Erst nach und nach wird mir bewusst, das ich den Respekt vor 42195 Metern verloren hatte.
2006 war mein 4. Marathon und es war der härteste, längste Lauf den ich bisher erleben durfte / musste. In den vergangenen Jahren waren die Bestzeiten mir nur so zugeflogen. Über ein lockeres Debüt in 4:45 kam ich in 2004 auf eine 4:15 und 2005 auf eine 3:46. Diese 3 Läufe waren jeweils ziemlich entspannt besonders 2003 und 2005. Ich habe diese Läufe genossen. Habe Stimmung und Strecke aufgesogen und fühlte mich wie die meisten meiner Vorschreiber sich gestern und heute fühlen. Aber seit 2005 war auch ich der Zeithast verfallen. Immer schneller war mein Antrieb. Ich bin ein Zahlenfetischst und motiviere mich darüber beim Training. Während des Laufes soll dann alles ganz leicht gehen. Der M soll die Belohnung für das Training im Winter, die kalten Hände, die nassen Füsse und die rote Nase sein. Ich muss den Lauf geniessen können.
Genauso war es 2006 NICHT.
Training stimmte. Vorbereitungswettkampf war relativ locker gewesen.
Und dann kam Sonntag.
Nachdem ich mich von meinem Freund und Laufgenossen getrennt hatte stand ich allein im Startblock. Alles passte. Die 3:30 sollte heute fallen. Und wenn nicht war es auch nicht so schlimm. Es ging los und der Rhytmus war schnell gefunden. Die ersten 10 KM flogen in 49min an mir vorbei. Geschwister und Freunde an der Strecke machen das rennen einfach leichter. Auch bei KM 20 war alles noch im Lack. 49 min hatte ich für das Teilstück gebraucht. Und dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Meine Beine wurden schwer. Mir taten Arme und Schultern weh. Ich dachte, shit läufst du denn heute mit den Armen ??? Bei KM 22 gab ich meinen Brustgurt ab, weil ich das Gefühl hatte er würde mich einengen. Ab KM 25 musste ich echt kämpfen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wieso kämpfen ? Du hast doch bisher auch immer deine Ziele erreicht und es hat Spass gemacht und du hast es genossen. Ich konnte die Geschwindigkeit zwar bis KM 30 ungefähr halten, merkte aber wie die Anstrengung immer mehr zunahm. Die 3:30 hatte ich zischenzeitlich vergessen. Ich wollte wirklich nur " durchkommen ". Das klingt vielleicht komisch aber ich hab echt das erste Mal in meiner "Läuferkarriere " darüber nachgedacht : Warum machst du das, Muss das sein ? Der Kontakt zum Publikum flammte nur noch an einigen Punkten auf, wo Freunde standen oder die Musik besonders laut war.
Ich wusste was noch kommen sollte. Die letzten 4 KM. Rothenbaumchaussee aufwärts und dann wieder runter zum S-Bahn Tunnel. Und dann dieser Aufstieg am Gorch Fock Wall. Schon ab KM 38 hab ich jedes KM Schild gesucht. Meine Oberschenkel mussten mindestens so dick wie die von Ben Johnson sein. Beim letzten Anstieg dachte ich meine Adduktoren würden abreissen. Mein einziger Gedanke war : Nein ich gehe nicht. Niemals. Nie...
Dann endlich dass Ziel. Mir ist die Zeit egal. Ich bin nur froh. Froh dass es vorbei ist. Richtige Freude stellt sich nicht ein. Dafür war der Lauf einfach zu anders. Zu anders als ich es mir vorgestellt habe.
Erst langsam begreife ich, dass wenn man immer dichter an seine Grenzen kommt, die Belastung für Körper und Geist ungleich höher werden.
42km sind eben doch verdammt weit.
Im Ziel, beim ersten und letzten alkfreien Erdinger gilt mein Gedanke diesem ungenannten griechischen Soldaten. Seine Leistung huldige ich, auch wenn er für meine Schmerzen am Sonntag mitgesorgt hatte.
Yammas kai efkaristo
Ich werde nie wieder denken, dass ein Marathon immer ein Vergnügen ist. Es hängt alles nur von einem selbst ab, ob es ein solches wird oder ob die nächste PB fallen soll.
Nächstes Jahr schaff ich wieder Beides, versprochen

Oliver,
der immer noch keine Treppen runter gehen kann