Als die Onlineanmeldung geöffnet war machte ich es fest. Der Röntgenlauf sollte mein erster Ultra werden. Das erste mal länger als Marathon, schon beim Gedanken daran geriet ich ins Grübeln. Aber ich lasse immer gerne alles auf mich zukommen bis der Tag der Wahrheit naht. Und er nahte

Unsere Lauftruppe traf sich um 6:30 Uhr im beschaulichen Schwerte zur gemeinsamen Fahrt nach Remscheid.
Dort angekommen, die Startunterlagen abgeholt, ab zum Foritreffen. Alles lief wie geschmiert.
Der Startschuß ertönte und es ging recht zügig los. Die ersten drei KM mit einem Schnitt unter 6min. Upps, ganz schön fix. Aber wenns läuft, was solls.
An meiner Seite hatte ich André. Sozusagen ein Röntgenläufer der ersten Stunde. Er hat dort bisher jeden Ultra mitgenommen. Sein sechster in Folge. Einen besseren Laufpartner hätte mir niemand an die Seite stellen können.
Mit dabei waren noch Sarah und Andreas, für die es auch über die volle Distanz gehen sollte. Olli und Anja hatten sich den Marathon vorgenommen. Sie liessen es etwas ruhiger angehen.
Das erste drittel verging wie im Flug. Sarah und Andreas waren uns meist etwas vorraus. Kurz nach dem HM-Ziel (2:08 also voll im Soll), wo wir von Bogie bestens versorgt wurden, schlossen André und ich wieder zu ihnen auf. So genossen wir die herrliche Strecke bis KM 30 gemeinsam. An einem Getränkestand trafen wir die schnelle Wade aus Wanne und seinen Kumpel Raimund, die wir beim 5 Talsperrenlauf kennengelernt hatten.
Auf einmal meinte ich den Berg doch etwas fixer als eigentlich nötig anzugehen. Unnötige Kraftverschwendung eigentlich. Aber auch diese Fehler muß man erstmal machen um sie beim nächsten mal abzustellen

Nach der nächsten Versorgungsstation hatte ich also mein erstes tief. Nichts dramatisches, jedoch konnten wir mit Sarah und Andreas nicht mehr Schritt halten. Mein Glück war, das André noch den 100er von Arnsberg in den Beinen hatte. Ausserdem plagten ihn im Vorfeld Rückenschmerzen, so das er nicht auf eine Bestzeit aus war. "Wir ziehen das Ding hier jetzt zusammen durch" drohte er mir, und ich war froh über seine Aussage.
Bei KM 34 sahen wir die beiden das vorerst letzte mal von hinten. Nochmal ausgiebig gegessen und getrunken. Dann begann der Lauf im Niemandsland. Nicht enden wollende Berge, alles sah gleich aus. Respekt vor dem der dort den Kopf ausschalten kann.
Es folgte der Abstieg bei KM 38. Das wofür man sich stundenlang quälte lief man jetzt in 15 Minuten wieder herab. Es handelte sich hierbei übrigens um den Junkie-Olli-Rückwärtsabstieg

Dann auf einmal an der Verpflegungststation bei KM 40 überholte uns eine taufrische Anja. André und ich schauten uns an und konnten es gar nicht glauben. Sie hatte es richtig gemacht. Wir mussten Tribut für das hohe Anfangstempo zahlen.
In diesem Moment dachten wir auch an Olli. Anja sagte er hätte schwer zu kämpfen. Naja, vielleicht ist der Röntgenmarathon nun doch nicht die ideale Strecke für ein erstes mal

Kurz vor dem Marathonziel bekam ich dann bei einer Steigung einen heftigen Druck auf die obere Kniescheibe. Beim bergablaufen drückte dann der untere Teil. André riet mir mich mit dem Schmerz zu "arrangieren", was ich auch tat. Nach einer Weile ging es wieder und wir liefen in 4:35h ins Marathonziel ein.
Dort erwartete mich meine Freundin. Ich hatte Ihr einen Rucksack mit allen erdenklichen Speisen, Getränken und Klamotten mitgegeben. Sie fragte mich ob ich etwas davon haben wollte aber ich wollte alles nur noch so schnell wie möglich hinter mich bringen. Auf die Frage wie es mir geht antwortete ich mit "geht so" und das war noch gestrunzt. Im Grunde genommen war ich schon im Marathonziel vollkommen platt, obwohl mir Bogie zurief "Du siehst gut aus". Aber man kennt ja diese Standardsprüche

Nun begannen die für mich heftigsten zehn KM meines Lebens. Als wir aus dem Freibad wieder in den Wald liefen, sahen wir Sarah und Andreas nochmal von hinten. Sie hatten eine ausgedehnte Klopause gemacht und zogen wieder voll Ihr Tempo an. Ihr Tiere dachte ich nur.
Ich wäre am liebsten den Rest der Strecke gegangen, so fertig war ich. André spielte den Psychologen und das machte er sehr gut.
Er erzählte mir von seinem übergewichtigen Arbeitskollegen der es noch nicht mal schafft 100 KM am Stück Auto zu fahren weil er dann schon ins Schwitzen kommt. Parolen wie Marathon laufen können viele, aber so einen Ultra das macht nicht jeder schlugen mir entgegen. Recht hatte er.
Beim kleinsten Berg fing ich an zu gehen und sagte Ihm er sollte allein weiterlaufen. Aber er blieb bei mir und erzählte mir alles mögliche was in den letzten Wochen passiert ist und irgendwie kamen wir dann zum Bauernhof bei KM 53.
Ab hier kannte ich die Strecke. Im letzten Jahr hatte ich nach meinem HM das Mountainbike aus dem Kofferraum geholt und war André entgegen gefahren. Diese Verpflegungsstelle blieb mir in guter Erinnerung, weil es dort Bier gab

Na gut kein richtiges Bier (Kölsch) aber dieses halbe Glas hat irgendwas in mir bewirkt. Wir liefen wieder recht flüssig und in einem guten Tempo. Die 7:30h Grenze war wieder zum greifen nahe. Und dann wieder mal ein Hammerberg. Was solls, raufgewalkt und weiter gings.
Es lief auf einmal wieder. Nicht besonders schnell aber stetig. Trotzdem wurden wir permanent von nachfolgenden Läufern überholt. Wir konnten es nicht glauben das es Leute gibt die diese Strecke in einem konstanten Tempo laufen. Es ging nicht in unsere Birne.
Dann kam der Verpflegungsstand kurz vor KM 37. Dort gab es einen herrlichen Schmandkuchen, lekka. Überhaupt habe ich bei noch keinem Lauf so viel gegessen. Und ich hatte auch kein Problem damit es drinnen zu behalten. An dieser Stelle auch nochmal ein Lob an die Helferinnen und Helfer. Mit welcher Herzlichkeit man dort verköstigt wurde war allererste Sahne. Ich verkniff mir den Spruch "na dann bis nächstes Jahr". Bloß keine Versprechungen machen. Denn in diesem Moment war ich fest davon überzeugt, das machst du nicht noch einmal !!!
Mittlerweile war die Zielzeit sub 7:30h nahezu ausgeschlossen. Aber jetzt begann eine unserer stärksten Phasen. Auf diesen letzten 6 Kilometern überholte uns niemand mehr. Ganz im Gegenteil, wir überholten. Ein fast sprachloser André (den Berg bin ich ja noch nie hochgelaufen) heftete sich an mich. Ich macht die Pace und er ließ sich ziehen. Jedenfalls kam es mir so vor.
Wichtig war für mich, das ich den Schlussteil der Strecke bereits kannte. Auch wenn ich wusste das noch zwei heftige Hügel kamen war mir klar, ab heute bist du ein Ultra.
Also liefen wir das Ding in 7:32h nach Hause.
Allerdings vermisste ich die vielgepriesen Emotionen. André versprach mir welche beim Zieleinlauf, doch ich war einfach nur froh angekommen zu sein.
Fakt ist das ich ohne André mindestens eine halbe Stunde mehr benötigt hätte, dafür nochmal einen Riesendank an "Ultrakalle"

Im Ziel empfingen uns Silke, Gisela, Olli, Georg, Anja und Andreas der mich sofort kräftig herzte. Ein tolles Gefühl so von Ultra zu Ultra

Zu Olli soll ich angeblich gesagt haben das ich nicht mehr laufen werde. Was für ein Quatsch

Krückenkaputt ging es nach dem Duschen und einem Weizenbier nach Hause, wo mir die Beine wie noch nie in meinem Leben brannten. Ich war stolz aber nicht wirklich glücklich.
Aber auch dieses Gefühl stellte sich nach ein paar Tagen ein.
War schon geil

Ich bin nächstes Jahr wieder dabei, halt eben Liebe auf den zweiten Blick.
In diesem Sinne,
Mattin