Zum Laufen nach Slowenien fahren - was soll das denn?
Tja, wenn's Dich gepackt hat, dann machst Du schon verrückte Sachen.
Nun gehöre ich noch nicht lang der Läufergilde an und kann damit auch noch keine großen Aussichten wagen, was mal noch kommt und was man noch so alles ausprobiert. Am Anfang war ich froh, meine 7 Kilometer zu schaffen. Das werden im Winter gerade mal 3 Jahre. Inzwischen hat sich da eine stattliche Zahl an Trainingskilometern angehäuft und die Wettkampfkilometer schnellen exponentiell in die Höhe. Im ersten Laufjahr ein Marathon. Im zweiten 3 Marathons und Biel. Im dritten Jahr...
Letzten Donnerstag fuhr ich mit der Familie nach Slowenien. Das Quartier war reserviert, die Umgebung aus der Ferne recherchiert. Am Freitag ging es auf Naherkundung - die Kinder (fast 4 und fast 7 J.) waren nicht zu bremsen: In die Berge wollten die Beiden - einen Tag vor dem Lauf... Nun denn: ein Wasserfall mit 80 Meter Fallhöhe bot ein geeignetes Wanderziel in wirklich wunderbarer, natur belassener Umgebung. Meine Vorgabe für den "Tag davor" war eigentlich: Nichts tun - Füße hochlegen - Energie sparen und speichern...
Dann ging es nach Celje, dem Startort, um die Anmeldung vorzunehmen und die Startunterlagen auszufassen - natürlich verbunden mit einem längeren Stadtbummel...
Am Abend noch mal kräftig essen, alles zurechtlegen. Und dann: Kurzentscheid des Familienrates: Die Familie wird mich an der Strecke an geeigneten Stellen unterstützen und die bereitgelegten Trinkflaschen reichen - wow - das Angebot konnte ich nicht ausschlagen. Schnell wurden anhand der Karte die Treffpunkte bestimmt. Die dazugehörigen Zeitspannen wurden überschlagen und schon war der Plan gestrickt.
Um 4 Uhr klingelt der Wecker: Essen, soviel halt reingeht und Trinken, Toilette, Anziehen, ins Auto und ab durch den Nebel nach Celje. 15 Minuten vor 6 Uhr am Start - das war knapp!
Schon sind die ersten Bekannten zu sehen. Ein „Hallo“ da und dort, ein paar Fotos vor dem Start mit den Lauffreunden aus Deutschland fürs Familienalbum.
Ein Militärfahrzeug reißt versehentlich das aufgeblasene Starttor um - Kurze Aufregung, dann wird es kurzerhand weggeräumt und los geht's.
Ich starte mit etwas flauem Gefühl - die letzten Wochen gab es nach einer Bordstein-Eskapade beim Einkaufen ein Problem mit dem rechten Knie. Die langen Einheiten habe ich ganz bleiben lassen. Maximal 25 Kilometer habe ich mir genehmigt, um das Knie zu schonen. Jetzt lagen 75 Kilometer vor mir. Ob das Knie halten wird?
Es dämmert. Die Spitze macht ein ungeheures Tempo, gerade so, als gäbe es bei km 5 eine Sprintwertung zu gewinnen. Was haben die denn vor? Ich schätze einen 4er Schnitt, den die Spitze da läuft und versuche Sichtkontakt zu halten. Nach einer Schleife um irgendwelche Brücken geht es raus aus der Stadt immer in Sichtweite der Savinja, die hier noch ganz sachte dahin fließt, doch das sollte sich noch ändern...
Vor mir ist die Spitzengruppe entschwunden. Einer überholt mich etwa bei km 8. Der ist sonst schneller als ich - und mir schwant was: Ich bin voller Elan und Euphorie sicher wieder mal zu schnell angegangen. Die Bestätigung kommt bei km 12 - ja 12 nicht 10, wie ich den Streckenposten beschwörend frage. 52:36 Min. zeigt meine Uhr. Oh Gott, wie kann man nur so losschießen! Dennoch: ich fühle mich gut. Es geht etwas gedämpfter weiter.
Außerhalb der Stadt ist es still - ein wunderbares Gefühl, den Sonnenaufgang beim Laufen zu erleben: Auf der Savinja schwimmt ein Höckerschwan, blickt herüber. Er sieht majestätisch aus mit seinem weißen Federkleid auf dem kaum wahrnehmbar fließenden Gewässer.
Der Pfad auf dem Damm ist schmal: Etwa 10 Zentimeter breit, gerade so, wie ein Schwebebalken. An Feldrändern geht es weiter. auf den Äckern glänzen die taubenetzten gelben Kürbisse zu Hunderten - ein toller Anblick! Wozu braucht man so viele Kürbisse?
Kürbiskerne, Kernöl, Kürbisfleisch süßsauer, das es früher immer zu Hause gab? Hm, etwas zu trinken wäre nicht schlecht. Prompt kommt bei km 17 eine Verpflegungsstelle. Etwas Wasser und Tee - ich hatte vor dem Lauf nicht allzu viel getrunken. Dann eine Baustelle auf dem Damm. Zwei Baufahrzeuge stehen im Weg, der nach meinem Erachten in das am Rande erhöhte Flussbett führt. Die Kontrahenten hinter mir folgen. Alles klar, denke ich, bis ich mit einem Schuh knöcheltief im Wasser stecke und schnell wieder den Weg Richtung Damm einschlage. Alle folgen mir, sind jedoch nun nach ca. 20km nicht mit einem wasserdurchweichtem Schuh und Strumpf belastet! Ich tue mich schwer, Anschluss zu halten, bin verzweifelt. Zwar habe ich meine Füße wieder der gewohnten Prozedur vor dem Start unterzogen, ob aber soviel Wasser nicht doch zu Blasen führen wird? Das hohe Anfangstempo und dieser Umstand lassen mich zweifeln. Ich bin schon jetzt resigniert, ob sich der weite Weg denn gelohnt hat.
Die wunderschöne Landschaft und das üppig begrünte Logartal geben mir neuen Mut. Auch der erste bevorstehende Kontakt mit meiner Familie an der Strecke gibt mir neue Kraft. Ein Slowene läuft auf mich auf. Schon ca. 2 Kilometer lang lief er etwa 10 Meter hinter mir - wieder einmal auf einer "Schmalspurbahn". Ich frage, ob er vorbei möchte. Er denkt wohl, er müsse ein Stück weit führen. Wir tauschen uns kurz aus. Er läuft die Strecke erstmals, will unter 7 Stunden bleiben. Ich versichere ihm, dass er dann zu schnell ist. Nach einer Weile frage ich, ob er schneller laufen möchte. Er macht prompt Tempo und ist innerhalb kurzer Zeit 100 Meter vor mir. Ich bin beeindruckt. An einer Wegegabel wird er von seinem Anhang erwartet, der ihm in großer Zahl Applaus spendet. Auch mir werden aufmunternde Worte zugerufen. Ich rufe zurück indem ich nach vorne zeige: „Er läuft zu schnell!“ und zucke mit den Schultern. Alle lachen. Die müssen mich wohl verstanden haben...
Dann steht da meine Familie wie vereinbart. Der Große reicht mir die Trinkflasche - tut das gut!
Ich schleppe die Flasche mit. Für den 3/4-Liter brauche ich eine Weile.
Es kommt km 27. Die Uhr zeigt 2:01 h - immer noch viel zu schnell. Heute werde ich es büßen, denke ich bei mir, kommen doch im letzten Drittel der Strecke ca. 80% der Anstiege...
Etwas irritiert mich: Weshalb werden die Kilometer an so krummen Stellen angegeben? Ich finde keine Erklärung, doch später werde ich’s wissen…
Dann erwischt es mich: Ich fühle mich nicht so wohl und denke erst, es liegt an meiner Trinkmixtur, aber dann wird mir klar: Das hohe Anfangstempo macht mir jetzt schon zu schaffen! Und dann mein reduziertes Training wegen des Knies.
Kommt etwa jetzt der berüchtigte Mann mit dem Hammer und das knapp 50km vor dem Ziel? Das wäre fatal! Ich drossele mein Tempo.
Laut Rückenaufschrift seines Laufshirts fliegt ein Thüringer an mir vorbei - ich grüße, versichere ihm, das es gut aussieht, was er da macht und bitte ihn, im Ziel eine Dusche für mich freizuhalten... Er lächelt, fragt, wo ich herkomme und zieht weiter.
Auch ich überhole ab und zu den einen oder anderen. Ich habe keine Ahnung, an welcher Stelle ich mich derzeit im Lauf befinde. Es gibt schon Renneinteilungen, da bin ich doch irgendwo mittendrin. Es wird etwas steiler. Dann kommt irgendwo im Wald versteckt ein Kontrollpunkt mit Stempel auf die Startnummer. Der Fluss wird lauter und somit steiler. Ab und zu ein Wasserfall von 2 … 3 Metern Höhe. Auf den Feld- und Waldwegen kann man die unterschiedlichsten Gerüche wahrnehmen. Mal riecht es weniger gut, modrig, mal meint man, ein Pilzmenü serviert zu bekommen. Ab und zu atmet man den süßen Duft der Walderdbeeren, der einem die Sinne zu rauben scheint. Bei ca. km 30 gibt's wieder eine Flasche von der Familie. Ich nehme gierig und gebe meine Bedenken weiter. Man hält am nächsten Treffpunkt bei km 40 fest. Die Kleine will mir was mitteilen - ich kapiere es nicht, bin mit mir selbst beschäftigt und bedauere, mich nicht länger aufhalten zu können bzw. zu wollen.
Auch der Slowene, der immer noch in Sichtweite läuft, wurde von seinen Begleitern an dieser Stelle empfangen. Auch mir wird wieder deren Ansporn zuteil. Ich schüttele den Kopf und zeige auf deren Schützling und rufe wieder: „Viel zu schnell!“ Wieder lachen alle. Doch dann erwischt es ihn: Ca. 2 Kilometer weiter fällt er in einem Waldstück in den Schritt. Ich laufe auf, frage, was los ist. Er hat einen Krampf bekommen. Ich zeige ihm wie er das Bein strecken muss. Er dankt und winkt mich weiter. Nach dem Waldstück wende ich den Kopf um zu sehen, wo er bleibt. Ich sehe ihn, er läuft weiter. Ich bin froh, dass er weiterläuft.
Der nächste Treffpunkt liegt nach der 42-km-Marke, die mit 3:22 h passiert wird. Im Grunde immer noch zu schnell, doch mit Sorge betrachte ich den Schnitt der letzten Splitzeit. Da wird mir klar, dass da am Ende eine Zeit rauskommen müsste, die nicht meinen Erwartungen entspricht...
Na, erstmal weiter. Ab und zu geht es jetzt auch kleine Passagen bergab, da man sich um ein paar hundert Meter vom Fluss entfernt hatte. Doch etwa bei km 50 sollten die Anstiege nicht mehr enden. Hier hatte die Savinja einen schmalen Graben in den Berg geschliffen. entsprechend eng war hier das Tal. Die Strecke führte nun nur noch auf der einzigen Fahrstraße des Tales, das sich mäandernd nach oben schlängelte. Mich überholt einer in einem Tempo, das mir fast die Augen ausfallen. Ich laufe auf einen älteren Läufer vor mir auf, zeige nur mit einer Hand auf den Schnellen und blase staunend die Backen auf. Darauf antwortet er: „Marathon“ in dem er auf ihn zeigt. Dann zeigt er auf uns und fügt grinsend hinzu: „Supermarathon“. Mir wird klar, dass da noch ein Lauf gestartet wurde. Inzwischen tauchen vor uns ganze Hundertschaften von Wanderern auf. Ab und zu überholen uns die Marathonis. Man spendet sich gegenseitig Applaus und ein kurzes "Bravo" ist auch noch drin. Die Überholgeschwindigkeiten der Marathonis werden geringer. Das kommt mir zugute. Ich hänge mich ab und zu an den einen oder anderen ran. Auf nicht ganz so steilen Passagen bin ich schneller, gehe vorbei, an den stärksten Steigungen muss ich sie wieder passieren lassen. Ganz langsam geht die erste Marathonfrau mit 4 "eskortierenden" Männern an mir vorbei. auch hier kann ich ein Stück mitlaufen, und an flacherer Stelle wieder passieren. Doch auch sie muss ich dann irgendwann wieder ziehen lassen. Durch diese Taktik merke ich gar nicht, wie die Kilometer vergehen und ich wieder ins Rennen zurückgefunden habe. Unser Quartier kommt in die Nähe. von hier aus sind es noch 6 Kilometer, davon die ersten 4 noch stärker ansteigend, als bisher. Ich nehme alle Kräfte zusammen. Vor mir bleibt ein jüngerer Marathonläufer stehen (ich kann diese jetzt anhand der Nummern von den Ultras unterscheiden). Ich spreche ihm Mut zu: In Deutsch und Englisch, bleibe einen Moment bei ihm stehen. Er nickt, läuft weiter. Ich überhole weitere Marathonis, die zuvor an mir vorbeigelaufen sind. Die letzten zwei Kilometer sind flach. Ich bin froh darüber. Hier nimmt dieses Tal Bilderbuchcharakter an. Wildblumenwiesen, Angusrinder, blumengeschmückte Bauernhäuser. Die Berge bilden den idealen Hintergrund dazu. Auf den Äckern graben die Leute frische Kartoffeln aus. Die müssen schmecken. Es duftet stellenweise nach frischem Heu, das zweite diesen Sommer, nehme ich an. Die Sonne übernimmt die Beleuchtung des Szenarios und auf meinem Gesicht macht sich nun auch ein freundlicherer Ausdruck breit. Die Familie steht 50 Meter vor dem Ziel: Ich packe die Kinder bei den Händen und gehe die letzten Meter mit ihnen gemeinsam durchs Zieltor. Toll haben sie mich unterstützt, sind schon um 4 Uhr aufgestanden, die Zwerge! Es ist geschafft. Mir wird eine ästhetisch, weil schlank geformte Medaille umgehängt. Die Uhr bleibt bei 6:34 h stehen. Na, wenigstens den Biel- und Rennsteigschnitt habe ich damit geschafft. Und das gute daran: das Knie hat keine Probleme gemacht! So gesehen hat es sich gelohnt, auf die langen Läufe in letzter Zeit zu verzichten und das Pensum zu minimieren, wenn auch ich das Trainingsdefizit unterwegs spüren musste.
Ein paar Minuten nach mir kommt der junge Marathoni durchs Ziel, dem ich ca. 6 km vorher Mut zugesprochen hatte. Er fällt mir um den Hals und bedankt sich etliche Mal in mehreren Sprachen. Ich lächle und gratuliere ihm. Er sagt nur kurz „First Marathon!“ hebt den Daumen und man kann seine Freude wahrlich nicht übersehen.
Im Ziel zwei Thüringer, die sich kurzerhand auf einer Bank neben der Zielverpflegung niedergelassen haben. Ich setz mich dazu, erfahre beim Trinkyoghurt, dass die auch nicht viel schneller waren und erhalte auch die Erklärung, weshalb die Markierungen an so krummen Kilometerzahlen angegeben waren: Die Strecke wurde dieses Jahr erstmals offiziell vermessen, war bisher ca. 2,5 km zu kurz. 2 Kilometer hat man am Start dazugegeben und 500 Meter wurde das Ziel nach hinten verlegt. Ich frage die Zeitnehmer nach der Siegerzeit. Die war auch um 12 Minuten "schlechter" als im Vorjahr! Dabei erfahre ich meinen Gesamtrang: Zwölfter, immerhin, nun war meine Zielzeit doch noch im Rahmen und ich bin zufrieden.
Die ausgiebige Beinmassage und die Dusche waren wie Balsam. Die Suppe und das Bier taten ein weiteres zum Wohlbefinden, dass nun nicht mehr aufzuhalten war. Leider zogen nun Wolken auf und starker Regen setzte ein. Es war keine Wetterbesserung in Sicht, so dass die Siegerehrung wohl nicht mehr durchgeführt wurde. Bei unserem Rückzug in unsere Unterkunft kamen mir noch endlos Läufer entgegen, teilweise mit Müllsäcken gegen den Regen geschützt. Ich zog gedanklich meinen nicht vorhandenen Hut – da gehört was dazu, bei diesem Regen nach dieser Zeit diese Moral aufzubringen! Alle Achtung! Ich denke an den 5-Stunden-Thread und sehe meine Meinung zu diesem Thema bestätigt.
In der Unterkunft schmiedet der Familienrat Pläne für Sonntag und Montag: Wanderung mit zweistündiger Eishöhlenbegehung und eine weitere 5-stündige Bergwanderung…
Manchmal kann meine Familie aber auch gnadenlos sein!
Burkhard
CELJE: Zwischen Kürbisfeldern und Walderdbeeren
1...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?