
Angespornt durch dieses unvergleichliche Positiv-Erlebnis wurde ich übermütig. Da ich mich ungewöhnlich schnell erholt hatte, beschloß ich, das Wochenende am 05./06.11.2005 in Simmerath-Einruhr zu verbringen und an den dortigen Walking-Wettbewerben teilzunehmen. Meine gute Laune verflog nur für einen kurzen Moment, als ich kurz vor der Ankunft in Einruhr das Hinweisschild auf die Stadt Monschau sah. Beim dortigen Marathon scheint Fairness nämlich nicht sehr groß geschrieben zu werden, da es in der Auschreibung zum Walking-Wettbewerb heißt: „Man kann walken, wandern, marschieren oder auch als weniger Trainierter langsam laufen.“ Warum es dort dann überhaupt noch eine Walking-Wertung gibt, erschließt sich mir nicht.

Als ich Samstag morgens in Einruhr ankam, lief alles wie am Schnürchen. Schnell hatte ich ein preiswertes Zimmer 200 Meter vom Start entfernt gefunden. Obwohl ich nur eine Übernachtung buchte, wurde mir angeboten, die Dusche nach dem Marathon am Sonntag noch nutzen zu können. Auch das Gepäck konnte ich noch so lange auf dem Zimmer lassen. Dann meldete ich mich erst einmal im Festzelt für den 16,5 km-Walk am Samstag an, um eine Woche nach dem Großereignis meine Form zu testen und mich schon mal für Sonntag warmzuwalken.
Pünktlich um 12.30 Uhr versammelte sich ein munterer Pulk von ca. 200 Walkern und Walkerinnen mit und ohne Waffen an der Startlinie. Der Startschuß fiel und ich konnte mich gleich zusammen mit drei oder vier anderen Walkern vom Feld absetzen. Nach 500 Metern war nur noch ein Nordic Walker vor mir und gab richtig Gas. Technisch perfekt, einem Skilangläufer ähnlich, schaffte er es, dynamisch und flüssig zu walken und dabei mindestens immer eine Fußspitze auf dem Boden zu behalten. Ich zündete den Turbo und schaffte es irgendwie, an ihn heranzuwalken. Nach Kilometer 2 konnten wir dann kein Schleifen oder Klicken mehr hinter uns vernehmen. Wir wechselten ein paar freundliche Worte in dem Umfang, den unser Tempo zuließ und erreichten die 5 Kilometer nach ca. 31 Minuten. Wie bestellt, fing es leicht an zu nieseln. Dies verschaffte uns eine willkommene Abkühlung. Bis Kilometer 7 war die Strecke leicht wellig und in gutem Zustand. Ich fragte meinen Begleiter, wann denn die richtigen Steigungen kommen und er deutete nur auf die nächste Kurve und sagte: „Da vorne.“ Vor uns lag ein Waldweg mit bis zu 25% Steigung. Ich nahm mir vor, jetzt meine Bergaufwalkkünste voll auszuspielen und meinen Mitwalker entscheidend abzuhängen. Als ich dann schließlich die Steigung gemeistert hatte, war ich froh, daß mein Mitwalker eine kurze Pause machte, um seine Stöcke wieder mit Gummis zu versehen. Er tat dies nicht aus Sorge, daß er mir in die heraushängende Zunge pieksen könnte, sondern weil ein Stück asphaltierter Straße vor uns lag. Nach 300 weiteren Metern war die Straße zu Ende und es ging auf einem Waldweg weiter. Mein Begleiter pulte in aller Seelenruhe die Gummis von den Stockspitzen und wenig später fand ich ihn schon wieder an meiner Seite. Ich versuchte zweimal das Tempo zu verschärfen, um zu sehen, ob er folgen kann. Er konnte. Nach elf Kilometern kurz vor der ersten und einzigen Verpflegungsstation erinnerte er sich wohl daran, daß es nicht gerne gesehen wird, wenn Walker zu lange nebeneinander walken und verschwand langsam, aber kontinuierlich in der Ferne und flog den letzten Anstieg hinauf. Am letzten Abzweig verirrte ich mich kurz, da dort weder ein Pfeil noch sonst irgendetwas darauf hindeutete, daß man auf einen kleinen Trampelpfad links abbiegen mußte. Entgegenkommende Wanderer wiesen mir jedoch den rechten Weg, und so erreichte ich nach gut 1:45 mit einer Minute Rückstand als Zweiter das Ziel. Ich gratulierte dem Erstplazierten und zusammen machten wir noch eine kleine Fotosession bei 8 Grad und Nieselregen. Dann entschwand ich in das gut gewärmte Festzelt und meldete mich für den Walking-Marathon am Sonntag an.
Guten Mutes stellte ich mich am Sonntag um 9 Uhr bei strahlendem Sonnenschein mit ca. 30 anderen Walkern an der Startlinie auf. Entzückt hatte ich registriert, daß die Läufer erst um 10.30 Uhr auf die Piste geschickt wurden, so daß man stets ein realistischen Bild von der eigenen aktuellen Plazierung hatte. Nach dem Startschuß konnte ich mich gleich deutlich vom Feld absetzen und legte die ersten 500 Meter bis zur ersten Wegbiegung alleine zurück. Da hörte ich plötzlich hinter mir das, was ich heute am allerwenigsten hören wollte, nämlich das näher kommende Getrappel von Läufern. Unter heftigen Protest





Die Strecke war leicht wellig und angenehm zu walken. Die Steigungen waren jeweils beendet, bevor man an die Leistungsgrenze gehen mußte. Auf dem Weg passierten mich mehrere Mountain-Biker. Ich überlegte kurz, ob ich einen von ihnen bitten sollte, mir mal das Bike zu leihen, damit ich die Verhältnisse in der Gesamtwertung wieder zurechtrücken könnte; aber ich wollte ja walken und nicht betrügen...
Ab Kilometer 29 absolvierte ich jeden (ausgeschilderten) Kilometer nur noch in jeweils 8 bis 9 Minuten. Hatte sich das Anfangstempo gerächt? Steckte mir etwa der Walk am Samstag oder der Ultra von Remscheid in den Knochen? Es kam mir nicht so vor, als würde ich merklich langsamer walken als zuvor. Was mich auf diesem Teil der Strecke aufbaute, war ein nettes Gespräch mit einer reuigen (Lauf-) Sünderin und die Tatsache, daß ich einen meiner heißgeliebten Lauf-Walker an jeder noch so kleinen Steigung stehen ließ wie einen Laufanfänger.
Bei Kilometer 35 hatte sich meine Kilometerzeit wieder bei 7:20 Minuten eingependelt. Plötzlich sah ich auf einer Anhöhe den offiziellen Fotographen von firstfotofactory.com (Werbespruch: "Mit einem Lächeln am Fotopoint vorbeirauschen!") stehen und ich dachte mir, daß das eine gute Gelegenheit ist, meinen Überdruß über den Ablauf der Veranstaltung zu demonstrieren. Ich nahm meine beiden berüchtigten Walkerdaumen in Brusthöhe und machte das Zeichen, das man im alten Rom für Ereignisse kreiert hatte, die bei den Zuschauern nicht übermäßig gut ankamen. Leider ist es mir trotz größter Anstrengung nicht gelungen, auch noch böse zu gucken.

Nach 4:45 Stunden erreichte ich Kilometer 40 und nahm mir vor, eine Zeit unter 5 Stunden anzupeilen. Dieser Vorsatz verlieh mir offenbar Flügel, denn 3 Minuten später waren schon 41 Kilometer absolviert. Mein Konditionsschub hielt an und nach weiteren 2 Minuten waren es bereits 42 Kilometer. In gut 4:52 Stunden erreichte ich das Ziel als erster walkender Walker und war damit nur gut 6 Minuten langsamer als bei meinem schnellsten City-Marathon.
Trotzdem überwog der Frust über die Plazierung, und so führte mich mein erster Weg ins Festzelt zur Organisatorin des Marathons. Da durfte ich mir zunächst die Standardsprüche anhören wie z.B. „Man kann das ja gar nicht kontrollieren.“

Insgesamt bleibt ein über alle Maßen gelungener 16,5-Kilometer-Walk und eine Marathon-Zeit, mit der ich zum Ende der Saison in meinen kühnsten Träumen nicht mehr gerechnet hätte.
Meine Einstellung zum Monschau-Marathon hat sich allerdings gründlich geändert. Habe ich noch vor dem letzten Wochenende die Auffassung vertreten, daß man in Monschau als Walker trotz der eigenartigen Ausschreibung mitmachen sollte, weil die Strecke reiz- und anspruchsvoll ist, bin ich jetzt der Auffassung, daß durch den Monschau-Marathon die Unsitte des Laufens bei Walking-Wettbewerben insbesondere in der Eifel massiv gefördert wird und hierdurch vielen Walkern nachhaltig die Freude am Walken verdorben wird. Vor der Formulierung der nächsten Ausschreibung sollten die Monschau-Organisatoren lieber noch einmal mehr über die Konsequenzen ihrer Wortwahl nachdenken als hinterher ein betroffenes Gesicht zu machen und zu riskieren, daß Läufern bei Walking-Veranstaltungen das Unrechtsbewußtsein abhanden kommt.
Als letztes stellen sich mir nur noch wenige Fragen: Wann gewinnt der erste Freistilschwimmer einen Brustschwimmwettbewerb? und, vor allem: Warum meldet sich ein Läufer zu einem Walking-Wettbewerb an, wenn es parallel einen Läuferwettbewerb gibt?