Heute ein netter Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
8<-------------------------------------------------------------
Florida feuert
06. Oktober 2005 Florida ist das neue Kalifornien. Wie aus der Pistole geschossen ließe sich heute diese Behauptung aufstellen, denn ihre Fundamente sieht schließlich jeder. Kalifornien mag Arnie haben, ansonsten aber hat der Golden State schon lange nicht mehr das Weltklasseformat seiner Schrullen, Ticks und zukunftsweisenden Marotten unter Beweis stellen können. Hippietum? Längst ad acta gelegt. Garagenunternehmer im Siliziumtal? Längst dem Establishment anheimgefallen. New-Age-Nirvana? Überall zu haben. Schauen wir uns dagegen den Sonnenscheinstaat an und seine nicht abreißende Kette von Sensationen: Hätte es dort damals in den amerikanischen Nachwahlwehen keine schwangeren Stanzreste gegeben, sähe es nun nicht nur in Nahost ein wenig anders aus. Von Milzbrandpuder, Haifischattacken, Elian Gonzales, Gianni Versace und O.J. Simpson, der seine Untat auf Floridas Golfplätzen sühnt, gar nicht zu reden. Darum sollte es auch keinen Touristen überraschen, wenn ihm auf dem Flughafen ein Flugblatt in die Hand gedrückt wird, das dringend zur Vorsicht vor den Einwohnern des Staates gemahnt. "Streiten Sie sich nicht unnötig mit den hier ansässigen Menschen", heißt es in der Gebrauchsanweisung für Frischankömmlinge oder auch: "Sollte jemand den Eindruck erwecken, er sei Ihnen böse, bewahren Sie, so gut Sie nur können, eine positive Haltung, schreien Sie nicht, und vollführen Sie auch keine bedrohliche Gebärde."
Der Grund für die guten Ratschläge ist ein neues Gesetz, in dem der Bundesstaat seinen Bürgern erlaubt, zur Selbstverteidigung Schußwaffen oder andere tödliche Gewaltanwendungsmittel und -methoden einzusetzen, ohne eine Vermeidung der Mißhelligkeit, etwa durch Flucht, in Betracht zu ziehen. Anders gesagt, hat Florida die alte Wildwestregel wiederbelebt: "Erst schießen, dann reden." Gerade im Lichte der abendländischen Hirndebatte ist dem Grundsatz eine Berechtigung nicht abzusprechen. Wie das Hirn weiß, bevor es denkt, drückt der Floridianer ab, bevor er den Nachruf formuliert. Dennoch kam es zu einer Kontroverse. Immerhin, mag sich der Tourist denken, ist der Bundesstaat Florida so aufmerksam, die achtzig Millionen ahnungslosen Besucher, die pro Jahr die örtliche Tourismusindustrie in Schwung halten, mit den möglichen Auswirkungen des Gesetzes vertraut zu machen. Falsch kombiniert. Der unzeitgemäße Warnschuß kommt von einer Organisation, die seit Jahren gegen eine allzu leichte Verfügbarkeit von Schußwaffen zu Felde zieht. Schändlich nannte deshalb Gouverneur Jeb Bush nicht das neue Selbstverteidigungsgesetz, sondern die Flugblattaktion, die nur Reisende belästige, die stundenlang unterwegs gewesen seien, um den Landstrich zu erreichen, der von seinen Bewohnern Paradies genannt würde. In diesem Sinne ist ein weiteres Gesetz in Bearbeitung, das Unternehmen, die Angestellten verbieten, in ihren auf dem Werksgelände geparkten Autos Waffen zu verstauen, mit empfindlichen Strafen belegt. Derweil dringen die Waffengegner bis in ausländische Zeitungen vor, wo sie den Umrissen des Sonnenscheinstaates eine ganz neue Bedeutung abgewinnen. Florida, seht her, ein Staat, geformt wie ein Revolver. J.M.

Text: F.A.Z., 07.10.2005, Nr. 233 / Seite 35
8<--------------------------------------------------------------------
Steif
---------------------------------------
Ständig verschwinden Senioren spurlos im Internet, weil Sie "ALT" und "ENTFERNEN" gleichzeitig drücken.