mitsportlern freud und leid auf der strecke teilst, wenn man einander im gespräch und austausch sehr nahe kommt - das bringt einfach viel.
die rückfahrt nach bremen war wie immer sehr herausfordernd. irgendwie das schlimmste an der ganzen sache. glücklicherweise konnten winfried und ich uns beim fahren abwechseln. aber die erinnerung an die rückfahrt verblasst, und sicherlich wird es sich im frühjahr 2006 wieder einstellen - das kribbeln im bauch: bad lippspringe naht!
uli schulte
bremen, 21.6.2005