Und jetzt ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich das Ganze noch 7-mal vor mir hätte. Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Locker trabend hatte ich einen ungewöhnlichen Abenteuerlauf machen wollen, aber diese Steigungen kosteten enorm Kraft, auch ohne an die Grenzen zu gehen. Häufig hatte ich gelesen und auch kurz vor dem Lauf noch gehört, dass die 4. Runde die härteste sei. In den Schilderungen hatte sie fast schon einen mystisch-schauderhaften Klang bekommen:
[INDENT][INDENT]die VIERTE Runde …uuaaahhhh!....[/INDENT][/INDENT]Nun, meine härteste Runde war die erste, genauer gesagt die erste Hälfte der ersten Runde.
Bereits kurz nach dem Start hatte es optimal angefangen. Als eines nachfolgenden Läufers Fuß sich in meinen Hacken verirrt hatte, geriet ich ins Taumeln, konnte das Gleichgewicht nicht halten und legte mich flach. Mein Spontangedanke: „Oh Gott, hoffentlich trampeln die jetzt nicht alle auf dir herum.“ Aber die Nachfolgenden sprangen beiseite oder über mich hinweg, ich konnte mich mit einer leichten Drehung und unter Zuhilfenahme der Hände aufraffen und lief weiter. Nix passiert – dachte ich jedenfalls.
„Hat’s angezünd’t. Es gibt einen Schein.“ So beginnt die 2 Strophe des Bergmannsliedes (das mit dem Steiger). Aber der Schein hier unten war schwach, seicht, und der Boden, teils mit blankgescheuerten Fahrrillen, teils bedeckt mit zerriebenem Salz, war in dieser Dunkelheit oftmals nicht zu sehen. Also dachte ich mir, meine Neuerwerbung, nämlich die am Helm befestigte Stirnlampe, auszuprobieren. Doch da, wo selbige sein sollte, ertastete ich nichts. Klar, beim Sturz vorhin war sie wohl heruntergerutscht. Meine Hoffnung, sie in der zweiten Runde unversehrt auf mich warten zu sehen, erfüllte sich übrigens nicht. Damit war wieder ein Stück Sinnfrage geklärt: Wie auch immer die Vorhersehung für mich aussehen mag, der „Erleuchtete“ bin ich nicht.
Das Laufen mit Helm erwies sich als unproblematisch. Um Scheuerstellen durch den Befestigungsriemen zu vermeiden, hatte ich extra Watte mitgenommen, um diese zwischen Hals und Riemen zu schieben. Da ich mir als Nikolaus mit weißem Wattebart aber doch zu dämlich vorgekommen wäre, hatte ich darauf verzichtet und lediglich den Hals dick mit Vaseline eingeschmiert. Das war auch unproblematisch, und den Helm selbst spürte ich bis zum Schluss wenig.
Nun musste ich also ohne Licht laufen bzw. mit geteiltem Licht. In der zweiten Hälfte hatte sich das Feld auseinander gezogen, und so hatte ich nur vereinzelt Begleitung und somit Erleuchtung. Aber etwas bemerkte ich mit großer Genugtuung: Die 2. Hälfte der Runde war wesentlich angenehmer zu laufen als die erste. Nicht nur, dass hier der Stollen weitgehend flach oder gar leicht fallend verlief, nein, auch die Luft war besser geworden, frischer und weniger stickig. In dieser wie auch den folgenden Runden genoss ich es, flott, aber weit genug vom Limit die Beine laufen zu lassen. Die zweite Hälfte wurde zur Erholung von der ersten.
Als es in die zweite Runde ging, kam diese mir weniger hart vor als die erste. Das hatte sicher damit zu tun, dass ich der Illusion beraubt war, locker und lächelnd diesen Marathon zu zelebrieren. Mental hatte ich auf Anstrengung umprogrammiert, und da die Erwartung die Wahrnehmung prägt, ging es nun besser. Schon hatte ich die Hammersteigungen hinter mir und konnte mich auf den leichteren zweiten Teil freuen.
Das gleiche Bild in der dritten Runde: Je länger ich in dieser doch ungewöhnlichen Atmosphäre lief, umso mehr passten Körper und Geist sich an, selbst die trockene Luft, ja sogar das Stickige waren weniger belastend. Das subjektive Empfinden gelöschten Durstes, herbeigeführt durch je 2 Becher Wasser, hielt nun auch bis zur jeweils nächsten Getränkestation an.
Der erste große Anstieg lag wieder hinter mir, und es lief gut. Das 25 km-Schild machte mir dann jedoch klar, dass ich noch viel Kraft brauchen würde für den Rest der Strecke. Also entschloss ich mich, die 2. Brutalsteigung diesmal im Wechsel von Laufen und Gehen zu bewältigen, eine Taktik, die sich bezahlt machte, denn als ich nach der „Erholphase“ der 2. Streckenhälfte in die 4. und letzte Runde ging, spürte ich, dass die Kraft reichen würde.
War ich in der dritten Runde vereinzelt an Läufern vorbei gelaufen, die eine Runde weniger absolviert hatten, so bewegte ich mich in der letzten Runde voll durch das Gros des Läuferfeldes. Auch wenn teils 3 oder 4 nebeneinander liefen oder gingen, war das allerdings kein Problem, da die Stollen genügend breit sind.
Die bewährte Lauf-Geh-Wechseltaktik beim Hammeranstieg beibehaltend, hatte ich bald die Hälfte der letzten Runde geschafft und freute mich auf das leichtere Schlussstück. Und tatsächlich, es lief immer noch passabel. Schon hatte ich die einzige kurze Gerade hinter mir, in der sich, durch Flatterband getrennt, die Läufer begegneten. Die Frage des dort postierten Team-Essen-Betreuers nach einer kleinen Abkühlung bejahte ich und genoss die frische Kühle des Wassers am Körper.
Und dann passierte es zum zweiten Mal, aber ungleich heftiger.Hatte ich mich beim ersten Mal noch (vergeblich) zu fangen versucht, rutschte ich diesmal schlagartig weg und lag auch sofort flach. Die linke Körperseite war ausersehen, die volle Aufprallenergie abzufangen: die Wade war blutig, der Brustkorb lädiert, die Hand tat weh. Mit lautem Fluchen kam ich wieder auf die Beine und lief weiter. Im Handrücken im Bereich des kleinen Fingers verspürte ich ein heftiges Pochen. Das war unangenehm, aber ich konnte Gottseidank weiterlaufen.
3 – 4 km waren es noch bis zum Ziel. Auch wenn ich Furcht hatte, erneut zu stürzen, lief ich trotzdem auf Risiko und setzte die Restkraft voll in Tempo um. Ich hatte vor dem Lauf zwar keinerlei Zeitziel gehabt, aber ein Fünkchen selektiver Ehrgeiz ging dahin, dem Trend zu trotzen und die 4. Runde mit Würde und Anstand und nicht als die langsamste zu laufen. Also: Hand hin, Hand her, noch mal volle Pulle!
Im Zielbereich wurde ich dann in den Zielkanal rechts geleitet, der mir vorher gar nicht aufgefallen war. Am Ende wartete ein Helfer, der mit einem Scanner an meinem Chip herum fummelte, bis er endlich richtig gelesen hatte. Diese Prozedur kannte ich bereits von den Rundendurchläufen zuvor.
Ich bekam einen Zettel in die Hand gedrückt mit Platzierung, AK-Platzierung und allen Zwischenzeiten. Tatsächlich, die 4. Runde war ich mit 54:41 min schneller gelaufen als die 3., die Differenz beträgt zwar nur 5 Sekunden, aber schneller ist schneller. Als Endzeit konnte ich 3:32:37 h ablesen. Im Fußball würde man jetzt sagen: Über den Kampf ins Spiel gekommen.
Nachtrag 1
Von den Sanis ließ ich mir erstmal einen Eisbeutel geben, um die Schwellung der linken Hand zu bremsen, was auch einigermaßen gelang. Von der Wade her spürte ich keine Beschwerden, und auch der Brustkorb schien okay zu sein.
Die Stimmung unten im Start-Ziel-Bereich war bombig. Dies und die vielen engagierten und freundlichen Helfer im Verbund mit einer gelungenen Organisation sind die „Big Points“ dieser Veranstaltung. Die Strecke selbst muss ich mir allerdings nicht noch mal antun. Später sah ich noch einige Foris, die heil und erfolgreich, aber mit unterschiedlicher Bewertung des eigenen Tuns, den Kampf bestanden hatten.
Bombastisch und ausgesprochen stimmungsvoll wurde die Siegerehrung gestaltet: Eine Trommlerkapelle marschierte mit großem Getöse und viel Rhythmik voran und in die Konzerthalle ein, trommelte dort noch einige sehr schmissige Stücke, um dann von einer schottischen Viermannkapelle mit ebenso schmissigen und mitreißenden Stücken abgelöst zu werden. Dann erfolgte die Ehrung der Sieger und der Altersklassen in würdevollem Rahmen und mit vielen Sachpreisen.
Nachtrag 2
Wieder oben angekommen, war es schlagartig kalt, und es dunkelte bereits. Ich setzte mich ins Auto und spürte plötzlich einen heftigen Druckschmerz im Rippenbereich. Beim Stehen vorher und beim normalen Sitzen hatte ich keine Beeinträchtigung empfunden, aber in der etwas anderen Sitzposition im Auto meldete sich die 3. Sturzstelle mit Heftigkeit.
Nach kurzem Probieren empfand ich Schmerzentlastung, wenn ich die rechte Hand gegen die linke Brusthälfte drückte. Dazu musste ich mit der linken Hand lenken, die ja ebenfalls beeinträchtigt war. Nach geraumer Zeit schmerzten die Rippen aber erneut, und durch leichte Rechtsdrehung des Oberkörpers konnte ich wieder eine Entlastung herbeiführen. Trat der Schmerz wieder auf, half eine geänderte Armhaltung usw.
Es tat weh, aber entbehrte auch nicht einer gewissen Tragikomik. Ich fühlte mich an einen Sketch von Monty Python erinnert, in der sich ein Kandidat (ich glaube John Cleese) beim „Ministry of silly walks“ mit diversen „silly walks“ bewirbt und mit allerlei Verrenkungen urkomisch herumhampelt. Lachen konnte ich aber auch nicht, denn das schmerzte (und schmerzt).
Zu Hause angekommen und später im Bett musste ich dann noch die Erfahrung machen, dass die Anzahl meiner möglichen Schlafpositionen derzeit äußerst begrenzt ist, und schmerzfreies Aufstehen ist am besten durch eine Rollbewegung aus dem Bett heraus zu realisieren.
Kathrinchen hat geschrieben: Da drückt nix, da scheuert nix, Du wirst die Schmerzen nicht spüren, weil die anderen schlimmer sind...![]()
Arglos und unschuldig war ich morgens in den Schacht hinein gefahren, nicht ahnend, dass ein grausames Schicksal diese Prophezeiung zur unerbittlichen Realität werden ließe...
Bernd