Hi Ian,
Ian hat geschrieben:[...]Ich mache mal eine grobe Rechnung auf. Nehmen wir ein empirisch nicht belegtes Jahresbrutto von 35.000 Euro für einen Mitarbeiter. Laut Hörensagen muss der Arbeitgeber für jeden Mitarbeiter (Vollzeit) ungefähr 1.8 * Bruttogehalt an Aufwendungen tragen. Gehalt plus Arbeitgeberanteil der Sozialleistungen plus x.
Das sind bei 35.000 Euro -> 63.000 Euro p.a./Mitarbeiter
63.000 Euro p.a./Mitarbeiter * 100 = ~6.300.000 Euro Lohnkosten p.a.
Abgesehen davon, dass diese Rechnung in der Form eigentlich überflüssig ist (wie ich noch zeigen werde), korrigiere ich mal ein wenig:
Der Anteil der Lohnnebenkosten beträgt (stark vereinfacht) ca. 20% vom Bruttolohn. Der "35 T €-Mitarbeiter" kostet demnach ca. 42 T €, also 7 T € LNK.
Du willst jetzt für den AG die zu zahlenden LNK senken. Ich schenke ihm z. B. seinen kompletten Anteil der Krankenversicherung. Das sind vom Bruttolohn ca. 7%. Der AG spart damit 2,45 T € per anno am im Moment nur halbkrankenversicherten Mitarbeiter, was 35%!!! der LNK entspräche.
Bei 100 Mitarbeitern:
- vorher: 4,2 Mio. € Personalkosten
- nachher (-35%LNK): 3,96 Mio. € Personalkosten
Differenz: 240 T €/39,6 T€ = 6 theoretisch neue Mitarbeiter.
Wenn du die LNK komplett streichen willst und die Kosten eines dadurch ausgelösten Volksaufstands unberücksichtigt lässt, könnte der Unternehmer in der Tat 20 neue "halbversicherte" Mitarbeiter einstellen.
Was ist aber der Überfluss an dieser Rechnung? Der Lohn und speziell die LNK sind - wie ich schon dargestellt habe - für den Unternehmer ja nur ein mehr oder weniger großer Teil seiner Kostenrechnung. Wie du andeutest, in personalintensiven Betrieben natürlich ein größerer. In "Die Zeit" lese ich, dass z. B. der Personalaufwand gemessen am Umsatz bei VW in Wolfsburg (ein teurer Standort) bei der Produktion eines VW Golf ca. 20% ausmacht (konzernweit sind es 16%) (Die Zeit - online vom 16.09.2004). Davon nehme ich jetzt mal ca. 20% LNK, macht also 4% gemessen am Umsatz. Da ich die komplette!!! Krankenversicherung gestrichen habe - und von solchen Hammerlösungen spricht die Politik ja nicht (du erinnerst dich an Ullallas Freudensprünge, als sie die KV-Beiträge um 1-2 Prozentpunkte sinken lies) - fallen von den 4% wie oben gezeigt 35% weg, sind also 1,4% die der Unternehmer spart, wenn es zu dieser revolutionären Radikallösung käme.
(Okay ... wo habe ich mich verrechnet?

)
Nun, das wäre auch Geld, aber erstens verdammt wenig und zweitens hat die Sache ja einige ganz andere Haken, die du irgendwie ausblendest und nicht beachtest:
Unsere Mitarbeiter sind ja nur noch halbversichert

- ach so, die sollen mal schön in eine private Versicherung gehen. Eine private Versicherung wird aber wohl kaum preiswerter als eine umlagenfinanzierte Versicherung sein. Entsprechende Warnungen/Erfahrungswerte z. B. aus England hat die deutsche Bundesregierung bereits erhalten.
Aber selbst unter der Annahme, dass eine private Versicherung genauso preiswert wäre, wie die umlagenfinanzierte. Wo ist dann der volskwirtschaftliche Effekt? Denn unsere AN müssen jetzt plötzlich die 2. Hälfte der KV auch noch selbst zahlen, was faktisch einer Lohnsenkung gleichkäme und damit äußerst konsumdämpfend wirken dürfte. Das hältst du für wirtschaftlich sinnvoll? Erkläre mir den Vorteil daran. Das Spiel wird ebenfalls nicht besser, wenn du die KV über eine Steuern verrechnen möchtest. Auch hier entziehst du dem AN die Kaufkraft.
Löhne spielen natürlich eine Rolle, aber die reduzierte Diskussion auf LNK, ist völlig übertrieben.
Kommen wir zur andern Seite - dem Unternehmer, denn der hat ja jetzt mehr Geld zur Verfügung.
Ian hat geschrieben:[...] Nun kommen wir zu der wirklich interessanten Frage: warum sollte er?
Persönlich denke ich, dass die Antwort reichlich trivial ist: Die Arbeit ist vorhanden. Es ist ja nicht so, dass die Unternehmen aus lauter Boshaftigkeit niemanden einstellen oder Leute entlassen [...] Ich kenne niemanden in meinem persönlichen Freundeskreis, der nicht Überstunden schiebt. Ob nun ich als Student (während Releasezeiten bis zu 90 Stunden die Woche) oder als ausgelernter Disponent bei einem Dienstleister mit über 220 Stunden im Monat.
Überall, wo ich hinblicke ist mehr als genug Arbeit vorhanden.
Ich glaube, hier begehst du den Fehler, aus deinem begrenzten Umfeld auf eine ganze Volkswirtschaft zu schließen. Müsste sich denn deine Vermutung dann nicht in so einigen volkswirtschaftlichen Zahlen niederschlagen? Wie sieht es denn z. B. mit den real geleisteten Arbeitsstunden aus? Wie sieht es mit der Auslastung der Produktionskapazitäten aus? Wie mit den Investitionen? Zeige mir eine Statistik, die gesamtwirtschaftlich für deine These spricht. Ich bestreitet natürlich nicht, dass es in deinem Bekanntenkreis so ist, aber ich könnte genauso sagen, in meinem Bekanntenkreis ist das nicht so.
Und: Ein Unternehmer stellt doch nicht Leute ein, weil sie billig sind. Er stellt Leute zunächst mal dann ein, wenn Nachfrage nach seinen Produkten besteht. Ohne Nachfrage keine Käufer. Schau dir die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitnehmereinkommen der letzten 25 Jahre und die Zahl der Beschäftigten an. Zeige mir, dass die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre zu mehr Beschäftigung geführt hat, denn auch das müsste ja nach deiner These irgendwie messbar sein.
Ian hat geschrieben:[...] dass echte Mittelständler (oder für uns: der kundige Sportfachhändler) aussterben.
Der Mittelstand hat es in der Tat nicht leicht.
Ian hat geschrieben:[...]Sicherlich richtig. Aber bisher haben private Gesellschaften in der Regel ein höheren Mehrwert für Anleger erwirtschaftet, als die 120% Rückzahlung für aktuelle Rentner. Für alle die Jahrgang 1970 und jünger sind, wäre eine Einzahlung in einen privaten Fonds ein um Äonen sinnvolleres Geschäft, als dieser umlagenfinanzierte Humbug. Selbst wenn das Geld in langfristige Bundesanleihen gesteckt worden wäre, hätten alle Rentner mehr von ihrem Geld gehabt.
Du plädierst damit aber für eine Aufgabe des Sozialstaatsprinzips und überlässt die Schwachen sich selbst. Kann man so sehen - survival of the fittest. Aber das heißt auf der anderen Seite dann wieder, mehr Menschen in der Sozialhilfe.
Du solltest auch erkannt haben, dass eine private Versicherung ebenfalls bezahlt werden muss und damit dieses Geld dem AN fehlt. Er muss - außer er verdient "zuviel" - auf Konsum verzichten, also egal welches Finanzierungsverfahren du wählst, die tatsächliche Situation ändert sich nicht.
Was die Kosten und Renditen von Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren angeht, kann ich nicht viel zu sagen. Die Renditezusagen der Versicherungen sind in den letzten Jahren allerdings stark zurückgegangen (habe da was mit 2,7% im Hinterkopf) und die Kosten von Vertrieb- und Verwaltung sind ja immer wieder in aller Munde, aber wiegesagt, da habe ich keine Zahlen.