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12 Stundenlauf Brühl - Der Weg in den Himmel ist ein Ultra

12 Stundenlauf Brühl - Der Weg in den Himmel ist ein Ultra

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Sonntag Morgen, kurz nach sechs, Stadion Brühl. Oben blauer Himmel und Schönwetterwolken, unten entspannte Betriebsamkeit. Auf einigen Bänken wird gefrühstückt, es riecht nach Kaffee. An der Aschebahn wird noch ein letztes Zelt aufgebaut, die Matten für die Zeitnahme werden installiert. Ich sitze oben auf der Tribüne und sehe zu, während ich meinen Chip in die Schnürsenkel des linken Schuhs einfädele. Mich hat das seltsam sichere Gefühl hierher geführt, das mir irgendwann in diesem Frühjahr gesagt hat: Brühl musst du laufen. Dieses Jahr. Die ganzen zwölf Stunden. Vergiss die fehlende Erfahrung, dein lächerliches Training, geh da hin und lauf, so lange du laufen kannst!

Als ich in meine Laufschuhe schlüpfe sehe ich ihn: Manfred Leismann. Als ich seinen Namen in der Teilnehmerliste las, stockte mir der Atem. Das ist der Mann, der die Idee zum Trans-Europalauf 2003 hatte. Er dachte sich eine Strecke über 5.036 km von Lissabon nach Moskau aus, in 64 Tagesettappen! Mit der Startnummer 1 wurde er 13. in 652 Stunden. Eine für mich unfassbare Leistung, die man dem sich mit langsamen, schleppenden Schritten einlaufenden Weißhaarigen auf den ersten Blick nicht zugetrauen würde. Es spricht wohl für Brühl, dass ein solcher Ultraläufer trotz der attraktiven Alternativveranstaltungen an diesem Wochenende hier startet.

Der Start ist ähnlich unaufgeregt wie die Vorbereitungen. Die Läufer sortieren sich: die Einzelläufer auf der Innenbahn, die Staffelläufer auf den Außenbahnen. Ein Countdown, die Uhr über dem Zielbogen springt auf 00:00:01 und alles setzt sich in Bewegung. Die Staffelläufer sind schnell nach vorne verschwunden, ich fühle mich im hinteren Bereich der Einzelläufer ganz gut aufgehoben.

Gleich in der ersten Runde schließe ich Freundschaft mit der Strecke. Sie ist 2,5 km lang (was das Kopfrechnen auch später am Tag noch relativ leicht macht) und führt zunächst in einen schönen Wald mit wunderbaren, großen Laubbäumen. Nach gut einem Kilometer kommt man dann in den Schlosspark, läuft an einem Wassergraben entlang und dann seitlich am dem beeindruckenden barocken Schlossbau vorbei. Durch eine kleine Seitenstraße erreicht man dann die Fußgängerzone, von der aus es auf direktem Weg zurück ins Stadion geht. Gut – es ist ein Freund mit Macken. In diese ekelhafte Böschung, die man beim Verlassen des Stadions erst rauf- und dann wieder hinunterläuft, hätte ich irgendwann am liebsten eine Bresche gesprengt. Und die Querung einer Straße aus grobem Kopfsteinpflaster ist auch nicht gerade angenehm. Insgesamt aber doch abwechslungsreiche 2500 Meter mit ausreichend Schatten.

Die erste Runde ist mit knapp 17:00 Minuten die schnellste, danach bin ich in meinem Tempo und laufe konstant mit 7:00 min/km. Ein angenehmes Tempo, bei dem es nicht langweilig wird. Mit den Gleichlangsamen ergeben sich nette Gespräche, den Schnellen schaut man ungläubig hinterher und die Staffeln rennen ohnehin, als ginge es um ihr Leben. In angenehmem Gleichmaß gehen die Runden dahin. Etwas zu früh spüre ich ein Ziehen im rechten Knie. Das hatte ich ja noch nie – aber ich tröste mich mit einer meiner angelesenen Ultra-Weisheiten: was am Anfang wehtut ist nie das, was am Ende wirklich Probleme macht.

Um 10:00 Uhr wird es noch einmal etwas voller auf der Strecke: jetzt läuft auch noch ein Wettkampf über 25 km. Ich habe meine ersten 25 km auch schon geschafft und genieße das schöne Wetter und die Leichtigkeit des Laufens. Immer wieder mal meldet sich das rechte Knie, um dann doch wieder Ruhe zu geben. Langsam wird es warm und ich trinke jetzt bei jeder Runde zwei Becher Wasser. Jede zweite Runde steht mein aufmerksamer Vater mit einem Becher leicht gesalzener Apfelschorle an der Strecke. Um meinen Flüssigkeitshaushalt mache ich also mir keine Sorgen, und mit Bananen, Salzstangen oder Keksen nehme ich auch jedes Mal etwas zu essen mit auf die neue Runde. Mit der 17. Runde erreiche ich die Marathondistanz exakt nach fünf Stunden. Ich fühle mich immer noch großartig, allerdings tut jetzt beim Anlaufen nach der Verpflegungsstelle das rechte Knie doch deutlich weh. Es dauert dann fast eine halbe Runde, bevor es wieder locker läuft.

Nach 45 km wird es plötzlich anstrengend, obwohl ich am Tempo nichts ändere. Der Puls geht hoch, der Magen mag plötzlich keine Bananen oder Salzstangen mehr und das Knie wird richtig lästig. Ich halte mich jedoch an meinen Plan und laufe durch bis 50 km, die ich nach knapp sechs Stunden erreiche. Dann melde ich mich bei den Rundenzählern zu einer Pause ab und gehe direkt zum Massagezelt. Als Einzelläufer genießt man hier bevorzugte Behandlung, ich bekomme sofort eine Liege und nach der kurzen Frage „Wo tut es denn am meisten weh?“ beginnt eine junge Frau sehr effizient die Muskeln zu lockern. Liegen – massiert werden – ich glaube ich stehe nicht wieder auf…

Diese Entscheidung wird mir abgenommen – ich werde irgendwann einfach fortgeschickt. Richtig gut geht es mir noch nicht, Magen und Kreislauf sind unwillig. Ich verlängere meine Pause, setzte mich in den Schatten, trinke viel und spüre schnell die Erholung. Nach einer Weile kann ich auch wieder essen und nach 45 Minuten melde ich mich auf der Strecke zurück.

Die erste Runde nach der Pause, es ist Nummer 21, marschiere ich gemeinsam mit meinem Vater. Das Knie hat sich etwas beruhigt und ich laufe wieder an. Es geht, doch diesmal wird es während des Laufens nicht besser, sondern schlechter. Irgendwann muss ich wieder eine Gehpause einlegen. Der nächste Versuch anzulaufen tut so weh, dass ich es nach wenigen Schritten lasse. Nun gut, beim Gehen ist alles in Ordnung, also gehe ich. Ich finde ein zügiges Marschtempo, das ich ohne Schwierigkeiten halten kann und stelle fest, dass ich nun etwa 23 Minuten für eine Runde benötige. So viel langsamer als die langsameren Läufer bin ich damit auch nicht – und hänge Runde an Runde.

Jetzt, wo ich langsamer bin, vergeht die Zeit schneller. Die Maßeinheit sind die Runden, nicht die Stunden. Längst habe ich mein Minimalziel, die 60 km hinter mir gelassen. Ich spüre, dass ich in diesem Tempo problemlos durchhalten kann, und rechne mir aus, dass mein Wunschziel, die 80 km, zu schaffen ist. In der Fußgängerzone hat sich jetzt eine Sambagruppe versammelt, die mit ihren nachdrücklichen Rhythmen den Schritt beschleunigt. Gegen Ende fühlen sich meine Beine so gut an, dass ich sogar wieder ein Stückchen laufen kann.

Die letzte Runde kommt. Ich nehme Abschied vom Wald, vom Schloss, von der Fußgängerzone. Als ich in das Stadion komme, fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen: mein Körper, seine Bewegungen, die Aschebahn, Sonnenschein, Läufer, Helfer, Zuschauer, der grüne Rasen - alles ist gut. Ich laufe nach 32 Runden ein letztes Mal durch den Zielbogen und melde mich dann nach 11:28 Stunden ab.

Die rechnerische Bilanz ist ein unspektakulärer 20. Platz unter 33 Starten (die vier Frauen sind alle deutlich weiter gelaufen als ich). Etwas amüsiert kann ich den dritten Platz in der MHK für mich verbuchen - bei fünf Konkurrenten, von denen einer gar nicht gestartet ist, keine so sensationelle Leistung. Die körperliche Bilanz verzeichnet zwei undramatische Blasen und einen Tag Probleme beim Treppensteigen. Die emotionale Bilanz ist noch nicht abgeschlossen, aber irgendwas hat sich in mir bewegt bei diesem Lauf. Etwas sehr positives. Das war mein erster Ultra, aber ganz bestimmt nicht der letzte.
Es läuft ...

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12 Stunden in Bewegung - großartige Leistung. :daumen: Länger als 4:18 war ich noch nie auf den Beinen - für mich noch unvorstellbar - aber Dein Bericht macht Lust, evtl. auch mal so etwas auszuprobieren.
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Der Eintritt zum Ultra kostet den Verstand, oder so... :zwinker2:

Du hast es geschafft - willkommen im Club! :daumen:
...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?

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Glückwunsch und dreifaches :respekt: :respekt: :respekt:

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Wow, danke für den super Bericht und Gratulation zu der super Leistung! So lange durchzulaufen ist für mich noch unvorstellbar... und umso größeren Respekt habe ich vor Deiner Leistung!

LG

Bernie
Benutzerbild aufgenommen beim Rotterdam Marathon 2012
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Toller Bericht! Und tolle (für mich noch unvorstellbare) Leistung!
Solche Berichte machen aber große Lust darauf, dies selbst einmal möglich zu machen.

Viele Grüße
Frank
10km PB 44:32 (2006)
15km PB 1:09:17 (2006)
20km PB 1:32:42 (2004)
HM PB 1:39:55 (2005)
25km PB 2:16:21 (2003)
M PB 3:55:21 (2005)

Es ist nichts großartiges, besser zu sein als jemand anders - wahre Größe bedeutet es, besser zu sein, als man selbst vorher war :hurra:(...wie ich finde, das einzige Motto, dass 95% aller Läufer motiviert)
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