Hallo, vielleicht auch an dieser Stelle ein kurzer Artikel zum Thema Ermüdungsbruch im Sport von mir zur freundlichen Kenntnisnahme:
Prävention von Ermüdungsbrüchen im Sport
PD Dr. Karsten Knobloch, Medizinische Hochschule Hannover,
kknobi@yahoo.com,
http://www.eccentrictraining.com, Ausbilder Landessportbund Niedersachsen Prävention, Arbeitsgemeinschaft Sport pro Gesundheit
„Olympic victors were those who did not squander there power by early and overtraining“ (551 BC).
Sport Bild 13/2006: Zurück im Training: Nach dreimonatiger Pause steigt die Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt (25) wieder ins Training ein. Zwei Monate war der Grund für ihre Schmerzen nicht erkannt worden. Schließlich wurde ein Ermüdungsbruch im linken Oberschenkel entdeckt. „Ich habe viel Muskulatur verloren“ sagt die Vize-Europameisterin im Crosslauf. „Jetzt beginne ich mit dem Aufbau der Grundlagenausdauer.“ Ein weiterer Fall einer beidseitigen Oberschenkelschaftstressfraktur bei einem Langstreckenläufer ist bekannt [Weindl KL et Amendola A, 2005].
Die Erstbeschreibung der Stressfraktur erfolgte 1855 durch Breithaupt bei deutschen Soldaten, die sich infolge von Märschen die sogenannte Marschfraktur am Mittelfuss zuzogen. Die Stressfraktur des Knochens entsteht infolge ungewohnter, wiederholter Beanspruchungen. In der Regel heilen Stressreaktionen und Stressfrakturen des Knochens folgenlos aus, jedoch kann insbesondere die späte Diagnose den Heilungsverlauf insbesondere des ambitionierten Athleten verzögern.
Stressfrakturen entstehen auf dem Boden einer Dysbalance zwischen Belastung und Regeneration bei einer Steigerung von Trainingsumfang und –intensität.
Bei Frauen kann das Auftreten von Stressfrakturen insbesondere bei Ausdauerathletinnen von weiteren Störungen begleitet sein.
Die females athletes triad umfasst folgende Punkte (Hoch et al., 2005, Kirch K, 2005, Rutherford O, 1993):
Ameorrhoe als Regelblutungsstörung
Verminderte Knochendichte (Osteoporose)
Eßstörung (typischer Anorexie)
Stressfrakturen bei Läufern
Sehr häufig sind Crossläufer, Mittel- bis Langstreckenläufer und Marathonees betroffen [Delvaux K et al. 2001]. Verletzungen der knöchernen Ansätze der Sehnen an den Knochen als Apophysenverletzungen des heranwachsenden Skeletts betreffen vornehmlich jugendliche Läufer [Paluska PA, 2005]. Dass trotz Kenntnis um die Schwierigkeiten der Diagnosefindung und der Therapie Unzulänglichkeiten in der Behandlung von Navikularestressfrakturen am Fuss vorliegen zeigt eine Untersuchung aus Australien [Burne SG et al., 2005]. Nur zwei von 11 Athleten mit einer Navikularestressfraktur an der Fusswurzel erhielten die in der Literatur empfohlene Mindestpause von 6 Wochen ohne Belastung im Gipsschuh. Nur 6 der 11 Athleten (55%) konnten auf ihr ursprüngliches Sportniveau zurückkehren. Nur 3 der 11 Athleten hatten in der Nachuntersuchung unauffällige bildgebende Verfahren ihres Fusswurzelknochens.
Fallbericht: Kreuzbeinermüdungsbruch bei einer jungen Läuferin. Eine 22-jährige Läuferin mit einem wöchentlichen Laufpensum von 140km beklagte ein höchstschmerzhaftes rechtes Kreuz-Darmbeingelenk. Sie bewältigte die 140km pro Woche zur Hälfte auf Asphalt und im Gelände. Sprungübungen verschlimmerten den Schmerz, es fanden sich keine neurologischen Ausfälle mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Die initiale Therapie mit einem entzündungs- und schmerzhemmenden Medikament (Diclofenac 100mg/d) brauchte keine nachhaltige Verbesserung wie auch eine örtlich angewandte Betäubungsspritze. In der nach 2 Wochen Beschwerdepersistenz durchgeführten Kernspintomographie (Abbildungen) zeigte sich dann eine Kreuzbeinstressfraktur rechtsseitig. Das Kreuz-Darmbein-Gelenk erschien ohne Auffälligkeiten. Wir führten eine konservative Therapie mit 2 Wochen totaler Entlastung durch, gefolgt von einer raschen Rehabiliation über weitere 5 Wochen mit gradueller Belastungssteigerung zunächst auf dem Crosstrainer und durch Walking/Nordic Walking, später dann mit limitierten geringen Laufstrecken. In der siebten Woche nach Diagnosestellung betrug das Laufpensum bereits wieder 90km/Woche.
Häufig werden Stressfrakturen spät erkannt, weil einerseits der Sportler erst gar keine Medizinische Hilfe in Anspruch nimmt und sein Trainingspensum entsprechend einschränkt. Zweitens ist die medizinische Diagnosestellung, wie gleich noch ausgeführt werden wird, keineswegs immer geradlinig und einfach. Bei Läufern sind insbesondere die Beine und Fussknochen von Stressfrakturen betroffen [Brukner P et al. 1996]. Die wiederholte eintönige Belastung kann zu einer Überlastungsreaktion des Knochens und später dann zu einer Stressfraktur führen. Insbesondere auch heranswachsende Sportler mit hohen sportlichen Anforderungen geraten leicht in eine Situation, wo der Knochen beispielsweise nach einer Trainingsverschärfung überfordert sein kann und im Sinne einer Stressreaktion oder auch einer Stressfraktur reagiert.
Stressfrakturen und wöchentliche Laufdistanz
Obwohl es keine enge Beziehung zwischen pro Woche zurückgelegten Kilometern und der Häufigkeit von Stressfrakturen gibt, existieren einige Hinweise. So zeigten 31 Laufsportler mit Stressfrakturen im Mittel eine wöchentliche Laufdistanz von 117km [Korpelainen R et al. 2001]. Stressfrakturen am Becken, wie die des Schambeins sind insbesondere bei Langstreckenläufern aufgetreten.
Stressfraktur und Menstruation
Die Bedeutung eines regelmässigen Menstruationszyklus verdeutlichen folgende Zahlen: 49% der Läuferinnen mit Stressfrakturen hatten weniger als 5 Monatesblutungen pro Jahr, 39% hatten 6-9 Monatsblutungen pro Jahr, 29% hatten 10 bis 13 Monatsblutungen pro Jahr [Barrow GW and Saha S, 1988]. Läuferinnen, die niemals die Pille als orales Kontrazeptivum eingenommen haben, waren zweimal so häufig von Stressfrakturen betroffen im Vergleich zu Läuferinnen, die mindestens ein Jahr die Pille einnahmen.Der zuvor genannte Fall einer Kreuzbeinstressfraktur bei einer Läuferin ist sehr selten. Bislang sind diese Verletzungen nur für Läuferinnen beschrieben [Johnson AW et al. 2001].
Stressfrakturen bei Turnerinnen
In einer Analyse von 24562 Athleten zeigten sich bei drei Eliteturnerinnen im Alter von 15-17 Jahren Stressfrakturen des Sprungbeins [Rossi F et Dragoni S, 2005]. Die initialen Röntgenbilder konnten noch keine Veränderungen nachweisen, während die Szintigraphie, gefolgt von der Kernspintomographie die Sprungbeinstressfrakturen dieser drei Turnerinnen sämtlich nachweisen konnten.
Häufigkeit von Stressfrakturen
Es handelt sich insgesamt um eine insgesamt seltene Sportverletzung (1% aller Sportverletzungen), wenngleich die Häufigkeit bei Läufern ansteigt (10-25%) und insbesondere weibliche Läuferinnen die höchste Rate zeigen (bis 45%). Eine Untersuchung aus Heidelberg an 19 Kindern und Jugendlichen mit insgesamt 21 Stressfrakturen zeigte bei einem Mittleren Alter der Sportler von 14 Jahren vor allem bei Ausdauersportlern die Mittelfussstressfraktur und bei Sportlern mit häufigen stop and go Bewegungen insbesondere das Scheinbein als Ort der Stressfraktur [Niemeyer P et al., 2005].
Low-risk vs. high-risk Stressfrakturen
Je nach betroffener anatomischer Lokalisation unterscheidet man Ermüdungsbrüche in Niedrig-Risiko und Hoch-Risiko-Verletzungen [Kaeding CC et al., 2005].
• Low risk fractures, die mit relativ unkomplizierten und schnellen Verlauf zur Ausheilung gebracht werden können.
o Außenknöchel
o Fersenbein
o 2.-4. Mittelfußknochen
o Oberschenkelschaft [Kang L et al., 2005]
• High risk fractures zeichnen sich durch eine verzögerte Knochenbruchheilung und eher komplizierten, langwierigen Verlauf aus.
o Oberschenkelhals
o Kniescheibe
o Innenknöchel
o Sesambeine
o Sprungbeinhals
o Os naviculare am Fuß
o Proximaler 5. Mittelfußknochen
o Schienbeinschaft [Young AJ et McAllister DR, 2006]
Übertherapie von Niedrig-Risiko-Stressfrakturen führt zu unnötigem Trainingsverlust, Untertherapie bei Hoch-Risiko-Stressfrakturen führt zu unnötig verlängertem Ausfall des Athleten und zu Schmerzen.
Diagnose von Stressfrakturen
Die Diagnose ist eine klinische Entscheidung, die als Leitsymptom den Schmerz aufweist. Der Schmerz tritt zunächst während der Belastung auf. Im weiteren Krankheitsverlauf werden die Schmerzen dann während und nach der Belastung beklagt, schließlich bei weiterem Voranschreiten vor, während und nach der Belastung. Konventionelle Röntgenuntersuchungen sind in 60% der Fälle initial nicht wegweisend [Buckwalter JA et Brandser EA, 1997].
Die Kernspintomographie erscheint als Methode der Wahl. Eine aktuelle Untersuchung aus der Duke University in Durham, NC an 26 asymptomatischen amerikanischen Collegebasketballern der National Collegiate Athletic Associtation (NCAA) studierte vor und nach einer Saison mittels Kernspintomographie die Mittelfüsse der Basketballathleten, für die eine Mittelfussstressfraktur eine saisonbeende Verletzung darstellen kann [Major NM, 2006]. Bei 6 der 52 asymptomatischen Füße (12%) konnten nach der Saison in der Kernspintomographie ein Knochenmarksödem nachgewiesen werden als Zeichen einer Stressreaktion des Mittelfussknochens und Vorbote der Stressfraktur.
Weiterhin hilft die Knochenszintigraphie, die sehr sensitiv, jedoch weniger spezifisch ist, den klinischen Verdacht einer Stressreaktion bzw. einer –fraktur erhärten. In der Szintigraphie können schon 6-72h nach Symptombeginn Mehrbelegungen nachweisbar sein. Bei Stressfrakturen kann auch die Dünnschichtcomputertomographie die Diagnose sichern.
Therapieoptionen bei low risk Stressfrakturen
Low risk Stressfrakturen wie am Fersenbein oder dem Mittelfußschaft können konservativ über 6 Wochen Trainingsmodifikation, z.B. beim Laufsportler kein Laufen, sondern Radfahren, Aquajogging und Schwimmen zur Ausheilung gebracht werden.
High risk Stressfrakturen wie die des Os navikulare, der Basen der Mittelfußknochen 2 und 5 dagegen werfen häufig noch therapeutische Probleme auf. Häufig ist eine strikte Entlastung von 8-12 Wochen notwendig bei konservativem Therapieregime, bis es zu einer Ausheilung kommt, so dass aus Gründen der schnelleren Rehabilitation einer Osteosynthese diskutiert werden sollte.
Medikamentöse Therapie bei Stressfrakturen/-reaktionen
Die Gabe der folgenden Medikamente und Vitamine erscheint sinnvoll und denkbar, wenngleich derzeit keine randomisierten-klinischen Studien die ein oder andere Therapie eindeutig als überlegen einschätzen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat folgende Empfehlungen, weiterhin ist die angegebene Höchsttagesdosis zu beachten:
• Vitamin D3, 5-15mg/d, Obergrenze 20mg/d
• Calcium, 1000mg/d, Obergrenze 1500mg/d
• Magnesium 400mg/d Obergrenze 700mg/d
Dr. H.W. Müller-Wohlfahrt empfiehlt bei Knochenverletzungen zusätzlich noch folgende Medikamente: Reparil 3x2 Dragees, Traumanase forte 3x2 Dragees oder Wobenzym 2x10 Dragees und Oxano 2x1 Kapsel täglich.
Medikamente, die bei Stressfrakturen eingesetzt werden könnten bei Stressfrakturen, sind exemplarisch aufgeführt:
• Acetylsalicylsäure (ASS) 100-325mg/d
o Zirkulationsverbesserung der minderdurchbluteten Areale der Stressfraktur und auf diese Weise evtl. günstig wirkend, ähnlich der Zirkulationsverbesserung bei koronarer Herzerkrankung oder nach einem Schlaganfall
• Kalzitonin
o Sowohl Lachs als auch synthetische Kalzitonine sind verfügbar. Kalzitonin hemmen die Knochenresorption und stimulieren die knochenaufbauenden Osteoblasten. Lachs-Kalzitonin führt dosisabhängig zu einem Knochenmassenanstieg mit effektiven Dosen von 100-200IU subkutan injiziert pro Tag. Über ein Nasenspray eingebrachtes Kalzitonin kann ebenfalls wirken mit 50IU/Tag über 5 Tage pro Woche bis zu 200IU/Tag
• Bisphosphonate
o Sie hemmen die Osteoklasten, die den Knochen abbauen
o 70% des aufgenommen Bisphosphonates erscheinen direkt im Knochen, vor allem dort, wo erhöhter Umbau vorhanden ist, also besonders in Regionen mit Frakturen, was diese Substanzen auch bei Stressfrakturen attraktiv erscheinen lässt
Präventiv sollte beispielsweise bei Läufern die Fußmuskulatur gestärkt werden. Inwieweit dies beispielsweise mit dem Laufschuh Nike free erzielt werden kann, der auf jedwede Dämpfung verzichtet und dem Barfußlauf nachempfunden wurde, ist derzeit ungeklärt. Auch die Gewichtskontrolle insbesondere bei weiblichen Athletinnen im Lauf- und Turnsport sind essentiell. Ergänzende Massnahmen können die hyperbare Oxygenation (HBO) in einer Überdruckkammer sein zur Erhöhung des physikalisch im Blut gelösten Sauerstoffs sein sowie die Anwendung einer Magnetfeldtherapie sein.
Operation bei Stressfrakturen
Die Ermüdungsfraktur des Metatarsale V sollte frühzeitig durch Schraubenosteosynthese versorgt werden, da für gewöhnlich nach initialer Konsolidierung nach Monaten eine Re-Ermüdungsfraktur häufig auftrete. Genauso sollte man bei Navikular-Ermüdungsfrakturen vorgehen. Im Zweifel sollte die Verletzung solange als Ermüdungsfraktur behandelt werden, bis eine andere Diagnose das Gegenteil erweist. Präventive Massnahmen sollten das enge und kontinuierliche Gespräch mit dem betreuenden Trainern, die umgehende Vorstellung beim Mannschaftsarzt bei Beschwerden während der Belastung, häufige wechselnde Trainingsreize im Sinne eines cross-trainings, ausreichende Ruhephasen sowie das Bewusstsein, das insbesondere langdauernde Turniere ein großes Risiko darstellen.
Prävention von Stressfrakturen
Eine Untersuchung der Stanford University in Kalifornien untersuchte bei 156 Läuferinnen und 118 Läufern im Alter zwischen 18 und 44 Jahren über einen einseitigen Fragebogen, inwiefern die Laufsportlern über welchen Zeitraum in der Vergangenheit Ballsportarten ausgeübt hatten und inwiefern dieses einen Einfluss auf das zukünftige Risiko einer Stressfraktur hat [Fredericson M et al., 2005].
Sowohl bei Läuferinnen als auch bei Läufern war die Tatsache, dass sie Ballsportarten in der Vergangenheit ausgeübt haben mit einem verminderten Risiko für eine Stressfraktur verbunden, und zwar um fast 50%. Bei Läufern führte jedes Jahr Ballsport zusätzlich zum Laufsport zu einer Risikoreduktion um 13% pro Jahr für das Auftreten einer Stressfraktur. Bei Frauen mit normaler Zyklusfunktion war der Effekt ebenso 13% pro Jahr Risikoreduktion. Bei Frauen mit Regelauffälligkeiten konnte keine Risikoreduktion beobachtet werden. Je früher ein Läufer früher mit zusätzlichen Ballsportarten begonnen hat, desto größer war sein Schutz gegenüber zukünftigen Stressfrakturen.
Protective balancing© bietet die Möglichkeit, vielfältige unterschiedliche Bewegungsreize zu setzen und damit die Trainingsmonotonie beispielsweise des Läufers oder Fußballers, die für Stressfrakturen verantwortlich ist, zu durchbrechen. Der Knochen wird nicht eintönig eindimensional, sondern in unterschiedlichen Richtungen kurzfristig wechselnd belastet. Gerade unterschiedliche und vielfältige Bewegungsreize können wie auch alternative Sportarten, z.B. Ballsportarten für den Läufer, das Risiko für Stressfrakturen nachhaltig senken. Auch in der Rehabilitation nach Stressfraktur kann Protective balancing© entsprechend frühzeitig eingesetzt werden, um bei moderater Belastung schon frühzeitig dem heilenden Knochen entsprechende Anpassungsreize zu geben.