Wir reisen bereits am Samstag an. Ich habe ein Hotel in der Nähe der Centraal Station gebucht und es ist eine Art schwimmendes Hotel mit schönem Blick.
Amsterdam ist eine tolle Stadt, bekannt für seine Kanäle mit alten Häusern, für seine vielen Fahrräder (Fiets) und für den zwar nicht legalen aber trotzdem freien Verkauf sog. weicher Drogen.
Also erstmal ins Cafe The Doors und........halt Stop! Falsches Jahrzehnt, falsche Veranstaltung. Ich bin nicht zum Spass hier.

So fahren wir zuerst ins Olympische Stadion und holen die Startunterlagen ab. Haile Gebrselassie und Unicef hatten alle Läufer angeschrieben und um Spenden für afrikanische Schulkinder gebeten. Das im Verwandtenkreis zusammen gesammelte Geld liefere ich am Unicef Stand ab. Die Organisation klappt wie auch im letzten Jahr schnell und reibungslos und bald sind wir wieder in der Altstadt, und nehmen beim Italiener die letzten Kohlehydrate zu uns. Der Abend endet dann recht früh in Hotel.
Der Marathon startet erst um 11:00 Uhr und so kann ich einigermaßen ausschlafen, frühstücken und ins Stadion fahren. Es ist tolles Wetter, wolkenlos, (onbewolkt) aber noch recht frisch. Gegen 10:45 verabschiede ich mich von meinem Groupie und begebe mich in den Startblock E Zielzeit 4 bis 4,30. Ich dehne vorsichtig und stelle fest, dass ich eigentlich gar nicht nervös bin, schade.
Während wir auf den Startschuss warten, blicken wir alle auf das andere Ende der Bahn. Hier muss Haile stehen, mit dem Ziel Weltrekord zu laufen. Mein Ziel ist etwas bescheidener und heißt ankommen.
Nach dem Startschuss dauert es dann noch etwa 5:00 Minuten bis wir die Startlinie überqueren. Eher im Walkingtempo geht es aus dem Stadion hinaus, aber schon bald ist Laufen möglich. Ich habe vor im Schnitt 6 Min pro KM zu laufen, scheine mich aber falsch eingeordnet zu haben, denn ich werde nur überholt. Immerhin ist die Strecke breit genug, und ich bin niemandem im Weg. Es läuft auch noch nicht rund und bei KM 3 bin ich schon 3 Minuten zu spät. Wir laufen durch den Stadtteil Oud Süd und biegen dann links in den Vondelpark. Bei KM 5 kommt der erste Verpflegungsstand, ich beschließe schon hier zu trinken und es gibt etwas zu essen, es sieht aus wie ein überdimensionaler Zwieback der klitschnass ist, aber auch fürchterlich zäh. Aha, es ist ein Schwamm. Mittlerweile bin ich auch wieder in meiner Zeit und wir laufen nochmal ins Stadion hinein und nach einer Runde wieder hinaus. Dort steht auch mein Groupie und feuert mich an. Jetzt geht es durch moderne Stadtviertel an die Amstel, die wir nach KM 15 erreichen. Hier ist dann der erste Verpflegungsstand, an dem es auch Banane gibt. Laufzeitungen raten immer, das Trinken aus Bechern im Training zu üben, über Bananen schreiben sie nichts. Das erste Stück das ich mit schweißnassen Fingern vom Tablett greife, flutscht mir durch die Finger direkt am Ohr des Streckenpostens vorbei. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen, bekomme aber trotzdem noch ein Stück. Dann laufen wir etwa 5 KM an der Amstel, die Strecke wird landschaftlich sehr schön, riecht aber auch sehr ländlich. Es sieht aus wie in der Wilster Marsch. Bei KM 20 geht es über eine Brücke und auf der anderen Seite der Amstel zurück. Vor mir läuft ein Mann der es schafft gleichzeitig zu furzen, zu rülpsen und sich die Nase zu putzen (natürlich ohne Taschentuch) Frau Schmitt hätte ihre Freude, und ich mache einen großen Bogen. Ansonsten macht es jetzt richtig Spass, das Wetter ist toll und es läuft einfach.
Nach der Amstel geht es durch erst Wohn- dann durch Büroviertel. Vor mir läuft eine Frau auf deren Rücken Erdinger Alkoholfrei steht. Das wärs jetzt, aber leider hat sie keins dabei. Nach 3 Stunden bei KM 30 steht wieder mein Groupie, ich freue mich, es läuft immer noch sehr gut. Bei KM 33 wird es dann etwas mühseliger, aber nur etwas. Bei KM 35 soll angeblich der Marathon erst anfangen und hier betrete ich Neuland, so weit bin ich noch nie gelaufen. Der Ein oder Andere geht bereits oder steht an der Seite und dehnt.
Nachdem wir fieser weise an der Heineckenbrauerei vorbei gelaufen sind, biegen wir erneut in den Vondelpark ein. Hier stehen definitiv die meisten Zuschauer. Bei KM 37 wird es dann doch noch richtig hart. In seinem Laufbuch hat Steffny empfohlen: überlege dir, was du deinem Schweinehund bei KM 30 sagen willst. Es ist jetzt Gott sei Dank nicht KM 30, aber ich baue eine Gedankenbrücke über das Cafe The Doors zu Jim Morrisson und er läuft neben mir, die Arme ausgestreckt wie ein Flugzeug und singt „Not to touch the earth, not to see the sun, nothing left to do but run, run, run, let`s run“.
Es klappt nicht. Mir fällt eher die Zeile aus einem anderen Doors Song ein: „But it`s getting haaaaaaard!“ Also weg mit den krausen Gedanken, und ich sehe erwartungsvoll die Zuschauer an. Da steht ein riesengroßer Farbiger und schreit mich in einer Sprache an, die ich noch nicht einmal vom Klang her einordnen kann. Wohl auch gut so, denn es hört sich weder nach Kompliment noch nach anfeuern an.
Die meisten Holländer kann ich aber so halbwegs verstehen, da kommt so etwas wie „gut so“ „du schaffst es“ „sieht gut aus „ und „isnichmehrweit“. Isnichmehrweit ist mir am liebsten aber wir sind erst bei KM 38. Ich sehne das Ende des Parks herbei, bei KM 40 ist nochmal Verpflegung. Nach 2 Bechern Wasser geht es wieder besser und plötzlich bin ich kurz vor dem Stadion, im Stadion, noch 250 M, noch 75, noch 50, Ziel.
Ich bekomme eine Medaille und einen Plastikumhang umgehängt und ich sehe mich um. Überall sitzen Läufer auf dem Boden mit hängenden Köpfen, manchen ist offensichtlich schlecht aber mir geht es wieder wunderbar, nur als ich den Leihchip vom Schuh lösen will, habe ich leichte Probleme mit dem Gleichgewicht und dem Bücken. Ich gebe den Chip ab, gehe aus dem Stadion, bekomme eine Flasche Gatorade und ein Stück Banane. Ich bin tatsächlich Marathon gelaufen, sogar in meinem Schnitt, denn die Zielzeit ist 4:12:57.
