Uli-Fehr hat geschrieben:Mal dran gedacht, dass vorm Umfallen auch was passieren könnte? Dass diese Aktivität in der vorderen Schwungphase eine hohe, rückwärts gerichtete Relativgeschwindigkeit des Fußes zum KSP bewirkt? Diese a) einen geringen Abstand KSP-Fußaufsatz bewirkt und b) den Bremskraftstoß im Vorderstütz reduziert?
Klar ist sie an all dem beteiligt, das habe ich etwas flapsig unter "das Schwungbein vor dem Bodenkontakt kontrollieren" zusammengefasst. Wenn du mit hoher, rückwärtsgerichteter Relativgeschwindigkeit relativ zum Körper, und somit möglichst v=0 relativ zum Boden meinst, stimme ich vollkommen über ein.
Uli-Fehr hat geschrieben:was ist das mit dem Ziehen wenn nicht eine aktive Hüftstreckung? Was sagt Romanov denn zu einem Mechanismus wie dem DVZ?
Ziehen (Pull) meint das unter die Hüfte Bringen des Standfußes nach Ende der Stützphase und nicht die Hüftstreckung. Wie von dir auch erwähnt, ist eine vollständige Streckung von Knie- und Hüftgelenk im Hinterstütz nicht produktiv, sondern der Fuß muss möglichst schnell unter den KSP gebracht werden. Das meint Ziehen - dem Fuß diese Richtung geben.
Die Nutzung und Verbesserung der elastischen Eigenschaften von Sehnen und Muskeln ist natürlich ein zentrales Element, aber das brauche ich dir ja nicht zu erzählen. N. Romanov arbeitet sehr viel mit seinen Athleten in diesem Bereich.
Uli-Fehr hat geschrieben:Du kennst offensichtlich a) "die Sportwissenschaft" nicht so ganz richtig und verkennst b) ihre Methoden. Die Sportwissenschaft ist nunmal zum großen Teil eine empirische Wissenschaft und ihre Aufgabe ist es nunmal zu beobachten, was in Sachen sporttreibender Mensch so passiert, das zu beschreiben und zu erklären.
Ich verkenne nicht ihre Methoden, ich kritisiere sie lediglich. Wie du selbst sagst ist die Sportwissenschaft in erster Linie eine a posteriori Wissenschaft - und nichts weiter als das habe ich kritisiert.
Uli-Fehr hat geschrieben:Die Aktion in der vorderen Schwungphase ist eminent wichtig für eine optimal ausgeführte Bodenkontaktphase,
Natürlich ist das wichtig, aber dabei gehen unsere Meinungen auseinander. Ein optimaler Fußaufsatz ist meiner Meinung nach nichts, was aktiv erreicht wird, sondern ein Resultat der richtigen Aktion nach Beendigung des Stützes, nämlich den Fuß rechtzeitig wieder unter die Hüfte zu bringen. Fehler in der vorderen Schwungphase/beim Fußaufsatz sind nur die Kompensation der Fehler in der hinteren Schwungphase, um die klassischen Phasenstruktur zu benutzen.
Nach Beendigung der Stützphase bewegt sich der KSP mit hoher Geschwindigkeit vorwärts, nur der ehemalige Standfuß ist bei v=0. Die einzige Aktion, die in diesem Moment wirklich zählt, ist diesen Fuß wieder unter die Hüfte zu bringen. Das ist das bestimmende Element in der Hierarchie des Systems und dort sollte der Fokus liegen. Das ist was Ziehen, bzw. Pull meint und worauf ein Schwerpunkt bei vielen Pose-Übungen liegt.
Uli-Fehr hat geschrieben:dutzende von Übungen (Sprint ABC) zur Schulung bestimmter Technikmerkmale gibt's ja nun schon länger
Nur sehe ich leider bei dem meisten, was dort geschult wird, keine oder nur wenig Überschneidung mit dem, was meiner Meinung nach für das Laufen wichtig ist. Es ist zweifelsohne eine Koordinationsschulung, aber viel mehr sehe ich im klassischen Lauf ABC nicht.
Uli-Fehr hat geschrieben:Du meinst ich kann mich in einer leicht Schrittstellung hinstellen, so dass der KSP leicht hinter dem vorderen Fuß ist, der im Gegensatz zum hinteren Fuß auf einem Teppich steht und beobachten, dass ich den Teppich kraftvoll nach hinten wegschieben kann?
Nein, du kannst dich schlicht und ergreifend in eine Mittelstützposition stellen, auf einem Fuß, wie beim Laufen. Dann ists aus mit dem Wegschieben des Teppichs.
Uli-Fehr hat geschrieben:Wenn dir die genannte Literatur vertraut wäre, wüsstest du das. Dann wüßtest du auch, dass Athleten genau den Übergang von der Pick-Up-Beschleunigung in den freien Sprint als zentralen bzw. zumindest wichtigen Aspekt für einen technisch sauberen Lauf erfahren und keine Rede von einer "künstlichen" Einteilung sein kann,
Es liegt nicht daran, dass ich die Literatur nicht kenne, sondern dass ich die Auffassungen nicht teile. Wie du schon sagst ist die Einteilung der Sprintphasen in erster Linie ein Erfahrungsprodukt, woraus dann mal eben unterschiedliche Techniken postuliert werden. Aus dem Gefühl eines Sprinters ist es vielleicht nicht künstlich - aus der Betrachtung der Bewegungsstruktur und der dabei wirkenden Mechanismen zur Fortbewegung meines Erachtens her schon.
Uli-Fehr hat geschrieben:Auch, dass inzwischen die klassische Phaseneinteilung in zweigegliederte Schwung- und Stützphase einer funktionellen Gliederung in Schwung- und Zugphase gewichen ist (Tiedow/Wiemann 1994). Die Autoren haben auch gezeigt, dass die Kniestrecker neben der vorderen Schwungphase lediglich in der vorderen Stützphase eine Aktivität zeigen und im Hinterstütz eben die ischiocruale Muskulatur dominiert - was soll sie da angeblich nur Stabilisieren wo man doch einfach Fallen soll?
Keine Sorge, damit bin ich wohl vertraut. Tidow ist mein Chef
Es war schon weit vorher bekannt, dass die Aktivität des Quadriceps nur bis zum Mittelstütz reicht. Das frühste was ich dazu im Kopf habe, ist eine Untersuchung aus den 70'ern.
Ja, sie haben gezeigt, dass die Ischios im Hinterstütz dominieren, nur bei der Interpretation dieser Daten hakt es dann etwas. Nach dem Mittelstütz übernehmen die Ischios die wesentliche Stützarbeit, zusammen mit den umliegenden Muskeln wie dem Gastrocnemius, gluteus, usw usw. Irgendjemand muss ja das Körpergewicht auf dem Boden stützen.
Doch dann kam wieder die Geschichte mit der aktiven Hüftstreckung für den Vortrieb ins Spiel, wobei die beiden ja sogar noch erkannt haben, dass die Schwerkraft dabei eine Rolle spielt und laut Tidow/Wiemann das rückwärtsgerichtet Moment der Hüftstreckung ausgleicht. Aber genau da liegt der Pferdefuß meiner Meinung nach begraben: Wenn also die Hüftstreckung ein rückwärtsgerichtetes Moment erzeugt, was durch die Schwerkraft kompensiert werden muss, dann ist nicht die Hüftstreckung das primäre Element. Die gesamte Hierarchie des Systems wird hier auf den Kopf gestellt. Die Aktivität der Ischios ( und Gluteus usw..) ist eine Folge des vorwärts gerichteten Moments der Schwerkraft und nicht andersherum.
Uli-Fehr hat geschrieben:Ich halte das für erneut manipulativ - Laufen ist wie schon zigmal erwähnt nicht statisch, wer es mit und aus statischen Positionen versucht zu erklären, ist zum scheitern verurteilt.
Sorry, dass du das als manipulativ empfindest. Das ist nicht meine Absicht. Die Laufbewegung lässt sich nicht aus der Statik heraus erklären, doch manche Dinge lassen sich so veranschaulichen. Und wenn eine Aktion, wie das Erzeugen einer höheren horizontalen Kraftkomponente durch eine aktive Hüftstreckung in der Statik nicht funktioniert, wird es auch in der Dynamik nicht funktionieren, nur dass man dort den Illusionen der eigenen Wahrnehmung noch stärker ausgeliefert ist.
Vielleicht eine ganz einfache Frage, um das Ganze mal wieder auf den Ausgangspunkt zurückzulenken: Wie, wann und wodurch entsteht Vortrieb beim Laufen deiner Meinung nach?
Gruß,
Florian.