Duessin hat geschrieben:Als erstes möchte ich mich in aller Form beim Martin entschuldigen. Ich habe emotional überreagiert und in der Tat etwas patzig geantwortet. Tut mir leid wie es auf Dich gewirkt hat.
Freut mich, Ulf, daß Du Dich in diesen Thread eingeklinkt und so ausführlich Stellung genommen hast

.
Trotzdem sehe ich einige Punkte an Eurer Position noch kritisch und finde es spannend, hier in einen Dialog einzusteigen.
Duessin hat geschrieben:Interessant finde ich das aktivlaufen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man die individuelle Laufbewegung so wenig wie möglich beeinflussen sollte durch Laufstiländerungen (also bewußtes anderslaufen) oder durch Laufschuhe die den Bewegungsablauf beeinflussen.
Hier sehe ich ein prinzipielles Problem der modernen Laufschuhversorgung: In den meisten Fällen beeinflußt der Laufschuh ganz erheblich die Individiuelle Laufbewegung. Unbeeinflusste Bewegungsabläufe stellen sich streng genommen nur barfuß ein. Deswegen vertreten wir Aktivläufer die Ansicht, daß möglichst viele Elemente der barfüßigen Lauftechnik zum Laufen in Schuhen "herübergerettet" werden sollten. Wenn dies überhaupt einigermaßen gelingen kann (und bei vielen meiner Bekannten ist es gelungen), dann nur mit flach und leicht gebauten Laufschuhen mit wenig Dämpfung. Der Mensch ist eben von Natur aus faul, und deswegen neigt der Bewegungsapparat dazu, in einen eher passiven Laufstil zu verfallen, sobald ihm Dämpfungs- und Stützsysteme angeboten werden. Als ich mich seinerzeit auf Aktivlaufen umstellte, dauerte das fast 1,5 Jahre, da ich noch keine geeigneten Schuhe gefunden hatte, die dem Körper signalisiert hätten, daß es günstiger ist, die Belastung in Richtung Vorfuß zu verlagern und damit aktiver zu dämpfen.
In dieser Phase habe ich sehr davon profitiert, bewußt "anders" zu laufen, und zwar in dem Sinne, daß ich mir die Bewegungsabläufe, die ich in Barfußlaufversuchen kennen gelernt hatte, auch beim Laufen in Schuhen zu eigen machte.
Duessin hat geschrieben:Nach meiner Erfahrung und Erkenntnis sollte der Schuh so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig stützen.
Hier ist meine Überzeugung, daß nahezu jeder Läufer eine aktive Lauftechnik erlernen könnte, und somit auf Stützen (und auch Dämpfung) komplett verzichten könnte, wenn der Wille dazu vorhanden wäre. Andererseit bin ich Realist genug, um zu wissen, daß diese Bereitschaft sich längst nicht bei allen Läufern erwecken läßt, und somit immer ein gewisser Bedarf an stützenden und dämpfenden Schuhen bestehen wird.
Duessin hat geschrieben:Hinzu kommt das die Bewegung komplexer ist, als nur die Bewegung des Fersenbeines. Es gibt also bei der Laufschuhberatung die Möglichkeit der Fehleinschätzung, sowohl durch den Rat zu mehr Stützwirkung, als auch zu zuwenig Stütze.
Hier sprichst Du ein schwerwiegendes Problem der Laufschuhberatung an. In folgendem Übersichtsartikel wird das etwas näher beleuchtet:
http://www.zeitschrift-sportmedizin.de/ ... _01_03.pdf
Man kommt dort im Wesentlichen zu dem Schluß, daß weder eine einheitliche Definition der Überpronation existiert, noch ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen Pronation und Verletzungen besteht, noch die üblichen (Video-)meßverfahren überhaupt geeignet sind, die Fehlbewegungen zu quantifizieren.
Selbst wenn die Zusammenhänge klarer wären, dann müßte mir der Befürworter gestützter Laufschuhe noch einen Punkt erklären: Die Überpronation ist ja eine Fehlbewegung des Rückfußes. Passive Stützen wie zweite mediale Härten oder klassische orthopädische Einlagen nutzen den unter dem Rückfuß angreifenden Teil der Bodenreaktionskraft, um eine stützende Wirkung zu entfalten. Dies funktioniert beim Fersenläufer vielleicht bis zur mittleren Stützphase. Sobald die Ferse vom Boden abhebt, verschwindet die Stützwirkung jedoch.
Wer dagegen aktiv läuft und die Supinatoren der tiefen Unterschenkelmuskulatur zur Pronationskontrolle einsetzt, hat dieses Problem nicht.
Eine weitere Unzulänglichkeit passiver Stützen erwächst meines Erachtens aus der Tatsache, daß die Weichteilstrukturen der menschlichen Fußsohle eigentlich entwicklungsgeschichtlich gar nicht dafür ausgelegt sein können, im medialen Bereich starkem Druck ausgesetzt zu sein, da der intakte Fuß dort den flachen Boden gar nicht berührt.
Duessin hat geschrieben:Eigene Schuhe zu bauen könnte uns helfen den Bedarf auch an neutralen Laufschuhen für Aktivläufer zu verbessern. ... Da wird es dann auch flachere Schuhe geben, nur damit können wir nicht beginnen.
In dieser Absicht möchte ich Euch gerne bestärken, Ulf.
Solange aber in Informationsdokumenten auf Eurer Internetseite explizit und pauschal von einer vorfußbetonten Lauftechnik abgeraten wird, die ja ein zentrales Element des Aktivlaufens darstellt, hätte ich als Aktivläufer doch verständlicherweise Vorbehalte gegen Eure Produkte.
Es hat ja schon seine Gründe, daß wir einen innigen Bodenkontakt der Ferse beim Aktivlaufen normalerweise vermeiden. So muß während der Stützphase immer gelten, daß der durch die Bodenreaktionskräfte auf den Körper übertragene Gesamtdrehimpuls gleich Null ist, da der Läufer andernfalls entweder auf die Nase oder auf den Hintern fällt. Wenn der Läufer nun während der vorderen Stützphase einen großen Teil des Bodenreaktionsimpulses über die Ferse überträgt, dann ist der effektive Hebelarm des angreifenden Drehmoments bei gleicher Kniestreckung kleiner als beim vorfußbetonten Läufer. Somit muß der Fersenläufer, um den Hebel wieder zu verlängern und der geforderten Drehimpulsbilanz gerecht zu werden, das Knie bei der Landung stärker durchstrecken. Ein gestrecktes Knie ist aber steifer als ein gebeugtes und wird somit stärkeren Stoßkräften ausgesetzt, die sich natürlich bis in höhere Strukturen des Skeletts (etwa die Hüfte) fortsetzen bzw. nach ausgeprägter Schuhdämpfung verlangen.
Selbstverständlich sehe ich die vermeintlichen Gefahren, die für die Laufschuhhersteller und -verkäufer von einem Trend zu einem von dämpfenden und stützenden Schihen unabhängigen Aktivlaufen ausgehen könnten.
Meines Erachtens könnte aber gerade ein Neuling auf dem Gebiet des Laufschuhbaus, was Ihr ja seid, sich einen solchen Trend zunutze machen. Es herrscht ja noch lange kein wirklich ausreichendes Angebot an Laufschuhen, die den Bewegungsablauf des Barfußlaufens ideal begünstigen und trotzdem die klassische Schutzfunktion eines Schuhs bieten.
Würdet Ihr Euch also von den Vorzügen einer aktiven Lauftechnik überzeugen lassen und von der sturen Empfehlung einer fersenbetonten Lauftechnik abrücken, dann könntet Ihr sicherlich so manche Marktlücke erschließen.
Es würde mich wirklich freuen, auf diesem Gebiet mit Euch zu einer konstruktiven Diskussion zu gelangen. Im Grunde befürworte ich nämlich sehr wohl Euer Vorhaben, zukunftsweisende Produkte in Deutschland zu entwickeln und auch zu fertigen.
Sportliche Grüße von
Martin