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Berlin, zwischen Bestzeit und Aufgabe

Berlin, zwischen Bestzeit und Aufgabe

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Hallo zusammen!

Nach dem ich im Forum schon viele schöne Berichte über den Berlin Marathon gelesen habe möchte ich euch mein Leiden nicht verheimlichen. Vielleicht findet sich jemand dem es ähnlich ergangen ist und so wie ich ein wenig mit gemischten Gefühlen an Berlin zurück denkt.

Auf dem Weg in die Startaufstellung stellte mir die Frage, ob ich die 2 Kilometer Fußmarsch, die bereits hinter mir liegen nicht auf die Distanz anrechnen lassen könnte. Die Stimmung war Super und in mitten von 40.000 bis unter die Haarspitzen motivierten Läufern zu stehen, lässt einen nicht kalt. Diese Stimmung steckte an.

Noch ein kurzer Plausch mit meinem Kumpel und Leidensgenossen dann ging es endlich los. Es war mein zweiter Marathon und nach einer intensiven Vorbereitung wollte ich meinem Körper das Maximum abverlangen. Eine sub 3:30 sollte es werden, dies konnte nur gelingen wenn alles optimal klappt. Die ersten Kilometer waren entspanntes Laufen, die Zuschauer waren gut drauf und feuerten die Läufer mächtig an, so könnte es bis zum Ziel weitergehen dachte ich. Die Zeiten auf den ersten Kilometer waren jedoch Gift für den Zeitplan. Pro Kilometer verloren wir 30 bis 40 Sekunden auf das angestrebte Ziel. Mit meinem Kumpel an der Seite fingen wir an über Gehwege und Grünstreifen zu laufen, um uns an den Massen vorbei zu schieben. Die Zeiten wurden auf den folgenden Kilometer besser und entsprachen dem erforderlichen fünfer Schnitt. Die 10 Kilometermarke war passiert und das Feld der Läufer zog sich zunehmend weiter auseinander was das Laufen deutlich angenehmer machte. Am Streckenrand gab es nur wenig Stellen an den kein Zuschauer stand und eine Vielzahl von ihnen mit Schildern. In Erinnerung sind mir geblieben: "Quäl dich du Sau", "Nur noch 32Kilometer", "Der Schmerz geht, der Stolz bleibt" und "Spitze 15 Minuten voraus“ Das ganze erinnerte mich ein bisschen an ein Volksfest, nur mit dem Unterschied, dass es 42 Kilometer lang war. Wir fühlten uns nach wie vor gut, aber wir hatten auf den ersten Kilometern etwas Zeit verloren, die wir jetzt mit zügigen 4:45 Zeiten kompensierten.

Es muss so bei Km. 16 gewesen sein, als mich plötzlich von hinten etwas hart am linken Bein traf. Alle Versuche das Gleichgewicht wieder herzustellen waren vergebens. Im Zeitlupentempo verlagerte sich mein Schwerpunkt zunächst nach vorne und dann etwas schneller nach unten. Dann machte es rums, sauber mit Handballen, Knie und Ellenbogen fing ich den Sturz ab um mich sofort wieder hochzurappeln. Nix schlimmes passiert, laufen geht noch, weiter, waren meine ersten Gedanken. Nach dem der Schreck vorbei war, betrachtete ich mein verschrammtes Knie und den etwas blutenden Ellenbogen. An dieser Stelle einen schönen Gruß an den Herren, der nach diesem gelbwürdigen Foul ohne ein Wort des Bedauerns weiter lief. Bei Kilometer 25 ist es geschafft, das erste Mal zeigt die Uhr ein paar Sekunden Vorsprung zum Zeitplan. Das Wetter über das sich die Zuschauer so freuen beginnt mir langsam Probleme zu machen. Bei gefühlten 30 Grad ist mein Körper jetzt mehr mit der Bildung von Schweiß beschäftigt als willens weitere Energie zum Laufen zu liefern. Schlimmer aber noch ist, dass ich meinen Laufkumpel an einer Verpflegungsstelle aus den Augen Verloren habe. Ohne Motivator, Antreiber und Tempomacher sollte es sehr schwer werden. Bereits bei Km. 28 sinkt mein Schnitt auf 5:10 und es dämmert mir, jetzt wird es ganz bitter werden. Um mich etwas abzulenken klatsche ich ein paar Kinderhände ab und genieße die Show am Wilden Eber. Hier ist wieder mächtig was los.

Mein Leistungseinbruch ist so eklatant, dass ich mich nicht mehr traue auf die Uhr zu schauen. Das Ziel von 3:30 ist Geschichte und so wir kurzerhand eine neue große Herausforderung gesucht, Ankommen! Dieses Ziel scheint bei Kilometer 30 genau so schwer zu erreichen, wie beim Start das von 3:30. Meine Kraft reicht nicht mehr aus um die Strecke durchgehend zu Laufen. Jeder Getränke und Verpflegungsstand wird jetzt in aller Gründlichkeit von mir geplündert um alles bei einer ausgiebigen Gehpause in mich hinein zu stopfen. Es vergeht kein Kilometer mehr ohne das ich ein Stück der Strecke zu Fuß gehe, aber um mein neues Ziel zu erreichen sind mir alle Mittel recht.

Bei Km. 38 treffe ich Freunde an der Strecke, sie müssen mich für den Tod auf Latschen halten. Nach dem ich ihnen meinen Leid klage, kommt als Antwort: „ wieso du siehst doch noch gut aus“. Klar das war schwerst gelogen, aber ich hab es trotzdem gern gehört :D

Der letzte Kilometer, im Gedanken feuere ich mich noch einmal an: „auf keinen Fall noch einmal Gehen der Rest wird gelaufen“ mein letztes Ziel für diesen Tag. Die Zuschauer, für die es ebenso ein Marathon von vielen Stunden ist, sind des Anfeuerns nicht müde und geben alles um die Läufer ein letztes Mal zu motivieren. Im Blick das Brandenburgertor und mit dem Gedanken an süße Getränke im Ziel werden die letzten Meter zu meinem persönlichen Triumph-Lauf. Im Ziel blicke ich in viele erschöpfte aber glückliche Gesichter und habe das Gefühl es muss ihnen ähnlich ergangen sein.

Der Zweite ist geschafft!! Erleichterung, Zufriedenheit und Stolz bestimmen meine Gefühle als ich die Medailleumgehängt bekomme. Habe ich auch das gesetzte Ziel von 3:30 klar verfehlt, bin ich deutlicher Sieger über den Schweinehund geblieben.

Zum Schluss noch Gratulation an alle Zuschauer und Läufer, ohne euch wäre der Berlin Marathon nicht das, was er ist! GROßARTIG !! :daumen:
(Nettozeit: 3:42:09)

Euer Reiner

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Hallo Reiner,

zu Deiner sehr schönen Zeit (was sind denn schon 12 Minuten über dem Maximalziel?) meinen herzlichen Glückwunsch.
Ein kurzweiliger, gut geschriebener Bericht und ich finde es gut, wie flexibel Du von sub 3:30 auf "Ankommen" umschalten konntest ohne die gute Laune zu verlieren. Deswegen finde ich die 12 Minuten plus bei dem neuen Ziel doch recht harmlos!

Das "Fall-Erlebnis" ist natürlich arg und hoffentlich verheilen die Schrammen schnell!

Ciao
Bifi

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Hallo Reiner, Glückwunsch zum Durchbeißen :daumen: . Auch ich habe die Berliner als phantastisches, stimmungsmachendes und aufmunterndes Publikum in Erinnerung behalten, das war einfach Klasse. Meine Groupies hatten nen richtig stressigen Tag, sind sie doch von Kilometerpunkt zu Kilometerpunkt mit der S- oder U-Bahn gedüst, um im richtigen Moment da zu sein. Die waren am Abend alle mehr kaput als ich.

Es gab noch ein Schild, welches ich unterweg mehrmals sah und das mir jedesmal ein Grinsen abverlangte: "Heike go go". Ob Heike wirklich Lust hatte, Go-Go zu tanzen?

Ich wünsche Dir gute Erholung, Kathrin :hallo:
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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Gratulation zur tollen Zeit und zum Durchhalten.
Der schwerste Sieg ist der der über sich selbst.

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Hallo Reiner!

Glückwunsch zur PB! Wenn man ambitioniert laufen möchte aber nicht zu den Schnelleren gehört, ist Berlin leider weniger geeignet. Wenn Du erst etwas weiter vorne starten darfst, ist das sicher schon etwas angenehmer.

Wenn 3:30 Deine Leistungsgrenze ist, sind 4:45er-Kilometer tödlich. Die Überholmanöver am Anfang kosten auch Kraft. Ich hatte aber schon schlimmere Einbrüche als Du ;-)

Da Du PB gelaufen bist, hätte es sich aber durchaus gelohnt, wenn Du Dich am Ende nicht ganz so früh aufgegeben hättest!

Die 3:30 kommt noch.

Viel Erfolg,

Carsten

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Hallo Rainer,

erstmal herzlichen Glückwunsch zur neuen PB und deinem Durchhaltewillen :respekt: .

Deine Leiden kann ich aus eigener Erfahrung gut nachempfinden. Auch mir hat der "Verkehr" auf den ersten km den Schnitt versaut und die Aufholjagt in Vebindung mit den gefühlten 30° ordentlich zugesetzt, wenn auch bei deutlich langsamerer Zielzeit als du (siehe hier).

Ein Schild ist mir noch knapp nach km 40 in Erinnerung "Es hat dich doch keiner gezwungen!" So ein A**** hab ich gedacht. Doch leider hatte ich keine Kraft zum Zuschlagen oder Spruchablassen.Tipp: Laß die Geheinlagen einfach weg :wink: . Nach meiner Erfahrung ist das Wiederanlaufen nicht weniger hart als das Weiterlaufen.

Und dein abschließendes Fazit zu der großartigen Veranstaltung, speziell in Bezug auf die Zuschauer, teile ich uneingeschränkt: Das war spitze!

Falk
Laufen, weil es Spaß macht.
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"The swim in an ironman is a contactsport" (NBC)

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Hallo Rainer,

herzlichen Glückwunsch zum zweiten Marathon. Der soll ja immer der schwerste sein.
Auch wenn ich nicht den Berlin-Marathon mitgelaufen bin, erging es mir bei den Marathons dieses Jahr (Hamburg, Köln), ähnlich wie dir. Auch beides Mal mit dem Ziel sub 3:30 gestartet bin ich aus verschiedenen Gründen deutlich gescheitert (3:37, 3:36). Insofern kann ich deinen Bericht voll nachempfinden.

Schöner Laufbericht, hab ich gerne gelesen!

oLi

p.s.: Vielleicht waren deine 3:30 doch etwas hoch gegriffen?

Glückwunsch ...

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... zum 2. Finish und :respekt: .

Ich sehe auch mit gemischten Gefühlen auf meinen 2. Marathon in Berlin zurück. Von der Wärme abgesehen, die mir puh - auch sehr zu schaffen gemacht hat, stellte ich mein Ziel 4:5x:xx nach meinem 1. Klogang schon in Frage. Nachdem sich dann bei Kilometer 16 mein linkes Knie unter Schmerzen meldete und ich regelmäßige Gepausen einlegen mußte, und mir zwischendurch 2x leicht schwindlig war, hieß es auch für mich - nur noch ankommen ist wichtig. Am Ende war ich auch Sieger über Schweini und genoß besonders in meinen Gehpausen die super Stimmung. Meinen 2. Marathon finishte ich 1h und 12min schneller als meinen ersten und so gesehen bin ich zurückblickend trotzdem zufrieden.

Ob ich je 3:42:09 :daumen: in Augenschein nehmen werde, bleibt offen bzw. liegt in sehr, sehr weiter Ferne, oder ist vielleicht unerreichbar. Für mich wäre es eine Traumzeit.

LG A.
"Erfahrung ist nicht das, was mit einem Menschen geschieht, sondern das, was er daraus macht." -Aldous Huxley-

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Sei doch froh, jetzt weißt du wenigstens was du nächstes Mal schaffen willst! :zwinker2:

Ansonsten bin ich froh das noch jemand die Strecke vor dem Start schon zu lang vorkam. Ich dachte schon es läge an mir und ich hätte total verdrehte Wahrnehmugen. :)

Schöner Bericht und ich finde deine Leistung ja den hellen Wahnsinn!
Vor allem nach dem kleinen Unfall, ich wäre wohl als nervliches Wrack total zusammengebrochen.

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Helau "Vize",

sag mal: sind wir beide eineiige Zwillinge oder was? Auch ich hatte die 3:30 avisiert - und jetzt rate mal, mit welcher Zeit ich ins Ziel kam... 3:42...
Aber wie ich gehört hab, waren wir ja nicht die Einzigen, die an den 3:30 gescheitert sind - u.a. haben es 2 Pacer auch nicht geschafft.

Glückwunsch trotzdem zu Deinem Zweiten!

Gruß, Humba

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@ Bifi
Danke! Vielleicht bleibe ich beim nächsten Mal ganz einfach 12 Min. unter dem Plan. :D Ich weiß nicht mehr woher, aber jemand sagte mal: „gebe nie einen Lauf verloren, denn wenn du erst das Gefühl hast Aufgabe ist eine Option, dann wirst du es wieder tun“ ich glaube da ist was dran. Also nur Aufgeben wenn es nicht anders geht und um körperlichen Schaden zu vermeiden. Meine Schrammen sind bestimmt zum nächsten Marathon wieder weg.


@Kathrin
Danke! Scheint als hattest du eine Menge Spaß, sehr schön. Manche Schilder waren wirklich klasse, ein echter Zeitvertreib wenn man noch nicht zu schlapp zum Lesen war.

@ Jörg
Danke! ganz recht!

@ Carsten
Danke, das baut auf. Werde bestimmt irgendwann wieder mal die 3:30 Angreifen. Mit den 4:45 hast du leider nur zu Recht, hatte auf dem Stück einen 172 Puls, konnte nicht klappen. Wenn ich jetzt dran denke müsste ich noch Schläge dazu bekommen. :tocktock:

@ Falk
Danke! Ok, die Geheinlagen haben den Schnitt versaut die lasse ich beim nächsten Mal einfach weg!

@ oLi
Danke! Mensch, mit 6 Min. drüber bist du schon dicht dran. Da geht sicher was!

@ Angelwerk
Danke, habe noch von Niemand gehört der seine Bestleistung um 1:12 unterboten hat. Meine absolute Hochachtung! :daumen: Da bin ich mit 12 Min. Verbesserung ein kleines Licht.

@ ahkah
Danke!, Dein Bericht zum Marathon ist wirklich klasse. Mein Lauf ist im Vergleich ein bisschen wie Kindergeburtstag.

Helau Humba
Danke, einen der Pacer habe ich auch gesehen. Der kam mit meiner Zeit auf dem T-shirt (3:30) bei Km. 38 an mir vorbei. War zu dem Zeitpunkt ca. 8 Min. hinter der Zeit. Als ich den gesehen habe ich noch gedacht: „Toll, nicht genug dass ich zu langsam bin, jetzt verarschen die dich auch noch!“, :sauer: Aber wahrscheinlich hat der auf den letzten Km. Noch ein super finish hingelegt.

Diese ...

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... Steigerung ist für mich keine so große Sache. Ist keine große Kunst vom letzten inoffiziellen Teilnehmer zum offiziellen der letzten 555 zu laufen/gehen.

LG A.
"Erfahrung ist nicht das, was mit einem Menschen geschieht, sondern das, was er daraus macht." -Aldous Huxley-

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Hallo Reiner,

Gratulation zum Finish - und die Zeit ist doch super ! Ich wäre nach dem Stunt wahrscheinlich beleidigt nach Hause gegangen, oder hätte wenigstens ein paar Minuten am Sani-Zelt "verschwendet". Vielleicht hättest Du den Zeitverlust vom Anfang erst viel später ausgleichen sollen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß, wenn man langsam losläuft, die Reserven in der zweiten Hälfte noch locker zum Aufholen reichen.
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Hi Renn-Schnecke!
Danke!
Nun, ein Marathon ist eine Grenzsituation für den Körper nicht vergleichbar mit einem ruhigen Trainingslauf. Das ich nach dem „crash“ gleich weiter gelaufen bin ohne auf Scherzen oder Verletzung zu achten ist nichts Besonderes und hätte bestimmt jeder andere auch getan. Wenn der Adrenalinspiegel fällt fallen einem diese Dinge jedoch auf :D Der Köper ist schon eine dolle Sache.
Mit dem Zeitverlust hast du absolut Recht. Nach dem Gespräch mit einem erfahrenen Läufer sind mir so einige Fehler aufgezeigt worden. Nun, mit 2 gelaufenen Marathons bin ich Anfänger, dass habe ich bitter erfahren müssen. Na, egal es bleibt ja noch etwas Zeit zum Lernen. :)
Sag mal, die Liste mit Läufen in deiner Antwort, bist du die alle gelaufen??? –echter Hammer--



Gruß Reiner
Gesperrt

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