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von LauerAlexander
Schon beim Wecken sollte eine Reihe von Ärgernissen beginnen, die mir den gestrigen Tag als denkbar Schlimmsten dieses Jahres in Erinnerung bleiben wird und mir bei der Nennung der Stadt Bad Salzuflen in Zukunft traumatische Erinnerungen hervorrufen wird. (Ja liebe Leute, wir haben das Freud- Jahr! Aber um mich zu therapieren, schreibe ich alles auf und lasse euch an meinem Drama teilhaben…)
Es begann also damit, dass ich wohl in der Nacht unbewußt einen Hebel am Wecker umgestellt habe, so dass nicht, wie gewohnt, klassische Musik, sondern ein grässlicher Piepton mich aus sanftem Schlummer riss. (Die optische Wirkung ist etwa diese, als wenn man den Singvögeln lauscht und ein Rabe oder Krähe eine Dissonanz in das Vogelkonzert bringt.) Na gut, Wecker aus, alle morgendlichen Verrichtungen erledigt, es war Zeit zum Bahnhof zu fahren, also nimmt meinereiner die Tasche, welche er gestern nach Checkliste gepackt hat und begibt sich auf seinem Veloziped gen Bahnhof. Nach ungefähr 500 Metern spannte sich folgende gedankliche Kausalkette. „Ich bin mal auf die anderen aus dem Forum gespannt- Wer wollte noch mal kommen? - Thorsten, New, wie hieß sie noch gleich? Bladerunner, genau wie das Geschäft in dem ich meine Laufschuhe gekauft habe…“ Nun stockten meine Gedanken, da sich zwischenzeitlich eine furchtbare, mich ins Mark erschütternde Tatsache in mein Gedächtnis hineinzwängte und nun alle Aufmerksamkeit beanspruchte. Um es kurz zu machen und seit heute dürft ihr mich alle den Forumsdepp nennen.
ICH HABE MEINE LAUFSCHUHE VERGESSEN EINZUPACKEN!
Also meinereiner mit eingeschaltetem Turbo zurück nach Hause, Schuhe einpacken und dann rapido nachm Bahnhof hinne! Da taten mir zum ersten Mal die Beine weh. Da ich aber weder Jan Ulrich bin, noch dessen Fahrrad habe, traf ich just in dem Moment ein, als die S- Bahn, die mich nach Minden und dann nach Herford und dann nach Bad Salzuflen transportieren sollte, den Wunstorfer Bahnhof verließ. Dieses Ereignis drückte meine Laune und meine Motivation, überhaupt ins Westfälische zu fahren, erheblich. Da ich ein Onlineticket gekauft hatte, fragte ich im Reisezentrum nach, ob ich es heute noch online kosten frei stornieren könnte, was mir leider abschlägig beschieden wurde. Nun dachte ich, „Du hast ein Ticket und ne Anmeldung, nun fährst du auch hin!“
Nun hat unser wonniges Dorf eine, im naturwissenschaftlichen Sinne, „Bifurkation“ ähnelnde Bedeutung, was den Schienenweg angeht. Denn hier teilen sich die Gleise in Richtung Bremen (Bremer Gleise) und nach Westfalen (Mindener Gleise). Da ich den Fahrplan eher „quer gelesen habe“, glaubte ich, dass alle Züge nach Minden und weiter auch nach Herford fahren- ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte.
Nachdem ich einen Zug Richtung Minden betreten hatte, fand ich mich zunächst in einer großen, aber friedlichen Schalke Fangruppe wieder. Man war freundlich, obwohl ich eine Sporttasche von Nike mit nem Aufdruck von Dortmund mit mir führte. (Ich wurde später oft auf diese Tasche angesprochen, so dass ich mir in Zukunft eine neutrale Sporttasche kaufen werde…) Nachdem die putzigen Gesellen den Zug in Minden verlassen hatten (Tipp an alle Wochenendfahrer: Nehmt euch ne große Tüte mit und Handschuhe, was da an Pfandflaschen abgestellt wird, das hätte mir das Startgeld bezahlt!) war der Zug sehr leer, was mich dazu bewog, mich im Zug umzuziehen, was auch kein Problem war.
Irgendwann kam ein Schaffner und ich fragte, wann wir denn in Herford ankommen. Er entgegnete mir:“ Mit diesem Zug niemals!“ Wie sich herausstellte hätte ich bereits in Löhne aussteigen sollen, aber das wusste ich nicht. Auf meine Frage, wie ich denn nun nach Herford käme sagte er:“ Glasch kommt Melle da nem Se den nächsten Zuch, jegenübber de fährt nach Herford!“ Nur das De Zuch nach Herford 30 Wartezeit dauerte in einer besseren Baracke und mit meinen dünnen Laufsachen… furchtbar! Meine Stimmung sank fühlbar; dank BFBS, was man in Westfalen wunderbar empfangen kann, erhellte sich meine Stimmung (Ich danke Gott jeden Tag, dass ich WDR3 empfangen kann, aber BFBS ist mal was anderes…)
Die Reise von Melle via Herford bis Salzuflen verlief ereignisarm.
In Salzuflen empfing mich als erstes eine verrauchte und dreckige Bahnhofshalle, danach eine vierspurige Strasse, wo man stundenlang an der Ampel stehen muss. Da ich in „Habitus“ war und ob meiner Verspätung niemanden mehr zu treffen hoffte ging ich der Ausschilderung nach zum Veranstaltungsort. Gegen 11:55 rückte ich in die Turnhalle ein und holte mir meine Unterlagen ab; Treffen war ja um 11:15 aber ich sah niemanden. Ein einzelner Herr kam auf mich zu und gab sich als LA Fori zu erkennen; ich habe seinen Nick komplett vergessen... Fori, bitte melde dich!“ Da es etwas kalt war, ging ich zurück in die Turnhalle und versuchte innerhalb von 5 Minuten den Stress und die Anspannung der letzten 2,5 Stunden aus dem Kopf zu kriegen und mich gedanklich und emotional auf den Lauf vorzubereiten. Ich lenkte mich zusätzlich mit einem sehr kurzen Besuch in der Cafeteria ab, wo ich auf der „Marathonmesse“ ein sehr hübsches Laufhemd für nur 20 Euro sah. Ich beschloss, selbiges nach dem Lauf zu kaufen.
Pünktlich um 12:15 erfolgte der Startschuss und das Feld setzte sich langsam in Bewegung. Mehr verwundert als entsetzt bemerkte ich, dass wir einige Höhenmeter hinaufstiegen. Als wir dann beim eigentlichen Rundkurs ankamen sollte sich die Berg und Tal Bahn fortsetzen. Offensichtlich hat mein ES oder mein ÜBER ICH das Streckenprofil der Ausschreibung nicht zur Kenntnis genommen oder komplett verdrängt. Wäre es nach meinem ICH gegangen, wäre ich als Flachlandläufer unter vernünftiger Bewertung der Topografie, nie angetreten. Kurz nach den ersten Kilometern war mir klar, dass ich an diesem Tag keine 5 Runden laufen würde. Kurz nach der Verpflegungsstation kamen zwei heftige Anstiege, bei denen ich so schlimm wie noch nie in einem Wettkampf ackern musste. An einigen Stellen lag zum Teil noch Schnee. Nachdem es kurz vor Ende der ersten Runde wieder Bergab schöpfe ich wieder Hoffnung und bin frohen Mutes in die zweite Runde eingebogen. Diese Hoffnung sollte aber nur von kurzer Dauer sein. Spätestens nach der Verpflegunkstation war mir klar, dass nach Ende dieser Runde die Ausfahrt Richtung Ziel nehmen würde. Noch einmal dieser schreckliche Anstieg, wobei mir nun wirklich die Waden derartig schmerzten, wie ich persönlich noch nie beim Laufen gespürt habe. Mir war klar, eine dritte Runde wäre nur noch Quälerei. Obwohl ich ein Freund sexueller Grenzerfahrungen bin, so ist mein Masochismus deutlich unterrepräsentiert. Der Rest des Laufes verlief relativ ereignisarm. Man lief den Berg wieder runter, wieder in die Siedlung, irgendwann hört man den Lärm vom Ziel und dort hatte ich noch eine unangenehme Überraschung. In meinem Streben, das Ziel so rasch wie möglich zu erreichen, verfehlte ich den Zieleinlauf, auch dadurch erschrocken, das man dort meinen Namen und Verein LAUFEN-AKTUELL.DE nannte. Ich musste ein Trassierband in einer Höhe von ca. 25 cm überspringen. Der mit der Aufgabe dieses Sprunges beauftragte Wadenmuskel krampfte! Ich lieferte keinen eleganten Hüpfer ab, sondern eher ein Straucheln á la zum Tode verurteiltes Pferd. Egal, es war nur noch 3 Meter, die habe ich auch noch zu Ende gebracht und zu Ende war der Lauf für mich. In die Sporthalle zurückgekehrt, verzichtete ich auf die Dusche, da sich mittlerweile eine stattliche Anzahl von Herren vor selbiger staute. Ich trocknete mich lediglich ab und zwei Erfrischungstücher der Lufthansa spendeten mir ein Gefühl von Frische. Das Laufshirt kaufte ich nicht, da ich glaube, dass es mich jedes Mal, wenn ich es in der Hand hätte, mich an Salzuflen und an die Umstände dieses Tages erinnern würde. Gegen 14:50 Uhr verließ ich den Ort des Geschehens, um den Bahnhof zu erreichen. Die weitere Heimreise verlief reibungslos. Zu Hause angekommen köpfte ich erst einmal eine Flasche Badischen Rieslings und begann mit der Niederschrift dieses Berichtes, den ich heute mit der zweiten Hälfte der Pulle beende.
Fazit: Habe ich aus den Ereignissen etwas gelernt? JA!
1. Ich habe meine Checkliste für Laufwettkämpfe um den Punkt „Laufschuhe“ erweitert.
2. Mein Bergtraining ist ausbaubedürftig. Ich werde in Zukunft ein bisschen im Deister trainieren.
3. Bei Läufen mit topografischen Besonderheiten werde ich mir dessen Streckenprofil besonders genau ansehen.
4. Ich werde mir von Herrn Freud „Die Traumdeutung“ kaufen; vielleicht hilft es ja auch bei meinen Wahnvorstellungen bei meinen längeren Läufen. Oder doch liebe Nietzsche?!?
Für jedes komplexe Problem gibt es eine Lösung, die einfach, bestechend und falsch ist.
(Henry L. Mencken)